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Artikel „Herrmann, Emil“ von Fritz Stier-Somlo in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 248–253, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Herrmann,_Emil&oldid=- (Version vom 19. Dezember 2024, 02:45 Uhr UTC)
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Herrmann: Emil H. Was den Namen Emil H. der Nachwelt erhält, liegt auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Lehre des Kirchenrechts nicht minder als auf dem der Kirchenpolitik. Am 9. April 1812 zu Dresden als Sohn eines Kriegsraths geboren, wurde er gleich nach Erwerb der juristischen Doctorwürde 1834 in Leipzig Privatdocent, 1836 außerordentlicher Professor. In einer kurzen Skizze seines Lebens, die von kundiger aber unbekannter Hand 1872 entworfen wurde, wird berichtet, daß einer seiner damaligen Collegen seine Vorlesungen über Kirchenverfassung der evangelischen Kirche gehört und schon damals dieselben Grundgedanken wissenschaftlich vertreten fand, die H. später verwirklichen sollte. Er galt zu jener Zeit als „ein feuriger junger Mann, der ideale und doch zugleich praktische Zwecke verfolgt, nicht ohne Schroffheiten, aber lautersten Sinnes, voll Hingebung an die Sache, ja im Dienste derselben der größten Aufopferung und Selbstvergessenheit fähig“. So scheint er sehr früh seinen innersten Beruf erkannt zu haben. Litterarisch war es aber zuerst das Strafrecht, dem seine kritische Arbeit und sein Forschen galt. Er liefert zunächst werthvolle Beiträge „Zur Beurtheilung des Entwurfs eines Kriminalgesetzbuches für das Königreich Sachsen“ (1836). Bald fesselt ihn die Gestalt des berühmten Verfassers der Bamberger Halsgerichtsordnung, und er setzt „Johann Freiherr zu Schwarzenberg“ (1841) ein erst von Stintzing (Geschichte d. deutschen Rechtswissenschaft I, 612 ff.) übertroffenes Denkmal. 1842 rückt er zum ordentlichen Professor auf und bleibt in Kiel bis 1847. In dieser Zeit betheiligt er sich an dem Protest der neun Kieler [249] Professoren gegen die dänischen vergewaltigenden Angriffe auf Schleswig. Sein schriftstellerisches Schaffen bewegt sich auch eine Zeitlang im Bannkreise des bürgerlichen Rechts. In der Ausgabe des Corpus iuris civilis, die die Gebrüder Kriegel veranstaltet hatten und die bis zu derjenigen von Mommsen, Krüger und Schoell die werthvollste war, hat H. den justineaneischen Codex bearbeitet und ferner mit J. N. Falck, Tönsen u. A. zusammen ein „Staats- und Erbrecht des Herzogthums Schleswig“ herausgegeben (1846). Erst mit seiner Berufung nach Göttingen im J. 1847 wendet er sich fast ausschließlich dem Kirchenrechte zu. Er schrieb – von kurzen Arbeiten über die Wiedertrauung Geschiedener, über Bekenntniß- und Lehrfreiheit, über Dissidenten und die Landeskirchen abgesehen – in seinem neuen Wirkungskreise über „Die Stellung der Religionsgemeinschaften im Staate“ (1849). In Göttingen gelangen seine organisatorischen Gedanken, seine religiöse und Weltanschauung zur Reife und befähigen ihn zu epochemachender Wirksamkeit. Er wird ein Auserwählter, nicht nur ein Berufener. Jetzt in Hannover thätig, galt ihm doch Preußen als die Zukunftshoffnung Deutschlands in Kirche und Staat. Allein es war nicht seine Art, sich den Pflichten zu entziehen, die der Tag an ihn stellte. Schon um das Jahr 1850 fertigte er im Auftrage von Minister Braun den Entwurf einer Verfassung für die hannoversche Kirche an. Erst fünfzehn Jahre später kam freilich durch sein und des Abtes Ehrenfeuchter Verdienst – trotz scharfer Spaltungen und vorhergehender Kämpfe – das kirchliche Verfassungswerk zu Stande. H. wurde auch Mitglied der Kammer und ihr Vicepräsident. Als im J. 1866 die Universität Göttingen sich in eine welfische und eine preußisch-deutsche Partei spaltete, schloß er sich eng an diese letztere an. Niemals aber verlor er das Ziel aus den Augen, das Preußen in kirchlicher Beziehung gesteckt schien. Er kämpft mit allen Waffen seines Geistes und mit der ganzen Wucht seiner Persönlichkeit für die Idee, daß der preußischen evangelischen Kirche eine feste, den Forderungen des 19. Jahrhunderts entsprechende Verfassungsreform zu geben sei, eine, die sich aus der geschichtlichen Entwicklung nothwendig ergab und ohne diese nicht zu verstehen ist. Ihre Grundzüge zu geben mag deshalb hier gestattet sein. Sie führen von selbst auf das Lebenswerk Herrmann’s.

Das Ideal Luther’s und Melanchthon’s, die Kirche aus der Gemeinde, als dem geschlossenen Kreise der zur allgemeinen Priesterschaft berufenen Gläubigen, zu organisiren, blieb zunächst unerfüllt. Es ist eine, von vielen Ursachen bedingte, hier nicht weiter verfolgbare historische Thatsache, daß sich zwar in den größeren unabhängigen Städten ein, besonders von der schweizerischen Reformation (Zwingli, Calvin) betontes, Selbstverwaltungsrecht der Kirchengemeinde als solcher durchzusetzen vermocht hatte, nicht dagegen in den fürstlichen Territorien, für deren Herrscher jede volksthümliche Freiheit in der Entwicklung der Kirchenverhältnisse undenkbar, der Gedanke einer Theilnahme der Gemeinde an dem Erlaß der Kirchenordnungen, Besetzung der Kirchenämter, Mitwirkung bei der Kirchenzucht fremd war. Bureaukratisch wird die Kirche regiert von den dem Landesherrn und diesem allein unterstellten Beamten, nicht nur infolge der damaligen Auffassung von der Souveränität des Herrschers, sondern auch deshalb, weil die politische und geistige Unreife des einfachen Mannes eine demokratische Ausgestaltung der Kirchenverfassung nicht duldete und weil seit dem Reichstagsabschied von Speyer 1526 die evangelische Kirche allein auf den Schutz der Territorialgewalten angewiesen war. Eine Zeitlang fühlen sich hier und dort die Landesherren zwar als die Verwalter der alten bischöflichen Gewalt, aber späterhin ist fast nur noch die Rede von dem landesherrlichen Kirchenregiment. Dieses schreitet zur Ernennung [250] von Visitatoren (zuerst im Kurfürstenthum Sachsen 1527), aus denen sich die Einrichtung der Superintendenten entwickelt, weiterhin eines Collegiums, des Consistoriums. Zwar haben aus dem Ausland nach Deutschland gekommene, insbesondere französische Reformirte ihre sog. Presbyterial-Synodalverfassung – die die Einwirkung der Staatsmacht auf die Regelung der kirchlichen Gemeindeverhältnisse nicht anerkennt, alle Mitglieder für gleich erachtet und ihre Angelegenheiten durch stufenweise aufsteigende Synoden ordnen läßt – mitgebracht und vorübergehende Bedeutung erlangt, wie der Convent von Wesel 1568 und eine Synode von Emden 1571 beweisen. Allein schließlich bleibt seit dem Ende des 18. Jahrhunderts die allgemeine kirchliche Verwaltung den Consistorien, unter diesen den Aufsichtsbeamten niederer Instanz, den Superintendenten, und endlich unter letzteren wieder den Pfarrern. Seither wird von den drei Systemen, dem Episcopal-, Collegial- und Territorialsystem das letztere herrschend, kraft dessen der Landesherr der Souverän seiner – sich als sichtbare Gemeinschaft der Gläubigen darstellenden – Unterthanen auch inbezug auf kirchliche Angelegenheiten ist. Es herrscht über die Aufklärungszeit hinweg bis zum 19. Jahrhundert und wirkt auch bedeutsam im Preußischen Allgemeinen Landrecht (Th. II, Tit. 11) nach. Erst das 19. Jahrhundert hat, wie Beyschlag einmal ausführt, auf Seiten des Staates wie der Kirche die erforderlichen Bedingungen gebracht, um eine wirkliche evangelische Kirchenverfassung, ein Sich-selbst-Ordnen und Verwalten der evangelischen Kirche im Staate möglich zu machen. Die mit dem Princip der religiösen Toleranz verbundene Cultusfreiheit und die den Zuwachs zahlreicher katholischer Unterthanen bringenden politischen Umwälzungen der Revolutionszeit haben bewirkt, daß die wesentliche Voraussetzung des bisherigen Staatskirchenthums, die confessionelle Einheit der Bevölkerung, hinfiel. Auch die Idee eines freien Staatswesens habe sich geregt und endlich durch die in ihren seitherigen Formen wie abgestorbene Kirche neue Lebensluft geweht.

Speciell in Preußen wurde der ursprüngliche Hauptgedanke der Consistorialverfassung, die Regierung des Landesherrn mittelst rein kirchlicher Behörden, theilweise schon vor, hauptsächlich aber nach Erlaß des Allgemeinen Landrechts infolge einer Ueberspannung des Territorialsystems aufgegeben. Nach dem Tilsiter Frieden wurden 1808 die selbständigen Consistorien sammt dem Oberconsistorium aufgehoben und die Kirchensachen dem Ministerium des Innern und den Regierungen übertragen. Richter hat (in seiner Gesch. der ev. Kirchenverfassung in Deutschland) unfreundlicher Vergangenheit einen Satz entrissen, den die Oberkirchenbehörde bei ihrer Auflösung, sich verwahrend, betonte: „daß die Religionssache nicht dabei gewinnen werde, wenn dieselbe zwischen die Polizei und das Cassenwesen eingeschoben und die Kirche nebst der Schule unter der Kategorie von Bildungsanstalten selbst mit dem Theater in Berührung gesetzt werde“. Diese Verstaatlichung der Kirche konnte nicht von langer Dauer sein. Schon in demselben Jahre 1808 hat Schleiermacher den Plan einer presbyterialen und synodalen Kirchenordnung ausgearbeitet und die folgenden drei Jahrzehnte – in die 1817 das Jubiläumsjahr der Reformation mit seinem dem Verfassungsgedanken verschwisterten Unionsgedanken Friedrich Wilhelm’s III. fiel – zeitigten eine Fülle von (hier nicht weiter verfolgbaren, etwa bei Dove in der Zeitschrift für Kirchenrecht II, 131 ff.; IV, 131 ff. und Schoen, Das evangelische Kirchenrecht in Preußen [1903] S. 69 vortrefflich behandelten) Entwürfen (vgl. auch Stutz in Holtzendorff-Kohler’s Encyklopädie 1904, Bd. II, S. 899 ff.) und von gesetzlichen Maßnahmen in der Richtung der Befreiung der Kirche von der einseitigen Verstaatlichung, [251] bis dann die rheinisch-westfälische Kirchenordnung von 1835 und eine Königliche Verordnung vom 27. Juni 1845 auf diesem Wege einen wesentlichen Schritt vorwärts bedeuteten. Jener Ordnung lag die Presbyterial- und Synodalordnung zu Grunde, die, wenn auch nicht consequent durchgeführt, doch über dem Presbyterium der Einzelgemeinden Kreise und über diesen Provinzialgemeinden mit synodaler Organisation schuf. Weitere Bestrebungen bewegten sich in der Richtung, der H. zum Siege verhelfen sollte. Eine Ueberspannung des in der synodalen Organisation liegenden, auf volksthümliche Mitwirkung der Gemeindemitglieder gerichteten zukunftreichen Gedankens würde ebenso gut eine Verkennung der geschichtlichen Entwicklung und der historisch gewordenen Nothwendigkeiten bedeutet haben, wie die Uebertreibung des Consistorialsystems allem widersprach, was das neu erwachte kirchliche Leben, die politische Neugestaltung der veränderten Zeitbedingungen verlangte. Es entspricht ganz der eigensten Gedankenrichtung Herrmann’s, was in dem Entwurfe der ersten preußischen evangelischen Generalsynode 1846 enthalten ist und fruchtbar fortgewirkt hat: jene maßvolle Verbindung der beiden entgegengesetzt scheinenden Ordnungen. An den 1850 in Preußen neu errichteten Oberkirchenrath knüpfen sich auch Herrmann’s Hoffnungen auf eine dem innersten Bedürfniß der evangelischen Landeskirche entsprechende Verfassungsreform. Unermüdlich ist H. in ihrem Interesse thätig gewesen. Seine Grundansichten kommen besonders in den beiden Schriften des Jahres 1861 „Ueber den Entwurf einer Kirchenordnung für die sächsische Landeskirche“ und „Zur Beurtheilung des Entwurfs der badischen Kirchenverfassung“ zum Ausdruck. Classische Formulirung haben sie gefunden in der Schrift „Die nothwendigen Grundlagen einer die konsistoriale und synodale Ordnung vereinigenden Kirchenverfassung“ (1862). Ihr gebührt eine nähere Betrachtung.

Für H. ist es keine Frage mehr, ob der Dienst, den die Verfassung der Kirche begehrt, auf andere Weise, insbesondere durch bloße selbständige Gestaltung der Consistorien mittelst Beseitigung der Spuren des Territorialismus oder durch Wiederherstellung eines wahren Episcopats geleistet werden könne. Für ihn steht es fest, daß in der Verbindung der consistorialen und synodalen Ordnung die Aufgabe liegt, um welche sich die bauenden Kräfte zu scharen haben. Ihn beschäftigt bei diesen Auseinandersetzungen die Verfassung der Landeskirche als solcher, nicht die Verfassung ihrer Gliedtheile, der Gemeinden, nicht die Art der Einfügung der Landeskirche in den Gesammtkörper der evangelischen Kirche. Die Grundlage für die Verknüpfung der synodalen und consistorialen Ordnung könne nicht die bloß historische und deshalb äußerlich verbindende sein, derart, daß man an der Hand der Geschichte und Erfahrung durch Combination der beiden Verfassungstypen eine Einrichtung des evangelischen Kirchenregiments zu erreichen versucht, welche die eigenthümlichen Nachtheile eines jeden durch die Vortheile des anderen compensirt. Denn durch eine solche Verbindung würde der Widerspruch der beiden Typen nicht gelöst sein, sicher würde er schroffer in die Erscheinung treten. Anders sei es, wenn der Verbindung der beiden Ordnungen ein Princip zu Grunde gelegt werde. Daß es nicht das des „kirchlichen Constitutionalismus“ (Richard Rothe) ist, sucht H. mit vielem Geschick nachzuweisen. Kurzerhand dürfe man nicht bei der analogen Anwendung des Constitutionalismus auf die Kirche stehen bleiben. Denn in der Kirchengemeinde schon organisire sich die Idee der Kirche, nicht aber in der bürgerlichen Gemeinde die Idee des Staates. Auch sei die Vorstellung völlig unhaltbar, nach der das landesherrliche Kirchenregiment und die consistoriale Ordnung die kirchliche Ausprägung des monarchischen, dagegen die Synode die des parlamentarischen Elementes sei. Denn das Kirchenregiment [252] des Monarchen werde abgeleitet aus dem Rechte der Gemeinden, während Synode und parlamentarischer Körper nach Grund, Bestimmung, Attributen, Organisationsprincip, Stellung zu den Organen der Regierung durchaus verschieden seien. Das wahre Princip der evangelischen Kirchenverfassung und insbesondere der Verbindung der consistorialen und synodalen Ordnung könne nur ein individuell kirchliches, natürlich evangelisch kirchliches sein, das sogenannte Gemeindeprincip. Die Landeskirchen seien organische Verbindungen von Gemeinden zu einem gemeinsamen Kirchenregimente auf territorialer Grundlage, bei der es bleiben müsse, wenn der Landesherr als Organ auf die Dauer auch nicht sollte festgehalten werden können. Die Aemter in den Gemeinden sollen nicht in die Stellung von bloßen localen Ausführungsorganen der Landeskirche kommen. Für die Verbindung der consistorialen und synodalen Ordnung ergaben sich so einige Hauptforderungen. Der Träger des Kirchenregiments in der Landeskirche müsse als Subject eines kirchlichen Berufs erscheinen, welcher aus dem objectiven Grunde des Ungenügens der Einzelgemeinde zu seiner Erfüllung ein eigenes selbständiges Organ bekommen hat und deshalb auch die Mittel und Bedingungen seiner Führung über und gegen die Einzelgemeinden in sich trägt. Das Kirchenregiment ist nicht nur Mandatar der unter ihm verbundenen Gemeinden. Dieses Erforderniß erkennt die rein synodale Verfassung ebenso wie die consistoriale an, nicht minder das weitere, daß der Träger des Kirchenregiments, wie seine Function und Aufgabe stets vorhanden, ständig sein müsse, also nicht bloß durch zeitweisen Zusammentritt räumlich zerstreuter Personen gebildet wird. Hier kommt das Bedürfniß nach dem sog. consistorialen Element zur Geltung. Endlich bedarf es der Ausprägung des gemeindlichen Charakters der Verfassung; das Consistorium verlange die Synode, erst beide zusammen bilden den vollständigen, dem Principe des landeskirchlichen Verbandes entsprechenden Organismus.

Immer klangvoller wird Herrmann’s Name in der Gelehrtenwelt und in der evangelischen Kirche, immer größer die Achtung seiner Berufsgenossen – mehrmals wählt ihn die Universität Göttingen zum Rector. Trotzdem gelingt es 1868 der Universität Heidelberg, ihn zu gewinnen. Durch das Vertrauen des Großherzogs wird er zum Mitglied der Ersten Kammer ernannt, ist für wichtige Fragen als Berichterstatter thätig z. B. bei der hinsichtlich des Zutritts Badens zum deutschen Strafgesetzbuch, bei der über die Zulässigkeit katholischer Orden für den Volksunterricht u. a. m. Das Jahr 1869 bringt noch eine Arbeit von staatsmännischer Weisheit und wissenschaftlicher Meisterschaft: „Das staatliche Veto bei Bischofswahlen nach dem Rechte der oberrheinischen Kirchenprovinz“. In dem Streite über die Wahl des Erzbischofs von Freiburg hat er das Recht des Staates gegen ultramontane Ansprüche vertheidigt. Der aus den Arbeiten seiner langjährigen Docentenzeit entstandene „Grundriß zu Vorlesungen über das deutsche Strafrecht“ bildet 1871 die letzte seiner litterarischen Leistungen als Professor. Denn 1872 wird er – nach v. Bethmann-Hollweg und Nitzsch – zum Präsidenten des evangelischen Oberkirchenraths in Berlin ernannt und gilt als die Seele derjenigen Bewegung, deren Ziel es war, durch Ueberwindung der einseitigen consistorialen und der presbyterial-synodalen Elemente ein Verbindungswerk herzustellen, das für die evangelische Kirche am Ende des 19. Jahrhunderts unentbehrlich schien. Die Kirchengemeinde- und Synodalordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen vom 10. September 1873 gilt als sein Werk, ohne daß die verständnißvolle und treue Mitwirkung des Ministers Falk gering geschätzt werden dürfte. Das Staatsgesetz vom 3. Juni 1876, betr. die evangelische Kirchenverfassung in [253] den acht älteren Provinzen bedeutet die Krönung seines Lebenswerkes. Nicht lange konnte er sich dessen erfreuen. Seine Kirchenreform wurde von der sog. strengen Orthodoxie als zu liberal bekämpft. Seine Entlassung im März 1878 war die Folge von Machenschaften seiner erbitterten und kurzsichtigen Gegner. Er zog sich erst nach Heidelberg, dann nach Gotha zurück, wo er am 16. April 1885 starb.

Die Bedeutung seines Werkes ist aber, unabhängig von jedem religiösen Standpunkte, nicht hoch genug zu veranschlagen. Das, was die Reformatoren nicht erreichen konnten, nämlich der Kirche eine feste, zeitgemäße Verfassung zu geben, das war H. – freilich getragen von der Zeitströmung und dank mancher Vorarbeiten und Mithelfer – zu vollenden vergönnt. In der klaren Erkenntniß der geschichtlichen Bedingungen einer richtigen Vereinigung der consistorialen und der presbyterial-synodalen Elemente liegt auch die Kraft der neuen Verfassung. Mäßigung ist ihr Kennzeichen und ihre Concordanz auch mit den politischen verfassungsrechtlichen Zuständen unverkennbar. Mag H. es für nothwendig gehalten haben, nicht die Verwandtschaft des presbyterialen und des constitutionellen Elements, sondern ihre Unterschiede zu betonen, so war doch gerade jene in der Oeffentlichkeit mehr empfunden worden und diente zum Hebel für die Verwirklichung der Reform.

Ein Werk von solcher Tragweite konnte nur ein Mann von hoher geistiger Bedeutung vollbringen, der gleichzeitig eine lautere, hochragende Persönlichkeit war. Seiner wissenschaftlichen Werke ist bereits gedacht worden. Er war aber nicht nur Gelehrter, sondern auch ein beliebter, erfolgreicher Docent, galt lange als einer der ersten Kirchenrechtslehrer Deutschlands, den Wenigen, mit denen er verglichen werden kann, überlegen durch eine bei einem Juristen angeblich seltene Einsicht in Wesen und Princip des Protestantismus, durch seine nicht bloß historische Bildung, sondern durch seine lebendige Erfassung der Ideen der evangelischen Kirche und ihrer Aufgaben. Als ein schöpferischer, bauender, nicht bloß kritischer oder historisch referirender Geist wird er bezeichnet.

Seine Persönlichkeit kennzeichnet mit knappen Worten die schon eingangs erwähnte anonyme Skizze von 1872 dahin: „Er war ein Mann von schlichter aufrichtiger Gottesfurcht, wurzelnd in evangelischen Ueberzeugungen, aber ohne alle Enge, vielmehr fähig und geneigt, das Gesund-Christliche in jeder Richtung zu ehren, wobei er von einem sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und seiner Abneigung gegen alles faktiose Parteiwesen unterstützt wird“. Abgerundet wird sein Bild durch eine dankenswerthe briefliche Mittheilung des Hrn. Oberconsistorialraths D. Th. Braun in Hildesheim. Sein Urtheil, das er sich in langjährigen, bis 1855 zurückreichenden Beziehungen, als Schüler und schließlich als Amtsgenosse im Berliner Oberkirchenrath gebildet hat, faßt er dahin zusammen: „Er war eine durch und durch edle, vornehme Natur, voll Thatkraft und Glaubensmuth, reichsten Wissens, ideal gerichtet, aber doch praktisch verständig; ein Mann, der auf alles Gemeine und Schlechte mit stolzer Verachtung herabsah und daraus allerdings auch kein Hehl machte. Er konnte bei Gelegenheit schroff sein und in einen für manchen vielleicht unsympathischen docirenden Ton verfallen. Die Anfeindungen und Kabalen jedoch, mit denen er im Amte zu kämpfen hatte und denen er endlich ja auch unterlag, galten weit mehr seinen Tugenden als seinen Schwächen“.