ADB:Jünger, Johann Friedrich

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Artikel „Jünger, Johann Friedrich“ von Jakob Minor in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 14 (1881), S. 707–709, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:J%C3%BCnger,_Johann_Friedrich&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 18:55 Uhr UTC)
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Band 14 (1881), S. 707–709 (Quelle).
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Jünger: Johann Friedrich J., deutscher Roman- und Lustspieldichter, gehört in die Zahl derjenigen Schriftsteller, welche in Folge mangelhafter Bildung niemals zur inneren Einigkeit und vollen Entwickelung ihres Talentes gekommen sind. Er ist am 15. Februar 1759 als Sohn eines Kaufmanns in Leipzig geboren und wurde im 14. Jahre zu einem Kaufmanne in Chemnitz in die Lehre gegeben, wo er vier Jahre blieb, um dann als Handlungsdiener in seine Vaterstadt zurückzukehren. Schon mit seiner kaufmännischen Ausbildung war er wenig zufrieden: er fand, daß er in Chemnitz schlechterdings nichts von dem gelernt habe, was ein nur mittelmäßiger Kaufmann wissen müsse. Der Dichter Christian Felix Weiße, mit welchem J. nahe verwandt war, ermunterte ihn zum Studiren, und J. warf sich nun über Hals und Kopf zuerst in die Schulwissenschaften, dann in die juridischen Studien, welche er im J. 1780 mit einer öffentlichen Disputation absolvirte. Aber obwol dieselbe sogar von Göttingen aus Belobung fand, konnte sich J. doch die ungeheuren Lücken seines ohne Plan und Ordnung zusammengewürfelten, höchst fragmentarischen gelehrten Wissens nicht verhehlen. Als es an die Vorbereitung zum Examen gehen soll, verliert er auch hier den Muth; er verzweifelt daran, jemals den wissenschaftlichen Stoff zu beherrschen und auch nur ein erträglicher Rechtsgelehrter zu werden; er gibt die Jurisprudenz auf, ohne vor der Hand einen besseren Lebensunterhalt zu wissen. In solcher Stimmung wirft er eines Abends, um sich zu zerstreuen, die ersten Kapitel eines komischen Romanes aufs Papier, welche von ungefähr dem Buchhändler Dyk in die Hände fielen, der J. sogleich zur Fortsetzung ermunterte und ihm ein Honorarangebot that. Es waren die ersten Kapitel seines 1781–1787 in 3 Theilen erschienenen komischen Romans: „Huldreich Wurmsaamen von Wurmfeld“. J. blieb zwar bei der Schriftstellerei, fand aber auch in ihr keine rechte Befriedigung. Zwischen Mißtrauen in seine Fähigkeiten und Selbstüberschätzung schwankte er hin und her. Den Beifall der Freunde ist er einmal eitel genug für baare Münze zu nehmen; ein andermal wirft er sich vor, daß sein Ruf zur Schriftstellerei bei Lichte besehen doch nichts weiter als Hunger gewesen sei. Er ist mit den Urtheilen der litterarischen Welt zerfallen; er bestärkt sich in der Meinung, daß das Glück in der Schriftstellerei ebensoviel, wenn nicht mehr thue als Verdienst. Seine Verbitterung gegen die Kritik spricht sich, gesucht und ungesucht, überall in seinen Werken aus, in den Romanen ebenso satirisch wie in den Lustspielen. Er selbst lehnt alle Aufforderungen zur Mitarbeiterschaft an kritischen Journalen ab. Er wird nach und nach gegen sein eigenes Talent und Urtheil mißtrauisch und in seinen Arbeiten immer furchtsamer; er sieht sich getadelt, ehe er noch veröffentlicht hat. Nachdem er kurze Zeit Hofmeister zweier Prinzen gewesen war, lebte er endlich ganz von seiner Feder; abwechselnd in Weimar und Leipzig, wo er, ein immer heiterer und liebenswürdiger Gesellschafter, den Sommer 1785 mit Schiller in freundschaftlichem Verkehre stand. Im [708] J. 1787 begab er sich auf die Reise nach Wien, wo mehrere seiner Stücke mit Beifall gegeben worden waren; verliebte sich aber in Prag in die Frau des Schauspieldirectors Sekonda und wurde vom Schauspieler Brockmann beinahe mit Gewalt nach Wien geschleppt. Hier wandte er sich eifriger als bisher dem Lustspiele zu und, als Brockmann 1789 „einziger Dirigent“ des Burgtheaters geworden war, wurde J. vom Kaiser Josef II. als Hoftheaterdichter angestellt. Ein vom Kaiser Josef seit 1777 (auf Lessing’s Rath) für jedes Originalschauspiel ausgeschriebener Preis wurde bei dieser Gelegenheit eingestellt; es seien (in J.) andere Quellen eröffnet, aus welchen das Publikum sowol mit den besten Originalstücken, als auch mit Bearbeitungen nach fremden Mustern und guten Uebersetzungen bedient werden könne. In der That entfaltete J. als Dichter wie als Uebersetzer eine außerordentlich fruchtbare Thätigkeit. Als die Wiener Hoftheater 1794 in Pacht gegeben wurden, erhielt J. seine Entlassung, welche übrigens in den schmeichelhaftesten Ausdrücken abgefaßt war. Er lebte fortan wieder kümmerlich von der Schriftstellerei, unzufrieden und einsiedlerisch abgeschlossen, von beständiger, oft bis an stillen Wahnsinn grenzender Melancholie heimgesucht. Er starb am 25. Februar 1797, im 39. Jahre. – Als letzten Zweck seiner schriftstellerischen Thätigkeit stellt J. selbst „die Aufklärung“ im Sinne Nikolai’s und Sonnenfels’ hin. Er suchte ihn durch die Satire in der Litteratur und auf der Bühne zu erreichen. Jünger’s komische Romane setzten die von Thümmel in der Wilhelmine und von Nikolai in Sebaldus Nothanker eingeschlagene Richtung fort, welcher J. bis ans Ende des Jahrhunderts treu geblieben ist, während ihm für den Roman der klassischen Periode, Goethe’s Wilhelm Meister, das Verständniß fehlte. Seine bedeutendsten Romane außer Huldreich Wurmsaamen sind: „Der Schein betrügt“ (Berlin u. Libau, 2 Thle. 1787–1789); „Wilhelmine oder Alles ist nicht Gold, was glänzt“ (Berlin, 2 Thle., 1795 f.); „Fritz, ein komischer Roman“ (4 Thle., 1796–1797, von fremder Hand fortgesetzt in 2 Theilen 1798, 1799). Auch in der erzählenden Dichtung hat J. zahlreiche Uebersetzungen und freie Bearbeitungen, besonders aus dem englischen, geliefert. Seine Lustspiele zeichnen sich nicht durch Originalität der Erfindung aus; er benutzt vielmehr auf geschickte Weise die Motive und Typen des alten deutschen Charakterlustspiels und Erfindungen der Ausländer, der Engländer (Vanbrugh, Cibbers, Centlive) und Franzosen (Marivaux, Destouches u. A.). Seine Lustspiele stehen etwa zwischen den Charakterlustspielen Weiße’s und den späteren Intriguenstücken Kotzebue’s in der Mitte. Die Typen des Charakterlustspiels überträgt er aus der bürgerlichen in die adelige Sphäre. Die alte Kokette, das zänkische Ehepaar, der Major als Ausläufer des miles gloriosus, der mißtrauische Liebhaber, der rauhe Wahrheitsfreund etc. kommen alle in feinerer Auflage wieder zum Vorschein. Der alte Vormund, der seine Mündel heirathen will, ist besonders in den ersten Stücken, in denen dasselbe Motiv oft zweimal verwerthet wird, typisch geworden. Um erzwungene Ehen drehen sich die meisten Stücke, oder wenigstens erscheint das Motiv unter den Voraussetzungen. In den Stücken aus der Wiener Zeit entfernt sich J. etwas mehr von dieser Schablone; die Charaktere derselben sind mehr aus dem Leben gegriffen, freilich auch nur typische Charaktere und oberflächlich beobachtet. Der alte Roué, der von einer Geliebten zur anderen flattert und schließlich um alle geprellt wird, tritt nunmehr in den Mittelpunkt der Handlung. Der Liebhaber wird mit Vorliebe aus den Militärkreisen genommen. In den Bedienten und anderen niedrig-komischen Charakteren machen sich Züge des Wiener Hanswursts geltend. Die Handlung besteht in allen Lustspielen Jünger’s aus einer Reihe von Liebesgeschichten oder Ehegeschichten, welche nebeneinander herlaufen, ohne sich zu concentriren oder ohne auch nur in ihrer Entwickelung gleichen Schritt zu halten. Eine Menge typischer, uninteressanter Liebhaberfiguren wird dadurch [709] nothwendig, und Schröder urtheilt treffend, wenn er sagt: „Alle Stücke Jünger’s sehen sich zum Erstaunen ähnlich, haben einen Ueberfluß an Personen, die keine Theilnahme erregen, und machen großes Aufheben von einer Kleinigkeit.“ Im Plane und in der Motivirung liegt Jünger’s schwächste Seite. Sie sind so schleuderisch hingeworfen, daß er sich nicht einmal die Mühe nimmt, das Abgehen und Auftreten der Personen mit einiger Wahrscheinlichkeit zu motiviren. Und wie es dem Plane an Einheit fehlt, so ist J. auch meist um den Titel verlegen, und kaum einmal oder das andere Mal, daß dieser mit dem Inhalte des Ganzen zusammentrifft; meistens könnte er nur als Aufschrift eines Aktes oder einer Scene gelten. Auch hier zeigt sich in den ersten Stücken aus der Wiener Zeit (der Entführung, dem Ehepaar aus der Provinz) ein Fortschritt, der aber nicht anhaltend ist. Am glücklichsten ist J. in der Ausbeutung komischer Situationen, worin er zugleich eine bedeutende Bühnenkenntniß verräth. Dieser Situationskomik liegt keine Intrigue, sondern der äußere Behelf von Mißverständnissen, Mystificationen etc. zu Grunde, und J. ist bei der Wahl derselben weder besonders wählerisch noch zartfühlend. Derbheiten, Grobheiten, Unwahrscheinlichkeiten, überhaupt keine Art drastischer Wirkung wird verschmäht. Der alte Bräutigam, der als postillon d’amour bei seiner eigenen Braut dient, der begünstigte Liebhaber von einem anderen als Brautwerber abgeschickt u. dgl., ergeben heitere Situationen. Auch im Dialoge machen sich die Vorzüge Jünger’s geltend: er ist lebendig, schlagfertig, bühnengerecht und den höheren Gesellschaftskreisen entsprechend nicht ohne einen Beisatz von Ironie und Satire. Ueberhaupt geht ein satirischer Zug gegen den Ton der Zeit und den Ton der vornehmen, französirenden Welt besonders durch die Lustspiele der Wiener Zeit. Das Geschwisterpaar und das Ehepaar aus der Provinz werden als idyllischer Gegensatz zu den besseren Kreisen der Hauptstadt aufgestellt: es ist der alte Gegensatz von Land und Stadt, der hier in eine höhere Sphäre übertragen wird. Die Localsatire gegen die Wiener Verhältnisse erstreckt sich bis auf das Theater. Jünger’s Lustspiele wurden in Wien gerne gesehen, und einige von ihnen ins Französische, Dänische und Böhmische übersetzt.

Selbstbiographische Skizze in Schnorr’s von Carolsfeld Archiv für Litteraturgeschichte, 6. Bd. S. 416–420. – Jördens, Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten, II. 522–531. – Wlassak, Chronik des Hofburgtheaters. – Ein Brief Jünger’s bei Holtei, 300 Briefe II. 73 f. Ein Schreiben aus Wien von Jünger (8. August 1796; über ein Bild von Unterberger) in Reichardt’s Deutschland 1796, 3. Bd. 9. Stück S. 268–277.