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Artikel „Kulke, Eduard“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 436–438, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kulke,_Eduard&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 04:15 Uhr UTC)
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Kulke: Eduard K., Dichter und Kritiker, geboren am 28. Mai 1831 zu Nikolsburg als Sohn eines gelehrten Rabbiners und dadurch schon auf das jüdisch-mährische Volksthum hingewiesen, kam 1838 mit den Eltern nach dem nahen Kostel, erhielt da bis ins 14. Jahr Privatunterricht, und zwar fast nur hebräischen und jüdisch-theologischen, und wechselte dann die Gymnasien zu Nikolsburg, Prag, Brünn, Znaim, Wien. 1853 bezog er das Polytechnikum letzterer Stadt, 1854 das zu Prag und trieb da das Studium der Mathematik [437] und Physik. Nach dem Abschlusse bereitete er, schon mannichfach unterrichtlich thätig, sich weitere zwei Jahre auf das Lehramt dieser beiden Fächer und der deutschen Sprache vor und übernahm nach dem 1857 abgelegten Examen für Unterrealschulen 1858 eine Supplentenstelle an der israelitischen Hauptschule zu Fünfkirchen in Ungarn. Doch 1859 ging er mit kühnem Entschlusse nach Wien, machte einen Schnitt durch sein Dasein und trat, zunächst mit ästhetischen, besonders musikalischen Fragen sich befassend, in die litterarische Laufbahn ein. Diese hat er seitdem mit größtem Ernst und Eifer verfolgt, sich als Erzähler aus einem fast unbegrenzten Stoffgebiet und als ästhetischer Kritiker rasch die Sporen verdient, auch in dieser Doppel-Wirksamkeit einen vortrefflichen Namen gemacht, daneben sich als Dramatiker tieferer Intention versucht. Fast seit Beginn seiner Wiener Schriftstellerei war K. journalistisch vielbeschäftigt, für belletristische und wissenschaftliche Zeitschriften, auch mit litterarischen Feuilletons in Wiener Tagesblättern, namentlich aber als Musikreferent, zuerst für das „Fremden-Blatt“, 1865–82 für das clerikal-conservative Hauptorgan „Vaterland“, seitdem für die „Wiener Signale“. Bald ein glühender Verehrer der Richard Wagner’schen Kunst geworden, vertrat er sie auch publicistisch als energischer Anhänger überzeugt. Als aber die Wagner-Gemeinde über ihr Idol hinaus keinen Componisten dulden wollte, trennte sich K. von ihr und brachte dies in Vorträgen und Schriften zum Ausdruck. Dahin gehören, auf dem Grunde gediegener ästhetischer Bildung und feinen musikalischen Urtheils erwachsen: „Richard Wagner. Seine Anhänger und seine Gegner. Mit besonderer Berücksichtigung des Fundamental-Motivs im ‚Ring der Nibelungen‘. [Mit 30 Notenbeispielen]“, mitten im ersten Ansichtskampfe nach des Meisters Tode erschienen; „Richard Wagner und Friedrich Nietzsche“ (1890); hierher rechnet auch die Broschüre „Ueber die Umbildung der Melodie. Ein Beitrag zur Entwickelungslehre“ (1884). Sein Tod erfolgte nach längerer Krankheit am 20. März 1897 zu Wien. Bei der zahlreich besuchten Beerdigung am 23. März feierten Ferdinand Groß als Präsident der Wiener „Concordia“ den Litteraten, der Abgeordnete Advocat Dr. J. Ofner den Mann und Idealisten.

Als Erzähler trat K. zuerst 1869 an die Oeffentlichkeit mit: „Aus dem jüdischen Volksleben. Geschichten“ und „Geschichten“, letztere ein Band der Veröffentlichungen des Vereins für jüdische Literatur, herausgegeben von Philippson, Herzfeld und A. M. Goldschmidt (s. d.). In beiden bewährte er sich auf der Stelle als warmblütigen Erzähler, als geschickten Schilderer aus dem eigenartigen deutsch-jüdischen Volksleben seines engeren Heimathlandes Mähren, und so verkörpert er mit Glück in derjenigen Gruppe der deutschen Dorfgeschichte, deren Vertreter man wol als „Ghettopoeten“ zusammengefaßt hat, die Besonderheit der mährischen Judengasse. Nach und neben Leopold Kompert, dem Meister der Ghetto-Novelle, rangirt K., indem er die Verschiedenheiten und charakteristischen Eigenthümlichkeiten seines landschaftlichen Reviers neben Kompert, Aron Bernstein, S. H. Mosenthal, K. E. Franzos, L. v. Sacher-Masoch zur Geltung bringt. Daß für K. auf mährischem Boden Josef Sami Tauber (1822–79), von dem da doch nur der reformatorische Tendenzroman „Die letzten Juden. Verschollene Ghettomärchen“ (1853) in Betracht kommt, kein Vormann und Stoffnachbar ist, darf man nicht übersehen. Der dichterische Werth dieser und verwandter Erzählungen, wie sie in Zeitschriften, auch in der Prager „Jüdischen Universal-Bibliothek“ erschienen, ist nicht gering, sogar wenn man von dem lebhaften ethischen und socialen Reiz, der ihrem Milieu anhaftet, absehen wollte. Um letzteren richtig zu beurtheilen, erinnere man sich, daß ihre Handlung, theilweise selbst noch ihr Ursprung vor der thatsächlichen [438] Judenemancipation Neu-Oesterreichs liegen. Als Typus und Muster haben Paul Heyse und L. Laistner in die Sammlung „Neuer deutscher Novellenschatz“, Band 21 (1887), die Erzählung „Der Kunstenmacher“ aus Kulke’s Debutbuche aufgenommen. Im J. 1871 hat K. auch einen Band „Geschichten aus dem jüdischen Volksleben für die israelitische Jugend“ zusammengestellt.

Als Dramatiker versuchte er sich rasch nach einander mit der Tragödie „Don Perez“ (1873), dem biblischen Trauerspiele „Korah“ (1873), dem Lustspiel „Der gefiederte Dieb“ (1876), ohne größere Erfolge zu erringen. Und doch sind sie, namentlich der spanische Erstling, Zeugnisse dramatischer Anlagen und poetischer Sprach- und Ideenkraft. Des ferneren sind aus Kulke’s vorsichtiger Feder hervorgegangen: die Novelle „Der Glasscherbentanz“ (1881 i. d. „Wiener Signalen“ und allein), die Erzählung „Die schöne Hausirerin“ (1895), ein vereinzelter Spätling des Alters, mit dem J. B. Brandeis[WS 1] die: „Jüdische Universal-Bibliothek“ eröffnete, die fesselnden und lehrreichen „Erinnerungen an Friedrich Hebbel“ (1878), mit dem er seit 1861 in regem persönlichen und brieflichen Verkehr gestanden hatte, endlich die anziehenden Studien „Zur Entwicklungsgeschichte der Meinungen“ (1891), die den sechzigjährigen Kritiker uns als philosophischen Kopf zeigen.

Anonymer Nachruf eines, wol persönlichen Kenners Neue Freie Presse, Wien, Nr. 11 703, 22. März 1897, Abdbl. S. 1 (vgl. ebd. Nr. 11 704, Abdbl., Kleine Chronik); danach Illstrt. Ztg. Nr. 2805 (1. April 1897), S. 421 kurzer wörtlicher Auszug, ferner zum Theil Ad. Kohut, Berühmte israelit. Männer und Frauen II, 36, auf dem wieder The Jewish Encyclopedia VII (1904), 582/83 fußt (also a diligent contributor to Jewish periodicals). Frz. Brümmer, Lexikon d. dtsch. Dicht. u. Pros. d. 19. Jhs.5 II, 356 (u. 573) ist wol authentisch, desgleichen, besonders für die Bibliographie (vgl. dafür auch Kürschners Literaturkalender XIX, 735), L. Eisenberg, Das geistige Wien I (1893), 294 f. („Erzählungen und Novellen in den verschiedensten Zeitungen und Jahrbüchern“). Kurze Notizen: Biogr. Jahrbuch u. Dtschr. Nekrolog IV, 89; M. Maack, Die bekanntesten dtschn. Dichter d. Gegenw. (1895), S. 112. Merkwürdig zu kurz kommt Ed. Kulke bei G. Karpeles, Gesch. d. jüd. Literatur II, 1135 f. Biographisch-kritische Skizze über E. Kulke von [Ludw.] L[aistner] vor dem Neudrucke der Novelle „Der Kunstenmacher“ im Neuen Dtsch. Novellenschatz (s. o.) 21, S. 3 f. Charakteristik Ende 1905[1] i. Allg. Ztg. d. Judenthums.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 438. Z. 18 v. u. l.: 1906 (statt 1905). [Bd. 55, S. 895]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Jacob B. Brandeis (1842–1913)