ADB:Petzl, Joseph
Johann Peter von Langer in die Akademie, um sich der Historienmalerei zu widmen. Aus dieser Zeit stammt ein Altarbild zu Haching und die Riesenfigur eines Heiligen am Kirchthurme zu Trudering. Nebenbei machte P. fleißige Abstecher nach den altbaierischen Bergen und nach Tirol, wo er das Volksleben studirte; er war einer der ersten, welche die häuslichen Scenen, ländlichen Aufzüge, Feste, Schützenbilder malte, und das Hochgebirge mit seiner Großartigkeit, die Freuden des sennigen Volkes bei Zitherspiel und Almenliedern, aber auch die Fährlichkeiten der Jagd und die Schrecken der Wilderei zur Darstellung brachte. P. zog mit den Augen eines Culturhistorikers durch die Berge und bannte durch seine farbige Kunst das damalige Leben unmittelbar in seine kleinen, bald vielbegehrten Bilder. So waren die „Dorfgeschichten“ schon längst erfunden und gemalt, ehe die Dichter an solche Stoffe dachten; die anregende Wirkung der Malerei auf die Poesie ist in diesem Falle sogar litterär-historisch nachzuweisen. Merkwürdiger Weise schlug P. einen ganz anderen Weg ein als die meisten seiner Zeitgenossen; während diese damals aus allen Gegenden nach München drängten, wendete er gerade der alten Isarstadt und dem daselbst neu anhebenden Kunstleben den Rücken und wanderte ganz allein, nach damaliger Sitte mit dem Ränzel auf dem Rücken, nach Böhmen, Sachsen und Norddeutschland, aus Drang zu lernen und die Welt zu sehen. Längere Zeit weilte P. zu Berlin, wo er 1827 bei Professor Karl Begas einige Sensationsbilder malte: Gemsenjäger, Tiroler-Landesvertheidiger und griechische Palikaren – letztere natürlich noch ohne dergleichen gesehen zu haben, gleichsam instinctiv für seine spätere Thätigkeit, wahrscheinlich durch Wilhelm Müller’s „Griechenlieder“ angeregt und begeistert. Nachdem P. beinahe ein Jahr lang auch zu Dresden geweilt, daselbst namentlich in der Gallerie studirt und zu seinem Weiterkommen neue Bilder gemalt hatte, zog er über Hannover nach Schleswig, blieb längere Zeit in Kopenhagen, wagte auch einen Ausflug nach Schweden und kehrte dann über Hamburg und Düsseldorf, überall malend und mit den besten Namen in persönliche Fühlung tretend, nach München zurück (1831). Hier malte er zwei große Bilder: eine „Auction“ (im Besitze des Fürsten von Thurn und Taxis zu Regensburg), wozu die „Testamentseröffnung“ von David Wilkie sichtlich den Impuls gegeben hatte, und als Nachklang seines Aufenthaltes in Norddeutschland, das wol componirte, gleichfalls figurenreiche Genrestück: „Ein Willkommen an der preußischen Grenze zur Zeit der Cholera“ (lithographirt von R. Leiter), ein köstliches, höchst charakteristisches Bild. Die Contumaz hat in der mit Cholera-Affiche behangenen Wirthsstube die verschiedensten Leute zusammengebracht; im Bewußtsein seiner Autorität sitzt mitten im breitesten Raume der Wirth, in Hemdärmeln, den Schurz und die Rasirserviette vor, beschienen von dem hellen, durch das Fenster einfallenden Sonnenlichte. Der Barbier, der hinter ihm steht, ein Kraftgenie und bei der drohenden Gefahr die wichtigste Person im Orte, weiß schon im voraus alles Bedenkliche, was der alte Dorfschulmeister eben aus den Zeitungen vorliest und verschüttet das Seifenwasser, indem er sich mit prophetischer Selbstgenügsamkeit zu dem erschrockenen Nachbar wendet. Im Hintergrunde zeichnen Studenten und Künstler die Route nach Berlin auf den Tisch; einige Gensdarmen fordern die Gesundheitspässe von polnischen Juden und Handwerksburschen; ein Seemann im Vordergrunde labt sich an Wein und Schinken, hinter ihm stehen einige Flaschen mit Cholera-Präservativen. Die Frau und Kinder des Wirthes und der unvermeidliche Hausknecht [546] bewegen sich ziemlich gleichgültig zwischen allen diesen Personen und der Hausspitz holt in aller Stille dem lesenden Schulmeister sein Brod aus der Tasche. Diese heitere Scene wurde das Vorbild einer ganzen Classe von Bildern, welche bald bei Donnerwettern in den Alpen, bald in Eisenbahn-Wärtesälen u. dgl. spielen. Besonders meisterhaft war die Sonnenbeleuchtung sammt dem Schatten des Fensterkreuzstockes, der mit dem davor hängenden luftschwanken Laubwerke auf den drei mittleren Figuren zittert. – Nach Vollendung dieses mit außerordentlichem Fleiße durchgeführten Bildes ging P. im Herbste 1832 nach Italien. Schon hatte er sich für längere Zeit zu Rom eingerichtet und Studien zu malen begonnen, als sich die verlockende Gelegenheit bot, im Gefolge des König Otto nach Griechenland zu reisen und nach dem damaligen Sprachgebrauch „das zur vollen Freiheit erwachte Leben eines edlen Volkes in den ersten Freudentagen zu schauen“. Gleichzeitig mit Peter Heß, Ernst von Lasaulx und vielen Anderen fuhr P. von Neapel über das Meer und war am 30. Januar 1833 ein Zeuge der Landung und des Einzuges zu Nauplia. Land und Leute packten ihn und rissen ihn hin zu Darstellungen, welche damals ein höchst dankbares Publicum fanden und uns heute noch eine fast unbegreifbare Zeit vor Augen führen. Gleich in den ersten Wochen begann P. ein Bild mit „griechischen Häuptlingen, die sich im Divan zu Nauplia die Proclamation ihres neuen Königs vorlesen lassen“. Alle Köpfe waren Portraits und mit gelungenster Charakteristik wiedergegeben. Den Mittelpunkt bildet der greise Nottis Bozzaris, ihm zunächst steht ein schöner blonder Jüngling; die anderen ihre Pfeifen rauchend hören aufmerksam zu. Der Ort der Versammlung ist das alte Café; Wasserpfeifen stehen auf dem Gesimse, Koransprüche an den Fenstern. Alles, selbst das kleinste Beiwerk, war mit größtem Fleiße gemalt; bei vollem Farbenreichthum waltete die schönste Harmonie. Das Bild (im Besitz des Herrn Jänisch zu Hamburg) kam noch im Laufe des Jahres 1833 nach München und erregte dann 1834 auf den Kunstausstellungen in Berlin, Hannover u. s. w. und zuletzt noch 1858 auf der großen historischen Kunstausstellung zu München, das verdiente Interesse. Der vielgefeierte Realismus war schon längst da, ehe die Neuzeit also lärmend seiner gewahr wurde, d. h. mit anderen Worten, die sogenannten „alten Herren“ verstanden sich schon früher darauf, machten aber unter sich kein so großes Halloh darüber, verfeindeten sich noch nicht auf Tod und Leben, hielten sich hübsch einträchtig in dem Rahmen der Kunst und überließen es den Epigonen, die Knochen des grassen Naturalismus in consequenter Weise zu benagen. – Weitere Fahrten unternahm P. nach Lakonien, Attika und Euböa, durch die Maina, Arkadien und nach den Cycladen, über Patmos und Ipsara zum Beiramsfeste nach Constantinopel; obwohl er eilig reiste, hielt er doch vieles in sehr sauberen Zeichnungen fest. So brachte P. im Herbste 1834 einen Reichthum von Skizzen zurück, welche er alsbald künstlerisch verarbeitete und damit das Publicum an seinen Namen fesselte. Im bunten Wechsel schuf P. bald Scenen aus dem griechischen, bald aus dem türkischen Leben. Es folgte das „griechische Frauenfest“, dann die ihres Bräutigams harrende Griechin (Kunstblatt 1834, S. 19, im Besitze der Fürstin Gagarin in St. Petersburg und später wiederholt für die Fürstin Radziwill ebendaselbst), ferner die „schachspielenden Türken“ und „Türken unter einem Zelt“ (1835). Eine Gruppe attischer Frauen am Denkmal des Lysikrates beim Einzug des Königs Otto, „gefangene Griechinnen vor einem Pascha“ u. s. w. Das Jahr 1838 brachte eine italienische Volksscene: die „Unterzeichnung eines Heirathscontractes“. Andere kleinere Darstellungen waren wieder dem deutschen oder ungarischen Volksleben entnommen, zu letzteren zählte eine „ungarische Hochzeit“, zu ersteren ein „tyroler Landesvertheidiger“, ein „Gebirgsschütz“, „Passeyerer Bauern auf [547] der Wacht“, „flüchtende Tyroler“ (lithogr. von Zimmermann), der „Invalide“ (lithogr. von Hohe), dann das figurenreiche Genrebild: „wie ein Forstmeister seine entführte Tochter bei einer Schauspielertruppe wiederfindet“ (1837 und 1841) und ein großes Genrebild: „wie ein Sklavenhändler einem Pascha drei Mädchen vorführt“ (Rosenstein bei Stuttgart). Seit 1837 glücklich verheirathet hatte sich P. zu München behaglich festgesetzt und arbeitete mit Lust und Liebe, wobei ihm die heitere Laune gerne die Hand leitete, und sein schalkhaftes scharfsinniges Auge immer neue Stoffe entdeckte. Außer mehreren Abstechern nach Südtirol, wo er viele Interieurs als Studien zu künftigen, leider nie ausgeführten Bildern malte, nahm P. 1844 einen fast halbjährigen Aufenthalt in Venedig, wobei durch weitere Oelskizzen und Zeichnungen die Menge seiner noch zur Ausführung bestimmten Projecte erheblich vermehrt wurde. Besondere Aufmerksamkeit widmete er dann der von Düsseldorf ausgehenden Dichtung und der neuanhebenden belgischen Malerei. Indem er die Vorzüge dieser Schulen sich anzueignen trachtete, da sie seiner längst angestrebten Empfindung nach möglichst coloristischer Wirkung entsprachen, hatte er kein Genüge mehr an seiner Arbeit. Während er die verschiedenartigsten Stoffe aufnahm, z. B. die beiden Leonoren, den Gang zu einer Kindtaufe, Einkleidung einer Novize (gestochen von Raab), Beichte einer Römerin, ein großes Schützenfest (lithogr. von Borum), stellte er doch die meisten Werke unvollendet bei Seite und schliff mit dem Bimsstein unbarmherzig über die auf das Feinste empfundenen Stellen; unbefriedigt und unzufrieden mit sich und seinen Schöpfungen, setzte er die meisten seiner Bilder zurück bis auf weitere Ordre, welche nimmer kam. Es war kein Stillestehen, sondern ein fortwährendes Weiterstreben, seine Farbe verfeinerte sich, aber die Unlust, nichts mehr zu vollenden, oder die Eigenheit das Vollendete wieder zu zerstören, gewannen nur zu häufig die Oberhand. Darüber wurde P. jedoch kein Kopfhänger und Melancholiker, sondern blieb der launigste Humorist und Becherschwenker, der beste Freund der „Fliegenden Blätter“ und die Seele aller früheren, weltbekannt und sprichwörtlich gewordenen Münchener Künstlerfeste, deren Inscenirung P. mit einer fast leidenschaftlichen Genialität, mit dem Opfer seiner besten Zeit und Kräfte betrieb, so daß heute noch die Tradition davon zu berichten weiß. Dazu gehörte jenes „Wallenstein-Lager“, das große „Dürerfest“ (1840), die zierlichen Narren- und Maskenscherze, die Mai-Aufzüge, „Barbarossa’s Erwachen“ (1848) u. s. w. – Am 2. October 1864 lähmte ein Schlaganfall die eine Seite des Körpers und die liebevollste Pflege schien Hoffnung auf Besserung zu geben, P. erholte sich noch soweit, daß es ihm noch einmal gelang, die Runde zu machen bei allen seinen Freunden und Genossen, die ihn einmüthig liebten und ehrten, gleichviel welcher Richtung der Kunst sie angehörten. Aber die bleierne Hand der Lähmung griff weiter in sein Gedächtniß, es war ein langsames trauriges Erlöschen, bis er am 24. April 1871 völlig entschlummerte. P. war in seinen Bildern immer geistreich und genial, anmuthig und zart, ernst und launig, stets streng in Form und Zeichnung, ohne je kleinlich und knuffig zu werden, damit verband er ein anfänglich etwas hartes, bald aber glänzendes Colorit, welches trotzdem nie bunt und schreiend wurde.
Petzl: Joseph P., Historien- und Genremaler, wurde als Sohn eines königl. Geometers an der Steuerkataster-Commission am 23. December 1803 zu München geboren, besuchte bis zu seinem 18. Jahre das Gymnasium und trat dann unter- Vgl. A. Lewald, Panorama von München 1835. II, 45. – Raczynski, 1886. I, 357. – Nagler, 1841. XI, 197. – V. Müller, Handbuch von München. 1845. S. 164. – Beil. 118 Allgemeine Zeitung vom 28. April 1871. S. 294. – Wochenbericht der Europa 1871. S. 294.– Gottschall, Unsere Zeit. 1871. VII. B. 430. – Münchener Kunstvereins-Bericht für 1872. S. 67.