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Artikel „Gossenbrot, Sigismund“ von Friedrich Roth in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 475–477, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gossembrot,_Sigmund&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 22:12 Uhr UTC)
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Gossenbrot: Sigismund G. ist der Sprosse einer der ältesten Augsburger Geschlechterfamilien. Er wurde geboren im J. 1417, vermählte sich 1436 mit der aus einem ansehnlichen und reichen Hause stammenden Ursula Arzt, studirte in Wien, wo er das Baccalaureat erwarb, widmete sich, einer Handelsgesellschaft beitretend, dem Kaufmannsberufe und erscheint von den vierziger Jahren an als Mitglied des Stadtrathes, in welchem er 1457 das Amt eines Sieglers, 1458 das eines Bürgermeisters, 1459 wieder das eines Sieglers bekleidete; in den Jahren 1460 und 1461 wird er als Mitglied des „kleinen Rathes“ aufgeführt. Die letzten Jahre waren kriegerisch und unruhig gewesen, noch schlimmeren Zeiten sah man entgegen, und dies mag wenigstens mit dazu beigetragen haben, ihn zu bewegen, daß er am 22. December 1461 vor dem Rathe erklärte, er wolle, nachdem er all sein Hab und Gut seinen Söhnen übergeben habe, „von seiner Seele Seligkeit wegen“ sich „mit seinem Wesen anderthalben enthalten“ und sein Bürgerrecht aufgeben, was er, trotz der Bitte des Rathes „dieses Vorhaben länger zu bedenken“, auch ausführte, um sich in das Kloster der Johanniter zum grünen Wörth in Straßburg zurückzuziehen. Sein Todesjahr ist nicht bekannt, das letzte uns bekannte Lebenszeichen ist aus dem Jahre 1488.

G. ist beachtenswerth als eine der hervorragendsten Persönlichkeiten unter den Repräsentanten des deutschen Frühhumanismus. Er wurde zum ersten Male in helleres Licht gestellt von Wattenbach, der ausführliche Mittheilungen aus Gossenbrot’s Briefwechsel mit dessen früherem Lehrer, dem Wiener Professor Konrad Säldner, veröffentlichte. Diese Briefe sind interessante Documente, [476] insofern sich in ihnen der tiefe Gegensatz zwischen der durch die historische Autorität gefestigten Lebens- und Studienweise des Mittelalters und der neuen, revolutionär sich dagegen erhebenden humanistischen Richtung im engen Rahmen eines individuellen Meinungsaustausches auf das anschaulichste offenbart. G. zeigt sich darin als begeisterter Anhänger und Vorkämpfer der „Poeten“ und ihrer schimmernden Eleganz, während Säldner in ihrem Auftreten und ihren Leistungen fast nur Abstoßendes zu erblicken vermag: ihr Stil erscheint ihm geziert und anspruchsvoll, der Inhalt ihrer Erzeugnisse inhaltslos und windig, die daraus sprechende Denkweise überspannt und dünkelhaft, ihr ganzer Charakter unzuverlässig und zweideutig. Auf G. selbst waren diese Vorwürfe wol nicht gemünzt und wären bei ihm auch nicht zutreffend gewesen; denn seine Bildung ruhte bei all seiner Verehrung für die classische Latinität doch wesentlich auf scholastischen Grundlagen, seine Persönlichkeit deutet, so weit wir sie zu erfassen vermögen, auf einen achtenswerthen, tüchtigen Charakter, und von der Gefahr mit dem Christenthum und der Kirche zu zerfallen, war der Mann, der seine glänzende äußere Stellung in der Blüthe der Lebensjahre mit der Stille des Klosterlebens vertauschte, doch weit entfernt.

Von eigenen Erzeugnissen sind nur seine Briefe – nur wenige scheinen sich erhalten zu haben – und einige „Dichtungen“ zu nennen, und auch diese sind nicht geeignet, uns für seinen lateinischen Stil in Prosa und Vers besonders hohe Achtung einzuflößen. G. war eben eine durchaus receptive Natur, die es sich genügen ließ, sich an dem Vorhandenen zu erfreuen, Zerstreutes zu sammeln und Andere zur Production anzuregen. Er legte sich, hauptsächlich in Straßburg, theils durch Erwerbung von Büchern und Handschriften, theils durch Abschriften von solchen in Sammelbänden eine für seine Zeit bedeutende Bibliothek an, in welcher scholastische und humanistische, frühchristliche, mittelalterliche und zeitgenössische Autoren in bunter Mischung vertreten waren. Mit vielen Zeitgenossen, die in der Gelehrtengeschichte genannt werden, stand er in freundschaftlichem Verkehr, so mit Ludwig Rad, Valentin Eber, Johann Rot, Niclas von Wyle, Peter Luder, Hieronymus Rotenpeck von Rebdorf, Thomas Oedenhofer aus München, Wilhelm von Reichenau (später Bischof von Eichstätt), Hartmann Schedel, mit dem er nach manchen Richtungen hin viel Aehnlichkeit besitzt, mit Peter Schott, Geiler von Kaisersberg, Bohuslaw von Lobkowitz, Ludwig Dringenberg und Anderen. In besonders innigem Verhältniß aber stand er zu dem bekannten Benedictiner Sigismund Meisterlin, der mit ihm öfter gemeinsame Studien betrieb, ihm bei der Anlegung seiner Sammelbände behülflich war und von ihm die Anregung zu einem seiner Erstlingswerke, zu seiner „Chronographia Augustana“, „dem ersten humanistischen Geschichtsbuch in Deutschland“, empfing.

Von seinen Söhnen widmeten sich zwei, der älteste, Ulrich, und der jüngste, Georg, mit Eifer und Erfolg den humanistischen Studien auf italienischen Universitäten. Ulrich, ein sehr begabter junger Mann, auf den der Vater wol große Hoffnungen setzte, wurde Chorherr zu St. Moritz und Mitglied der kaiserlichen Kanzlei und starb, noch in jungen Jahren, 1465 zu Rom. Georg kam zu hohen Ehren, zuerst im Dienste Herzog Sigmund’s von Tirol, dann im Dienste König Maximilian’s; er war Pfleger zu Ehrenberg, einem der bevorzugtesten Jagdreviere des Königs, Haupt der „Raitkammer“ in Tirol, ein geschickter und wohlerfahrener Finanzmann, der die Interessen seines Herrn mit Energie zu wahren wußte, und starb im J. 1502 unter Umständen, die den Verdacht aufkommen ließen, er sei durch seine vielen Feinde vergiftet worden. Mit ihm endete der männliche Stamm seines Hauses. [477] Seine Gemahlin Kunigunde, eine geborene Egenberger († 1520), brachte ihr und ihres Mannes Andenken durch eine wohlthätige Stiftung vom Jahre 1508 auf die Nachwelt. Ein dritter Sohn des alten G., nach dem Großvater und dem Vater Sigmund benannt, war wie der letztere von Beruf Kaufmann und spielte eine hervorragende Rolle im Stadtregiments seiner Vaterstadt, indem er mit dazu beitrug, den berüchtigten Bürgermeister Ulrich Schwarz zu stürzen; von 1484 an bis zu seinem Tode im J. 1500 nahm er in allen Jahren mit gerader Zahl die Stelle eines Bürgermeisters ein. Von den vier Töchtern unseres Humanisten wird Sibilla, die an einen Langenmantel von Radau verheirathet war, als Freundin der Musik und als dichterisch begabt gerühmt.

Wattenbach, Peter Luder in d. Zeitschr. f. die Geschichte d. Oberrheins Bd. XXII (1869), wo im Anhang mehrere Handschriften aus d. Münchener Staatsbibliothek aufgeführt sind, die sich auf Gossenbrot und seine Söhne beziehen oder von ihnen herrührende Schriftstücke enthalten; – Derselbe, Sigismund Gossenbrot als Vorkämpfer der Humanisten und seine Gegner, ebenda Bd. XXV (1873). – Lier, Der Augsburger Humanistenkreis mit besonderer Berücksichtigung Bernhard Adelmann’s von Adelmannsfelden in der Zeitschr. d. hist. Vereins f. Schwaben u. Neuburg, Jahrg. 1880. – Joachimsohn, Aus der Bibliothek Sigismund Gossenbrot’s im Centralblatt f. Bibliothekswesen Bd. XI (1894), Heft 6 u. 7; – Derselbe, Hermann Schedel’s Briefwechsel in der Bibliothek des litter. Vereins in Stuttgart, Bd. 196 (1893); – Derselbe, Frühhumanismus in Schwaben in den Württembergischen Vierteljahrsheften, Jahrg. 1896. – Ueber Georg Gossenbrot s. Ladurner, Zeitschr. des Ferdinandeums, 3. Folge, 16. Heft. – Ulmann, Kaiser Maximilian I., Bd. I (1884), S. 818.