ADB:Oeri, Hans Jacob
Rudolfs von Habsburg, welche, in herrlichster Landschaft gelegen, reich ist an historisch bedeutenden Erinnerungen und romantischen Sagen, hat er wohl zum ersten Mal in den Chroniken des Mittelalters geblättert, um nach künstlerisch darstellbaren Stoffen zu suchen (vgl. Malerbuch, Bd. 15 des Zürcher Künstlerguts, Nr. 1). Aber auch die Kriegsereignisse der Franzosenzeit, das 1799 bei Seebach stationirte russische Lager, mögen die Phantasie Oeri’s angeregt haben; im Mannesalter kam er auf jene Eindrücke zurück. Am 9. Juni 1800 begann Oeri’s Künstlerlaufbahn, Er wurde zum Landschafter Kuster in Winterthur in die Lehre gethan. Das erste Bild, sein Selbstporträt, sandte er auf die Zürcher Kunstausstellung von 1802. Dasselbe fand den enthusiastischen Beifall des Dichters Martin Usteri und zeigte den jungen Mann dem Meister bereits überlegen. 1803 stellte er einen weiblichen Kopf nach der Antike aus. Nach vollbrachter Lehrzeit, im Sommer 1803, begab Oe. sich mit dem Maler David Sulzer nach Paris, wo [420] er mit seinen Brüdern und Carl Schultheß, der sich bei David ausbildete, zusammentraf. Nun wurde fleißig nach Modellen und nach der Antike gezeichnet, kurz alles gelernt, was ein Porträtmaler wissen muß. 1804 schickte er zwei Bildnisse nach Zürich, 1805 das heute der Zürcher Stadtbibliothek gehörende Porträt des Bürgermeisters Hans v. Reinhard. 1807 machte Oe. seinen ersten Compositionsversuch (Dädalus und Ikarus) und gleichzeitig entstand ein Familienbildniß, welches uns das Treiben der jungen Leute in der Weltstadt vergegenwärtigt. Bis 1807 blieb O. in Paris, dann ging er mit seinem Bruder Georg und Schultheß über Lyon, Genf und Yverdun, wo Pestalozzi besucht wurde, nach Zürich zurück. Nun entstanden eine Reihe guter Porträts, darunter diejenigen des Landschaftmalers Wüst (1808 im Künstlergut Nr. 117), Heinr. Füßli’s, Ludwig Vogel’s und Salomon Landolt’s. Das Letztere (1809), einst im Besitz von Antistes Veith in Schaffhausen, ist heute verschollen. Von Compositionen aus jener Zeit sei diejenige zu Geßners Idyll „Chloe“ genannt. 1809, im Herbste, kehrte Oe. seiner Heimath von Neuem den Rücken und begab sich mit Miville aus Basel über Frankfurt, Berlin und Königsberg nach Moskau, wo er sich dem Lehrfach widmete; jedoch schon 1812, als der Krieg gegen Frankreich wüthete, sah Oe. seine Existenz in Rußland wieder vernichtet. Im Moskauer Brande gehen seine Studien zu Grunde, er selbst flieht nach Kasan, geht dann nach der Krim und fährt in Jahrelangen Kreuz- und Querzügen ruhelos umher. Die Malerbücher des Künstlergutes enthalten eine Anzahl Scenen aus dem russischen Volksleben, welche Zeugniß für die Beobachtungsgabe des Meisters ablegen (vgl. Bd. 9 Nr. 21 und 43, Bd. 10 Nr. 16 und 39, Bd. 11 Nr. 31, Bd. 12 Nr. 10). Im März 1817 setzte Oe. seine Reise nach Petersburg fort und hierauf fuhr er nach Lübeck, wo er bis zum 28. Juni blieb. Endlich ging es wieder dem Vaterlande zu. In Zürich angelangt, lebte Oe. von nun an in der Familie seines Bruders und verließ selten mehr seine Heimath. Er betheiligte sich in den Jahren von 1819 bis 1838 fleißig an den Kunstausstellungen, besonders mit Bildnissen in schwarzer Kreide, und griff zum Wanderstabe nur, wenn es sich darum handelte, seinen alten Vater in Regensdorf zu besuchen, Theil zu nehmen an den Künstlerfesten in Zofingen, oder wenn ihm der Auftrag wurde, in Städten wie Dresden, Frankfurt und Cassel Bilder zu copiren. Italien hat der Künstler nie gesehen. In diese zweite Periode seines Lebens fällt auch seine Thätigkeit als Lithograph. Sein erstes Blatt war „die heil. Jungfrau im Gebet“ nach Marie Ellenrieder. 1824 kamen von ihm bei Birmann und Söhnen in Basel acht Blätter nach Holbeins Passion heraus. 1825 verlegte Velten in Karlsruhe 4 Blätter von Oe.: Fra Bartolommeo, „Darstellung im Tempel“; Raffael, „Sposalizio“; Overbeck, „Christus in Bethanien“ und „Joseph, von den Brüdern verkauft.“ Außerdem erschienen von ihm die Bildnisse der Prinzessinnen Amalie und Elise von Baiern, der Sängerin Louise Schweizer, die Porträts Dr. Behrmanns, des Leibarztes des Prinzen von Fürstenberg, Paul Usteri’s und eine „Madonna mit dem schlafenden Kinde auf dem Schooße“ nach Cantarini. Seit 1807 Mitglied der Zürcher Künstlergesellschaft, nahm er fleißig Theil an ihren Sitzungen, an dem im neuen Kunsthause veranstalteten Actzeichnen, hörte er 1845 noch einen Cursus über Anatomie bei Hermann Meyer und betheiligte sich auch an den Compositionsabenden im engeren Künstlerkreise sowie an der Herstellung von Tableaux bei festlichen Gelegenheiten. 1857 wurde für ihn, Vogel und Wilhelm Huber eine Jubiläumsfeier veranstaltet; 1866 legte er der Gesellschaft die letzten drei Blätter vor: „das Uetliberghaus, „die Bauschanze bei Ankunft des Dampfschiffes“, „das Innere eines Kaffeehauses“. Er starb an den Folgen eines Schlaganfalles, welcher ihn am 3. Jan. 1868 auf das Krankenlager warf.
Oeri: Hans Jakob Oe., Maler und Lithograph, geb. im Pfarrhause zu Kyburg am 16. December 1782, † in Zürich am 24. Febr. 1868. Sein Vater war Pfarrer, seine Mutter eine geb. v. Meiß; ihr Sohn, der jüngste von vier Geschwistern, kam als Zwillingskind zur Welt. Der Knabe erhielt den ersten Unterricht in der Dorfschule und im väterlichen Hause. Fünfzehn Jahre alt verließ er Kyburg und ging mit den Eltern, die ins Wenthal versetzt waren, nach Regensdorf, wo die Familie im Januar 1798 sich dauernd niederließ. Schloß Kyburg und die alte Veste Regensberg erweckten früh in dem Jüngling das Interesse für die Poesie des Mittelalters, auf der classischen Stätte der Stammburg mütterlicher Seite[421] Oe. war sehr productiv. Zunächst als Porträtmaler. Außer dem bereits genannten Bildniß besitzt die Gemäldesammlung des Künstlerguts noch zwei andere von ihm (Nr. 116 und 118 im Katalog) und sind in die Malerbücher eingelegt die Porträts des Sohnes von David Heß, Ludwig Adolph Heß (Bd. II, Nr. 23) und des Malers Nicolaus König (Handzeichnungen Zürch. Künstler. Bd. 8, Nr. 26). In allen Genres hat Oe. sich versucht, als Illustrator Schiller’scher Gedichte („Sehnsucht“, Bd. 12, Nr. 43; „der Alpenjäger“, Bd. 13, Nr. 26), mythologischer Vorgänge („Bacchantin dem jungen Bacchus Trauben reichend“. Zürch. Handzeichnungen, Bd. 3, Nr. 25) und histor. Begebenheiten. Er schöpfte mit Vorliebe aus der Geschichte der Gothen und Vandalen, der römischen Kaiser, der Longobarden, der Karolinger, der Kreuzfahrer (Malerbuch, Bd. 16, Nr. 25), der persischen Khalifen, der Normannen und des englischen Mittelalters. Auch biblische Compositionen finden sich vor: z. B. „Die sieben Söhne des Skeva“ (Apostelgesch. Cap. 19 und 21, Malerbuch. Bd. 15, Nr. 36), „Eines thut Noth“ (Luc. 10, V. 41–42), „die Kreuzigung“, „die Hochzeit zu Kana“, „die Sündfluth“. Aus dem Cyklus von Bildern zur vaterländischen Geschichte seien genannt: „der Tod Winkelried’s“, „die Verbrennung von Blickenstorf durch die Zürcher“ (Malerbuch, Bd. 17, Nr. 5) und „der Streit der Zellweger und Wetter, d. h. der Harten und Linden in Appenzell a. Rh.“, (phot. von Braun in Dornach). Oe. war sehr gewissenhaft in seinen geschichtlichen Studien, wie aus den noch vorhandenen 8 Bänden (in Octav) historischer Collectaneen, den 10 Bänden in 4° mit 1468 Costümstudien, den 3 Bänden akademischer Zeichnungen (Acte) und den zwei Bänden anatomischer Zeichnungen mit Text hervorgeht, aber meistens nicht glücklich in der Ausführung seiner Compositionen. Die Zeichnung läßt oft zu wünschen übrig, wo Farben angewandt sind, ist die Gesammtwirkung eine grelle. Mangel an Gleichgewicht und Steifheit in der Gruppirung machen sich fast Seite um Seite in den 4 Bänden Skizzen, Studien und historischer Entwürfe des Künstlergutes fühlbar. Oe. war eigentlich mehr Antiquar als Maler; er verfügte über große Kenntnisse auf den verschiedensten Gebieten und kannte gründlich eine sehr weitschichtige historische und archäologische Litteratur. Er machte gerne mit Ferdinand Keller wissenschaftliche Ausflüge, und fahndete auf solchen, z. B. in Rathhausen und auf der Stiftsbibliothek zu St. Gallen, nach neuem Material für seine Costümkunde. Diese hat noch in späteren Jahren dem Zürcher Festordner, Heinrich Cramer, gute Dienste gethan und dürfte selbst heute noch mit Nutzen zu Rathe gezogen werden.
- S. Nagler’s Künstler-Lex. X, 313–314. – Neujahrsbl. der Zürcher Künstlergesellschaft von 1869.