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Artikel „Mechthild von Magdeburg“ von Philipp Strauch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 154–156, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mechthild_von_Magdeburg&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 05:14 Uhr UTC)
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Mechthild (von Magdeburg) wurde um das Jahr 1212 im Gebiete des Erzbisthums Magdeburg geboren, wahrscheinlich von adligen Eltern, die ihr eine sorgfältige Erziehung zu Theil werden ließen. Schon mit zwölf Jahren ward ihr Sinn auf das geistliche Leben gerichtet, um 1235 verließ sie, 23jährig, ihre Angehörigen – ein jüngerer Bruder Balduin wurde durch Mechthilds Vermittlung Dominicaner, später Subprior zu Halle – und wandte sich nach Magdeburg, wo sie Niemanden kannte außer einer Person, von der sie sich aber fernhielt aus Furcht, dieselbe möchte sie in ihrem Entschlusse, völlig zurückgezogen zu leben, wankend machen. Hier in Magdeburg lebte M. nun mehr als 30 Jahre als Begine, anfänglich nicht ohne gegen die eigene Sinnlichkeit ankämpfen zu müssen. Von Gott reich mit Gesichten begnadigt, verkündete sie diese wider ihren Willen nur auf Gottes und ihres wol dem Predigerorden angehörigen Beichtigers Geheiß und zog sich durch die Offenmüthigkeit, mit der sie, die ungelehrte Laiin (wan ich der schrift ungeleret bin, S. 56; ir wellent lere haben von mir und ich selber ungeleret bin, S. 237; vgl. auch S. 53), sich über die Verweltlichung und Entartung der Geistlichkeit insbesondere der magdeburgischen äußerte, Haß und Verfolgung zu und selbst christlich Gesinnte verhehlten nicht ihre Bedenken über den Werth ihrer Mahnrufe. Sie fragten, was ihnen ein solches Deutsch solle und glaubten „es sei aus Muthwillen erdacht und aus falscher Heiligkeit vorgebracht“. Von solchen äußeren Anfechtungen bedrängt, dabei kränklich, entschloß sich M. Magdeburg zu verlassen und trat um 1270 in das Cistercienserinnenkloster Helfta bei Eisleben, wo sie volles Verständniß ihres gottgeweihten Lebens voraussetzen durfte. Gerade damals stand jenes Kloster unter der ausgezeichneten Aebtissin Gertrud von Hackeborn (s. Bd. IX, 73; sie starb Ende 1292) auf dem Höhepunkt geistigen Lebens, dort fand M. in Mechthild von Hackeborn (s. u.) und in der jüngeren Gertrud (Bd. IX, 74; ihr Todesjahr fällt um 1301) geistesverwandte Naturen. Im Kreise der Helftaer Nonnen lebte M., viel kränkelnd, noch zwölf Jahre bis zu ihrem Tode um 1282, hochverehrt von ihren visionären Colleginnen, denen wiederholt Eingebungen über sie zu Theil wurden. Dem göttlichen Willen gehorchend hat M. ihre Betrachtungen [155] und Offenbarungen „Das fließende Licht der Gottheit“ eigenhändig aufgezeichnet. Als sie ihre im J. 1250 begonnenen geistlichen Memoiren bis zum Jahre 1265 fortgeführt hatte, glaubte sie aufhören zu können. Der ihr befreundete Dominicanerbruder Heinrich von Halle, Lector zu Rupin (der vor M. starb) sammelte die einzelnen Stücke, so wie sie der Zeit nach hinter einander entstanden waren und schied sie in 6 Theile. Später ordnete er das Ganze nach dem sachlichen Inhalt gleichfalls in 6 Bücher und diese letztere Gestalt wurde Grundlage für die lateinische freie Uebersetzung „Lux divinitatis“, die ein anderer, gleichfalls M. nahestehender Bruder Heinrich, Lector des Predigerordens bald nach ihrem Tode herstellte. Das niederdeutsche Original, dem M., vom Geiste getrieben, in Helfta noch ein weiteres, siebentes Buch hinzufügte, ist noch nicht wieder aufgefunden; wir besitzen aber eine von Heinrich von Nördlingen (s. diesen) um das J. 1344 zu Basel verfaßte oberdeutsche Uebertragung der sieben Theile, in welcher Mechthilds Werk im 14. Jahrhundert den mystischen Kreisen zu Kaisheim, Medingen und Engelthal zugänglich wurde und nicht ohne Einfluß auf ähnliche Aufzeichnungen geblieben ist. – In der umfangreichen, meist von Frauen herrührenden Litteratur von Offenbarungen in deutscher Sprache nimmt Mechthilds Fließendes Licht der Gottheit, das älteste Werk dieser Gattung, unstreitig die erste Stelle ein. Die Schrift „bezeichnet einen Höhepunkt deutscher Frauenbildung und religiösen Lebens im Mittelalter“. M. überragt die späteren deutschen Visionärinnen an hohem Ernst, mit dem sie den ihr von Gott übertragenen Beruf erfaßt. Wo sie Schäden, namentlich auf kirchlichem Gebiete zu erkennen meint, kargt sie nicht mit schärfsten Ausdrücken, aber diesem Eifer, diesem von seiner Berechtigung ganz durchdrungenen Zorne fehlt das Herbe und nüchtern Verstandesmäßige, wie wir es in den Prophezeihungen und Gesichten einer Hildegard von Bingen vorwiegend wahrnehmen. Der Mangel an Liebe zu Gott ist es, aus dem sich für M. alle Fehler und Laster der Menschen erklären. Diese „deutsche Minne, die von Gott Kunde giebt und sich gern auch dem kleinsten Kinde mittheilt“, zu der M. ihre Mitmenschen zurückführen möchte, sie ist die Seele ihres eigenen Wesens, die überall erkennbar ist, auch da, wo sie Gebrechen geißelt, mit Gottes Zorn droht. Neben einer prophetischen Richtung ihrer Offenbarungen, die sich wie bei Hildegard von Bingen und Elisabeth von Schönau mit der Außenwelt, mit der Noth der Zeit, insbesondere den gegenwärtigen kirchlichen Zuständen, sowie mit den letzten Dingen – hierin vielleicht an die joachitischen Schriften anknüpfend – befaßt, tritt eine andere, mehr contemplativer Natur, die immer und immer wieder den einen Hauptgedanken aller Mystik behandelt, Gott in der eigenen Persönlichkeit zu erleben. Der Wechselverkehr zwischen Gott und der Seele als Braut Gottes, den schon das Hohe Lied feiert, ist Mechthilds Lieblingsthema, das sie anschaulich in edler Sprache und mit großer Wärme der Empfindung zu schildern weiß. M. hat sich in ihrem Werke an keinen bestimmten Versbau gehalten, aber in der Begeisterung, mit der sie schreibt, geht ihre Prosa gar oft in Poesie über, ihre Sprache wird zum Gesang. Sie schwelgt in Reimen und Assonanzen und läßt ihre reiche schöne Phantasie in glänzenden wenn auch oft kühnen Bildern ausströmen. Sie berührt die tiefsten Fragen des Seelenlebens, die höchsten Wahrheiten und Geheimnisse des Glaubens, nur selten und jedesfalls ihr selbst völlig unbewußt die von der katholischen Lehre gezogenen Grenzen überschreitend. Im Fluge der Beschauung durcheilt sie die Hölle und giebt über deren und des Fegfeuers Qualen sowie über die Herrlichkeit des Himmels farbenreiche Schilderungen, wie wir sie später ähnlich bei Dante antreffen. Ja es ist wahrscheinlich, daß Mechthilds politische Prophezeihungen in Dante’s Göttliche Komödie Eingang fanden und das die deutsche Nonne dort als Matelda, Dante’s Führerin [156] im irdischen Paradiese neben Beatrice fortlebt. Dann aber ist M. das erste Beispiel in unserer Litteratur, wo wir Deutsche, die wir so vieles vom Ausland entlehnten, selbst auf andere Nationen eingewirkt haben. Mechthilds Werk ist ganz unter den Eindrücken des Ritter- und Hoflebens, in denen sie aufwuchs, entstanden. Die Magdeburger Begine zieht nicht nur dadurch an, weil sie zuerst in deutscher Sprache – des Lateinischen war sie nicht mächtig – ihr reiches Gefühlsleben ausströmen ließ, während eine Hildegard von Bingen und die Helftaer Visionärinnen lateinisch schrieben; sie interessirt den Litterarhistoriker ganz besonders auch darum, weil ihre Kenntnisse, die Fülle ihrer Anschauungen und Gedanken, die doch vorbereitet sein mußten, auf eine höhere Stufe geistig-religiösen Lebens in Norddeutschland schließen lassen, als wir das im allgemeinen für die damalige Zeit anzunehmen geneigt sind. Andererseits ist wieder die Lehre Meister Eckhart’s durch M. von Magdeburg und die Helftaer Nonnen vorbereitet worden, auch wenn es an stricten Beweisen dafür fehlt.

Vgl. Gall Morel, Offenbarungen der Schwester Mechthild von Magdeburg oder das fließende Licht der Gottheit, Regensburg 1869. Der lateinische Text gedruckt im 2. Bande der Revelationes Gertrudianae ac Mechtildianae Pictavii et Parisiis 1877. Greith, Die deutsche Mystik im Predigerorden, 1861, S. 53 ff., 207 ff. Preger in den Münchner Sitzungsberichten 1869, II, 2, 151 ff. und Geschichte der deutschen Mystik im Mittelalter 1, 70 f., 91 ff. Denifle, Hist.-politische Blätter 75, 695 ff. Strauch, Margaretha Ebner und Heinrich von Nördlingen, 1882, S. 371, 374 ff., 377 und Zeitschrift für deutsches Alterthum, 27, S. 368 ff. Zur Mateldafrage, in der außer mehreren anderen Vermuthungen Einige sich für Mechthild von Hackeborn, Andere für Mechthild von Magdeburg entschieden haben, vgl. Lubin, La Matelda di Dante. Graz 1860. Böhmer im Jahrbuch der deutschen Dante-Gesellschaft 3, 101 ff. Preger, Dante’s Matelda, München 1873. Paquelin und Scartazzini (der beide Hypothesen bekämpft) im Jahrbuch der deutschen Dante-Gesellschaft 4, 405 ff., 411 ff. Vorreden zum 2. Bande der Revelationes Gertrudianae ac Mechtildianae und die neuesten Dantecommentare.