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Artikel „Meisterlin, Sigmund“ von Franz Xaver von Wegele in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 264–266, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Meisterlin,_Sigmund&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 16:21 Uhr UTC)
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Meisterlin: Sigmund M., Geschichtschreiber. Geburtsjahr und Geburtsort sind nicht überliefert, doch dürfte M. nicht früher als im zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts geboren und seine Heimath mit ziemlicher Sicherheit irgendwo in Schwaben zu suchen sein. 15 Jahre alt trat er in das Benedictinerkloster St. Ulrich und Afra zu Augsburg ein und hier hat er, Priester geworden, so weit man sehen kann, die nächsten 20 Jahre seines Lebens zugebracht. An Gelegenheit zu gelehrter Ausbildung hat es ihm in dem Kloster nicht gefehlt, und hat er sich, wie seine Schriften beweisen, eine nicht gewöhnliche Kenntniß der classischen, beziehungsweise der römischen Litteratur erworben. Die frischen humanistischen Impulse, die eben von Italien herüberdrangen, sind an ihm offenbar nicht wirkungslos vorübergegangen. So hat es denn auch nicht lange gedauert, so trat er als Schriftsteller auf und verfaßte, auf den Wunsch des Augsburger Bürgermeisters Sigmund Gossenbrot, eine „Chronographia Augustensium“, die er, nach dem Datum der Widmung zu schließen, im Juni 1456 vollendete. Gleich darauf fertigte er eine deutsche Uebersetzung des größeren Theiles derselben an und überreichte sie im Anfange des Jahres 1457 dem Rathe von Augsburg. In dieser letzten Gestalt hat sich die Chronik eine gewisse Beliebtheit errungen und ist 1502 gedruckt werden. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gemessen, besteht sein Werk freilich nicht in dem gleichen günstigen Grade die Probe. Sie behandelt nur die älteste und ältere Geschichte der Stadt vom gelehrten antiquarischen [265] Gesichtspunkte aus, verfährt aber mit viel zu wenig Kritik und läßt zugleich den erbaulichen Zweck gar behaglich walten. Die lateinische Redaction schließt mit dem Jahre 1425, die deutsche, wie man vermuthet nicht ganz zufällig, bei den Anfängen Kaiser Ludwig des Baiern. Gleich nach der Vollendung dieser Chronik trat M. eine Reise über die Alpen an und finden wir ihn in Pavia, wo er mit dem jungen Gossenbrot zusammentraf, der zugleich in einem erhaltenen Schreiben an seinen Vater, bei aller Anerkennung der gelehrten und litterarischen Verdienste des Mannes, kein sehr schmeichelhaftes Bild von dem Charakter desselben entwirft. Für die Förderung der gelehrten Bildung Meisterlin’s wird dieser Aufenthalt in Pavia nicht ohne Förderung geblieben sein, obwol uns Näheres darüber nicht überliefert ist. Da ihm später gelegentlich der Titel eines Magisters ertheilt wird, dürfte man annehmen, daß er denselben vielleicht eben dort erworben hat. Von nun an verlassen uns auf fast zwei Jahrzehnte die Nachrichten über M. und bleiben wir auf bloße Vermuthungen angewiesen. Wie lange sein Aufenthalt in Italien gedauert hat und wann er nach Deutschland zurückgekehrt ist, wissen wir nicht. Möglich, daß in die nächsten Jahre sein Verweilen im Kloster zu St. Gallen fällt, wo er, seiner eigenen Erzählung zufolge, einmal eine Zeit lang das Amt des Novizenmeisters bekleidet hat. Erst im J. 1476 taucht er als Domprediger in Wirzburg auf. Seinem Orden und dem Kloster zu Augsburg hat er, wie es scheint, sich darum nicht entfremdet, denn noch in den letzten Jahren seines Lebens steht er in den vertraulichsten Beziehungen zu demselben. Was ihn bewogen haben mag, den sicheren Hafen der stillen Klosterzelle mit der stürmischen See des Lebens in der Welt zu vertauschen, entzieht sich, soweit nicht seine unverkennbare unstete Natur in Frage kommt, schlechterdings unserer Kenntniß. Eine Einwilligung seiner klösterlichen Vorgesetzten muß jedoch ohne Zweifel angenommen werden. In Wirzburg versah er das ihm anvertraute Amt mit Erfolg, richtete aber nachweisbar sein Auge zugleich auf eine bessere Pfründe. Deutlicher freilich sind wir darüber nicht unterrichtet. Gewiß ist aber das eine, daß er nach einiger Zeit Wirzburg verließ und als Prediger bei St. Sebald in Nürnberg angestellt wurde. Dieses muß anfangs des Jahres 1478 geschehen sein; im October desselben Jahres erscheint er bereits mit einem Predigermönche der Stadt im offenen Streit, der sogar auf der Predigtkanzel geführt wurde, und mußte der Rath dagegen einschreiten; die erwähnten ungünstigen Andeutungen des jungen Gossenbrot über Meisterlin’s Charakter scheinen demnach und nach manchen anderen Anzeichen nicht unbegründet gewesen zu sein. – Neben dem Predigtamt zu St. Sebald erhielt M. vor dem 8. October 1481 die Pfarrei zu Lautenbach, die er zu eben dieser Zeit mit Einwilligung des Rathes mit der von (Groß-)Gründlach (bei Nürnberg) vertauschte und bis in das Jahr 1488 hinein behielt. (An welches Laudenbach oder Lautenbach aber gedacht werden muß, steht dahin; der Zusammenhang der Dinge zwingt an einen Ort dieses Namens im Umkreis von Nürnberg zu denken; das Laudenbach bei Miltenberg will so wenig stimmen als ein anderes dieses Namens; wahrscheinlich ist Leutenbach bei Forchheim gemeint.) Vermuthlich bald nach seiner Uebersiedlung nach Nürnberg übernahm er den ihm von ein paar Patriziern ertheilten Auftrag, eine Geschichte der Stadt zu schreiben, wie er ja bereits eine solche von Augsburg verfaßt hatte. Er wurde zu diesem Zweck mit den nöthigen Mitteln unterstützt, um Nachforschungen in verschiedenen Bibliotheken, wie zu Nieder-Altaich und von St. Emmeran in Regensburg anzustellen. Seiner gelehrten Kenntnisse wegen wurde er in Nürnberg selbst von den gebildetsten Männern der Stadt, wie Hartmann Schedel, Georg Alt, Sebald Schreyer etc. hinlänglich geschätzt, aber dieses hinderte nicht, daß er zugleich fortgesetzten Anfeindungen ausgesetzt war, an welchen er selbst [266] wahrscheinlich nicht ganz ohne Schuld war. Er zog es daher vor, auf seiner Pfarre zurückgezogen zu leben und so selten als möglich in die Stadt zu kommen. Hatte man ihm hier doch sogar Steuern abgefordert und er darum, wie er klagt, mit die kostbarsten Bücher seiner Bibliothek verkaufen müssen. Bei dieser unerquicklichen Lage hat er sich wieder an die glücklicheren Zeiten seines Aufenthaltes im Kloster zu Augsburg lebhaft erinnert und das offenbar nie ganz unterbrochene Verhältniß zu demselben wieder fester geknüpft. Es sind überdies Actenstücke vorhanden, die dafür zeugen, daß er in dieser Zeit an dem Schicksale des Klosters und der Wiederherstellung des vorübergehend daselbst gestörten inneren Friedens die aufrichtigste Theilnahme bezeigt hat. Bereits im J. 1481 verfaßte er im Auftrage des Abtes ein „Chronicon Augustanum ecclesiasticum“ und gleich darauf den „Index monasterii SS. Udalrici“, dessen Vorwort von Gründlach uns datirt ist. Beide Arbeiten sind nahe mit einander verwandt, die spätere eine verbesserte Umarbeitung der früheren und in der That in der Hauptsache eine gelungene Geschichte der Abtei. Im J. 1488 vollendete M. die Chronik von Nürnberg, zuerst in lateinischer, dann auch in deutscher Sprache und empfing dafür die in Aussicht gestellte klingende Belohnung. Die lateinische Redaction ist indeß erst im 18. Jahrhundert, die deutsche erst vor zwei Jahrzehnten zum Druck gelangt. Der Werth derselben steht mit der Augsburger Chronik auf ziemlich gleicher Höhe. Die ältere Geschichte wird gegenüber der neueren bevorzugt, mit Hintansetzung der Kritik ausgemalt, das Werk ist aber vor Allem aus dem Grunde wichtig, weil es auf lange hinaus die Nürnberger Geschichtschreibung beherrscht hat. Bald darauf (1488) hat M., unstät wie er war, die Pfarrei Gründlach mit der von Feucht (ebenfalls in der Nähe von Nürnberg) vertauscht und ist die gelegentliche Erwähnung dieser Thatsache die letzte Nachricht, die wir überhaupt über ihn haben. Man wird annehmen dürfen, daß er nicht allzulange darauf gestorben ist.

Vgl. Deutsche Städtechroniken, Bd. I, III und IV, und Forschungen zur Deutschen Geschichte, Bd. XII, S. 658–666.