Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Petzmayer, Johann“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 547–551, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Petzmayer,_Johann&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 08:13 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Petzl, Joseph
Nächster>>>
Petzold, Christian
Band 25 (1887), S. 547–551 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Petzmayer in der Wikipedia
Johann Petzmayer in Wikidata
GND-Nummer 116138335
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|25|547|551|Petzmayer, Johann|Hyacinth Holland|ADB:Petzmayer, Johann}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116138335}}    

Petzmayer: Johann P., Zithervirtuos und Componist, geb. 18. Januar 1803 zu Zistersdorf, von wo sein Vater nach Wien übersiedelte und in Neu-Lerchenfeld [548] eine Wirthschaft betrieb. Das Haus war mit einem „heiligen Johannes“ bemalt und hieß deshalb kurzweg auf Wienerisch-Hochdeutsch „zum Heiling Jean“. Der Junge, gleichfalls Jean gerufen, sollte das Geschäft weiter führen; er spielte vorerst aus eigenem Ingenium die Violine, bis er, sechzehnjährig, zufällig eine Zither unter die Hände bekam. Ihre Behandlung lernte er schnell und phantasirte darauf ohne Noten, bloß nach dem Gehör und was ihm das Herz eingab. Das wurde bald ruchbar und das Haus die Stätte gemüthlicher, frohsinniger Heiterkeit. Das längst in Altbaiern, Tirol und insbesondere in der Steiermark heimathberechtigte Instrument der Alpenzither war damals noch ein doppelt geschweifter länglicher Schallkasten mit hohen Seitenwänden (Zargen) und einem mit drei Stahlsaiten bespannten Griffbrett; hier spielte man, mittelst eines eigenen an den Daumen der rechten Hand befestigten „Schlagringes“, die von den Fingern der Linken executirte Melodie, während die übrigen vier Finger der Rechten die zur Begleitung und Harmonie dienenden nächstgereihten 10 bis 12 Saiten bearbeiteten und weckten. Letztere waren, etwa bis zur siebenten, Darmsaiten, die übrigen übersponnen, denen zur Octave des Basses eine Messingsaite beilief. Der schrille, durch die Bergeinsamkeit weithin schallende Ton machte das höchst primitive Instrument zum charakteristischen Lieblinge der Alpenbewohner, welche mit ihren schwerfälligen Händen doch äußerst subtil und wunderbarlich darauf zu fingern wissen. P., die Vorzüge und Fehler dieses Instrumentes erkennend, trug seine Wünsche und Erfahrungen dem Instrumentenbauer Kindl, einem Meister seines Faches, vor und beide schufen nun die siebenzehnsaitige Zither, welche niedere Seitenwände (Zargen) erhielt, nur einseitig geschweift war und die Verdoppelung des Basses durch Messingsaiten verlor, dafür aber an musikalischer Stimmung gewann. Ferner erfand P. die von ihm benannte „Streichzither“, ein ganz einfaches, kaum halbmeterlanges Instrument, mit einem herzförmig gestalteten Schallkörper, dessen oberer und unterer Boden (ersterer mit runden offenen Schalllöchern versehen) flach ist; in der Mitte läuft das Griffbrett mit drei Stahlsaiten, welche wie die drei obersten einer Violine gestimmt werden. Auf dem unteren Schallboden sind drei kurze Füße angebracht, worauf das kleine Instrument zur Verstärkung des Tones hohl auf den Tisch gesetzt wird. Mit einem gewöhnlichen Bogen gestrichen, kam ein so zarter, lieblicher und doch umfangreicher, zu einer überraschenden Stärke anschwellender und ebenso leicht wieder verklingender Ton, welcher, zumal mit gedämpftem Geigenquintett begleitet, eine keinem anderen Instrumente genau zu vergleichende Wirkung übte. Mit einer alle Zuhörer erstaunenden Fertigkeit zauberte P. lang-ausgehaltene Töne hervor, daß man unwillkürlich dachte, so müsse der Schwert-Fiedelbogenstrich des aus dem Nibelungenliede bekannten ritterlichen Spielmannes Volker gelautet haben; dann zwitscherten minnesingerliche Weisen mit bebenden Schwingungen, himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt – das ganze Hangen und Bangen einer liebenden Seele mit wechselndem Crescendo und Descrescendo, bis zum selig gelispelten Hauch des zartesten Geständnisses. Hatte er hier alle Gefühle in Aufruhr und wieder zur Ruhe gebracht, so griff er zur Schlagzither und spielte herzerfreuende Ländler und heißpulsirende Walzer, wie sie nur das echte Wiener-Blut zu erfinden vermag mit dem neckischen Ernst, der schmachtenden Schalkheit und der sprühenden Gluth des wahren Volksthums. Der Ruf dieser unerhörten Erscheinung lockte eine Anzahl von Gästen nach dem Hause des „Heiling-Jean“, dessen Firma alsbald dem neuentdeckten Virtuosen beigelegt wurde, welcher diesen Zusatz der Hausmarke zu seinem Familiennamen wirklich eine Zeit lang annahm und auf seinen Kunstreisen als „Johann Petzmayer, genannt Heiling Jean“, nach einer übrigens auch im Mittelalter üblichen Sitte, führte. Bald lud der Musik liebende Adel den jungen Virtuosen in seine Salons; von da führte der Weg, [549] nachdem P. schon 1826 bei allen Erzherzogen und ihren Familien sich hatte hören lassen, 1827 in die Appartements des Kaisers Franz. Nun wagte sich der Maestro auch auf Kunstreisen: 1828 nach Graz und Pest, wo er 1830 mit seinen ungarischen National-Melodien und -Tänzen die stolze Aristokratie zu phrenetischem Enthusiasmus hinriß, dann nach Linz (1831), Brünn (1833) und Krakau, von wo aus der „neue Arion“ seinen Virtuosen-Triumphzug über Breslau nach Berlin und durch ganz Norddeutschland ausdehnte. Anfänglich stutzte das Publicum über das bisher nicht salonfähige Instrument, brach aber alsbald in Jubel aus, welcher an der Spree und Elbe dem magyarischen Beifall die Spitze bot. Nachdem P. im Berliner „Opernhaus“ seine Lorbeern gesammelt hatte, wurde er am 4. Februar 1834 in das „Palais der Prinzessinnen“ befohlen, wo in Gegenwart des Königs Friedrich Wilhelm III. und des ganzen Hofes die Schwestern Therese und Fanny Elßler oberösterreichische Ländler und National-Tänze aufführten zum Zitherspiele Petzmayer’s, welcher sich, wie auf dieser ganzen Kunstreise, von seinen Wiener Landsleuten Franz Heftner auf der Violine und von N. Schmutzer auf der Guitarre begleiten ließ. Fanny Elßler’s rhythmische Grazie, getragen von den seelenvollen, heimischen Klängen des saitenkundigen Zauberers! Einige zwanzig Jahre später schwebten auch Señora Pepita’s Elfenfüßchen in Frankfurt den Fandango zu Petzmayer’s Zitherspiel. – Damals existirten noch keine Compositionen für die Zither. Seit den Befreiungskriegen hatte die Guitarre mit einer uns kaum mehr erinnerlichen Omnipotenz geherrscht; für sie wurde geschrieben, gesetzt und gedruckt. An die Zither dachte früher Niemand, ebensowenig wie an das Aufzeichnen von Volksliedern und Melodien, oder an das Sammeln der echten Volksmärchen und -Sagen. Erst mit dem stetigen Erwachen und Erstarken des deutschen Volksbewußtseins war dergleichen möglich geworden und wieder in weitere Erinnerung gerathen. P. vereinte die Eigenschaften des Sammlers und Componisten, sowie des Arrangeurs und Virtuosen. Vorsichtige Kritiker erachteten es für ein sicher fallirendes Wagniß, mit dem „simplen Klimperkasten“ in einem großen Concertsaale aufzutreten. P. vernichtete aber mit seinen alles elektrisirenden Erfolgen die dagegen vorgebrachten Bedenken. Die Schlagzither (seltsamerweise haftete noch an diesem kleinen Werkzeug der technische Terminus des „Schlagens“, wie an dem gewaltigen Bau der Orgel) blieb der Liebling unseres Meisters; die Streichzither dagegen, Petzmayers unbestrittene Erfindung, das echte Kind seiner Phantasie (wenn man will die Oboe neben der Clarinette) behandelte P. später als Aschenbrödel. Und doch hatte er auch mit ihr seine Wunder gewirkt und die Herzen der Menschen, oft noch härter als Stein und Bein, geweckt und erfreut, gerührt und erschüttert. Großes Furore erweckte immer sein unnachahmlicher Vortrag auf einer Saite der Streichzither, weßhalb P. auch der Paganini seines Instruments genannt wurde. – Von Berlin bereiste P. noch das übrige Deutschland nach Nord und West: In Hamburg, Hannover, Mainz, Leipzig, Zittau, Prag, Erfurt – überall sammelte er 1836 neue Lorbeeren. Im Beginn des nächsten Jahres ging P. in die Mittelstaaten und concertirte zu Gotha, Coburg und Bamberg. In letzterer Stadt lauschte seinem Spiel am 22. und 26. Februar 1837 auch Herzog Maximilian von Baiern, welcher so viel Gefallen daran fand, daß er P. als Lehrer annahm, und zu seinem Kammervirtuosen ernannte (17. Januar 1838) und in der Folge zum Begleiter auf allen Reisen wählte. Wie ernstlich der Herzog der Pflege dieses Instruments oblag, beweist der Umstand, daß ein großer Theil seiner in der Oeffentlichkeit edirten Compositionen für die Zither gesetzt und erfunden sind. Der hohe Schüler spielte mit seinem Lehrer bald meisterlich, sogar auf seinen Reisen im Wagen und ließ sich im engeren Kreise seiner Symposien hören. Auf vielen durch Lithographie und Galvanographie weitverbreiteten Portraits [550] von Correns, Diez, Schöninger, Hanfstängl, Widenbauer und Wölffle ist der Herzog Zither spielend abgebildet. P. war auch im Gefolge seines mit fürstlichem Edelmuth immerdar ihm gleich geneigten Herrn und Maecen, als derselbe 1838 die nach Egypten, Palästina, Kleinasien und Griechenland projectirte Reise antrat; sein Zitherspiel erklang am Fuße der Pyramiden, verdutzt horchte der alte Vater Nil auf die zu seinen Ehren benannten Walzer des deutschen Tonmeisters; Petzmayers kunstreiche Weisen zitterten durch die vom träumerischen Mondlicht versilberten Tempelruinen von Luxor und Karnak; er brachte den beiden Memnon’s eine Serenade, spielte auf der Insel Philae und über den Katarakten; selbst an der Grenze Nubiens äußerten die braunen Söhne der Wüste freudiges Erstaunen und Entzücken über das Spiel des „deutschen Pascha“ und seines Capellmeisters. Nachdem P. im Herbste 1837 vor der glänzenden Fürstenversammlung zu Tegernsee mit ungetheiltem Beifall gespielt und einen vortheilhaften Antrag seines eben in Paris und London beschäftigten Freundes Strauß abgelehnt hatte, wurde die Zither zu München Lieblingsinstrument; nicht allein die Glieder des illustren und bald mit europäischen Thronen verschwägerten herzoglichen Hauses übten diese Kunst, sondern wetteifernd damit stritt sich die hohe Aristokratie um den Meister, welcher den an ihn gestellten Wünschen als Lehrer kaum mehr genügen konnte. Mit Concerten wurde P. rückhaltender, außer wenn er mit seinem gnädigsten Herrn auswärts nach Stuttgart, Cannstatt, Frankfurt a. M., Wiesbaden, Kissingen oder Regensburg ging; in München ließ er sich, trotz vielen Bittens, immer nur nach zweijährigen Pausen zu einem öffentlichen, stets mit stürmischem Erfolge gelohnten Auftreten herbei. Dagegen bot er bei charitativen Zwecken gerne die Hand; so gründete er beispielsweise mit dem vollen Ertrag eines Concerts einen Freiplatz im Blinden-Institut. Später rauschten seine Weisen nur mehr im Privat- und Freundeskreise, wofür P. jedesmal bei seinen verhexten Nerven eine schlaflose Nacht eintauschte. P. gab, wie jeder echte Künstler, sein ganzes Innere und legte seine ganze Seele in sein Spiel; sein unnachahmlicher, unbeschreiblicher Ton ergriff und fesselte alle Zuhörer in wirklich magischer Weise. Ganz in seinem Element war P. mit den echten Gebirgsliedern und Tänzen, mit den kecken, neckischen, lebenslustigen, oft auch elegisch klagenden Melodien aus den Bergen von Steier und Tirol, sowie aus den melancholischen Pußten. Wenige Takte genügen und wie durch ein Märchen stehen vor uns die reizendsten Bilder aus der Alpenwelt mit tannenduftigen Wäldern und Mattengrün, mit jauchzenden, tanzlustigen Sennerinnen und eifersüchtigen „Buben“, mit Heerdengeläute und Sonntagsmorgenstille. Und wie virtuos wußte er die eindringende Gewalt der vibrirenden Saiten, den verschwimmenden Nachklang, den lauten Anschlag derselben mit dem gefühlsreinen, wohlverstandenen Auffassen seines Themas zu vereinen. Anfänglich ließ er sich nur durch Guitarre und Violine begleiten, dann erweiterte P. das Accompagnement zu einem kleinen Orchester, zuletzt schloß er sich an den Hoforganisten L. Blumschein, in welchem er den feinfühligsten Accompagnateur auf dem Pianoforte gewann. – Nach einer 1878 gezogenen Bilanz gehörten zu Petzmayers Repertoire 27 große „Concertpiecen“, 75 Romanzen und Lieder, 58 „Alpenlieder“, 34 Walzer und 18 meist selbst componirte „Ländler“, dazu kamen noch zahllose Potpourris, Variationen, Divertissements u. s. w., mit denen er, ebenso wie mit seinen freien Phantasien, einen gefeierten Namen errungen hatte. – Ueber Petzmayers Spiel besitzt die Münchener Staatsbibliothek einen ganzen Folianten von Berichten und Referaten, aus welchen hier beispielsweise einige Stimmen zur weiteren Charakteristik folgen. So heißt es über ein im August 1844 zu Cannstatt abgehaltenes Concert (welchem der berühmte Violinist Henri Vieuxtemps beiwohnte und enthusiasmirt [551] mit P. Freundschaft schloß): „Die eigentliche Grundfarbe von Petzmayer’s Spiel ist ein idyllischer Humor, verschmolzen mit einer elegischen Melancholie; er entlockt seinem unscheinbaren Instrument Töne, deren Lieblichkeit, Innigkeit und Seele allen zum Herzen drang; seine Melodie ist Gesang, P. raubt uns unser Herz und bannt es in sein Instrument. Nur ein Virtuose von tiefstem Gefühl kann diese Fibrationen, dieses Schleifen der Töne, diesen verschwimmenden Nachklang und diese nur von der menschlichen Stimme erreichbare Beseelung hervorbringen.“ Diese Vorzüge waren es auch, welche den für alles Vollkommene so empfänglichen König Maximilian II. veranlaßten, seine Huld dem Künstler zuzuwenden. – Faßt man alles zusammen, so liegt ein Vergleich mit Ferdinand Raimund nahe. Beide repräsentiren die alte österreichische Gemüthlichkeit, diese gleichmäßig leichtlebige Fröhlichkeit, gepaart mit einem echt melancholischen Ernst und Tiefsinn; beide sind Autodidakten mit allen Vorzügen und Schattenseiten eines solchen; beide gleich große Meister in ganzer Wiedergabe des inneren Menschen, echte Dichter, wahre Künstler. Nur daß dem Einen das Schicksal den Lebensfaden früher zerschnitt, während der Andere denselben weit in ein hohes Greisenalter fortspann, bis auch dieser am 29. December 1884 sein Ende erreichte. Zahlreiche Portraits haben seine äußere Erscheinung festgehalten, so von Heinrich v. Mayr (P. mit dem arabischen Fez und der türkischen Pfeife auf einem Kameel die Wüste durchreitend), Richard Lauchert (1854) und Bodo Winsel; Correns zeichnete und lithographirte (1849) ein Portrait in halber Figur. Viele Bildnisse erschienen in Holzschnitt (z. B. in Nr. 542 der Leipz. Illustr. Ztg. vom 19. November 1853) und Photographie (bei Albert, Pössenbacher, Lechleitner und Küster).

Vgl. Wurzbach, Biogr. Lexikon 1870. XXII, 152 ff. – Beil. 43 Allg. Ztg. vom 12. Februar 1885.