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Artikel „Morel, Gall“ von Gabriel Meier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 220–222, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Morel,_Gall&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 20:30 Uhr UTC)
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Morel: Pater Gall M., Benedictiner von Einsiedeln. Benedict Morell (so lautete eigentlich der Familienname und so schrieb er sich selbst bis gegen das Jahr 1840), wurde geb. zu St. Fiden bei St. Gallen am 24. März 1803. Sein Vater gehörte einer angesehenen Kaufmannsfamilie an, welche 1777 aus Savoyen ausgewandert war; seine Mutter, Theresia Enggetschwiler, war eine durch Charakter und Bildung ausgezeichnete Frau, welche auf die Erziehung ihres Sohnes den besten und tiefgehendsten Einfluß ausübte. Derselbe kam, nachdem er an der Schule seines Wohnortes eine nothdürftige Vorbildung erhalten hatte, 1814 an das Gymnasium in St. Gallen und 1818 an die Klosterschule in Einsiedeln. Schon im folgenden Jahre trat er daselbst in den Orden und legte am 14. Mai 1820 die Gelübde ab, wobei er den Namen Gallus annahm. Nach Vollendung seiner Studien wurde er 1826 Priester und nun fanden seine Talente und seine Arbeitskraft zunächst Verwendung an der Klosterschule, an welcher er Rhetorik und Philosophie lehrte. Bald wurde er Bibliothekar und Kapellmeister und hatte daneben als Präfect, seit 1848 mit dem Titel Rector bis zu seinem Tode die Leitung der Stiftsschule. Außerdem bekleidete er während mehrerer Jahre die Aemter eines Stiftsarchivars und Subpriors und war von 1843–52 Erziehungsrath des Kantons Schwyz. Sein reiches und vielseitiges, aber dennoch gründliches Wissen erwarb sich M. hauptsächlich auf autodidaktischem Wege, durch lebenslanges Studium auf allen Gebieten der Litteratur, im mündlichen und schriftlichen Verkehr mit Gelehrten des In- und Auslandes und daneben hauptsächlich durch wissenschaftliche Reisen. Der erste größere Ausflug ging 1830 nach Mailand, in spätern Jahren besuchte er Venedig, Genua, Wien, Paris, wiederholt München und verbrachte auch beinahe ein Jahr 1852–53 in Rom und Neapel. In Betreff seines Wirkens steht wol dasjenige als Schulmann oben an. Ueber 50 Jahre war er als solcher thätig. Die Schule des Klosters war bis zum Jahre 1848 von geringer Bedeutung gewesen. Als in diesem Jahre mehrere katholische Gymnasien der Schweiz eingingen, entwarf M. mit Abt Heinrich Schmid (s. d.) den Plan für eine bedeutende Erweiterung der Klosterschule, den er sofort energisch ins Werk [221] setzte, so daß die Anstalt, welche bis dahin höchstens 40 Zöglinge umfaßte, nach wenigen Jahren deren nahezu 200 zählte. Als Rector der erweiterten Anstalt behielt er sich selbst das Fach der Aesthetik vor, verbunden mit Kunst- und Litteraturgeschichte und den Unterricht in den classischen Sprachen für die obern Classen, wo er während mehreren Jahren auch Naturgeschichte vortrug. Er liebte es übrigens beim Unterricht in ziemlich freier Weise zu verfahren und außerhalb der Schule war er im Umgang mit den Zöglingen der heiterste und beliebteste Gesellschafter. Diese hingen denn auch an ihm mit größter Liebe und blieben auch später noch vielfach in Verkehr mit dem unvergeßlichen Lehrer, was ihm Briefe und Sendungen aus allen Welttheilen eintrug. Daneben erwarb er sich ein großes Verdienst um die Volksschulen des Kantons Schwyz, die damals noch auf tiefer Stufe standen. Im Auftrag der Regierung schrieb er 1842 und 1843 eine Fibel und zwei andere Lehrbücher für die Elementarschulen. Da der Kanton kein Schullehrer-Seminar besaß, so hielt er 1844 im Kloster mit sämmtlichen Lehrern einen dreiwöchentlichen Cursus, welcher ein sehr erfreuliches Resultat hatte. Nicht minder bedeutend und ausgedehnt ist Morel’s Thätigkeit als Bibliothekar. Für Bücher zeigte er von Jugend auf große Vorliebe und Sorgfalt, ja fast Verehrung. Es gelang ihm, die Stiftsbib1iothek höchst ansehnlich zu vermehren, so daß er für dieselbe mehr gethan, als irgend Jemand vor ihm, obschon ihm hierfür nur sehr beschränkte Mittel zu Gebote standen. Daneben sammelte er auch noch eifrig Kupferstiche, Porträts, Musikalien, Autographen, Münzen u. dergl. und wurde nie müde zu allen diesen Sammlungen ausführliche und genaue Cataloge und Repertorien zu verfertigen. Selbst das zeitraubende Abfassen der trockensten Register war ihm eine angenehme Mühe, worüber er einmal selbst seine Verwunderung ausspricht. Er wußte aber auch diese Sammlungen wieder zu benutzen und für die verschiedensten Zwecke fruchtbar zu machen. Am meisten Liebe, Zeit und Fleiß verwandte er auf die Handschriften der Bibliothek, aus denen er manchen werthvollen Schatz zu heben verstand. Der schönste Erfolg auf diesem Gebiete war die Restitution des von Orelli so geheißenen Codex Morellianus, einer Pergamenthandschrift des Horaz aus dem 10. Jahrhundert, die einst zu Büchereinbänden verwandt, von ihm aber abgelöst und mit vieler Mühe zusammengestellt wurde. Viel Fleiß und Interesse wandte er besonders auch der altdeutschen Litteratur zu, deren Pflege vor ihm in Einsiedeln gänzlich brach gelegen hatte. Am bedeutendsten und bekanntesten ist aber M. als Dichter. Voll tiefer Empfindung für alles Gute und Schöne, offenen Auges und Sinnes für jedes Gebiet menschlichen Wissens und Könnens, wurde er ebenso rein und warm begeistert bei den Erhabenheiten seiner heimathlichen Natur wie von den großen Menschen und Thaten der Geschichte und dem Kinde, das auf dem Schoße seiner Mutter schläft. Die schönsten und fruchtbarsten Stoffe für seine Leier bietet ihm aber die Religion. Er ist und bleibt vor Allem ein geistlicher Dichter, der aber von Natur vielseitig beanlagt, sich bald als kindlich frommen Mönch, bald als gutmüthigen Humoristen, dann wieder als welterfahrenen Mann, gar oft endlich als schneidigen Satiriker mit überraschenden Pointen und packenden Wendungen zeigt. Seine Sprache ist kräftig und wohlklingend, die Verse leicht fließend, nur Ausdruck und Reim lassen mitunter die nöthige Sorgfalt vermissen. Wegen der Vielseitigkeit seines Wissens und seiner Bildung hat man M. wohl einen katholischen Goethe genannt. Vielleicht dürfte man ihn auch mit seinem Lieblingsdichter Horaz vergleichen, mit dem er manchen Zug gemein hat. In weiten Kreisen galt sein Urtheil als das eines feinen Kunstkenners und in seinem Kloster hat er sehr viel dazu beigetragen, in Theorie wie Praxis geläuterte ästhetische Grundsätze und Anschauungen zur Geltung zu bringen. Als Priester und Ordensmann war er [222] der Kirche und dem Kloster treu ergeben und pflichteifrig. Er war auch mehrere Jahre für die Schweiz Director des Werkes der Glaubensverbreitung. Seine angenehmste Erholung war die Musik und er spielte selbst trefflich die Violine. Im Umgang war er voll frischen heitern Humors und witziger Einfälle, womit er Gesellschaften stundenlang aufs Angenehmste unterhalten konnte. Der Polemik auf allen Gebieten war er abgeneigt. „Die Muse soll beruhigen, nicht grollen“ sagt er. Doch konnte er wohl auch auf einen Augenblick recht hitzig werden „der gallige Gall“. Nachdem er in den letzten Jahren seines Lebens öfter an den Augen gelitten und den Beschwerden des Alters mit Besorgniß entgegen gesehen, wurden ihm diese glücklich erspart. Mitten in seinem Berufe, in den kalten Räumen der Bibliothek, zog er sich eine Lungenentzündung zu und nach kurzem Krankenlager, am Abend des 16. December 1872 verschied er fromm und gottergeben. Groß war der Verlust für das Kloster, mit welchem er seit einem Menschenalter so verwachsen war, daß er unersetzlich schien. Von Morel’s Schriften sind hier mit Uebergehung zahlreicher Beiträge in Zeitschriften und gelehrten Publicationen als die vorzüglichern zu nennen: „Einsiedler Kalender“ von 1841–73, 33 Jahrgänge, die eine sehr große Verbreitung erlangten. „Gedichte“, Einsiedeln 1852. Mit Portrait. Eine „zweite Sammlung“ erschien 1859. Im gleichen Jahr „Spruchverse“. „Waldblumen“ 1861. „Cäcilia. Religiöse Gedichte“, 1863. „Aus Italien“ Dichtungen, Stuttgart 1866. „Ein geistliches Spiel von S. Meinrad’s Leben und Sterben“, Stuttgart 1863, Litter. Verein. „Offenbarungen der Schwester Mechthild von Magdeburg“. Regensburg 1869. „Jugend- und Schultheater“, Augsburg 1859, 2 Bde. „Geschichte der Schweiz für Schule und Volk“ (mit P. Athanas Tschopp). Luzern 1838. „Die Regesten der Benedictiner-Abtei Einsiedeln“, Chur 1848. „Die Legende von St. Meinrad“, Einsiedeln 1861. „Das Leben des Johann Joseph Müller, Nationalrath“, St. Gallen 1863. „Lateinische Hymnen des Mittelalters, Einsiedeln 1868.

Vgl. P. B. Benziger, Rector P. Gall Morel, Progr., Einsiedeln 1873. – H. Keiter, Zeitgenössische kath. Dichter Deutschl. – P. B. Kühne, G. M. Ein Mönchsleben aus dem 19. Jahrh., Einsiedeln 1875. Kurz, Gesch. d. d. Litteratur, IV, 283.