ADB:Franz Wilhelm von Wartenberg
Benno als der bedeutendste Bischof dieses Hochstiftes zu bezeichnen, weil er nicht nur wie die meisten seiner Vorgänger und Nachfolger in die große Politik Deutschlands, ja Europas verwickelt wurde, sondern sogar mehrfach selbstthätig darin eingriff. Da jedoch über die Ereignisse seiner Zeit Auskunft gebende Quellen bis jetzt überhaupt nur in geringer Zahl veröffentlicht sind, sein umfangreicher mit vielen bedeutenden Männern seiner Zeit geführter Briefwechsel aber überhaupt noch der Publication harrt (dieselbe ist als ein Theil der Publicationen aus den Preußischen Staatsarchiven in der [186] Vorbereitung), ist seine Bedeutung bis jetzt noch wenig gewürdigt worden, und die Darlegung derselben begegnet erheblichen Schwierigkeiten.
Wartenberg: Franz Wilhelm Graf von W., der 59. Bischof von Osnabrück, ist neben dem heiligenFranz Wilhelm war der älteste Sohn – 2 ältere Kinder waren Töchter – des Herzogs Wilhelm von Baiern[WS 1] aus seiner morganatischen Ehe mit Maria Pettenbeckin und wurde am 1. März 1593 in München geboren. Sein Vater hatte sich in den Truchsessischen Wirren am Rhein und in Westfalen als eifriger und erfolgreicher Vorkämpfer der alten Kirche einen berühmten Namen gemacht. Er zog sich aber nach seiner Verheirathung aus dem Getriebe der großen Welt zurück und lebte, den Überlieferungen seines Hauses getreu, der Förderung und Stärkung der katholischen Kirche und der diese Förderung besonders als ihre Aufgabe betrachtenden Orden. Obwol er schon am 30. Januar 1608 frühzeitig verstarb, blieb seine Richtung für die Erziehung seiner Söhne und Töchter, welche die Mutter und sein Vetter Herzog Maximilian in die Hand nahmen, maßgebend, und es ist charakteristisch, daß die Schwestern Franz Wilhelm’s alle Ordensschwestern wurden, und von den drei zu höheren Lebensalter heranwachsenden Brüdern nur einer von Haus aus den weltlichen Stand erwählte. Trotzdem daß der regierende Herzog Wilhelm mit der Ausstattung seines Bruders bei seiner Verheirathung nicht gerade gekargt hatte und auch später noch für die Neffen sorgte, waren die Verhältnisse der Familie keineswegs glänzend. Franz Wilhelm wurde von 1601 ab bei den Jesuiten in Ingolstadt vorgebildet und siedelte 1608 auf sechs Jahre nach Rom als Zögling des deutsch-ungarischen Collegiums über. Dort hat er die Eindrücke gewonnen, welche für sein ganzes Leben bestimmend wurden. Er fühlte sich stets als Vorkämpfer der durch das Papstthum vertretenen alten Kirche und zwar auch da, wo er weltliche Interessen zu verfolgen hatte und zu verfolgen schien. In zweiter Linie war er Verfechter der von der bairischen Partei stellenweise ganz besonders stark betonten Bestrebungen zur Erhaltung der Selbstständigkeit der Reichsfürsten gegen deren Vergewaltigung durch die spanische-östereichische Weltmacht der Habsburger.
Franz Wilhelm war von Natur sehr begabt, vor allem von scharfer und schneller Auffassung, juristisch und theologisch sehr gut ausgebildet und ein Meister der lateinischen Rede. Ferner besaß er große Willensstärke und Charakterfestigkeit und führte seine einmal gefaßten Beschlüsse mit nachhaltiger Consequenz durch, sein Eifer für die Sache, welche er vertrat, verleitete ihn jedoch zuweilen, den Bogen zu überspannen. Frühzeitig zu verantwortungsvollen Stellungen berufen, erwarb er sich ausgedehnte Geschäftskenntniß und weiten Ueberblick; auch kam ihm bei allen seinen Unternehmungen ein bedeutendes Organisationstalent sehr zu statten. Dagegen scheint ihm menschengewinnende Liebenswürdigkeit versagt gewesen zu sein.
Als er 26 Jahre alt war, ernannte ihn Herzog Maximilian von Baiern zum Vorsitzenden seiner Rathscollegien und mit 28 Jahren wurde er an Stelle des zum Cardinal – später zum Bischof von Osnabrück – erhobenden Grafen Eitel Friedrich von Hohenzollern erster Rathgeber des Kurfürsten Ferdinand von Köln. Nachdem der Cardinal von Zollern am 19. September 1625 unerwartet zu Iburg gestorben war, erwählte ihn das Domcapitel zu Osnabrück auf des Cardinals Empfehlung am 26. October zu seinem Nachfolger, und zwar unzweifelhaft in der bei der Wahl seines Vorgängers ausdrücklich ausgesprochenen Absicht, daß er die besonders unter seinem Vorgänger Philipp Sigismund von Wolfenbüttel stark zerütteten Verhältnisse im Hochstifte im Sinne der alten Kirche reformieren solle. Diese Zerüttung zeigte sich gleichmäßig auf weltlichem wie kirchlichem Gebiet und hatte nicht zum geringsten in der vermittelnden [187] und nachgiebigen, auf die Mitlebenden äußerst wohltuend wirkenden Art des Braunschweigers ihren Grund.
Zunächst war die Regierungsgewalt dieses Bischofs, der zwar Regalienindulte vom Kaiser erhalten hatte, mit den Regalien selbst aber ebenso wenig belehnt war, wie er eine Bestätigung des Papstes erlangt hatte, durch die immer weiter gehenden Anspüche des Domcapitels auf Mitregierung sehr eingeengt worden. Es war daher die Fassung und Durchführung energischer Entschlüsse um so weniger möglich, als alle, besondere Kosten verursachenden Maßregeln außer von dem Domcapitel noch von der Ritterschaft und den Städten als den übrigen Stiftsständen gutgeheißen werden mußten. Dieser Uebelstand erwies sich um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts deshalb als noch besonders folgenschwer, weil in den westlichen Nachbargebieten des Hochstifts Spanier und Niederländer sich herumschlugen und vielfache Streifzüge ins Osnabrücksche unternahmen, später auch Quartier und Contributionen unter mancherlei Vorwänden verlangten und erzwangen. Das Mittel, welches dazu dienen sollte, diese Uebel abzuwenden, die Proclamierung der Neutralität, erwies sich nicht nur als wirkungslos, sondern sogar als schädlich. Jede Nachgiebigkeit gegen eine der streitenden Parteien gab der anderen erwünschten Vorwand, Gleiches zu verlangen. Da die Mittel des Landes zur Aufrechterhaltung einer bewaffneten Neutralität nicht ausreichten, ja die Stände sogar die Mittel zur Anwerbung geringerer Truppenmassen zur Abweisung plündernder Streifer verweigerten, erlitt das Stift schon schweren Schaden, ehe die Kämpfenden seine Grenzen überschritten. Als aber Christian von Braunschweig und die Dänen einerseits, die ligistischen Truppen unter Tilly andererseits ins Land selbst einbrachen, nahmen die Verehrungen und Schickungen an die Führer, die Contributionen und Lieferungen an die Truppen kein Ende. Nur ein unumwundener Anschluß an eine der kriegführenden Parteien konnte hier wenigstens einigermaßen Erleichterung schaffen. Daß Franz Wilhelm einen solchen Entschluß fassen würde, konnte ebenso wenig zweifelhaft sein, wie welcher Partei er sich anschließen würde.
Fast noch schlimmer, als in politischer Hinsicht sah es in kirchlicher aus. So sehr sich Philipp Sigismund auch um die Aufrechterhaltnung kirchlicher Zucht und Ordnung bemüht hat, wie z. B. seine mehrfachen Klostervisitationen erweisen, so mußte doch seine ganze Stellungnahme es ihm unmöglich machen, Ordnung zu schaffen. Er selbst war ein Bekenner der Augsburger Confession und schützte sein Bekenntniß, besonders in der Stadt Osnabrück, wo es wirklich ein- und durchgeführt war. Aber er hielt sich nicht für berechtigt, den katholischen Cultus, da wo er ihn noch als zu Recht bestehend vorfand, abzuschaffen und war daher in voller Unparteilichkeit bestrebt, die bestehenden Klöster bei ihren Rechten zu erhalten. So konnte er, wollte es aber auch nicht verhindern, daß unter seiner Regierung das Domcapitel, welches zu Anfang fast ganz aus Anhängern des Augsburger Bekenntnisses bestand, sich allmählich zu einem der Mehrheit nach altkirchlich gesinnten Collegium umbildete. Die Folgen zeigten sich in den Wahlen seiner beider Nachfolger. Besonders schlimme Zustände hatte aber dieses Gewährenlassen auf dem flachen Lande gezeitigt. Die Pfarrgeistlichkeit war vielfach ungebildet und sittlich verwahrlost; auch hatten sich die wenigsten ihrer Mitglieder mit Aufrichtigkeit und Entschiedenhait einem der beiden Bekenntnisse angeschlossen. Je nach dem Wunsche ihrer Gemeinden lasen sie die Messe oder ertheilten das Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Hier mußte Wandel geschafft werden. Es konnte nicht zweifelhaft sein, daß Franz Wilhelm in die Fußstapfen seines Vorgängers Eitel Friedrich treten werde, der [188] freilich bei seiner kurzen Regierungszeit nicht über vorsichtige Versuche hinauskommen konnte.
Als sich Franz Wilhelm gleich nach der Annahme des Bischofshutes eingehend über diese Verhältnisse unterichtet hatte, wird er erkannt haben, daß er ebensowenig wie seine Vorgänger diese Verhältnisse lediglich mit der ihm verfassungsmäßig zustehenden Gewalt durchgreifend werde ordnen können, daß ihm vielmehr zur Brechung des zu erwartenden Widerstandes außerordentliche Machtmittel von Nöthen seien. Diese richtige Erkenntniß wird seinen Regierungsantritt ebenso verzögert haben, wie der Umstand, daß gerade 1626 das Stift von den Dänen besetzt war. Sie hatten im März das Land überfluthet, die Stadt bedroht und das Domcapitel gezwungen, den Sohn ihres Königs Christian zum Coadjutor zu wählen, nachdem sie zu spät angekommen waren, um seine Einsetzung zum Bischofe zu erreichen. Die Schuld für diesen Erfolg der Dänen wurde – ohne genügenden Beweis – den Machenschaften der Stadt zugeschrieben und erbitterte Franz Wilhelm von vorn herein gegen dieselbe. Da die Stadt außerdem durch ihr Glaubensbekenntniß seinen schärfsten, duch ihre Befestigung seinen am schwersten zu besiegenden Gegener darstellte, mußte er folgerichtig zunächst sein Hauptaugenmerk der Bezwingung derselben zuwenden. Weil aber dazu, solange die Dänen im Stifte hausten, keinerlei Möglichkeit vorauszusehen war, blieb er zunächst dem Stifte fern und setzte nur eine Regierungscommisssion ein. Erst als die Truppen der Liga den Sieg Tilly’s bei Lutter am Barenberge voll ausgenutzt, und die letzten dänischen Besatzungen das Land verlassen hatten, erschien er in den ersten Tagen des Jahres 1628 in Iburg. Die Stadt hatte unterdessen ein vom 4. December 1627 datiertes kaiserliches Mandat erhalten, welches ihr befahl, eine Besatzung ligistischer Truppen einzunehmen. Diese Anforderung widersprach ihren althergebrachten Gerechtsamen. Sie hatte früher selbständig Soldaten angenommen und sich mit Hülfe derselben nach 1626 durch ihr Bürgeraufgebot gegen die Dänen gehalten. Es war daher berechtigt, wenn die Stadt sich weigerte, dem Befehle Folge zu leisten, und es war auch sehr erklärlich, daß sie in diesem Befehle die Einleitung zu weiteren Eingriffen in ihre verbürgte staatsrechtlich sehr freie Stellung sah. Denn neben dem schon erwähnten Besatzungs- und Befestigungsrechte besaß die Stadt fast vollkommene Freiheit der Verwaltung und Gerichtsbarkeit; insbesondere wählten die Bürger ihre Regierung, den Rath, ohne daß dem Fürsten dabei die geringste Mitwirkung zustand. Der gewählte Rath aber bedurfte auch nicht der Bestätigung des Landesherrn, noch huldigte er ihm. Er führte dann ferner die Verwaltung der Stadt durchaus selbständig und handhabte die Gerichtsbarkeit, wenigstens die niedere, unbestritten, die Criminalgerichtsbarkeit aber wenigstens concurrirend mit den Beamten des Fürsten. Dazu war die Stadt dem Bischof zu keinerlei Steuern, außer zu freiwillig gewährten, verpflichtet und auch die Umlegung derselben war lediglich den städtischen Behörden anheimgegeben. Aber auch in kirchlicher Beziehung hatte sich die Stadt unter Zustimmung – oder wenigstens ohne Widerspruch – der Bischöfe so gut, wie unabhängig gestellt: sie hatte einen eigenen Superintendenten eingesetzt und ernannte die an den städtischen Pfarrkirchen zu St. Marien und St. Katherinen thätigen Pfarrer und Schullehrer durchaus selbständig.
Daß der aus seiner bairischen Heimath an ein strafferes und uneingeschränkteres Herrscherrecht gewöhnte Fürst Alles daran setzen werde, seine so nach allen Seiten beschränkte Gewalt zu erweitern und zu stärken, war zu erwarten. Aber ohne Anwendung von Zwang, ohne Beseitigung alter erworbener Rechte war das unmöglich durchzuführen. Insbesondere war es ohne solche Maßregeln unmöglich, größeren Einfluß in der Stadt zu gewinnen. Für eine Umwälzung [189] auf kirchlichem Gebiete boten sich dagegen, wenigstens unter der Voraussetzung Rechtsgründe dar, daß die ganze Entwicklung der letzten 80 Jahre, welche aber von den früheren Bischöfen und den Kaisern anerkannt war, als nicht zu Recht bestehend angesehen wurde. Vor dem Jahre 1543 hatte das Domcapitel durch Privilegien von 1248 und 1253 ein Recht an den Stadtkirchen zwar besessen, aber auch damals schon lange nicht mehr ausgeübt. Aber der Bischof griff hierauf zurück.
Nachdem die Stadt trotz Widerspruch und flehentlicher Bitten beim Bischof unter dem Drucke der rings im Lande befindlichen Truppen, welche sie geradezu blokirten, sich zur Einnahme einer Besatzung hatte bequemen müssen, hielt Franz Wilhelm am 12. März 1628 von Iburg aus seinen feierlichen Einritt und ließ sich huldigen. Er zwang dabei ebenfalls gegen alles Herkommen Rath und Bürgerschaft ebenso wie Capitel und Ritterschaft den Treueid zu schwören. Nachdem Franz Wilhelm sich so in den Besitz einer fast uneingeschränkten Gewalt gesetzt hatte, begann er unter dem Schutze und Beistand der Tilly’schen Truppen mit der ihm eigenen Umsicht, Energie und Folgerichtigkeit die Gegenreformation in Stadt und Stift. Sein Hauptaugenmerk richtete er zunächst auf die Stadt. Gelang es diese für den alten Glauben im großen und ganzen zurückzugewinnen, so mußte er mit den kleinen Städten und dem flachen Lande leichtes Spiel haben, da er dort höchstens beim Adel kräftigen Widerstand zu befahren hatte. Er konnte zur Rechtfertigung seines Vorgehens sich auf die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens, inbesondere aber auf das ihm übertragene bischöfliche Hirtenamt und die bestimmten Voraussetzungen, unter denen gerade er gewählt war, berufen. Da es in dem hier einzuhaltenden Rahmen unmöglich ist, alle Einzelheiten seiner Thätigkeit nach dieser Richtung aufzuzählen, so muß es genügen die wichtigsten anzuführen. Wenige Tage nach seinem Einritt in die Stadt nahm er mit großem Pompe gewaltsam und nicht, ohne daß es zu ärgerlichen Auftritten kam, Besitz von den beiden städtischen Pfarrkirchen, setzte dort altgläubige Geistliche ein und wies die evangelischen Geistlichen aus der Stadt aus, bemächtigte sich des Schul-, ja des ganzen Unterrichtswesens, löste die höhere 1595 wieder ins Leben gerufene Rathsschule auf, stärkte die von seinem Vorgänger insbesondere zu Unterrichtszwecken berufenen Jesuiten, rief die früher in der Stadt vorhandenen klösterlichen Niederlassungen, welche von ihren Insassen vor 80–90 Jahren z. Th. freiwillig aufgegeben waren, wieder ins Leben zurück und stiftete neue. Für die Heranbildung der jungen Geistlichen gründete er mehrere von Ordensgeistlichen geleitete Bldungsanstalten, veröffentlichte die Satzungen des Tridentiner Concils, berief zur Festigung und Kräftigung der Pfarrgeistlichkeit in ihrem Berufe regelmäßige Synoden und überzeugte sich über deren Verhälnisse durch eingehend vorgenommene Visitationen. Der Eifer, den er in dieser Hinsicht zeigte und das tiefe Verständniß für die Bedürfnisse des Pfarrclerus, welches aus seinen wohldurchdachten Maßregeln hervorgeht, erscheinen bewundernswerth.
Um sich die Stadt in weltlicher Beziehung noch gefügiger zu machen und gefügig zu erhalten, ließ er sofort die 1647 wieder geschleifte Citadelle, die Petersburg, einen allen Anforderungen der damligen Ingenieurskunst entsprechenden Bau aufführen und betrieb die Sache so lebhaft, daß sie, nach fünf Jahren vollkommen vollendet, den Schweden große Schwierigkeiten bereitete. Dann aber griff er in die Rathswahl ein, was zuvor von keinem Bischof geschehen war, und verlangte, daß nur Katholiken gewählt werden sollten. Obwol die Bürgerschaft unter dem Drucke der Verhältnisse auch hierin sich fügen mußte, war doch die Zahl der in der Stadt zum Rathsstuhl nach Geschäftskenntniß und Vermögen befähigten Katholiken so gering, daß es besonders in den ersten [190] Jahren thatsächlich unmöglich war, diese letzte Forderung zu erfüllen. Um aber auch auf die Bürgerschaft im einzelnen einzuwirken, wurden die Katholiken mit Einquartierung und Contribution nach Möglichkeit verschont, die Evangelischen dagegen um so stärker herangezogen. Der aus dieser Maßregel erwartete Erfolg, daß zahlreiche Bürger sich in Glaubenssachen „accommodiren“ würden, scheint jedoch nicht in gewünschtem Umfange eingetreten zu sein. Da aber an Tillyschen Truppen erheblich mehr, als in dem im Frühjahr 1628 abgeschlossenen Accord mit der Stadt vereinbart war, in die Stadt einmarschiert waren, so lastete die Einquartierung und Contribution geradezu erdrückend auf der Stadt, da ihr mit bewußter Absicht fast die ganze Last der Unterhaltung der eingelegten Truppen aufgehalst war, während das flache Land nach Möglichkeit geschont wurde. Die Forderungen waren thatsächlich derart hohe, daß Tilly im August 1629 die Nothwendigkeit einer Milderung einsah und gegen den Willen des Fürsten sich entschloß, einen Theil der Besatzung aus der Satdt zu ziehen und anderweitig unterzubringen.
Unterdessen hatte der Kaiser den Entschluß gefasst, den Erfolg der katholischen Waffen vollkommen auszunutzen, und das Restitutionsedict erlassen. Mit der Ausführung desselben für den niedersächsischen Kreis wurde Franz Wilhelm betraut. Wenn auch die infolge dessen von ihm entwickelte lebhafte Thätigkeit einen dauernden Erfolg nicht gehabt hat, so zeigte sie doch seine Fähigkeiten im glänzendsten Lichte. Gestützt auf die überall im Kreise lagernden ligistischen Besatzungen, gewann er nach gleichzeitigen Angaben vier Domkirchen, 15 Collegiatstifter und 148 (146) Klöster verschiedener Orden neben zahllosen Pfarrkirchen für die katholische Kirche zurück. Dabei griff er überall selbst mit an, predigte, betheiligte sich, soweit die Weihen, welche er bis dahin besaß, es gestatteten, am Gottesdienste, hielt Diöcesansynoden ab und versuchte überall Erziehungsanstalten für junge Cleriker, wie er es schon in Osnabrück gethan hatte, zu begründen. Darunter war die in Goslar zu stiftende Universität bestimmt einen Hauptplatz einzunehmen. Nach vorübergehendem Wirken in Minden regelte er im Herbst 1629 die Verhältnisse der Diöcesen Bremen und Verden im Sinne des kaiserlichen Edictes. Als er dann 1630 zum Bischofe von Verden ernannt worden war, traf er dort im Mai d. J. wieder ein und hielt eine feierliche Synode ab, um dann in dem Rest des Jahres und 1631 und 1632 mehr durch Deputierte zu wirken. Vom November 1632 war er bis zum Februar 1633 zugleich als kaiserlicher und landesfürstlicher Commissar in der durch Pappenheim eroberten Stadt Hildesheim thätig. Hier griff er noch gewaltsamer in alle Verhältnisse ein, wie in Osnabrück, wozu ihm die allerdings vorher sehr zweifelhafte Haltung des Rathes seinem Landesherrn gegenüber, das Recht zu geben schien, wenn auch andererseits der Accord mit Pappenheim die Religionsfreiheit versichert hatte. Das Vorrücken der Schweden, welche dann Hildesheim ein Jahr lang belagerten, zwang ihn zur Rückkehr nach Osnabrück. Als aber die Schlacht bei Hessisch-Oldendorf am 28. Juni 1633 das Uebergewicht der Schweden und ihrer Verbündeten in ganz Niedersachsen und dem nordöstlichen Westfalen über Liga und Kaiserliche entschieden hatte, und Dodo von Knyphausen am 1. August zur Belagerung der Stadt Osnabrück auf dem Gertrudenberge erschienen war, mußte er sein Stift verlassen, um es nicht vor 1650 wiederzusehen. Dieses Uebergewicht der Schweden und ihrer Verbündeten in Niedersachsen veranlaßte auch den Zusammenbruch aller so wohldurchdachten und vorsorglich angelegten Organisationen in den dortigen Bisthümern, denen sich die Betheiligten, wenn auch widerwillig, so lange gefügt hatten, als sie in der Hand des Heeres der Liga waren.
Nach vierwöchentlicher Belagerung und tapferer Gegenwehr auch der Bürger, [191] welche trotz des fünf Jahre lang getragenen Druckes treu dem Kaiser und ihrem Landesherrn an der Vertheidigung mitgewirkt hatten, ergab sich auch Osnabrück den Schweden. Der damals mit der Stadt und den Vertretern des Capitels vereinbarte Accord schloß den Bischof aus, gewährte ihm aber eine Frist von drei Monaten, um sich zu „accommodiren“, was aber nicht geschah. Ferner ward den Bekennern der alten Religion freie Religionsausübung gewährleistet; es sollten jedoch alle Verhältnisse wieder auf den Stand gebracht werden, wie sie zur Zeit Philipp Sigismund’s gewesen waren (als Normaltag wurde der 1. Januar 1624 festgesetzt). Durch diese Bestimmung wurde der Accord die Grundlage der staatsrechtlich so eigenartigen sogenannten „immerwährenden Capitulation“, welche als Ausführungsbestimmung des 13. Artikels des Westfälischen Friedens das Fürstenthum Osnabrück zu einem im modernen Sinne paritätischen Staate gestaltete. Da die Schweden Osnabrück ebenso wie Minden, wo Franz Wilhelm 1631 als Bischof anerkannt war, als ein nach Kriegsrecht erobertes Land betrachteten und dem illegitimen Sohne Gustav Adolf’s Gustav Gustavson, Grafen von Wasaburg übertrugen, es auch bis zum Ende des dreißigjährigen Krieges bis auf geringe Theile besetzt hielten, war der Bischof in weltlicher Beziehung von jeder Thätigkeit, selbst als er in Münster als Gesandter des Erzbischofs von Köln [WS 2] zum Friedenscongresse weilte (1644–1648), in seinem Lande abgeschnitten und vermochte auch in kirchlicher Hinsicht nur geringen Einfluß auszuüben. Daß die solange niedergehaltenen Protestanten die Bestimmungen des Accords von 1633 auf das energischste durchführten und alle seit 1624 eingeführten Neuerungen des Bischofs, welche auf Ausbreitung und Festigung des Katholicismus abzielten, gründlich rückgängig machten, braucht nicht erst erwähnt zu werden. Sie hätten auch am liebsten die Wiedereinsetzung des Bischofs ganz hintertrieben. So hatte die Hartnäckigkeit, mit welcher sowol sie, in erster Linie die Stadt, wie Franz Wilhelm ihre Forderungen in Münster aufrecht erhielten, nach der Aussage Trauttmansdorff’s das ganze Friedenswerk erheblich verzögert. Aber noch schärfer als in eigener Sache vertrat Franz Wilhelm auf dem Congresse die päpstlichen Forderungen und zwar in solchen Maaße, daß ihm der Kurfürst von Köln zeitweise seine Vertretung zu entziehen sich genöthigt sah. Da hierdurch der Abschluß sich immer mehr verzögerte und die Satdt Osnabrück der Citadelle ledig sein wollte, griffen schließlich die Bürger selbst zu und legten die Petersburg nieder. Ihrem Wunsche aber, sich der Herrschaft des Bischofs durch Erwerbung der Reichsfreiheit ganz zu entziehen, vermochte selbst der höchst gewandte Bürgermeister Schepeler nicht Verwirklichung zu verschaffen.
Da der Abzug des Schweden Gustavson aus dem Stifte mit 80 000 Reichsthalern erkauft werden mußte, auch die staatsrechtlichen Verhältnisse des Stiftes in dem auf dasselbe bezüglichen Artikel XIII des Westfälischen Friedens eine genügende Regelung noch nicht erfahren hatten, verzögerte sich der Wiedereintritt des Bischofs bis zum 18. December 1650. Auf dem vorhergehenden Tage zu Nürnberg waren durch die „immerwährende Capitulation“ die Verhältnisse des Stiftes bis ins einzelnste geordnet, insbesondere auch die alternative Folge je eines katholischen Bischofs und je eines Mitgliedes des Hauses Braunschweig-Lüneburg genauer festgestellt, und auf Grundlage des sogenannten Volmar’schen Durchschlags die einzelnen Stifter und Pfarren je einer der beiden Confessionen nach ungefährer Maßgabe der Verhältnisse von 1624 – wenn auch nicht ohne große Willkürlichkeiten im einzelnen – zugesprochen worden.
Die letzten Lebensjahre des Bischofs verliefen ruhiger. Obwol er die Nürnberger Abmachungen nur unter Protest angenommen hatte, ließ er doch deren gerechte und unparteiische Durchführung sich angelegen sein, nahm auch die [192] Stadt auf eine entsprechende Erklärung derselben wieder zu Gnaden an und versprach die eigenmächtige Schleifung der Petersburg nicht zu ahnden.
Seines Mindener Bisthums ging er, weil es an Brandenburg gefallen war, seines Verdeners, weil es die Schweden sich aneigneten, im Westfälsichen Frieden verlustig, folgte aber am 14. April 1649 als Bischof von Regensburg, wo er seit 1641 schon Coadjutor gewesen war, und widmete sich in der Folgezeit mit großem Erfolge ganz der Verwaltung dieser seiner Bisthümer, indem er bald in Osnabrück, bald in Regensburg residirte, öfter auch am Rheine weilte, wo er auf die Verwaltung des Erzstiftes Köln vielfach Einfluß übte und für das mit seiner ihm 1623 zunächst als Coadjutor übertragenen Bonner Propstei verbundene Archidiakonat wirkte. Für die Erneuerung und Besserung der Pfarrgeistlichkeit war er unablässig thätig, indem er die Vorbildungsanstalten für dieselbe neu begründete und förderte, auch regelmäßige Visitationen und Diöcesansynoden abhalten ließ und oft selbst abhielt. Seine Verdienste um die Kirche belohnte Papst Alexander VII. am 5. April 1661 durch die Verleihung des Cardinalshutes, auch wurde er nach wie vor häufig zu wichtigen politischen Verhandlungen herangezogen, wie er denn auch 1659 als kaiserlicher Commissar der Fürstenversammlung in Regensburg vorsaß. Leider sind wir über diese weitergehende Thätigkeit Franz Wilhelm’s, weil, wie oben gesagt, die einschlägigen Quellen noch der Veröffentlichung harren, nur sehr mangelhaft unterrichtet.
Der Cardinal starb am 1. December 1661 nach neunwöchentlicher Krankheit in Regensburg, wo er in späteren Lebensjahren wol lieber weilen mochte, weil er dort seine bischöfliche Thätigkeit weniger behindert durch so enge Schranken, wie sie ihn in Osnabrück fesselten, ausüben konnte.
Durch glänzende Anlagen befähigt, nach Abkunft und Ausbildung zu einer weitgehenden Thätigkeit berufen, hat er mit einer jede Rücksicht bei Seite setzenden Hingabe alle seine Kräfte an die Durchführung der ihm gestellten Lebensaufgabe eingesetzt, aber obwol er geschickt die richtige Zeit zur Ausführung seiner Pläne abzuwarten verstand, hat doch sein starker Wille, der sich zuweilen bis zum Uebereifer geltend machte, ihn nicht immer die richtigen Mittel zum Zwecke finden lassen und seine oft bis zur Hartnäckigkeit aufrecht erhaltene Consequenz ihn verleitet, eher den ganzen Erfolg aufzugeben, als sich mit einem theilweisen zu benügen. Dabei erschwerte seine süddeutsche Abkunft und seine Erziehung in Rom ihm das Verständniß für die Verhältnisse und den Charakter der Menschen, auf welche er im Norden wirken wollte und sollte. So kam es, daß er nur einen geringen Theil der Früchte seiner Arbeit ernten konnte.
- Goldschmidt, Lebensgeschichte d. Kardinal-Priesters Franz Wilhelm. Osnabrück 1866. – Meurer, Franz Wilhelm, Bischof v. O., in Mitth. d. hist. Ver. zu Osnabrück X, 245 ff.; XI, 372 ff.; XXI, 1 ff. – Stüve, Geschichte des Hochstifts O. III, 53 ff. (auch Mitth. XII) und die in diesen Schriften angeführte ältere Litteratur. – Ueber sein Verhältniß zu Tilly vgl. Onno Klopp in den Forschungen z. D. Gesch. I, 75 ff.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Laut BBKL Sohn Ferdinands, nicht Wilhelms. Nachfolgend genanntes Sterbedatum des Vater stimmt mit dem von Ferdinand überein.
- ↑ Gemeint ist wieder der in der ADB beschriebene Erzbischof Ferdinand