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Artikel „Radegg, Rudolf von“ von Gabriel Meier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 112–114, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Radegg,_Rudolf_von&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 13:08 Uhr UTC)
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Radegg: Rudolf v. R., Scholasticus von Einsiedeln. Die Ruinen der Burg Radegg liegen im Kanton Zürich am steilen Abhang des Irchel, wo derselbe sich in den Rhein senkt. Doch gab es auch eine Burg Radeck auf der andern Seite des Rheins im Wangenthal bei Neunkirch, deren Besitzer Bürger zu Schaffhausen waren. Es läßt sich nicht mehr festsetzen, von welchem dieser beiden Orte unser Rudolf herstammte. Er nennt sich einen Zögling von Rheinau. In Einsiedeln erscheint er zuerst am 6. April 1311 als betheiligt bei einem Streite auf dem Brühl zwischen den Conventherren des Klosters und zwei Landleuten von Schwyz, wobei die Letztern verwundet wurden. Kopp erklärt übrigens dieses Geschichtchen als Tschudi’s eigene Erfindung. Zum Kloster Einsiedeln, [113] dem damals Abt Johannes von Schwanden 1298–1326 vorstand, gehörten nur sieben Mönche, zu denen Rudolf nicht zählte, wie oft irrthümlich angegeben wird. Er war nur Schulmeister und nicht Priester, sondern einfachen Cleriker; über seine Lehrthätigkeit ist aber Nichts bekannt. Das Kloster war seit vielen Jahren mit den Nachbarn von Schwyz wegen der beiderseitigen Grenzverhältnisse in Streit verwickelt, welcher in der letzten Zeit vielfach zu Thätlichkeiten geführt hatte. Es kam so weit, daß in der Nacht von Epiphanie, 6. auf den 7. Januar 1314 die Schwyzer unter Anführung des Landammans Werner Stauffacher das Kloster überfielen, plünderten und vielerlei Rohheit verübten. Der Abt war in Pfäffikon abwesend. Die anwesenden Mönche wurden gefangen und sammt dem Pfarrer und Schulmeister in Schwyz eingekerkert. Graf Rudolf von Habsburg, Herr zu Rapperswil, verwandte sich bei den Schwyzern um die Freilassung der Gefangenen, „aber sunderlich umb Meister Rudolf den Schulmeister, der uns von Eigenschafft anhöret“. Nach elfwöchentlicher Gefangenschaft wurden dieselben gegen Urfehde frei gelassen. Rudolf schildert diese Begebenheiten in einem lateinischen Gedichte „Capella Heremitana“ von mehr als 1700 Versen. Es zerfällt in eine Vorrede und vier Bücher, wovon das erste das Lob des Gotteshauses, das zweite das Lob des Abtes, das dritte in scholastischer Manier das Lob der Siebenzahl mit Beziehung auf die sieben damaligen Capitularen, das vierte den oben erwähnten Ueberfall besingt. Das Gedicht ist werthvoll als ausführliche Geschichtsquelle aus der Zeit der Entstehung des Schweizerbundes, aber auch, trotz den gewöhnlichen Gebrechen der damaligen lateinischen Schulpoesie, als litterarisches Denkmal, das nicht ganz ohne poetischen Gehalt ist und öfters humoristische Züge aufweist, die neben dem tragischen Inhalte um so stärker hervortreten. Man hat R. wol der Parteilichkeit gegen die Schwyzer verdächtigt, wogegen er seine Aufrichtigkeit rühmt (IV, 748 seqq.):

„Hic nihil est fictum, quare velamine nullo
     Indiget hoc carmen, pallia nulla ferens.
Ut res est gesta, sic scripsi, sicque legatur,
     Sic recolatur, sic permaneatque simul.“

Die einzige Handschrift, im J. 1444 geschrieben, befindet sich im Klosterarchiv von Einsiedeln. Ihr ist ein Commentar beigegeben, welcher auf Verwendung des Gedichts beim Unterricht in der Rhetorik und Poetik schließen läßt. Nachdem Hemmerlin in seiner Schrift gegen die Schwyzer, Hartmann in seinen Klosterannalen und Kopp das Gedicht benutzt hatten, wurde dasselbe nach Ueberwindung vieler Bedenken – früher wäre die Veröffentlichung als Staatsverbrechen angesehen worden – von P. Gall Morel im 10. Bande des Geschichtsfreund herausgegeben und mit allen wünschbaren Erläuterungen versehen. Vom dritten Buche sind übrigens nur die 30 letzten Verse, die allein geschichtlich von Interesse sind, abgedruckt. Eine deutsche Uebersetzung des wichtigsten vierten Buches gab mit unwesentlichen Auslassungen Götzinger im Neuen Schweizerischen Museum. Sonst ist von Radegg’s Schriften nur noch der Anfang einer lateinischen Sequenz auf den heiligen Meinrad erhalten. Er war nach 1327 Scholasticus in Einsiedeln und vermachte sein Haus in Rheinau dem dortigen Kloster.

P. Gallus Morel, Johannes von Schwanden und seine Zeit, besungen von Meister Rudolph v. Radegg. D. Geschichtsfreund. Einsiedeln 1854. Bd. 10, S. 170–231. – Götzinger, Capella Heremitana. Neues Schweizerisches Museum, Bern 1863, Bd. 3, S. 282–306. – P. G. Morel, Geschichtliches über die Schule in Einsiedeln. Progr. das. 1855. S. 14, 15. – Ders., Regesten von Einsiedeln. – Rueger, Chronik der Stadt und Landschaft [114] Schaffhausen. Buch V, C. 8. Buch VII, C. 16. – Stumpf, Chronik, 2. Aufl. Th. II, Buch V, Bl. 452. – Tschudi, Chronicon I, 257 ff. – Hohenbaum van der Meer, Kurze Gesch. d. Gotteshauses Rheinau, 101, 103. – Faßbind, Gesch. d. Kant. Schwyz, I, 168 ff. – Kopp, Gesch. d. eidgen. Bünde 4, 1, 247; 2, 18–23. – Ders., Urkunden II, 65–78. – v. Mülinen, Prodomus einer schweiz. Historiographie 89. – O. Lorenz, Deutschl. Geschichtsq. I, 3. Aufl., 79. – Cod. Einsidl. 114, p. 189.