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Artikel „Marr, Heinrich (Maler)“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 420–421, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Marr,_Heinrich_(Maler)&oldid=- (Version vom 26. November 2024, 17:09 Uhr UTC)
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Marr: Heinrich (Joseph Ludwig) M., Genremaler, geb. 1808 zu Hamburg, stammte aus der auch durch einen Bühnendichter und Schauspieler (s. o.) bekannt gewordenen Familie eines Gastwirths. Frühzeitig kam der Junge zu dem alten Professor Christoph Suhr, welcher Porträts, Kosmoramen und komische Genrebilder malte, dann zum Landschafter Rosenberg in Altona, von wo M. zur weiteren Ausbildung nach Kopenhagen ging. Bald darauf ging der Künstler nach München, wo er zwar die Akademie besuchte, aber bald außer derselben das Studium des durch Wagenbauer, Peter Heß, Eugen Neureuther, Heinrich Bürkel und Joseph Petzl neuentdeckten Volkslebens und damit die Genremalerei betrieb. M. zog in die Berge und sammelte den Stoff zu seinen, von derbem Humor belebten Bildern bei Sennen und Almerinnen, bei Bauern und Fuhrleuten, am liebsten in Wirthshäusern, Herbergen und Schmieden, auf Jahr- und Viehmärkten, auf Kirchweihen und Hochzeiten. Seine Scenen spielen meistentheils in Altbaiern und Tirol; Viehhändler und Schlächter, Kornwucherer, Hochzeitlader, Fuhrknechte, Postillone, bettelnde Mönche und Karrenführer bilden seine Staffage; eine ergiebige Wirthshausprügelei gelang ihm mit echtem Niederländer Humor. Seine Bilder sind wahre Dorfgeschichten, Bambocciaden ersten Ranges, die selbst dem Erfinder dieses Genre, dem lustigen Peter von Laar zur Ehre gereichen würden. Nur selten und beinahe ausnahmsweise wagte er sich an die Küsten seiner nordischen Heimath oder an Italiens sonnige Rebengelände und den Hafen von Genua. Im Jahre 1831 brachte M. sein erstes Bild, eine „Betende Sennerin“, welche umgeben von ihrer Herde, an den Ruinen ihrer eben erst abgebrannten Sennhütte sitzt, in den Münchener Kunstverein; seitdem stellte er fast vierzig Jahre lang seine Bilder daselbst aus und fand hier seine willigen Abnehmer, Liebhaber und Käufer. Darunter war z. B. „ein mit seinen Pferden bei stürmischem Wetter zurückreitender Postillon“ (1832); ein „Bauer mit Pferden“ (1833); ein „Junger Bursche führt zwei Mönche auf einem Karren am Ufer des Gardasees“ (1834), dazu der erste große „Viehmarkt“. Im Jahre 1835 kam eine „Italienische Weinschenke“ (Copie nach Peter Heß) und ein „Tiroler Pferdehändler“: 1836 die „Verunglückte Schlittenfahrt im Walde“: ein dummer Junge als Fuhrmann hat den mit einem Bauern, einer drallen Bäuerin und einem dicken geistlichen Herrn beladenen Schlitten ganz kunstlos von der Straße herab in einen Graben gestürzt (vgl. Stuttgarter Kunstblatt 1837, Nr. 37). Im Jahre 1837 brachte M. eine „Kirchweihe bei Lenggries“, den „Morgen auf der Alpe“, die „Arena in Verona“; 1838 eine „Heuernte bei Sturm“ und die „Schwergeladene Rückkehr vom Jahrmarkt“. In jedem Jahre lieferte M. mindestens ein halbes Dutzend neuer Bilder, ungerechnet die leichtere Waare, welche nach allen Gegenden der Windrose hinausflog. Vieles davon wurde durch die Lithographien von Hohe und Anderen weit verbreitet und im eigentlichen Sinne populär. Ganz epochemachend wirkte damals (1844) die „Heimkehr von der Hesseloher Kirchweih“, welche herkömmlicher Weise jedes Mal am Pfingstmontage die Münchener mit einem anständigen Gewitter heimzuleuchten pflegte. Das Bild, welches lange Zeit durch seinen lustigen Humor ordentlich Furore machte, wurde damals, wo man auf das Genre noch geringschätzig herabsah, mit 330 Gulden bezahlt! In congenialer Weise malte M. etliche Illustrationen zu Kobell’s „Gedichten in oberbairischer Mundart“, dann folgten eine „Affenkomödie“ (1845), die „Plaudernden Mädchen am Brunnen“, die „Scheugewordenen [421] Rosse“ und die „Erinnerungen an Helgoland“ (1846), Fischerscenen, Kindtaufen, die „Heimkehr von der Kirchweihe“ und der „Morgen nach der Kirchweihe“. Seine Zeichnung erreichte freilich nie die Feinheit eines Peter Heß oder Heinrich Bürkel, dagegen hatte er mit den Genannten den leichten, malerischen Vortrag gemein. M. war ein Krösus an Bildern, sein Fleiß sandte sie auf allen Eisenbahnen in die Lande und mit den Dampfern auch über das Meer, keine Exposition des In- oder Auslandes blieb unbeschickt, kein Kunstverein wurde übersehen, dessenungeachtet wurde der emsige Künstler nicht reich. M. mußte viele liebgewonnene Stoffe wiederholen, dabei malte er flüchtiger und flauer und überhaupt länger und mehr, als gut war. So erlosch die Neigung des Publicums für seine Arbeiten, welche vor der aufkeimenden Realistik der neueren Schule von selbst in den Hintergrund traten. M. dachte schon daran, das undankbare Genre aufzugeben und ganz zur Landschaft überzugehen, da packte ihn eine Krankheit, welche den Künstler nach langen Leiden den 28. October 1871 in die Arme des Todes bettete. Seine Freunde hatten in rühmlicher Weise Anstalt getroffen, daß die Sorge seinem Krankenbette ferne blieb; so behielt er in den lichten Intervallen seinen Witz und Humor, welcher selbst in den Delirien noch mit breiter breughelhafter Phantasie spielte. Seine Blüthezeit fiel in die dreißiger und vierziger Jahre, was er damals leistete, wird ihm immerdar einen ehrenhaften Namen sichern. Sein im November 1872 zur Auction gebrachter Nachlaß von Studien, Skizzen, Figuren und Thieren etc. erzielte einen nicht unerheblichen Erfolg.

Vgl. Raczynski II, 403; III, 413. E. Förster, Gesch. d. deutsch. Kunst, V, 197. Nr. 310 Allg. Ztg. vom 6. Novembr. 1871. Rechenschaftsbericht des Münchener Kunstvereins für 1872. S. 69. Seubert, 1878. II, 523.