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Artikel „Hoffmann, Wilhelm“ von Otto von Ranke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 417–424, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hoffmann,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 05:42 Uhr UTC)
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Hoffmann: Ludwig Friedrich Wilhelm H., zuletzt Oberhofprediger in Berlin und Generalsuperintendent der Kurmark. Zu Leonberg in Württemberg ist W. Hoffmann am 30. October 1806 geboren, wo sein Vater Gottlob Wilhelm Bürgermeister war. Dieser, in Ortelsheim bei Calw 1771 geboren, gehörte dem Kreise erweckter Pietisten an, welche sich durch das ganz rationalistisch gesinnte württembergische Kirchenregiment in ihrem Gewissen beeinträchtigt fühlten. Während nun viele aus diesem Kreise sich dieser Kirchenleitung durch Auswanderung entzogen, erlangte H. (Vater) durch eine unmittelbare Eingabe 1817 an den König die Erlaubniß eine eigene Gemeinde zu gründen, für welche das Rittergut Kornthal käuflich erworben wurde. Diese vom Consistorium völlig unabhängige Gemeinde gab sich eine an Herrnhutische Gebräuche vielfach erinnernde Gemeindeordnung. Umfassende [418] Erziehungsanstalten aller Art, welche von auswärts, auch aus dem Auslande, fleißig benutzt wurden, bildeten den Mittelpunkt der Kornthaler Gemeindearbeit. Schon in den 20er Jahren des Jahrhunderts kam die Colonie Wilhelmsdorf mit ihren Blödenanstalten hinzu. Hier in Kornthal lebte, wirkte und regirte Papa H., wie er noch heute in der Tradition dort genannt wird, bis zu seinem Tode, den 29. Januar 1849. Ist Kornthal auch nicht, wie D. Barth in seiner Schrift 1820: „Hoffmann’sche Tropfen wider die Glaubensohnmacht“ erhoffte, der Sammelpunkt aller Christgläubigen in Deutschland geworden, so kann Kornthal doch als das thatkräftigste Erzeugniß des württembergischen Pietismus bezeichnet werden. Diesen gesunden, werkthätigen Pietismus hat auch Wilhelm H. sein Lebelang nicht verleugnet.

W. Hoffmann’s Lehrgang war der für strebsame Theologen in Württemberg vorgeschriebene. Seit 1820 besuchte er die Klosterschule Schönthal, hier mit Blumhardt (später in Boll) eine Lebensfreundschaft schließend; 1824 trat er in das Tübinger Stift ein. Hier hätten seine naturwissenschaftlichen Studien welche er neben den philosophischen trieb, fast von der Theologie zum Studium der Medicin geführt. Baur, Kern, Schmid, waren seine theologischen Lehrer. Nach gut bestandenem Examen tritt H. als Vicar dem originellen Nonnenmacher, Pfarrer zu Heumaden bei Stuttgart zur Seite. Hier findet er neben seinen mancherlei Amtsgeschäften Zeit zu einem umfangreichen geographischen Werke: „Beschreibung der Erde“. Die Aufgabe, welche er sich mit diesem Werke stellte, ging dahin, die Erde als Wohnstätte des Menschengeschlechts, als Werkstatt der Geschichte, als Erziehungshaus der Menschheit und ihrer Völker darzustellen. Doch bald (1832) kehrte er als Repetent nach Tübingen zurück, um schon im nächsten Jahre als Stadtvicar in Stuttgart wieder als praktischer Theolog wirksam zu sein. 1834 erhielt er die erste feste Anstellung als Diakonus für die Stadt- und Landgemeinde Winnenden; zugleich als Seelsorger an die neu errichtete Irrenheilanstalt Winnenthal. In Winnenden trat er in trauten Umgang mit dem dirigirenden Arzt der Anstalt, Dr. Zeller. Dieser erkannte vielleicht zuerst, was jetzt allgemein angenommen wird, daß alle Seelenstörungen Krankheiten sind und auf körperlichen Störungen beruhen. Freilich war Zeller fern davon, die höheren geistigen Kräfte des Menschenlebens materialistisch zu ignoriren; nein, er erwartete die tiefste, heilsame Einwirkung auf die Seele durch die Religion. „Nur die Religion löst die tausendfachen Mißtöne des Lebens in feierlicher Harmonie auf und zeigt dem zerrissenen Herzen und dem verzweifelnden Geiste die feste ewige Ordnung und die ewige Liebe.“ „Daß aber kein Heilmittel (als nämlich die Religion) nüchterner und vorsichtiger angewandt werden muß, ist natürlich.“ Bei H. gestaltete sich die Seelsorge bei den Geisteskranken zu einem eingehenden Studium. In abgerundeten Lebensgemälden ergreifendster und oft schaurigster Art hat er die innere Lebensgeschichte merkwürdiger oder besonders schwierig zu behandelnder Kranken dargestellt. Der beobachtende Umgang mit den Kranken wurde für H. eine Schule seelsorgerischer Menschenkenntniß.

Trotz seiner großen amtlichen Thätigkeit – denn neben der Irrenanstalt hatte er als Diakonus die weitversprengte Gemeinde seelsorgerisch zu versorgen – behielt H. bei seinem stupenden Fleiß Zeit zu litterarischen Arbeiten aller Art.

Mit dem Stadtpfarrer Heim veranstaltete er: „Erbauliche Auslegung der großen Propheten aus den Schriften der Reformatoren“. Der äußere Zweck der Herausgabe war das pecuniäre Bedürfniß der Paulinenpflege, einer Anstalt für arme verlassene und für taubstumme Kinder. Diese Anstalt, in [419] welcher 67 vollsinnige und 34 taubstumme Zöglinge erzogen wurden, hatte ihren Namen von der ersten württembergischen Königin Pauline erha1ten.

Mit einem Vorwort begleitet er die von ihm redigirte Ausgabe: „Bengel: Offenbarung St. Johannis.“ Es war als eine Mahnung den G1äubigen zugedacht, nicht wankend zu werden und nicht irre an dem geisterfüllten Lehrer der Württemberger Gemeinschaften, wenn auch die Bengel’sche Berechnung von der Wiederkunft des Herrn, welche er für das Jahr 1836 berechnet hatte, sich als falsch erwiesen. Das bedeutsamste Werk Hoffmann’s aus dieser Periode hatte sich die Aufgabe gestellt, das bekannte Buch David’s Strauß: „Das Leben Jesu“ kritisch zu widerlegen. Diese Kritik des Strauß’schen Buches erörterte nicht nur die allgemeinen Fragen dieses neuen und radicalen kritischen Verfahrens, sondern H. folgt der ganzen Darstellung des Kritikers im einzelnen und widerlegt Hauptstück für Hauptstück: „Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet von Dr. D. F. Strauß, geprüft für Theologen und Nichttheologen von W. Hoffmann“. Die Aufgabe, die sich H. hier stellt, bezeichnet er dahin: „Das Unzureichende der bestrittenen kritischen Behandlung des Lebens Jesu in allen Hauptpartien dieses Lebens an einer gehörigen Zahl von Beispielen aufzuzeigen und überall das denselben zu Grunde liegende Princip ans Licht zu ziehen und kritisch zu beleuchten“. Wenn David Strauß, nachdem er das Leben und Wirken Jesu von Nazareth in zersetzender Kritik in eitel Mythen aufgelöst hat, doch noch die darin symbolisirte Wahrheit festhalten wollte, als den Kern des christlichen Glaubens, so antwortet Hoffmann: „Nicht die Wunder, nicht die Sittenlehre, nicht die in der Geschichte Jesu dargestellten Ideen sind der Kern des Evangeliums, vielmehr ist die ganze Vergleichung mit Kern und Schaale unrichtig: alle jene Seiten der evangelischen Geschichte sind gleich unentbehrlich. Die ewigen Ideen tragen die Geschichte nicht als ihre Schaale um sich, sie sind vielmehr, wenn man vergleichen will, die Seele, deren Leib diese bildet. Wie der Leib ohne die Seele ein Leichnam, so ist die Seele ohne Leib ein bleicher markloser Schatten. Grade die historisch verwirklichten nicht bloß symbolisch dargestellten Ideen bilden das Wesen und den inneren Bestand der christlichen Lehre.“ „Weicht einmal die sinnliche Geschichte vor dem Geist zurück, so hat er seinen Haltpunkt verloren und keine geschichtslose Speculation wird ihm denselben wieder schaffen.“

David Strauß hat sich in der Vorrede zur zweiten Auflage seines Lebens Jesu über diese Schrift Hoffmann’s bitter beklagt: „über die Sucht, dem Gegner überall gar nichts gelten zu lassen“. Eine von Strauß verheißene Widerlegung ist nicht erfolgt.

Leider war H. bei seinem sonst so großen Arbeitspensum nicht imstande, diesem Werke, wie er wohl wünschte, die letzte Feile zu geben, sodaß es Nichttheologen schwer fällt, dem gelehrten Detail, welches dargeboten wird, recht folgen zu können.

Im Mai 1839 folgte H. einem Ruf in das durch Blumhardt’s Tod verwaiste Inspectorat nach Basel an die dortige Missionsgesellschaft. Zu dieser Arbeit erschien H. wie prädestinirt sowol durch seine Beziehungen zu den pietistischen Kreisen Württembergs, in welcher das Missionsinteresse in Deutschland zuerst erwacht war – vom Vaterhause waren ihm die gelben Basler Missionshefte wohl bekannt – als auch durch seine sprachlichen und wissenschaftlichen Kenntnisse, Vor allem durch seine gründlichen geographischen und ethnographischen Studien, welche ihm den nöthigen Einblick in die eigenthümliche Entwicklung der einzelnen Völker gewährten.

H. betrachtete es als seine Aufgabe, während sein Vorgänger nur die Stillen im Lande zur Theilnahme heranziehen wollte, mit seinem Missionsschiff [420] in die offene See hinauszusteuern. H. besaß ganz besonders die Gabe, größere Kreise für das Werk der Mission zu gewinnen, Die kirchlichen Missionsstunden und Missionsfeste kamen in Aufnahme. Hoffmann’s imponirende Gestalt, seine klangvolle Stimme, mit welcher er ohne Mühe die größte Kirche ausfüllen konnte, seine ausgezeichnete Rednergabe, die phantasievolle Darstellung, der Reichthum an neuen Ideen, seine Gewandtheit bei allerhand Verhandlungen, bei welchen er seine geistige Ueberlegenheit niemals auf unfreundliche Weise fühlen ließ, sicherten ihm einen so großen Einfluß, daß man mit vollem Vertrauen ihn monarchisch vorschreiten ließ (vgl. P. Wurm: Die Basler Mission in der Warneck’schen Allgemeinen Missionszeitschrift, II. Band, Gütersloh 1876, S. 319 ff.).

Elf Jahre seines kräftigsten Mannesalters hat H. dieser Arbeit gewidmet. „Das Amt eines Missionsinspectors ist das herrlichste, was ich bekleidet habe und je bekleiden werde“ – so bekennt H. im Rückblick auf diese Jahre in seiner Schrift: „Elf in der Mission verlebte Jahre“; in anziehendster Weise schildert er hier diese seine Baseler Missionszeit. Auch seine litterarische Thätigkeit ist während dieser Zeit der Mission allein gewidmet. Außer der fast 13jährigen Redaction des Basler Missionsmagazins gab H. heraus: „Missionsstunden und Vorträge“, Stuttgart 1847, 1851, 1853; „Missionsfragen“, Heidelberg 1847; „Ueber die Erziehung des weiblichen Geschlechts in Indien“; „Aus der Mission unter den Nestorianern“; „Abbeokuta oder Sonnenaufgang zwischen den Wendekreisen“ (Berlin 1859); „Franz Xaver ein weltgeschichtliches Missionsbild“, Wiesbaden 1869; „Die Kirchengeschichte Indiens“, 1853; „Die christliche Litteratur als Werkzeug der Mission“. Seit 1843 hatte H. als außerordentlicher Professor der Universität Basel zugleich exegetische Vorlesungen zu halten.

März 1850 wurde H. als Ephorus des theologischen Stifts nach Tübingen berufen. Doch konnte er diese Stelle seiner geschwächten Gesundheit wegen erst im Herbst antreten, nachdem er durch die Bäder in Homburg (Nassau) und Dieppe (Normandie) wiederhergestellt war.

In Tübingen hatte er theologische und philosophische Vorlesungen zu halten, zugleich stand er als Ephorus dem theologischen Stift vor. Da aber eine ihm bei seiner Berufung zugesagte Reform des Stiftes unterblieb, da mancherlei Reibungen mit den Universitätsprofessoren nicht ausblieben – grade mit dem ihm theologisch am nächsten stehenden Beck vermochte er sich nicht recht zu stellen, und da der Einfluß auf die Studenten, welche er wohl in seinem Hause zu gemeinschaftlich wissenschaftlichen Besprechungen zu sammeln suchte, doch seinen Wünschen nicht ganz entsprach, so sehnte er sich bald aus dieser für seine Veranlagung vielleicht zu eng begrenzten Thätigkeit heraus. Diese Sehnsucht sollte bald erfüllt werden.

König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen war durch seinen Hofprediger Friedrich Strauß, welcher H. an der normannischen Küste kennen und schätzen gelernt hatte, auf Hoffmann’s Persönlichkeit aufmerksam geworden. Im August 1851 hörte Friedrich Wilhelm IV. bei Gelegenheit der Huldigung der ihm zugefallenen Fürstenthümer H. predigen. Alsbald versuchte der König H., der in seiner ganzen Richtung, seinem stupenden Wissen, seiner Weitherzigkeit und Weitsichtigkeit, eine dem König geistesverwandte Natur war, nach Berlin zu ziehen. Diesem königlichen Rufe nach Berlin als Hof- und Domprediger ist H. 1852 gern gefolgt. Des Königs Vertrauen, welches sich H. unbedingt zu erwerben bald verstanden hatte, beförderte H. 1853 zum Oberconsistorialrath und Mitglied des Evange1ischen Oberkirchenrathes (die oberste Behörde der Preußischen Landeskirche), zum Generalsuperintendenten der Kurmark; als solcher war er zugleich Mitglied des Brandenburgischen Provinzial-Consistoriums. Als 1854 [421] vom Könige der Staatsrath erneuert worden, wurde H. als Vertreter der evangelischen Kirche in diese höchste (berathende) Vereinigung der hervorragendsten Vertreter des preußischen Staatswesens berufen. Auch wurde ihm eine Domherrnstelle in Brandenburg a. H. übertragen.

In Berlin konnte nun dieser weitsichtige, alle Gebiete des menschlichen Wissens und Denkens umspannende Geist sich erst voll entfalten, hier fand er die für ihn besonders geebnete Bahn zur Wirksamkeit. In erster Linie entfaltete H. im Dom, wo er durch Strauß am X. n. Trin. 1852 eingeführt wurde, eine gewaltige intensive Kanzelwirksamkeit. Die meisten seiner in Berlin gehaltenen Predigten sind durch den Druck in verschiedenen Sammlungen veröffentlicht worden. „Ruf zum Herrn“, 8 Bände,1854–1858; „Die Haustafel“, in drei Abtheilungen (1858–1863); „Ein Jahr der Gnade in Jesu Christo“ (1864). Jede Predigt erschien wie ein aus gewaltigen Quadersteinen zusammengefügtes Gebäude. Seine gewaltige imponirende Persönlichkeit, sein mächtiges Organ, sein in die Tiefe des göttlichen Wortes grabender Geist machten jede Predigt Hoffmann’s zu einem markanten Zeugniß der göttlichen Wahrheit. Auch außer der Kanzel entfaltete H. in den verschiedensten Vereinsarbeiten eine ins riesenhafte gehende Arbeitskraft. Es wird behauptet, daß H. Mitglied von mehr denn 50 Vereinen der mannigfachsten Art gewesen, von vielen der Vorsitzende, daß er oft vier und mehr Vereine zu gleicher Zeit in den verschiedensten Räumen seiner großen Amtswohnung ihre Sitzungen halten ließ, er selbst von einer zur andern Versammlung schreitend, meist die leitenden Gedanken selbst gebend. So ist es rührend, daß der so viel beschäftigte Geistliche noch am Sonntag Nachmittag Zeit gewann, einen evangelischen Jünglingsverein, einen Verein von ihm confirmirter junger Knaben, zu leiten. Oft hielt er ihnen Vorträge, welche freilich leicht über das Fassungsvermögen der jungen Leute hinausgingen.

Doch nicht der Domgemeinde allein, sondern der gesammten evangelischen Landeskirche kam die von König Friedrich Wilhelm IV. geplante, von H. ins Werk gesetzte Neugestaltung des Domcandidatenstiftes zu gute. Hier baute H. auf den Erfahrungen auf, die er in Tübingen sowol als Student, als später als Ephorus des Tübinger Stiftes gesammelt hatte. In diesem Domcandidatenstift, anfänglich in gemietheten Räumen, der ehemaligen Wohnung L. Tieck’s, in der Friedrichstraße, dann durch die Munificenz des Königs Friedrich Wilhelm IV. in dem eignen herrlichen Gebäude, erbaut auf einem Theil des Monbijougartens, welchen der König für diesen Zweck hergegeben hatte, sollten Candidaten unter der Leitung von Inspectoren durch Fortsetzung wissenschaftlicher Studien, Uebungen in Predigt und Katechese, durch seelsorgerliche Hausbesuche bei Armen und Kranken der Domgemeinde für den Eintritt ins geistliche Amt angemessen vorbereitet werden. Dr. H. stand als Ephorus dem Stift vor. In den gemeinsamen Besprechungen über die praktische Thätigkeit in der Armenseelsorge, in der Beurtheilung der Candidatenpredigten öffnete sich der reiche Schatz seiner Erfahrungen. Leider hat er den Schlußstein zu dieser Stiftung und zugleich die Frucht seiner unermüdlichen Arbeit, die Einweihung der Stiftscapelle nicht mehr erleben dürfen.

Einen bestimmenden Einfluß auf die Entwicklung der preußischen Landeskirche hat H. im evangelischen Oberkirchenrath ausgeübt. Als H. nach Berlin übersiedelte, herrschte in der gesammten Landeskirche der erbittertste Kampf über Union und Confession. 1852 hat der König die bekannte, den Confessionellen günstige Cabinettsordre (itio in partes) ergehen lassen. Es war Hoffmann’s Ueberzeugung, daß auf diesem Wege die Union [422] gesprengt und die Landeskirche in drei, ja fünf verschiedene Kirchen, die sich unter einander bekämpfen würden, gespalten werden würde.

R. Kögel, Hoffmann’s Nachfolger, hat in seinem Aufsatz über H. in der Herzog’schen Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, 2. Aufl., Band VI, 1880, die Erklärung mitgetheilt, mit welcher H. in die oberste Kirchenbehörde eingetreten ist: Ich bin Mitglied des evangelisch-lutherischen Bekenntnisses, sofern ich in der lutherischen Kirche erzogen, confirmirt und ordinirt wurde, füge aber ausdrücklich bei, daß meine theologische Ueberzeugung auch auf die Union der beiden Bekenntnisse führt, wie sie in der Augsburgischen Confession in Wahrheit längst besteht, daß das lutherische Dogma bloß als solches und ohne Mitaufnahme des reformirten mir ebensowenig den theologischen Ausdruck meiner Glaubensüberzeugung darbietet wie das reformirte ohne seine Erfüllung und Ergänzung im lutherischen, daß ich daher eine wirkliche innerliche Union beider Bekenntnisse für unerläßliche Forderung jedes derselben erkenne und nur eine evangelisch-protestantische Kirche in zwei Bekenntnißtypen, aber nicht zweierlei evangelische Kirchen anzuerkennen weiß!

Seinem Einfluß auf König Friedrich Wilhelm IV. entstammt darum auch die Cabinettsordre vom 12. Juli 1853, welche es ausspricht, daß es nie des Königs Absicht gewesen, die Union zu stören oder gar aufzuheben. H. hat vom 30. April 1853, dem Tage seiner Einführung bis zu seinem Tode den meist bestimmenden Einfluß im evangelischen Oberkirchenrath ausgeübt.

Bei aller Anerkennung aber dessen, was H. als Generalsuperintendent durch Wiedereinführung von Kirchenvisitationen, durch amtliche Förderung von Kirchenbauten, durch Vermehrung der geistlichen Kräfte, durch erfolgreiche Versuche hie und dort, rationalistische Gesangbücher durch kirchlich correctere zu verdrängen und vieles andere geleistet hat, läßt sich nicht verkennen, daß viele seiner Wünsche, Pläne und Projecte so großen Hemmnissen und Hindernissen begegneten, daß sie nicht zur Ausführung gekommen sind. Selbst die Gemeinde- und Synodalordnung für die evangelische Landeskirche Preußens, welche doch die eigentliche Lebensarbeit Hoffmann’s gewesen ist, hat nicht als sein Werk, sondern als das Werk des Präsidenten Herrmann wenige Tage nach dem Tode Hoffmann’s durch königliche Cabinettsordre vom 10. September 1873 Gesetzeskraft für die Landeskirche erhalten.

War es doch das Verhängniß König Friedrich Wilhelm’s IV., über den weiten Perspectiven in die Zukunft – der König hat seine kirchlichen Zukunftsideale wol selbst „seine Sommernachtsträume“ genannt – das Nothwendige, das Erreichbare für den Moment außer acht zu lassen. Für eine Synodalordnung, in welcher die Laien-Repräsentation das Hauptgewicht hatte, war der König überhaupt nicht zu haben (vgl. L. v. Ranke, Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelm’s IV. mit Bunsen, Leipzig 1873, S. 357 u. a. v. O.). Aber auch unter dem Prinzregenten, König und späteren Kaiser Wilhelm, der H. allezeit zu schätzen verstand, ist es H. nicht gegeben gewesen, dauernde Institutionen für die Landeskirche zu schaffen. Hier tritt das Jahr 1866 mit seinen Annexionen von Hannover, Hessen, Schleswig-Holstein, hindernd dazwischen. H. wünschte auch die neuen Provinzen in die evangelische Landeskirche (mit Beibehalt ihrer confessionellen Eigenarten) einzugliedern. Doch scheiterte dieses Project nicht nur an dem Widerspruch der neuen Provinzen, auch Fürst Bismarck, Minister v. Mühler und nicht am wenigsten der König selbst sprachen sich für die Selbständigkeit dieser Provinzialkirchen und gegen die Einverleibung in die preußische Landeskirche aus. Ebensowenig gelang es auch 1870 D. H., die Idee einer deutschen Nationalkirche zu realisiren. Die mit den schönsten Hoffnungen vorbereitete Octoberversammlung 1872, bei [423] welcher H. noch mit großer Freudigkeit den Eröffnungsgottesdienst gehalten, hatte ein mehr als bloß negatives Resultat. Es zeigte sich, daß in allen deutschen Landeskirchen noch ein stark-particulares Leben und Bewegen vorhanden war, daß diese Kirchen je und je in völlig freien Conferenzen (Eisenacher Conferenz) ihre Erfahrungen austauschen wollten, daß sie aber keineswegs bereit wären, sich zu einer deutsch-evangelischen Nationalkirche organisch zu vereinigen.

Das Jahr 1866 hatte für H. noch eine weitere Bedeutung. An den Württemberger, der mit den alten Freunden in Süddeutschland im regsten (auch kirchen-politischen) Verkehr geblieben war und der doch der Hofprediger des preußischen Königs geworden war, ergingen nach den Annexionen Appellationen an sein Gewissen, die Forderung wurde gestellt „dem König von Preußen sein Unrecht vorzuhalten“. Als nun H. diesen Wünschen nicht nachkam, wurde er in unzähligen Briefen vor den ewigen Gerichtshof Gottes gefordert, er wurde als falscher Prophet, als zur Unzeit Schweigender, als solcher gebrandmarkt, der den Dolch eingesegnet, welchen der Räuber in das Herz seines Opfers stoße. H. ließ sich nicht irre machen. Grade diese Angriffe befestigten ihn in seiner Gesinnung. „Meine Liebe zu Preußen ist jetzt, nachdem ich den ganzen Zusammenhang der preußischen Politik überblicke, stärker als je. Doch unsere Aufgabe ist es, durch Liebe zu erwidern, was an uns gefehlt wurde.“ Möge recht bald“, so schreibt er am 5. November 1866 prophetisch an seinen Freund Zeller in Winnenden, „die herzliche Eintracht wiederhergestellt und möge unser Deutschland werden, was es sein soll, das schlagende Herz der Christenheit, das starke Herz Europas“. Aus dieser seiner eigenartigen Stellung heraus fühlte sich H. berufen, zur Versöhnung und Einigung des Südens und Nordens eine Zeitschrift herauszugeben. 1868: „Deutschland einst und jetzt im Lichte des Wortes Gottes“, 1869: „Europa im Licht der Weltgeschichte“ und von da eine periodische Zeitschrift „Deutschland“, welche freilich nur kurzen Bestand hatte. Zu dieser Zeitschrift behandelte H. nicht nur kirchliche und kirchenpolitische Fragen. Meist seiner Feder entstammen Beiträge aus anderen wissenschaftlichen Gebieten, wie der Erdkunde, ja den Naturwissenschaften entnommen. Ein Aufsatz: „Die Erdkunde als deutsche Wissenschaft“ fand so sehr die freudige Zustimmung des bekannten Geographen Petermann, daß dieser es durchsetzte, daß in den unwirthlichen Eisgefilden am nördlichen Polarmeer in der Nähe des Kap Bismarck ein Berg den Namen Hoffmann nach unserem Theologen erhalten hat. Es versteht sich von selbst, daß Wilhelm H. dem Andenken Friedrich Wilhelm’s IV., seines von ihm so hochgeschätzten und meist so völlig verkannten preußischen Königs auch litterarisch ein Denkmal setzen mußte. Das ist geschehen in einem Aufsatze: „Deutschland einst und jetzt“, hier verweilt er ausführlich bei der Gegenwart und giebt eine eingehende, durch eigne Anschauung bereicherte Darstellung dieses seines königlichen Gönners. Unter dem Titel: „Ein großes Königsleben“ hat er dann in einem anderen Aufsatz dieser Zeitschrift ein umfassendes Charakterbild König Friedrich Wilhelm’s IV. gegeben. Endlich ist nach Hoffmann’s Tode ein Vortrag, den er über Friedrich Wilhelm IV. gehalten, noch veröffentlicht worden. Auch hat H. eine große Zahl von Aufsätzen in der von der evangelischen Allianz unterstützten Neuen evangelischen Kirchenzeitung, welche seit 1859 von Professor Meßner herausgegeben wurde, veröffentlicht.

Nicht ohne mannigfache Enttäuschungen sind Hoffmann’s letzte Jahre geblieben. Actenmäßig steht es nicht fest, wie H. in der Disciplinarsache gegen den Prediger Sydow, welcher wegen Irrlehre vom Berliner Consistorium seines Amtes entsetzt worden war, vom evangelischen Oberkirchenrath aber wieder zu [424] seinem Amt zugelassen wurde, im Oberkirchenrath seine Stimme abgegeben hat. Jedenfalls hat diese Sitzung, an der theilzunehmen ihm der Arzt strengstens verboten hatte, dem schon längere Zeit Herzkranken den Todesstoß gegeben. Am 28. August 1873 ist H. seinem Herzleiden erlegen.

H. ist wiederholt verheirathet gewesen, zuletzt mit Gräfin Görlitz, deren Vater einst das württembergische Kornthal besessen. Eine große Kinderschaar war diesen vier Ehen Hoffmann’s entsprossen.

Unter den Porträts, welche die Hautreliefs an der Siegessäule in Berlin von Drake’s Hand darbieten, erinnert die markante Gestalt des Geistlichen, der den ausziehenden Kriegern das heilige Abendmahl spendet, auch die künftigen Geschlechter an den Oberhofprediger D. Wilhelm Hoffmann.

Leben u. Wirken des Dr. L. Fr. Wilhelm Hoffmann aus der Feder des Sohnes Lic. Karl Hoffmann, Superintendenten in Frauendorf. 2 Bde., Berlin 1878. – Wilhelm Baur, Necrolog, Neue Ev. K.-Zeitung, 1873, Nr. 43–49. – R. Kögel in Realencyklopädie für prot. Theol. u. Kirche von Herzog u. Plitt, 2. Aufl. 6. Bd., Leipzig 1880. – Dr. phil. Meusel: Kirchliches Handlexikon, III. Band, S. 224 ff., Leipzig 1891 (in diesem Artikel ein besonders scharfes Urtheil der Wirksamkeit W. Hoffmann’s aus der Feder seines eigenartigen Bruders Christoph H. aus der Süddeutschen Warte). – Die Entwickelung der evangel. Landeskirche seit der Errichtung des Ev. Oberkirchenrathes, Berlin 1900. Ebenso im Aufsatz des Freiherrn v. d. Golz: Zum 50jährigen Jubiläum des E. Oberkirchenrathes in Preußen.