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Artikel „Oetker, Karl“ von Friedrich Oetker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 728–731, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Oetker,_Karl&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 08:13 Uhr UTC)
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Oetker: Karl O., jüngerer Bruder von Friedrich Oe. (s. A. D. B. XXIV, 541 fg.), geboren am 22. September 1822 in Rehren in der Grafschaft Schaumburg (Kreis Rinteln), Sohn einfacher Landleute, genoß den ersten Unterricht in der Dorfschule zu Rehren, besuchte dann das Gymnasium zu Rinteln und bezog im Frühjahre 1842 als studiosus juris die Universität Marburg. Nach dreijährigem Studium, gefördert besonders durch Endemann (Processualist) und Büchel (Pandektist), bestand er im Juni 1845 das Facultätsexamen und im October desselben Jahres die Staatsprüfung in Kassel, beide mit trefflichem Erfolg. Der Eintritt in den Vorbereitungsdienst aber wurde ihm als Bruder Friedrich Oetker’s, ähnlich wie dem Sohne Schwarzenberg’s und dem Bruder Wippermann’s, durch die Willkür der kurfürstlichen Regierung wiederholt versagt. Er bereitete sich daher für die akademische Laufbahn vor, promovirte im März 1847 und habilitirte sich im Mai dieses Jahres als Privatdocent bei der juristischen Facultät in Göttingen. Seine scharfsinnige, geschichtlich und dogmatisch wohl fundirte Habilitationsschrift behandelte das Retentionsrecht und den Nachlaßvertrag im Concurse. Auch seine Lehrthätigkeit eröffnete er unter den günstigsten Auspicien. In seinem Vortrage – abweichend von der bisher geübten Methode des Dictirens – wußte er sich den vollsten Beifall seiner Zuhörer zu erringen. Aus der Göttinger Periode stammen noch eine Anzahl von Recensionen in Richter und Schneider’s kritischen Jahrbüchern.

Mit dem Frühjahr 1848 war das Hinderniß beseitigt, das seinem Zugange zur kurhessischen Rechtspflege entgegengestanden hatte. Da er sich mittlerweile verlobt hatte – mit Klementine Heusinger v. Waldegg – und bald zu heirathen wünschte, so entsagte er dem liebgewordenen Lehrberufe und siedelte auf Anrathen seines Bruders Friedrich im Herbst 1848 als Obergerichtsanwalt nach Kassel über. Er betrieb die Advocatur zunächst mit diesem vereinigt und übernahm dann, als die Hassenpflug’sche Reaction den Bruder aus Hessen und aus Deutschland vertrieb, auch dessen Antheil. Als Anwalt – die Pflichten dieses Amtes im höchsten Sinne erfassend – hat er bis zu seinem Tode ununterbrochen dem Rechte gedient. In den fünfziger Jahren einer der besten Vertheidiger in schwurgerichtlichen Sachen, hat er später durch einen Mordproceß, in dem er zu plädiren hatte, aufs tiefste seelisch erschüttert sich ganz auf civile Rechtssachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit beschränkt. Besonders in Vertrauenssachen, die neben Rechtskunde und vollster Zuverlässigkeit diplomatisches Geschick des Anwalts in schwierigsten Verhandlungen erfordern, bewährte sich sein Können. Manchem Verzweifelten, der keinen Ausweg mehr sah, hat er die rettende Hand gereicht. „Friede sei mit Dir“, mit diesen Worten theilte er noch in seiner letzten Lebenszeit einem Schaumburger Landsmanne, der durch arge Unbesonnenheit in die schlimmste Lage gerathen war, den tröstenden Erfolg seines Bemühens mit.

In die Zeit der gemeinsamen Advocatur der Brüder Oetker fiel der Umsturz der kurhessischen Verfassung von 1831 durch das Ministerium Hassenpflug. An Friedrich Oe., dem Vorkämpfer der liberalen verfassungstreuen Partei, fand Hassenpflug seinen gefährlichsten Gegner. Als Rechtsbeistand des Bruders, der offensiv und defensiv die Gewaltmaßregeln Hassenpflug’s mit allen gesetzlichen Mitteln bekämpfte, hat Karl Oe. in Rechtssachen von weittragender politischer Bedeutung auch seinerseits dem Minister den entschlossensten Widerstand mit vollem Rechtserfolge entgegengesetzt. Im Verein mit Heinrich v. Sybel und Adam Pfaff vertheidigte er Friedrich Oetker vor den Kasseler Geschworenen wegen eines Artikels der „Neuen Hessischen Zeitung“, in dem der Regierung „ein Deficit an Geld, Redlichkeit und Ehrgefühl“ vorgeworfen [729] war. Die Verhandlung endete mit Freisprechung (vgl. Fr. Oetker, Die Redlichkeit und das Ehrgefühl des Ministeriums Hassenpflug vor dem Schwurgerichte zu Cassel, 1850). Als im Herbst 1850 die Regierung zum offenen Verfassungsbruche schritt, den Kriegszustand proklamirte und Hassenpflug gestützt auf verfassungswidrige Verordnung die Druckerei der von Fr. Oetker redigirten Neuen Hessischen Zeitung militärisch besetzen ließ, erwirkte Karl O. ein unbedingtes Mandat des Kasseler Obergerichts, wodurch die Entfernung der Militärwache angeordnet und jeder weitere Versuch, die Herausgabe und Verbreitung der Zeitung zu hindern, untersagt wurde. In gleicher Weise und mit dem gleichen Erfolge trat er bald darauf für die persönliche Freiheit des Bruders ein, den der Oberbefehlshaber Generallieutenant v. Haynau rechtswidrig hatte verhaften und in das Kasseler Kastell abführen lassen. Die vereinigten Civilkammern des Kasseler Obergerichts erklärten die Verhaftung für ein „factum nullo jure justificabile“ und erließen das unbedingte Mandat auf sofortige Freilassung. Die Vollstreckung scheiterte freilich an der Renitenz der Militärbehörden. Und bald sollte an der Bundesexekution der verfassungsmäßige Widerstand der Gerichte gegen die September-Verordnungen Hassenpflug’s erlahmen.

Nach der Aufhebung des Kriegszustandes durch die Verordnung vom 19. December 1854 erwirkte K. Oetker die Einstellung des gegen Fr. Oetker im Herbst 1851 eingeleiteten Strafverfahrens „wegen Erregung von Mißvergnügen gegen die Staats-Verwaltung“ und eröffnete dadurch dem Bruder nach mehrjährigem Exil die Rückkehr in die Heimath.

Die Jahre bis 1859 boten zu politischer Bethätigung keinen Raum.

In dem Concurse der Kasseler Leihbank, einem Ereigniß, das die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf sich zog – ausführlich geschildert von Karl Braun, Bilder aus der deutschen Kleinstaaterei (3. Aufl.) IV, 5 fg. – trat K. Oetker als Verwalter der Masse wirksam ein für die Interessen der schwer betroffenen Gläubiger.

Als mit dem Wechsel in der preußischen Regierung durch die Regentschaft des Prinzen von Preußen sich eine der Wiedereröffnung des kurhessischen Verfassungskampfes günstige politische Constellation ergeben hatte, kehrte Fr. Oetker nach Kassel zurück und es begann dann seit Herbst 1859 unter eifriger Mitwirkung Karl Oetker’s die Agitation für Herstellung der Verfassung von 1831 (vgl. Fr. Oetker, Lebenserinnerungen III, 113 fg.). In der deutschen Frage, die fast gleichzeitig durch die Begründung des Nationalvereins wieder in Fluß kam, stand K. Oetker als thätiges Mitglied dieses Vereins auf dem Boden des Gagern’schen Programms (von 1848): bundesstaatliche Einigung Deutschlands ohne Oesterreich unter preußischer Führung.

Nach Herstellung der alten Verfassung (Juni 1862) wurde K. Oetker in die kurhessische Ständeversammlung gewählt und hat ihr bis zu ihrem Ende angehört. Durch seine Redebegabung, seine juristische Gewandtheit, seine nie sich verleugnende Besonnenheit gewann er eine auch von politischen Gegnern anerkannte Bedeutung. Besonders bemerkenswerth sind der Antrag auf Budgetvorlage, den er im November 1862 stellte, nachdem zwölf Jahre hindurch die Steuern und Abgaben ohne verfassungsmäßige ständische Bewilligung forterhoben worden waren; sein Bemühen um Rückziehung des provisorischen Gesetzes von 1851, wodurch das Mitwirkungsrecht der Stände bei Besetzung des Oberappellationsgerichts beseitigt wurde; der mit Fr. Oetker zusammen im März 1866 eingebrachte, von den Ständen angenommene Antrag auf Minister-Anklage.

Auch als Anwalt hat er der Verfassungssache einen wichtigen Dienst geleistet, [730] indem er in einen Proceß wegen Jagdfreiheit ein die Hassenpflug’sche Jagdordnung vom 26. Januar 1854 für unverbindlich erklärendes Urtheil des Kasseler Oberappellationsgerichts erwirkte (der Rechtsstreit veranlaßte die bekannte Schrift Martin’s über die Rechtsverbindlichkeit landesherrlicher Verordnungen, 1864).

Mit der Einverleibung des Kurstaats endete für längere Zeit die parlamentarische Thätigkeit K. Oetker’s. Seine Antheilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten aber erlitt keine Unterbrechung. In populären Vorträgen (über die preußischen Grundbuchgesetze), in politischen Versammlungen (Berathungen über die kurhessische Gemeindeordnung von 1834 im November 1874 in Kassel), in Gutachten (über die Regelung des ehelichen Güterrechts in Hessen), in der Presse (von bleibendem Werth Artikel der Hessischen Morgen-Zeitung Nr. 2984–2987 von 1868, der National-Zeitung Nr. 395 von 1890 über den Untergang der kurhessischen Selbstständigkeit) suchte er belehrend, fördernd, abmahnend gegenüber fehlgehenden Neuerungsbestrebungen, besonders in hessischen Dingen, zu wirken. Beim Empfange des Königs Wilhelm in Kassel im August 1867 äußerte dieser zu Karl Oe., es sei nach der Annexion in Hessen manches geschehen, das nothwendig abgestellt werden müsse. O. war ein überzeugter Anhänger der nationalliberalen Partei, trat aber warm ein für die Erhaltung berechtigter Eigenthümlichkeiten seiner engeren Heimath, ohne sich durch den unverständigen Vorwurf des Particularismus beirren zu lassen.

In dem bekannten Fideicommißstreit der Agnaten des Kurhauses mit dem preußischen Staat hat Oe., ohne ein Mandat anzunehmen, die von ihm für gerecht erkannte Sache der Kläger durch Rath und Schrift unterstützt.

An den Verhandlungen zur Neuordnung des hessischen Landes-Kirchenrechts war er als Mitglied der außerordentlichen Synoden von 1869/70 (durch Wahl) und von 1884 (durch königliche Ernennung) wesentlich betheiligt.

Seiner politischen Grundanschauung getreu hat er sich den Aufgaben der Selbstverwaltung in der politischen, der kirchlichen Gemeinde und in Standesangelegenheiten trotz einer Ueberfülle von Berufsgeschäften hingebend gewidmet. Er war lange Jahre hindurch Vorsitzender der Anwaltskammer und des Ehrengerichts der Rechtsanwälte des Oberlandesgerichtsbezirks Kassel. Wiederholt hat er den städtischen Körperschaften Kassel’s angehört. Die lutherische Gemeinde in Kassel, in deren Vorsteheramt er den Vorsitz führte, dankt ihm ein neues Gemeindestatut.

Den Geist des Christenthums sah er mehr in der Nächstenliebe, als im Dogma. In diesem Sinne fanden die Ziele der christlichen Diakonie, Armenpflege, Krankenpflege, Rettung Verwahrloster, seine freudige Zustimmung und thatkräftige Unterstützung. Um das hessische Diakonissenhaus, dessen Vorstand er angehörte, hat er sich ein wesentliches Verdienst erworben. In gleichem Geiste wirkte er in der Direction des lutherischen Waisenhauses zu Kassel.

Der Tod seines Bruders Friedrich, 17. Februar 1881, rief ihn wieder auf den parlamentarischen Schauplatz. Er wurde an dessen Stelle Vertreter des Wahlkreises Rinteln im preußischen Abgeordnetenhause und blieb es bis zu seinem Tode. Auch in den Reichstag ist er wiederholt gewählt worden (für Rinteln-Hofgeismar-Wolfhagen, 1884 und 1887). Konnte er auch eines Halsübels halber in den Plenarverhandlungen nur selten das Wort ergreifen, so hat er doch in den Sitzungen der nationalliberalen Fraction, in Commissionen und in Verhandlungen mit der Regierung fruchtbringend gewirkt und berechtigte Interessen seines Wahlkreises erfolgreich verfochten. Das volle Vertrauen seiner Wähler stand ihm bis zuletzt zur Seite.

[731] Der Wahrung des Rechtes, das ihm höher galt als alle Politik, hat er Parteirücksichten stets untergeordnet. Die Beschlagnahme des Vermögens des Kurfürsten von Hessen durch das preußische Gesetz vom 15. Februar 1869 widersprach seinem Rechtsgefühl und er hat noch in seiner letzten Lebenszeit sich bemüht, zu Gunsten der geschädigten Allodialerben des Kurfürsten einen Ausgleich mit der preußischen Regierung herbeizuführen (Eingabe der kurhessischen Mitglieder des Abgeordneten-Hauses ohne Unterschied der Partei an das preußische Staatsministerium vom Mai 1892, durch O. veranlaßt).

Das Schicksal hat es gefügt, daß sein letzter parlamentarischer Bericht (Drucksachen des Abg.-Hauses, 17. Legisl.-Periode, 4. Session, Nr. 166) der Beseitigung alten Unrechtes galt. Das preußische Gesetz vom 2. März 1850 betr. die Regulirung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse war infolge schwer begreiflichen Uebersehens in Neu-Vorpommern und Rügen wiederholter Petitionen ungeachtet nicht eingeführt worden, so daß dort das Legen der Bauerngüter bis in den März 1892 fortgedauert hat. Durch das Gesetz vom 12. Juni 1892 ist endlich das Unwesen beseitigt worden.

Bald nachher setzte zunehmende schwere Krankheit Oetker’s weiterem Wirken ein Ziel. Am 24. August 1893 ist er in Berlin, wohin er seit Frühjahr 1889 übergesiedelt war, gestorben.