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Artikel „Ratgeb, Jerg“ von Otto Donner von Richter in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 343–349, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ratgeb,_J%C3%B6rg&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 12:21 Uhr UTC)
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Ratgeb: Jerg R. (von Schwäbisch Gmünd), ein Maler des 16. Jahrhunderts von ausgezeichneter Begabung, dessen ausgedehnte Wandmalereien in dem Carmeliterkloster zu Frankfurt a/M. stets die Aufmerksamkeit der wenigen Kunstfreunde auf sich gezogen hatten, welchen sie an dem schwer zugänglichen Orte bekannt geworden waren. Sein Name aber war durchaus verschollen. Fälschlicher Weise waren statt desselben die Namen J. K. M. Z. Schwed und Georg Schlot in die Kunstgeschichte als Namen für die Autoren jener Wandmalereien in Kreuzgang und Refectorium eingedrungen. Wie die Entwirrung dieses ganz seltsam verwickelten Irrthumes dem Unterzeichneten gelang, muß hier eingehender behandelt werden, da nur dies uns zu der Biographie des Künstlers verhelfen kann. Der Kreuzgang des Carmeliterklosters, der sich mit einfachen Spitzbogen nach dem Hofe hin eröffnet, bildet ein Oblong von m. 50,00 Länge und m. 23,50 Breite. Seine Rückwände, mit Ausnahme des größeren Theiles der Südwand, aus welcher die Pfeiler der anstoßenden Kirche vorspringen, waren durchaus mit Malereien bedeckt, welche über einem hohen, freigelassenen Sockel hinlaufen. Seit 1803 aufgehoben, diente das Kloster zuerst [344] den frankfurter, dann österreichischen und zuletzt preußischen Truppen als Kaserne; der Zustand der Gemälde wurde immer desolater, und ein großer Theil derselben mußte behufs meiner Untersuchung und Zeichnung derselben erst wieder von der übergestrichenen Tünche befreit werden, ohne welche ich dieselben im J. 1847 noch in trefflicher Erhaltung gesehen hatte. Jetzt dienen die Räume Zollzwecken und neue Zerstörungen haben stattgefunden. Diese a tempera, nicht a fresco, gemalten Wandgemälde sind nicht in einzelne, abgegrenzte Bilder eingetheilt, sondern es waren durch eine sich in ineinander fortsetzende Anordnung von Architekturen phantasievollster Gestaltung in der Landschaft Einzelräume für die Episoden dieser cyclischen Darstellungen in der Art geschaffen, daß sich die Haupthandlung in lebensgroßen Figuren im Vordergrunde bewegte, während die zu derselben gehörigen Nebenepisoden mit kleineren Figuren im Mittel- und Hintergrund in passender Weise untergebracht waren. In diesem ganz ungemein reichen Werke tritt uns eine scharfe Charakteristik in der Gestaltung der Figuren, wenn auch oft auf Kosten der Schönheit, eine große Fähigkeit Seelenausdruck und Leidenschaft zur Anschauung zu bringen, große Mannichfaltigkeit in den Typen sowie eine unendliche Fülle reizvoller Details in der Ornamentik entgegen und wir erkennen in R. eine Kraft, welche mit erstaunlicher künstlerischer Gewandtheit und ohne allzuwählerisch zu sein – denn es fehlt nicht an ungenügend Durchstudiertem – ihre Aufgabe in Angriff nahm und durchführte, auch die nöthigen Hilfskräfte sich nutzbar zu machen wußte, auf deren Rechnung dann allerdings manches Mangelhafte zu setzen sein mag. Einen solchen Gehülfen lehrt uns folgende Grabinschrift des Kreuzganges kennen: A. Dom. MDXVI uf Bartholomaei starb der bescheiden Jerg Glasser von Bamberg, ein Malers-Gesell dieses Creutzgangs etc.

Der leitende Gedanke bei diesem großartigen Gemäldecyclus, welcher mit der Schöpfungsgeschichte, dem Sündenfall und der Austreibung aus dem Paradiese beginnt, sich fortsetzt in die Jugendgeschichte Christi, sein Wirken auf Erden, die Passionsgeschichte und mit dem jüngsten Gerichte endete, ist der: daß durch den Sündenfall das Erlösungswerk Christi eine Nothwendigkeit geworden war, und daß im jüngsten Gericht die Scheidung stattfinden wird zwischen denen, welche die rettende Hand ergriffen und jenen, welche sie zurückgestoßen haben. In diesen Darstellungen finden sich vielfach mit der Architektur verbunden, theils auch in den Händen der zahlreich eingeschobenen Einzelfiguren von Patriarchen und Propheten, Tafeln und Velarien angebracht, welche, mit Angabe der Quellen, Hinweisungen auf das alte oder neue Testament enthalten, wie z. B. Concepit Anna et peperit. I. R. I (d. h. I, Regum, I); oder: Susceperūt me sicut leo paratus ad praedam P – S. 16 (d. h. Psalm 16). An der Basis der Malereien läuft rundum ein Band, in welchem Namen und Wappen der Stifter angegeben sind, und zwischen diesen befinden sich ähnliche Tafeln gemalt, welche zum Theil sehr schwer zu entziffernde zweizeilige Inschriften tragen, unter welchen sich meist das Zeichen R + S befindet. Diese beiden Buchstaben wurden vielfach für das Monogramm des Malers gehalten, bis ich nachgewiesen habe, daß diese Zweizeilen Distichen sind, und das Monogramm sich also nur auf den Dichter derselben beziehen kann. So heißt es z. B. unter dem englischen Gruß: Ille aetherea Mariae fert arce salutem: Ille salutanti verba secunda refert. R + S. Das wirkliche, ächte Künstlermonogramm finden wir aber auf der Südwand des Kreuzganges in dem großen Gemälde, welches zwar anstoßend an den beschriebenen Cyclus, aber in keinem Zusammenhange mit demselben stehend, die Anbetung der Könige in ungemein figurenreicher Anordnung darstellt. Hier lesen wir in dem von Delphinen gebildeten Aufsatze einer Thüre: R. 1514. Unten in der Borte des Bildes sind die Stifter desselben angegeben, nämlich der Frankfurter [345] Patricier: „Claus Stalberg, Margaretha v. Rein sein Husfruw 1515“. Der Unterschied zwischen beiden Zahlen ergibt sich auf das natürlichste dadurch, daß Jerg R. seine Arbeit im Herbst 1514 vollendete, und daß, da im Winter in dem offnen Kreuzgang nicht gemalt werden konnte, die umgebende Einrahmung erst 1515 im Frühjahr gemacht wurde.

Der Irrthum, daß Passavant wie Gwinner das R + S für ein Künstler-Monogramm hielten, veranlaßte sie auch das Anbetungsbild und den Cyclus als von zwei verschiedenen Künstlern herrührend zu betrachten, wobei sie noch der Umstand irre führen mochte, daß sich in den Cyclusmalereien steigend eine größere Freiheit und Formvollendung sowohl in der Behandlung der Architekturen, wie der Figuren, zeigt, was indessen bei der mit ziemlicher Sicherheit auf ca. 12 Jahre zu berechnenden Arbeit nur der natürlichen Entwicklung des Künstlers in der so rasch voraneilenden Renaissance-Anschauung zuzuschreiben ist. Sowohl charakteristische Einzelheiten in den Architekturformen wie in den Costümen, ganz abgesehen von dem in allen Werken herrschenden gleichen Geiste, erweisen auf das überzeugendste die gleiche Autorschaft für alle. Offenbar hat der Beifall, welchen das von Claus Stalburg als erstes, und zwar als isolirtes, Gemälde gestiftete Anbetungsbild gefunden hatte, in den Mönchen den Wunsch erregt, von demselben Maler ihren ganzen Kreuzgang ausgemalt zu sehen. Ein Gesammtplan wurde von dem Künstler entworfen und, dem Fortschreiten der Arbeit entsprechend, wurden stets neue Stifter von den klugen Mönchen gewonnen. Ein Graf v. Hanau ist der erste, der auf Claus Stalburg folgte; ihm schließen sich fast alle namhaften Frankfurter Patricier an, Meßfremde und Adelige der Umgegend folgen und fast als die Letzten finden wir die Fürsten, welche 1519 der Wahl Karls V. in dem Kloster beiwohnten. Die ersten gedruckten Nachrichten über diese Malereien besitzen wir merkwürdiger Weise in der Reisebeschreibung eines französischen Edelmannes, des Herrn de Monconys, welcher sich vom 6. December 1663 bis zum 16. Januar 1664 in Frankfurt aufhielt. Er sagt p. 879: „le 19 nous fusmes à la Messe aux Carmes et nous y retournasmes l’apresdiné pour voir leur cloistre et refectoir peints à fresque par un des plus excellents Peintres de son temps, nommé George Scheolt qui faisait de la manière du vieil Breugle, mais ses dessins plus nobles.“ In der 1697 erschienenen deutschen Uebersetzung dieses Buches lautet diese Stelle aber: „den 19. waren wir wieder bei den Carmelitern zur Messe und besahen nach Mittage ihr Closter und Speisegemach, welches von einem seiner Zeit vortrefflichen Maler Nahmens Georg Schlot in Fresco gemalet ist. Er hat seine Sachen und Stücke nach des alten Breugle Manier gemacht, seine Zeichnungen aber sind weit edler und besser.“ Hier finden sich also zwei Fehler vor: 1) aus George Scheolt ist ein Georg Schlot entstanden und 2) ist „cloistre“ d. h. Kreuzgang, durchaus gegen, den Sprachgebrauch mit „Kloster“ übersetzt. Diese Uebersetzung wörtlich citirend gibt nun auch Lersner (Frankf. Chronik T. II. lib. II. p. 236) dem Maler der Refectoriumsbilder den Druckfehlernamen „Georg Schlot“, der sich fortan in der Kunstgeschichte einbürgerte. Diese 1517 von der Brüderschaft St. Anna gestifteten Malereien, welche die Geschichte von der Verfolgung des Ordens darstellen (Lersner T. I, lib. II. p. 118), waren mehrfach mit Kalktünche überstrichen worden und erst bei dem im Herbst 1882 erfolgten Umbau zu Schulzwecken konnten einige Theile von der schwer abzulösenden Kalktünche befreit und erhalten werden; der Rest ging leider verloren. Anordnung und Ausführung zeigten, daß sie von denselben Händen herrühren, wie die Kreuzgangmalereien, was ja auch de Monconys bezeugt. Lersner aber richtete trotzdem eine weitere Verwirrung an, indem er die Kreuzgangmalereien einem angeblichen J. K. M. Z. Schwed zuschrieb, worin ihm auch alle späteren Kunstschriftsteller [346] folgten. Hierzu kam Lersner durch das falsche Lesen einer sehr klein geschriebenen Notiz in einem auf dem Frankfurter Stadtarchiv befindlichen Manuscript des Patriciers Nikolaus Frosch vom Jahre 1586. Diese selbe Notiz hatte aber vor Lersner schon der im J. 1649 verstorbene Frankfurter gelehrte Patricier Johann Maximilian zum Jungen in seinem im Stadtarchiv als Manuscript aufbewahrten Werke: „Annales reipublicae francofurtensis vom Jahre 172 an biß auf das 1634. Jahr“ falsch copirt und zwar folgendermaßen: Anno 1515 ist der Creutzgang zu den Carmeliten durch J. R. M., von Schwed genannt, gemalt worden. Offenbar hat zum Jungen, – und auf seine Autorität hin alle Diejenigen, welche sich damals mit Kunst beschäftigten – den Namen Schwed in Umlauf gesetzt. So lernten ihn die Carmeliter kennen, welchen die Tradition abhanden gekommen war, und so wurde er de Monconys mitgetheilt, welcher denselben wiederum, wie fast alle deutschen Namen von ihm entstellt werden (z. B. Emskirchen in Embscheriguen; Israel van Meckenem in Israel van Mecre etc.), durch ursprüngliches Mißverstehen oder falsches Lesen seiner eigenen Aufzeichnungen in Scheolt umwandelte.

Erst dem scharfen Auge des seitherigen Stadtarchivars, Herrn Dr. Grotefend war es, angeregt durch meine Untersuchungen, bei Prüfung der Originalnotiz gelungen, dieselbe richtig zu lesen und zwar folgendermaßen: „ 1515. in diesem iahr ist der Creutzgang zun Carmeliten durch J. R. M. vo Schweb ∫ isch gemindt gemalt worden.“ Der irre machende Schnörkel zwischen Schweb und isch gehört einer untern Schrift an. Was aber heißt J. R. M.? Nicht lange sollte die Antwort auf sich warten lassen, indem Dr. Grotefend unter Medicinalacten einen an den obenerwähnten Claus Stalburg gerichteten Brief fand, in welchem demselben infolge einer von ihm an den Schreiber gerichteten Aufforderung für die Stadt Frankfurt nach einem guten Arzt zu forschen, zwei solcher zur Wahl empfohlen werden. Unterzeichnet ist dieser Brief: datum Herenbergk uf Suntag nach Michaelis anno im XVIII. Iwer ersam wisheit undertenig jerg Ratgeb maler. Sonntag nach Michaelis fiel im J. 1518 auf den 3. October. Auf dem Briefe befindet sich noch das aufgedruckte Siegel mit den drei Schildchen des Wappens der Malerzunft und darüber die Buchstaben I + R. Hiermit war denn endgültig die richtige Erklärung für J. R. M. gefunden, d. h. J(erg) R(atgeb) M(aler)! Da Herrenberg unweit Tübingen liegt, der Rath sich auch, wie aus einem andern Briefe des Rectors der Universität an ihn hervorgeht, in der gleichen Sache an denselben gewendet hatte, so ist anzunehmen, daß auch R. seine Candidaten dorten gewählt haben mochte. Was aber hatte ihn nach Herrenberg geführt? In der Beschreibung des Oberamtes Herrenberg (Stuttgart 1855) hatte ich gefunden, daß die dortige Pfarrkirche ein großes Altarwerk mit dem Monogramm R. 1519 besitzt; ich eilte sogleich dorthin und fand zu meiner freudigen Ueberraschung, daß nicht nur das Monogramm sondern auch der Stil der Malereien vollständig mit den Kreuzgangbildern übereinstimmte, wir somit ein zweites bedeutendes und beglaubigtes Werk von Ratgeb’s Hand besitzen. Auch in diesen Darstellungen hat sich der Künstler des erzählenden Stiles bedient. Die Hauptgegenstände sind folgende: Auf dem Flügel links: „das Abendmahl“; auf der linken Mitteltafel: „die Geiselung und die Dornenkrönung“; auf der rechten Mitteltafel: „der gekreuzigte Christus mit den Schächern“; auf dem Flügel rechts „die Auferstehung“. Die Rückseiten der beiden Flügel bilden, wenn sie zusammengeschlagen sind, ein einziges Bild: „den Abschied der Apostel von einander und ihren Auszug nach allen Weltrichtungen“. Auf der Rückseite des Altars finden wir wiederum in zwei Tafeln die Beschneidung und die Vermählung von Maria und Joseph. Diese beiden Bilder zeichnen sich namentlich durch ungemein reiche und phantasievolle Renaissance-Architekturen [347] im Hintergrunde aus, sind überhaupt in ihrer Ausführung die besten des ganzen Altarwerkes, an welchem sehr vieles von Gesellenhand herrühren mag. Die an diesen beiden Bildern ihrer guten Beleuchtung wegen sehr sichtbare Technik ist die eines seiner Sache durchaus sicheren Meisters, der sich mehr ein Verfahren schuf, mit welchem man rasch vorwärts kommt, als ein auf sehr sorgfältige Durchführung berechnetes. Wir sehen mit hellem Schwarz die Umrisse fest und sicher vorgezeichnet und darüber mit ganz dünner Farbe die Fleischtöne gelegt, so daß die gezeichneten Umrisse etwas durchschimmern. Diese Vorzeichnungen zeigen in dem Figürlichen eine so feine Individualisirung, zeugen von so aufmerksamer Naturbeobachtung und von so großer Freiheit und Unmittelbarkeit in der Arbeit, daß wir dem Meister unsere aufrichtige Bewunderung nicht versagen können. Wo immer die Natur des Darzustellenden es gestattete, sehen wir, daß R. es zuerst mit einem dünn lasirenden Ton versuchte, und nur zu einem dickeren Auftrag schritt, wenn mit dem dünnen nicht durchzukommen war.

Diese hier geschilderte Behandlungsweise finden wir, vereint mit gleichen Eigenschaften der Zeichnung, ebenso angewendet auch in zwei lebensgroßen Porträtsfiguren von Claus Stalburg und seiner Gattin vom Jahre 1504, welche sich gegenwärtig in der Gallerie des Städel’schen Institutes zu Frankfurt befinden, und sich ursprünglich rechts und links von dem Altarbilde der Kreuzigung in der Capelle des Stalburgischen Stammhauses auf dem großen Kornmarkt befanden. Die Kreuzigung ist leider im Besitze des Architekten Hundeshagen in Hanau verbrannt, und unserm Urtheil entzogen. Aber die Annahme liegt nahe, daß diese Arbeiten als erste Bestellung Claus Stalburg’s an R. gemacht worden waren. Die Technik Ratgeb’s weist weit mehr auf die der damaligen fränkischen Schule, als auf jene von Augsburg oder Ulm hin, ja sie gleicht durchaus manchen jener Dürer’schen Bilder, die er rasch zu machen wünschte, wie z. B. dem Hiob im Städel’schen Institut. Offenbar stand R. in Beziehungen zu der fränkischen Schule, ja vielleicht zu Dürer selbst, da wir häufige Anklänge an denselben in seinen Werken finden. Diese Annahme dürfte eine Unterstützung dadurch erhalten, daß meine Nachforschungen in Schwäbisch-Gmünd zu dem Resultate führten, daß die noch gegenwärtig ziemlich zahlreich vertretene Familie Ratgeb vorzugsweise in Stimpfach bei Crailsheim und in Bühlerthann zwischen Ellwangen und Hall ansäßig war und es noch ist, also an der Grenze zwischen Franken und Schwaben. Ein gegenwärtig in Gmünd lebendes Mitglied dieser Familie, Herr Apotheker R., ist erst unlängst dorthin übergesiedelt; aber in dem Städtemeister-Verzeichniß von Gmünd findet sich in den Jahren 1436 und 1440 ein Peter R. in dieser angesehenen Stellung. Die Kirchenbücher in Gmünd beginnen erst mit 1572; die früheren sind verbrannt, die Zunftbücher sind verschleudert worden; aus beiden war also keine Auskunft mehr zu erhalten. Aus den bis hierher gewonnenen Anhaltspunkten läßt sich nunmehr ungefähr folgendes Lebensbild von R. construiren: In Gmünd oder in der Gegend von Ellwangen geboren, von welcher Stadt eine alte Verkehrsstraße über Dinkelsbühl und Ansbach nach Nürnberg führte, mochte die Anziehungskraft, welche diese Kunststadt auf den jungen R. ausübte, als er sich seines Talentes bewußt ward, denselben veranlassen, seine Ausbildung dorten zu suchen. Dürer ist 1471 geboren. Rechnen wir nun, daß R., als er 1504 Claus Stalburg’s Portrait malte, noch ein junger Mann war, vielleicht von 24 Jahren, so würde sein Geburtsjahr diesenfalls auf ca. 1480 fallen. Zwischen Frankfurt und Nürnberg bestanden immer lebhafte Handelsverbindungen, die auch auf die Kunst nicht ohne Rückwirkung blieben, wie wir dies aus den Beziehungen des Frankfurter Kaufmanns Jacob Heller zu Albrecht Dürer wissen, bei welchem Heller im Jahre 1507 das berühmte Altarwerk für die Dominicanerkirche in Frankfurt bestellte. Es erscheint [348] nicht unwahrscheinlich, daß Jörg R., durch solche Beziehungen veranlaßt, seinen Weg nach Frankfurt suchte, durch Empfehlungen in nähere Beziehungen zu Claus Stalburg trat und von ihm den Auftrag erhielt, die Kreuzigung und die beiden Portraits für seine Kapelle zu malen.

Nach Erledigung dieser Arbeiten mögen weitere Aufträge nicht gekommen sein und R. die Schritte wieder seiner Heimath zugewandt und sich in Gmünd ansäßig gemacht haben, da ihn das Frosch’sche Manuscript ausdrücklich als von dorten bezeichnet. Leider konnte ich in Gmünd keinerlei Spuren seiner Thätigkeit von 1504–1512 nachweisen. Und doch ist es wahrscheinlich, daß er während jener Jahre dort Beschäftigung fand, Gmünd wenigstens zu weiteren Reisen nicht verlassen hat. Denn als Claus Stalburg auf den Gedanken kam, den neuen, ungeschmückt dastehenden Kreuzgang der Carmeliter mit einem großen Wandgemälde auszustatten und R. nach Frankfurt berief, so sehen wir deutlich am Style dieses ersten Werkes, daß sich seine alte Auffassungsweise, wie wir sie aus den Portraits kennen, noch sehr wenig weiter entwickelt hat. Da zur Herstellung des gewaltigen Anbetungsbildes mindestens zwei Sommer nöthig waren, so muß R. schon 1512 nach Frankfurt gekommen sein. Von da an wird er wol ununterbrochen an dem Kreuzgange gearbeitet haben und vielleicht im Winter an den Malereien des Refectoriums thätig gewesen sein, welche 1517 vollendet waren.

Um jene Zeit muß R. jenen bedeutenden, Jahre beanspruchenden Auftrag für das Herrenberger Altarwerk durch seine schwäbischen Beziehungen von dem dortigen Stiftsherrn Brenner (vergl. Heß, Herrenbg. Chron. T I, p. 906) erhalten haben, einen Auftrag, den er wahrscheinlich nicht in Herrenberg selbst ausführte, wo ihm Hülfsmittel nicht zu Gebote standen, sondern im Carmeliterkloster, wo ihm ohne Zweifel eine gut eingerichtete Werkstatt eingeräumt war und wo er mit seinen Gehilfen in den Wintermonaten sowohl Vorbereitungsarbeiten für die Sommerarbeit im Kreuzgang machen, als auch andere Arbeiten ausführen konnte. Im Herbst 1518 mögen ihn die Vorarbeiten zur Aufstellung des Altares, die 1519 stattfand, nach Herrenberg geführt haben. Aber gerade in diesem Jahre erhielten die Kreuzgangarbeiten einen erneuten Aufschwung dadurch, daß am 28. Juni in dem Kloster die Wahl Karl’s V. zum römischen Kaiser stattfand und, wie schon erwähnt, die theilnehmenden Fürsten, wie es die Inschriften zeigen, reiche Stiftungen für die Vollendung der Arbeit machten. Leider ist der letzte Theil der Malereien mit dem großen jüngsten Gericht durch bauliche Veränderungen an der Ostwand gänzlich verschwunden; nach Maßgabe der noch erübrigenden Arbeit von 1519 oder 1520 an, dürfen wir uns R. mindestens noch auf einen Zeitraum von 4–5 Jahren, also bis Ende 1524 im Kreuzgange beschäftigt denken.

Von da ab war es mir nicht mehr möglich, irgend eine Spur von Ratgeb’s Thätigkeit zu finden. Meine Nachforschungen in württembergischen Kirchen, Klöstern und Sammlungen, im germanischen Museum, in Cöln, Darmstadt und Mainz blieben gänzlich resultatlos, bei einem so leicht producirenden Meister jedenfalls eine auffallende Thatsache. Dieselbe könnte sich jedoch auf das Natürlichste erklären durch folgende Notiz, welche nach Veröffentlichung meiner Entdeckungen über R., Dr. Schneider in den württemberg. Vierteljahrsheften f. Landesgesch. 1883, 3, S. 263 aus einem Fascikel des Stuttgarter Archivs über „Malefiz-Sachen“ mittheilt: 1526, Bericht und Urgicht (Bekenntniß auf der Folter) Schurtz Jürgen, genannt R., Malers von Stuttgart, so zu Pforzheim gefangen gelegen, des Bauernkriegs und Herzog Ulrich’s halber.“ R. könnte nämlich nach Beendigung des Kreuzganges wieder seine alte Heimath aufgesucht und sich in Stuttgart niedergelassen haben. Interesse für den vertriebenen Herzog, vielleicht auch Sympathie für dessen protestantische Richtung [349] mag den erregbaren, dem neuen Zeitgeist durchaus zugewandten Künstler zum Ergreifen der Partei des Herzogs und damit zur Verwicklung in den Bauernkrieg getrieben haben. Nach der Niederwerfung der Bauern in der Schlacht bei Böblingen am 12. Mai 1525 durch den Truchseß Georg von Waldburg mag er gefangen, eingekerkert und 1526 hingerichtet worden sein, als eines der vielen Opfer der Wirrnisse jener durch Leidenschaften bester und schlimmster Natur aufgewühlten Zeit.

Vgl.: Journal des voyages de Monsieur de Monconys, conseiller etc. Lyon MDCLXV, und 2. Ausgabe: Paris chez Louis Billaine au Pallais MDLXXVII. – Des Herrn de Monconys ungemein und sehr curieuse Beschreibung etc. übersetzt von M. Christian Juncker. Leipzig und Augsburg 1697. – Henrich Sebastian Hüsgen, artistisches Magazin. Frankfurt a. M. 1790. S. 18 und S. 490 – S. 493. – Dr. G. K. Nagler: die Monogrammisten 3774. – J. D. Passavant in Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 1854. Heft VI, S. 175 und Heft VII, S. 107. Daselbst Abbildung der Schöpfungsgeschichte und des Anbetungsbildes; Aquarellcopieen dieser beiden Werke befinden sich in der Handzeichnungen-Sammlung des Städel’schen Institutes. – Dr. Ph. Friedrich Gwinner, Kunst und Künstler in Frankfurt a. M. 1862 bei Joseph Baer. S. 42 ff. – Otto Donner-von Richter, Untersuchungen über mittelalterliche Wandmalereien in Frankfurter Kirchen und Klöstern in: Mittheilungen des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde in Frankfurt a. M. 1881. Band 6, Heft 2, S. 453 ff. – Otto Donner-von Richter, Jerg Ratgeb, Maler von Schwäbisch-Gmünd etc. in: Deutsches Kunstblatt, II. Jahrgang, Nr. 1–4. Dresden 1882. Mit Abbildungen aus den Kreuzgangmalereien und aus dem Herrenberger Altarwerk. – C. Heideloff, die Kunst des Mittelalters in Schwaben. Stuttgart bei Ebner und Seubert. 1855. Band 1, S. 6. – Friedr. Heß, Handschriftliche Chronik von Herrenberg, Stuttgarter Bibliothek. – H. Merz, „Jörg Ratgeb und sein Altarwerk in der Stiftskirche zu Herrenberg“, in: Christliches Kunstblatt. 1. Februar 1885, Nr. 2.