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Artikel „Lange, Johannes“ von Adolf Brecher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 635–637, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lang,_Johannes&oldid=- (Version vom 13. Oktober 2024, 10:55 Uhr UTC)
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Lange: Johannes L. (in der Immatrikel genannt Joh. Lang, aber in einer Urkunde vom 22. Novbr. 1516 sich selbst als Joh. Lange bezeichnend), Augustinerprior und Reformator in Erfurt, stammte aus einer, wie es scheint, nicht unbemittelten Bürgerfamilie daselbst (an seine Mutter, Margarethe Langhen, verkauft unter obigem Datum der Erfurter Augustinerconvent ein dem Kloster gehöriges Haus), begann ebendort im Wintersemester 1500 seine akademischen Studien, zeichnete sich schon während derselben durch seine Kenntnisse im Griechischen und Lateinischen aus und schloß schon in dieser Zeit innige Freundschaft mit gleichgesinnten, den humanistischen Studien ergebenen Universitätsgenossen: Luther, Johannes Jäger (Crotus Rubianus), Spalatin und den beiden Eberbach. L. selbst erwähnt in einem Briefe an Mutian den vertraulichen Umgang, in dem er in Erfurt mit Luther gestanden und die wissenschaftliche Unterstützung, die er von demselben erfahren habe. – 1503 wurde er Baccalaureus, wol 1506 Magister. Luther’s Vorgang mag auch ihn bestimmt haben, in den Angustinerorden zu treten, ohne daß er daneben den Umgang mit den Freunden, zu denen sich jetzt auch Eobanus Hessus gesellt hatte, und die Theilnahme an ihren litterarischen Bestrebungen aufgegeben hätte. 1513 wurde er vom Orden nach Wittenberg entsendet, wo er im dortigen Studium der Augustiner (nicht an der Universität, denn er war nicht einmal inscribirt) dem Luther als Regens [636] vorstand, als Professor secundarius Vorlesungen zu halten hatte. Gleichzeitig hatte er die Leitung der Studien der Gebrüder Hertzheimer, die seit 1512 dort studirten, übernommen. Es war natürlich, daß die gemeinschaftliche Thätigkeit mit Luther auch zu weiteren gemeinschaftlichen Studien antrieb. Schon jetzt wurde neben den klassischen Sprachen die hebräische getrieben und so der Grund gelegt für die spätere Bibelübersetzung, zu welcher auch Lange’s Unterstützung bei allen wichtigeren und schwierigeren Stellen in Anspruch genommen wurde. Am 22. Novbr. 1515 promovirte er als biblischer Baccalaureus, aber im Anfang 1516 verließ L. Wittenberg, um in Erfurt das Prioramt über das Augustinerkloster zunächst provisorisch, im Mai, von Luther als Stellvertreter des Provincials förmlich eingesetzt, definitiv zu übernehmen. L. scheint kein guter Haushalter gewesen zu sein; jedenfalls sah sich Luther veranlaßt, ihm Vorstellungen wegen der zu großen Ausgaben zu machen, die im Klosterhospiz für Bier, Wein, Fleisch und Brod aufgelaufen waren. – Die herrliche Freundschaft beider Männer wurde dadurch jedoch in keiner Weise beeinträchtigt. L. und der Erfurter Kreis, an den sich jetzt auch Justus Jonas, Sturz und Draco angeschlossen hatten, standen vielmehr in dem innigsten Verkehr mit Wittenberg und waren genau von allen Vorgängen daselbst durch directe Briefe unterrichtet. Luther meldet L. nicht nur seine Opposition und den demnächst sich entspinnenden Kampf gegen die die Universitäten beherrschende aristotelische Physik und Ethik, sondern sendet ihm auch einen besonderen Abdruck der 95 Thesen (11. Novbr. 1517). Freilich war es werthvoll für Luther, in L. und seinen Freunden so wackere Vertheidiger seines Auftretens und seiner Bestrebungen in Erfurt zu wissen, da gerade bei den älteren Universitätslehrern Usinger, Trutvetter, Marthen u. A. eine so starke Abneigung gegen Luther sich geltend machte. – 1518 begleitete L. Luther zum Augustinerconvent nach Heidelberg und 1519, nachdem er am 14. Februar zum Doctor promovirt worden war, zu der Leipziger Disputation (Juni). Die nach der Durchreise Luther’s zum Wormser Reichstag in Erfurt 1521 entstandenen Unruhen und Kämpfe gefielen L. gewiß ebensowenig, als er sie zu hindern vermochte. Dennoch bleibt bei ihm sein schweigendes Verhalten ihnen gegenüber auffällig; auch Luther konnte nicht unterlassen, ihm darum Vorwürfe zu machen. Aber es war offenbar, daß L. gegenüber den großen Veränderungen, die mit jenen Unruhen in dem Leben der Universität, der Stadt und der socialen Ordnung derselben begannen, kaum eine feste Stellung gewinnen konnte, da alle diese Wandlungen auch seine Person mitbetrafen. Er stand geradezu an der Spitze der reformatorischen Bewegung in Erfurt und die Scheidung der Geister in „Alte“ und „Neue“, die Aufhebung der Klosterordnung, ja die veränderte Stellung des Rathes der Stadt zu Universität und Kirche ging wesentlich von ihm aus. 1522 verließ er das Kloster, nicht ohne sich Luther’s Tadel darum zuzuziehen. Man übertrug ihm die Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse der Stadt. Er theilte sie in acht Sprengel, denen er Kirchen und Geistliche zuwies; er selbst ward Prediger an der Augustinerkirche. Dies alles gab in Erfurt dem Evangelium für alle Zeit einen festen Halt, konnte aber weder die mannigfachen Schäden, die die Neugestaltung der Verhältnisse für die Universität und für die Stadt im Gefolge hatten, aufhalten, noch L. selbst vor persönlichen Anfechtungen, die er selbst von alten Freunden, wie Eobanus Hessus erfuhr (vgl. die drei [satirischen] Dialoge Hesse’s: Melänus, Misologus, die Flüchtlinge, Erfurt 1524) schützen. L. ist mit der ihm eigenen Festigkeit und Klarheit ruhig seines Weges gegangen; das von ihm begonnene Werk nahm von Jahr zu Jahr an innerer Kraft zu. Ueber 24 Jahre hat er in Stille und Demuth seines Amtes gewaltet, kurz vor seinem Tode noch die Gräuel des schmalkaldischen Krieges zu sehen gezwungen. Er starb 1548 zu Erfurt.

[637] Abgesehen von den Quellen zur Reformationsgeschichte sind zu vergleichen: H. A. Erhard, Ueberlieferungen zur vaterländischen Geschichte, 1. Heft, Magdeburg 1825 (diese Schrift enthält die einzige Biographie Lange’s). – J. Köstlin, Martin Luther, Bd. I u. II. Elberfeld 1875. – Th. Kolde, Die deutsche Augustiner-Congregation und Johann von Staupitz, Gotha 1879. – C. Krause, Helius Eobanus Hessus, sein Leben und seine Werke, 1. Bd., Gotha 1879. – G. Kawerau, Johann Agricola von Eisleben, Berl. 1881.