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Artikel „Hemmerlin, Felix“ von Friedrich Fiala in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 721–724, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hemmerli,_Felix&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 10:13 Uhr UTC)
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Hemmerlin: Felix H., hervorragender Kirchenpolitiker des 15. Jahrh. – H. ist 1389 aus angesehenem Bürgergeschlechte in Zürich geboren und erhielt seine erste Bildung an der Stiftsschule daselbst, wohl unter der besonderen Leitung seines bejahrten Verwandten, des Chorherrn Friedrich H. Schon in seinem 23. Jahre (1412) wurde H. Chorherr am Stifte der Vaterstadt und nicht lange nachher (vor 1418) am St. Mauritiusstifte in Zofingen. H. muß damals schon die Subdiaconsweihe empfangen haben. Da es laut einem Statute von 1368 den Chorherren von Zürich gestattet war, sich während der Dauer von sieben Jahren, mit Beziehung ihrer Einkünfte, an einer hohen Schule für Theologie und canonisches Recht auszubilden, benützte der wissenseifrige junge Mann die günstigen Verhältnisse und begab sich 1413 zum Studium der kirchlichen Rechte an die berühmte Universität Bologna. Doch blieb er nicht lange daselbst. Als 1414 das Concil von Constanz zur Beilegung des Schisma’s der drei Päpste und zur Reform der Kirche an Haupt und Gliedern eröffnet wurde, nahm der Züricher Chorherr im Sinne Gersons und der Führer der Pariser Hochschule, eifrig Antheil daran. Wir finden ihn in Constanz als apostolischen [722] Notar und Sachwalter in kirchlichen Geschäften, namentlich des Rathes von Luzern. H. scheint bis zum Schluße des Concils in Constanz thätig gewesen zu sein. Jedenfalls übten die Verhandlungen desselben auf den eifrigen jungen Cleriker einen tiefen Einfluß und blieben die daselbst dominirenden Grundsätze maßgebend für sein ganzes Leben. – Es folgte nun eine Zeit reicher, ungestörter Thätigkeit. Zunächst vollendete H. seine Studien an den Universitäten Erfurt und Bologna; an ersterer erlangte er das Baccalaureat, an letzterer 1424 die Doctorwürde des canonischen Rechtes. Von Bologna ging er auch nach Rom, wo er am Hofe Martins V. mehrfach Gunstbezeugungen erhielt. Seine Studienzeit war aber öfters durch Reisen in die Heimath und durch amtliche Geschäfte unterbrochen. So trat er namentlich als Propst am St. Ursusstifte in Solothurn, welche Würde ihm 1421 zu theil ward, mit reformatorischer Thätigkeit auf. Er ordnete die öconomischen Verhältnisse, nöthigte den Rath der Reichsstadt zur Anerkennung der Stiftsrechte und verfaßte neue Statuten, die auf würdigen Gottesdienst, fleißige Besorgung der Kanzel und Sittenstrenge dringen und von den Beamten des Stiftes ernste Pflichterfüllung fordern, die insbesondere auch für Schule und Bibliothek sorgen. Dann finden wir ihn mit ernsten theologischen Studien beschäftigt, offenbar zur Erlangung der Priesterweihe, und am St. Ursustage, am Patronsfeste seiner Stiftskirche, 1430 feiert er sein erstes Hochamt, eine Propstthat, auf die er sich, gegenüber den Gebrechen seiner Zeit, viel zu gut thut. In den nächstfolgenden Jahren ist H. von den allgemeinen kirchlichen Verhältnissen ganz in Anspruch genommen. Im Jahre 1431 wurde das allgemeine Concil von Basel eröffnet. Der begeisterte Reformfreund hatte als Propst von Solothurn, als Doctor der geistlichen Rechte in der Versammlung eine nicht unwichtige Stellung einzunehmen und nahm auch 1432–1435 an Vorberathungen zu den allgemeinen Sitzungen und an verschiedenen Congregationen, so auch an den Verhandlungen mit den hussitischen Abgeordneten theil und ward von Seite des Concils mit mehrfachen Aufträgen betraut. Allein seinem idealen Streben nach durchgreifenden Reformen im Leben der Kirche widerstrebten die langwierigen, durch einseitige Tendenzstreitigkeiten gehemmten Verhandlungen, und bei seinem reizbaren Charakter zog er sich nach und nach verstimmt und verbittert zurück. Doch was H. für die Zustände der gesammten Kirche nicht erreichen konnte, das strebte er zunächst für die Collegiatstifte an, deren Mitglied er war. In Zofingen wurde ihm 1435 die Abfassung neuer Statuten übertragen, und er führte den Auftrag aus im Sinne und Geist seiner Solothurner Statuten, nur noch bestimmter im Charakter und würdevoll-wortreichen Stil der stärker ausgeprägten Reformbestrebungen. In Zürich dagegen, an welchem Stifte H. 1428 zum Cantor erhoben worden, fanden seine Reformen Widerstand, und als er am Neujahrstage 1439 eine öffentliche Anklageschrift gegen Propst und Chorherren richtete, in Form eines Briefes, den die Kirchenpatrone von Zürich wider die Sünder am Gottesdienste vom Himmel her erlassen, bildete sich unter den jüngeren Chorherren eine eigentliche Verschwörung, und ein gedungener Mörder verwundete den von einer amtlichen Reise von Constanz heimkehrenden Cantor so schwer, daß er mit den Sterbesacramenten versehen wurde. Auch nach seiner Genesung dauerten die Zwistigkeiten mit den Chorherren und Caplänen fort. H. konnte und wollte nicht schweigen und redete und schrieb gegen seine Widersacher mit schonungsloser Schärfe. – Doch noch viel gefährlichere Feinde zog sich der nicht zu ermüdende Kämpfer zu. Zwischen seiner geliebten Vaterstadt Zürich und der schweizerischen Eidgenossenschaft war um den Besitz der Grafschaft Toggenburg eine Spaltung ausgebrochen, die bis zum Kriege führte. Das allein stehende Zürich schloß sich an das Haus Oesterreich an und ging mit dem deutschen Könige Friedrich III. ein Schutz- [723] und Trutzbündniß ein. H. stand mit all seiner Energie auf Seite seiner Vaterstadt, trat in die Dienste des österreichischen Landvogtes Markgraf Wilhelm von Hochberg und nennt sich selbst Hofcaplan des Herzogs Albrecht von Oesterrreich und des Königs Friedrich, ja er begleitete den Letzteren auf einer diplomatischen Reise durch die Schweiz und an das Concil von Basel. Hemmerlins kirchlicher Reformeifer ging in dieser Zeit ganz im politischen Parteieifer für seine Vaterstadt und für das österreichische Bündniß auf. Nicht nur wandte er sich mit König Friedrich vom Basler Concil und dessen Gegenpapst Felix V. ab, den er doch früher gefeiert, sondern er schrieb auf Aufforderung des Herzogs Albrecht sein politisch-polemisches Buch, den Dialog „de Nobilitate et Rusticitate“, in welchem er die Schweizer, die Feinde Zürichs und des Adels, als die wildesten, entsetzlichsten Horden, als die Rädelsführer aller Empörung schilderte und ihnen alles mögliche Böse vorwarf. Es mußte die Schrift, namentlich durch ihren Schluß, die zwei Mahnbriefe Karls des Großen an seinen Nachfolger Friedrich III., Gottes Strafurtheil an den Schweizern vollständig zu vollziehen und den Krieg gegen dieselben energisch fortzusetzen, als ein haßerfüllter Versuch betrachtet werden, das von allen Seiten ersehnte, ums J. 1450 bereits vollendete Friedenswerk freventlich zu stören und aufs Neue zum wildesten Kriege zu entflammen. Die Erbitterung stieg durch amtliche Anklagen Hemmerlins gegen die schweizerischen Krieger, namentlich durch seine Aussagen gegen die Luzerner, die er als Heiligthumsschänder, Verräther und Mörder bezeichnete. Dazu beraubte sich der leidenschaftlich eifrige Mann der letzten Stützen, auf die er bei der drohenden Gefahr hätte rechnen können. Hatte er früher schon in mehreren Schriften die Begharden und die sie schützenden Franciscaner und Päpste heftig angegriffen, so wandte er sich nun in scharfer Polemik nicht nur wiederholt gegen den Propst und die Stiftsherren in Zürich, sondern auch gegen den päpstlichen Legaten in Deutschland, den berühmten Cardinal Nikolaus von Cusa, gegen Papst Nikolaus V. und gegen den Bischof von Constanz, Heinrich von Hewen und dessen Generalvicar Gundelfinger, seinen ehemaligen Freund und Beschützer. Trotz all seiner Angriffe wiegte sich H. in einer schwer zu begreifenden falschen Sicherheit. Bald ist er in Solothurn, wo er die Propstei niederlegen will und das Pfarramt verwaltet, bald ist er in Zürich, zurückgezogen mit eifrigen Studien sich beschäftigend. Und hier ereilte ihn auch die Rache seiner Feinde. Noch wagte es H., einen Gesinnungsgenossen, den Minderbruder Burkard Regenstorf, der wegen seiner feindseligen Reden gegen die Luzerner zu lebenslänglicher Klosterhaft verurtheilt war, mit scharfen Worten zu vertheidigen. Da erhob sich in der Fastnacht 1454, bei einem Versöhnungsfeste der Schweizer mit den Zürichern, ein Volksauflauf gegen den gehaßten Gegner. H. wurde in seinem Studierzimmer gefangen genommen und dem in Zürich anwesenden Generalvicar von Constanz überliefert. Dieser ließ ihn nach Constanz abführen in schwere Gefangenschaft. Nach vier Monaten, im Verhöre, mußte sich H. wegen seiner freventlichen Beschuldigungen gegen seinen Bischof, gegen den päpstlichen Stuhl, gegen die Eidgenossen vertheidigen. Er that es mit männlicher Entschiedenheit und bescheidener Entschuldigung und bat mit Hinweisung auf sein gebrechliches Alter, ihm die schweren Ketten abzunehmen und eine Zufluchtsstätte in einem Kloster anzuweisen. Allein erst gegen Ende des Jahres 1454 wurde H. im bischöflichen Hofe zu Constanz der strenge Richterspruch eröffnet, er sei seiner Cantorstelle und seines Canonicates in Zürich entsetzt und zu lebenslänglicher Buße und Einschließung in einem Kloster verurtheilt. Zur Vollziehung wurde er dem Rathe von Luzern übergeben, der ihn dem Wortlaut des Urtheils entgegen in den zwei ersten Monaten in hartem Kerker bewahrte und dann zu milderer Haft in das Franciscanerkloster abführen ließ. Hier verlieren sich die [724] letzten Lebensspuren Hemmerlins. Er steht in Unterhandlung um die Abtauschung der Propstei Solothurn gegen die Pfarrei Penthaz in der Waadt mit Chorherr Jacob Hüglin und er findet die Angelegenheit ihre Erledigung durch ein Breve Papst Calixt III. (19. Juni 1455). Er ist vielfach litterarisch thätig und schreibt seine Tractate „de exorcismis“, „de credulitate demonibus adhibenda“, „de emptione et venditione unius pro viginti“, „de matrimonio“, und es geht aus denselben hervor, daß er wie am Gottesdienste, so an den geselligen Freuden des Klosters theilnimmt. Ja, seine letzten bekannten Schriften, das „registrum queralae“ und der Tractat „de religiosis proprietariis praecepta domini praedicantibus“ (1457), scheinen entgegen der Annahme, es sei H. um diese Zeit in der Klosterhaft gestorben, eher anzudeuten, daß er dieselben nach wiedererlangter Freiheit verfaßt hat. H. stirbt jedenfalls vor 1464, wahrscheinlich um 1460–1461, als Chorherr von Solothurn und Zofingen und Pfarrer von Penthaz, vielleicht am letzteren Orte unter dem Schutze des ihm wohlwollenden Bischofs von Lausanne, Georg von Saluzzo. – Hemmerlins Leben bietet ein charakteristisches Bild aus der kirchlich-politischen Bewegung des 15. Jahrhunderts. Ein geistig begabter, wissenschaftlich gebildeter Mann, ein ehrlicher Charakter von rücksichtsloser Offenheit und sehr beweglichem Temperamente tritt begeistert für innere Reformen der Kirche in die Schranken, verliert sich aber ins Kleinliche und in politische Parteiung, mühet sich im unablässigen Kampfe ab und geht darin unter. Seine Schriften, Zeugnisse von seiner classischen, canonistischen und theologischen Belesenheit, behandeln Einzelnfragen aus dem kirchlichen und politischen Leben seiner Zeit und persönliche Erlebnisse und Kämpfe und entbehren einer tiefgreifenden, großartigen Grundanschauung, gewähren aber mannigfaltige Einblicke in die kirchlich-politischen und Kulturzustände, sowie in die literarische Bewegung unmittelbar vor der Zeit der Reformation und des Humanismus, von dem übrigens H. mit seinem nichts weniger als zierlichen Latein sehr absticht. Mehrere seiner Schriften, so das „Passionale“ und „Registrum querelae“ sind noch ungedruckt. Eine Sammlung seiner Schriften besorgte der bekannte Humanist Sebastian Brant unter dem Titel: „Clarissimi viri Juriumque doctoris Felicis Hemmerlin, cantoris quondam Thuricensis, varie oblectationis opuscula et tractatus“. Basileae 1497. Die ebenfalls von Brant besorgte Ausgabe: „Felicis Malleoli vulgo Hemmerlein, decretorum doctoris jure consultissimi, de Nobilitate et Rusticitate dialogus“ ist ohne Jahr und Druckort. Ausszüge enthält „Fel. Malleoli nonnulla ad historiam helveticam pertinentia“ im „Thesaurus historiae helveticae“. Tiguri 1738. Die Schrift „contra validos mendicantes“ ist übersetzt unter dem Titel „von den vermügenden bettelern“ in den Translatzionen und Dütschungen von Nicolaus von Wyl, einem jüngern Freunde Hemmerlins, der in der Vorrede eine lebensvolle, dankbare Schilderung des verstorbenen Gönners und Freundes gibt. –

Dr. Balth. Reber, Felix Hemmerlin von Zürich. Neu nach den Quellen bearbeitet. Basel 1846. – F. Fiala, Dr. Felix Hemmerlin, als Propst des St. Ursenstiftes zu Solothurn. Solothurn 1857. –