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Artikel „Friese, Leopold August“ von Rudolf Müller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 84–87, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Friese,_Leopold_August&oldid=- (Version vom 10. Oktober 2024, 04:24 Uhr UTC)
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Friese: Leopold August F., Maler, geb. als Sohn eines Schuhmachers am 27. Januar 1793 in Neu-Ehrenberg, Bezirk Schluckenau im Norden von Böhmen, † 1842 in Prag, kam erst nach längeren Irrgängen durch Schreiner-, Drechsler- und Staffirwerkstätten im 23. Lebensjahre an die Prager Malerakademie, wo sein Talent sich dann um so rascher und glänzender entwickelte. Bald der hoffnungsvollste Schüler Berglers, blieb es blos noch dem drei Jahre später eintretenden Führich vorbehalten, ihn zu überflügeln. Während ihres gemeinsamen Studienweges sich also stetig messend und vorwärts drängend, verblieb es doch nach wie vor beim edlen, künstlerischen Wettstreite. Deutliche Bestätigung hiefür geben ihre in weiterer Folge gemeinschaftlich ausgeführten Arbeiten. Einer wie der andere genöthigt, über die Schulstudien hinaus ein Uebriges zu thun, für hinreichende Deckung ihrer Existenzbedürfnisse, begegneten sie sich denn auch friedlichst auf der Suche nach Bestellern bei Kunsthändlern und Verlegern, welche diesem collegialen Vorgehen sofort das Richtige abzugewinnen wußten, nämlich größere Bilderwerke mit Zutheilung von Aufgaben an den Einen und Anderen. Das erste dieser Werke erschien 1819 unter dem Titel: „Das Kriegswesen der Römer“ mit 62 Kupferstichen in Großfolio herausgegeben [85] von Aug. Jos. Mitterbacher; erklärt und geordnet von Dr. und Professor Ottenberger, Verlag von P. Bohmann’s Erben in Prag (vgl. den Art.: G. Döbler). Diesem folgten als zweiter Band: „Treue Abbildungen egyptisch-griechisch-römischer Alterthümer; der Priesterstand der Römer und ihre Gebräuche; Bilder der antiken Gottheiten, Weisen, Helden, Spiele, Feste“ etc. Bedeuten diese Publicationen überhaupt schon das vorragendste, was seit dem Rückgange der Kunst in Prag nach der Glanzperiode unter Rudolph II. hier wieder zu Tage kam, so interessirt jetzt noch ganz besonders das damit constatirbare erste öffentliche Auftreten von zwei der genialsten Künstler der Neuzeit Böhmens. Selbstverständlich benützten sie gegenstandsgemäß das Hülfsmaterial der Antikencabinette und älterer Sammelwerke. Doch wahrten sie bei dieser Benutzung immer noch so viel von ihrer Selbständigkeit, daß beide in voller Eigenart erkennbar werden und zu beurtheilen bleiben. Absehend hier von den überraschend schön componirten drei Bildern Führich’s (Nr. 5, 59 u. 60) im ersten Theile, steht Friese namentlich mit den Darstellungen: „Socii et Auxiliares Romanorum“, „Reges captivi cum familia“ und „Tubicines et citharedi“ seinem Rivalen in schön ausgeprägter Originalität gegenüber. Fast überwiegend durch Fühligkeit für Gestaltung antiken Lebens verhält er sich zu ihm im folgenden Theile. Hier fesselt unter den zur Schau gebrachten „Göttern“ insbesondere: „Ares vel Mars“, gerüstet als Gott des Krieges vom Olymp niederschwebend, um sein bereit stehendes Gespann zu besteigen, dem Bellona Geißel und Fackel schwingend vorausstürmt. Trefflich charakterisirt sind gleichfalls der waffenschmiedende „Vulcanus“ und „Mercurius Nekropompos“, geflügelten Schrittes die ihm nachhuschenden Geister der Verstorbenen zum Nachen Charons geleitend. Unter den Heldenbildern ragt wieder das von „Tiberius Grachus“ durch dramatisch wirksame Anordnung vor. Ein weiteres gemeinschaftlich ausgeführtes Bilderwerk führt den Titel: „Bildliche Darstellungen der Geschichte des alten Testaments“, in erster Auflage in 8° mit Text von Jos. Deveri 1827 bei Joh. Pachmayer in Prag erschienen. Eine zweite, durch Bilder zum neuen Testament vermehrte Auflage mit Text von C. Hanl, nachher Bischof von Königgrätz, datirt von 1828. Die Mitarbeit Friese’s beschränkte sich innerhalb der Bücher Moses auf „Die Sündfluth“, „Drei Jünglinge bei Abraham“ und „Auszug Lots aus Sodoma“, während die vorangehenden und nachfolgenden Bilder Führich angehören; Friese illustrirte dafür ausschließlich das Buch der Richter, Ruth, Samuel, das Buch der Könige, Tobias, Judith, Esther, Job, Daniel und das der Machabäer. Die vorragendsten Darstellungen sind der pfeilschnellende Jonathan, Salomon’s Urtheil und die Mutter der Machabäer. Mit diesen beiden Werken erscheint zugleich die eigentlich akademische Periode beider abgeschlossen. Denn bis dahin noch im erkennbaren engeren Zusammenhange mit bestimmten Schulformeln, gelangten sie offenbar erst über der fortgesetzten Concurrenz in die ihrer Natur zusagende Freizügigkeit. Controlliren wir aber gelegentlich dieses einstweiligen Abschlusses das Gebahren der merkwürdigen Kunstdioskuren, dann ergibt sich beiläufig: F. stand dermal Führich gegenüber, wie etwa ein, in hastig geistreicher Rede übersprudelnder zu einem, der in gemessen klaren Worten sein Denken und Fühlen ausspricht. Indeß Führich vermöge der schon im Vaterhause geübten Kunstpraxis mit ruhiger Sicherheit die Form beherrscht, zeigt der verspätet an sein Strebensziel gelangte F. ein andauernd unsicheres Hasten nach zusagender Form und streift darüber allzu oft ans Bizarre; wird nur dort recht genießbar, wo er es über sich gewinnt, den Stoff frei von der Sucht nach Außerordentlichem, mit der ihm eigenen liebenswürdigen Naivetät zu gestalten. – Wol liegen dem Calcul vorläufig meist nur mittelmäßige Stiche zu Grunde, es bedarf daher noch des Zurückhaltens mit dem letzten Worte bis zu directen Emanationen. Diese [86] liegen dann in einer Reihe, ebenfalls concurrent entstandener Compositionen zur Geschichte Böhmens vor. Veranlaßt durch die kunstthätige Verlagshandlung von Pet. Bohmann’s Erben, präsentirt dieses über 70 Blatt, 35 Cm. breite, 26 Cm. hohe Lithographien umfassende Bilderwerk, mit Text von W. Hanka, eine Art von Pantheon aller bis dahin der Prager Akademie entwachsenen Künstler und zwar einschließlich ihres Directors Bergler. Auf den Ehrenplätzen sitzen allerdings wieder F. und Führich; diesem fielen 25, jenem 15 Compositionen zu. Der erstere zeichnete sie sämmtlich eigenhändig auf Stein; der letztere zum größten Theile. Beide zeigen sich uns somit unverfälscht und autographisch. Das Ergebniß des gegenseitigen Abwägens ist deshalb auch ein thatsächlich verschiedenes. Während Führich jetzt sichtlich zu kämpfen hatte, die ihm seither geläufig gewordenen „biblischen“ Formen zu überwinden und halbwegs sich der von der Aufgabe bedingten realistischen Auffassung anzubequemen, stand F. schon bei seinem ersten Bilde „Scharka überlistet den Ctirad“ mitten im frischesten Realismus. Wie trefflich angethan für die Ueberlistung des arglosen Ctirad ist diese geilgestaltige Scharka; wie so ganz veritabel besoffen zeigen sich dessen Begleiter, indeß Hyänen gleich die „böhmischen Amazonen" im Dickicht lauern, gewärtig des verabredeten Signales zum Vorbrechen und Morden der Ueberlisteten. Meisterlich ist dem Ganzen auch die Landschaft angepaßt. Beinahe wäre anzunehmen, Führich sei von dieser Leistung seines Commilitonen überrascht, in eine andere Richtung getrieben worden. Denn schon in den anschließenden, ebenfalls mit dem sagenhaften „Mädchenkriege“ verknüpften Zeichnungen zeigt er im Vergleiche zu den vorausgehenden vollständig verschiedene Factur. Gewichtiger noch wie mit dem keck concipirten Scharkabilde concurrirt F. mit den in ruhiger Gemessenheit behandelten Themen: „Spitihnew hält am Stadtthore Gericht“, „Die Bekehrung der heidnischen Preußen durch Přemysl Otakar I.“ und „Einzug Johanns von Luxemburg nach Prag“. Außer diesen machen sich durch lebensvolle, obschon allzu bizarre Charakteristik bemerkbar: „Die Entdeckung der Heilquelle Karlsbad durch Karl IV.“, „Niederlage der Sachsen“ und „Wenzel im Hoflager vor Ofen“. – In Fortsetzung dieses geistigen Wettkampfes tritt Führich in eine neue Phase, in die des Anerkennens und Aufnehmens der markigen Stilformen Dürer’s, indeß F. sich weder zu einer normativen Stilistik, noch zum reinen Naturalismus durcharbeitet, vielmehr allmählich verwildert. Unzweifelhafte Merkmale sprechen zwar dafür, daß auch F. zeitweilig Vorbildern nachging, vornehmlich den individuell zusagenden Sprangers. Begreiflich bewirkte der Anschluß an diesen aber gerade das Entgegengesetzte, anstatt zum Stilisten vollendete er sich nur zum Manieristen – für welchen es keinen Ausweg mehr gab, weder zu den Classikern noch zur Natur. Vollen Behagens endlich eingelebt in seiner knitterreichen, geschraubten Formbildung, unterstützt dabei von einer ungemein fertig zeichnenden Hand, verlor sich bei ihm je weiter desto gründlicher auch die Lust am Malen. So allem, was Gemälde hieß, feind, schließlich umgangscheu geworden, kam F. für Collegen und Freunde gänzlich außer Sicht, einzig tauchte da und dort bei den kleinen Verlegern noch irgend eine Vignette oder ein Wallfahrtsbildchen in der Kennzeichnung seiner Manier auf. Das fast Unglaubliche war geschehen, der geniale F. war verschollen. Ein Jahrzehnt nach dem Bekanntwerden mit seinen hochinteressanten Bildern zur Geschichte Böhmens erblickte ich zufällig bei einem Kupferstecher eine Suite kleiner äußerst sorgfältig in Tusch ausgeführter Legendenbilder und erkannte sogleich F. – den Vergessenen – in seiner ganzen, doch immer noch interessanten Verirrung wieder. Auf meine Frage, wo lebt er, wie steht es um ihn? wurde mir die Auskunft: er starb vor acht Tagen, ohne daß Jemand davon wußte, in größter Noth! Neben der Pflicht des Kunsthistorikers folge ich auch noch einer Mahnung [87] des greisen Führich, die dieser kurz vor seinem Scheiden an mich gelangen ließ, für F., den seither verschwiegenen und darum in der Gegenwart vergessenen, den wohlverdienten Ehrenplatz in Anspruch zu nehmen.