ADB:Ehrenberg, Christian Gottfried

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Artikel „Ehrenberg, Christian Gottfried“ von Johannes von Hanstein in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 5 (1877), S. 701–711, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ehrenberg,_Christian_Gottfried&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 13:54 Uhr UTC)
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Ehrenberg: Christian Gottfried E., geb. 19. April 1795 zu Delitzsch bei Leipzig, † in Berlin 27. Juni 1876 als Professor an der Universität und geh. Medicinalrath, gehört zu den bedeutendsten Naturforschern des Jahrhunderts, zumal auf dem Gebiete der Mikroskopie. Sohn eines städtischen Beamten, fand er schon in seiner Vaterstadt mancherlei Förderung seines angeborenen Triebes zum Forschen in der Natur. Während seiner Schülerzeit, die er auf der Landesschule Pforta in Thüringen durchmachte, gewährte die reiche Natur dieser Gegend jenem Triebe noch günstigere Nahrung, und sein Eifer für die classischen Studien, denen er sich ebenfalls mit Neigung und Erfolg widmete, verschaffte ihm bei seinen Lehrern ausreichende Freiheit, Pflanzen und Thiere der Umgegend kennen zu lernen. Wohl vorbereitet bezog er, etwa 20 Jahre alt, die Universität Leipzig, mußte aber zunächst nach väterlichem Wunsch theologischen Studien obliegen. Nachdem er indessen dem Vater durch Halten einer Predigt bewiesen hatte, daß es ihm an Energie nicht fehle, erhielt er die Erlaubniß, von dem gegen eigenen Beruf eingeschlagenen Weg abzugehen und seiner Neigung zu folgen. Er wählte nun als Fachstudium die Medicin, doch nur in der Absicht, sich so viel als möglich der Naturerforschung in größerem Maßstabe zu widmen. In Leipzig schloß er sich sonach besonders dem Naturhistoriker Schwägrichen und dem Anatom Rosenmüller an und gewann an Kunze und Tiedemann gleichgesinnte Freunde. Er strebte von Anbeginn nach möglichst breiter Bildungsgrundlage und trieb sogar homöopathische Studien. Dennoch in Leipzig ohne rechte Befriedigung für seinen heißen Wissensdrang, ging er im J. 1817 nach Berlin, um zugleich seiner Militärpflicht und der Vollendung seiner medicinischen Ausbildung zu genügen. Jenes blieb ihm erspart und ungehindert überließ er sich der Fortsetzung seiner Studien.

In Berlin fand er in jeder Hinsicht fruchtbaren Boden. Schon wußte der jugendliche Anfänger, was er wollte. Von Widerwillen gegen gewisse flache, die Wissenschaft verderbende Vorurtheile, gegen die noch herrschenden phantastisch philosophirenden Theorien und gegen allerlei sonstigen wissenschaftlichen Aberglauben erfüllt, drängte es ihn, die Anfänge der organischen Natur bis ins Feinste zu verfolgen und er wählte die am tiefsten in mystisches Dunkel gehüllte Classe von Organismen, die Pilze, zum ersten Gegenstand seiner Erforschungen. Berlins damals noch wald- und sumpfreiche Umgegend bot ihm, dem zwar kurz, aber sehr kräftig und dauerhaft gebauten Manne, dem kein Weg zu weit war, ein ausgiebiges Jagdrevier. Durch den Eifer seiner Bestrebungen hatte er sich bald den älteren Naturkundigen, deren Namen der jungen Universität Glanz verliehen, günstig bekannt gemacht. Link, Klug, Lichtenstein, Rudolphi und Andere gewannen lebhaftes Interesse für ihn. Auch an jüngeren Genossen fehlte es wiederum nicht, unter denen der von seiner Weltreise zurückgekehrte Naturforscher und Dichter Chamisso, sowie der Botaniker v. Schlechtendahl, die sich mit ihm zu dauernder Freundschaft verbanden, einen Namen in der Wissenschaft erworben haben. Den engsten Freundschaftsbund aber schloß er mit Hemprich, mit dem er gemeinsame Pläne für die Zukunft entwarf. Inzwischen hatte er eine große Zahl theils für die Berliner Gegend, theils überhaupt neuer Pilzarten aufgefunden und allerlei über ihre Entwicklung beobachtet. Seine Promotionsschrift enthielt diese für einen Anfänger sehr stattlichen [702] Entdeckungen. Fast gleichzeitig aber wurde er in dieser Richtung durch den viel bedeutenderen Fund einer durch Zellpaarung (Copulation) sich vollziehenden Samenzeugung an einem neu entdeckten Schimmelpilz (Syzygites Ehrbg.) belohnt. So fiel ihm die erste directe Wahrnehmung einer kryptogamischen Zeugung zu. Kaum weniger wichtige Beobachtungen machte er kurz darauf an einer der von Chamisso mitgebrachten Flechten (Coenogonium Ebrbg.). Damit waren einige bedeutsame Schritte voran gethan auf dem Weg, den er sich für seine Forschungen ausgesucht. Der ihm besonders verdächtigen Lehre der freiwilligen Entstehung organischer Körper aus nicht organisirten Stoffen, die sich gerade auf dergleichen unvollkommen erscheinende Organismen, wie die Pilze, gründete, hatte er eine der wichtigsten Stützen entzogen. Mehr und mehr reizte es ihn, dieselbe ganz zu stürzen und den wahren Ursprung der lebendigen Naturkörper, so weit wie thunlich, aufzuspüren. Doch fühlte er, daß es dazu umfassenderer Vorbereitung bedürfe. Das Organische mußte durch weitere Gebiete und verschiedenere Verhältnisse verfolgt werden. Immer fester bildete sich der Plan zu einer weiten Reise in ihm, und sein Freund Hemprich half, denselben zu gestalten. Während beide sich vorzubereiten suchten, wenn möglich, das wunderbare Inselland Madagascar zu besuchen, wurde E. die Vertretung des beurlaubten Königsberger Professors Schweigger angeboten. Ehe er dieselbe aber antreten konnte, fand sein größter Wunsch noch schnellere Erfüllung. Der General v. Minutoli rüstete eine Expedition für antiquarische Durchsuchung der Nilländer aus und wünschte auch einen Naturforscher mitzunehmen. Die Berliner Akademie der Wissenschaften gab ihm, unter späterer Beihülfe der Regierung, die beiden Freunde E. und Hemprich mit.

Glücklich über die unverhofft günstige Erfüllung ihrer Wünsche rüsteten sich beide Jünglinge mit einer Umsicht und Sorgfalt aus, welche ins Licht stellte, wie sehr sie sich des Umfangs ihrer Aufgabe bewußt waren und wie weit sie dieselbe faßten. Sie wollten nicht blos Sammler sein, noch weniger nach geographischen Neuigkeiten jagen. Sie fühlten, daß die Erweiterung des Naturwissens vor allem der sorgfältigsten Beobachtung der Lebenszustände der Organismen an den verschiedensten Oertlichkeiten und in den verschiedensten Entwicklungsstufen erheische. Alles dazu nöthige wurde mitgenommen und der Reiseplan auf besonders viel versprechende Gegenden angelegt. Im Sept. 1820 gelangte die Gesellschaft in zwei Abtheilungen über Wien und Triest nach Alexandrien, wo sie sich sammelte und eine erste Fahrt durch die libysche Wüste zur Ammons-Oase (Siwah) antrat. Alsbald begann aber das Ungemach sich zu zeigen, das diese ganze Reise so vielfach heimgesucht hat. Zerwürfnisse mit der beduinischen Bedeckung und diplomatische Schwierigkeiten vereitelten zunächst den Wunsch, den tripolitanischen Boden zu betreten und veranlaßten damit eine Theilung der Reisegesellschaft. Zuerst ging Minutoli, dann die Naturforscher nebst der Mehrzahl der Mitreisenden über Siwah, wo ihnen ebenfalls das politische Mißtrauen der Besatzung wenig Einsicht gestattete, nach Alexandrien zurück. Hier erlag als erstes Opfer der klimatischen Ungunst der künstlerische Theilnehmer der Expedition Limann. Bald folgte als zweites ein technischer Gehülfe. Inzwischen hatten E. und Hemprich die vorher schon für gewisse Fälle in Aussicht genommene Trennung von Minutoli dauernd vollzogen, um ihren Vorsätzen in freierer Weise nachgehen zu können. So schickten sie sich an, von Kairo den Nil hinauf nach Nubien zu ziehen. Wiederum aber ereilte sie ein neues Mißgeschick an den Pyramiden von Sakkara, wo E. 2 Monate lang am Typhus in seinem Zelte schwer darniederlag. Endlich gelangten sie über Fajum nach Dongola, wo E. unter dem ungemein liebenswürdigen Beistand des ägyptischen Paschas Abdim Bey seine Sammlungen und Beobachtungen bedeutend [703] vervollständigte, während Hemprich die früher gesammelten Schätze nach Kairo zurückbrachte und frische Geldmittel aus der Heimath erwartete. Neues Ungemach suchte die Reisenden in Dongola heim. Politische Unruhen, Wassersnoth – und wiederum böse klimatische Krankheiten forderien gewaltige Opfer, selbst an Menschenleben und E. entging abermals selbst kaum dem Tode am Sumpffieber, diesmal durch die Treue und Energie seines neu gewonnenen Freundes Abdim errettet, wie damals an der Pyramide durch die zärtliche Sorgfalt des alten Gefährten Hemprich. Nach Kairo zurückgekehrt, fanden Beide geschäftliche Hindernisse, die ihre Pläne auf eine größere Reise nach Abessinien durchkreuzten. Die Gelder blieben aus und während man im Vaterlande schon den Ruhm der jungen tüchtigen Forscher in den Zeitungen las, litten sie selbst unter dem drückenden Gefühl, daß man ihnen daheim mißtraue. Die Untreue eines diplomatischen Beamten wurde später als Ursache dieser unerquicklichen Mißverständnisse entdeckt.

Inzwischen hatten sich die Reisenden nach der Sinai-Halbinsel gewendet und dies pflanzen- und sagenreiche Land nicht blos naturhistorisch, sondern auch geographisch und besonders antiquarisch durchsucht und so manchen sagenhaften Schatz in historische Wahrheit umgeprägt. Sie erstiegen den Berg und wohnten im Kloster, doch zog sich E. schließlich die Ungnade des Oberen dadurch zu, daß er die alten Inschriften und Denkmäler besser zu deuten wußte, als dieser. Am Rothen Meer, in Tor, fand E. Zeit, höchst ausgiebige Beobachtungen über Bau und Leben der Korallenthiere anzustellen.

Vom Sinai zurückgekehrt, fanden sie noch immer nicht ausreichende Mittel vor, um die größere Fahrt antreten zu können, und unternahmen abermals eine kürzere Reise nach Syrien. Hinüber und herüber ging es durch die Thäler und über die hohen Rücken und Spitzen des Libanon. Coelesyrien ward durchwandert und Baalbek erreicht, die Rückfahrt über Tripoli nach Damiette ausgeführt. Nun endlich konnten die Freunde, obschon Hemprich kaum noch das Vertrauen dazu faßte, die abessinische Reise aufnehmen. Ehrenberg’s heißer Drang, noch absonderlichere Länder und Küsten in ihrer ganzen Eigenart kennen zu lernen, ließ ihn nicht ruhen und seiner Ausdauer gelang es, auch den Genossen wieder zu ermuthigen. Sie schifften also das Rothe Meer nun ganz hinab, erkundeten seine Küsten, die sie an mehreren Punkten anliefen, entdeckten sogar auf diesem seit ältesten Zeiten so viel befahrenen Meer einige noch unbekannte Inseln und landeten schließlich in Massaua, von wo aus es nun auf das langersehnte, noch fast unbekannte abessinische Hochland abgesehen war. Doch sollte es anders kommen und das gemeinsame Forschungswerk der Freunde hier sein tragisches Ende finden. Wenig war noch gethan, als Hemprich dem in Massaua herrschenden verderblichen Fieber erlag und in seines Freundes Armen verschied. Dieser war nun der einzig Ueberlebende der ganzen Gesellschaft. Selbst krank, beschleunigte er seine Rückkehr, alles weitere aufgebend. Zu Schiffe bis Kosseir, von da krank auf das Kameel gebunden durch die Wüste, dann den Nil hinab, gelangte er, reich mit Schätzen beladen, aber tief durch den letzten Verlust gebeugt, nach Kairo. Mit Unterstützung des den Reisenden stets freundschaftlich hülfreichen österreichischen Consuls Champion waren bald alle Sammlungen flott gemacht und E. konnte gegen Ende 1825 noch den Hafen von Triest wieder erreichen. Eine lange Quarantäne hielt ihn hier auf, in Wien ein ebenso langes schweres Krankenlager. Dann endlich sah er die Heimath wieder. Doch auch hier traf ihn zunächst noch der Schmerz, den treu verehrten Vater, der kurz vor seiner Rückkehr gestorben war, nicht wieder zu finden und den Kummer der verlassenen Mutter des nicht mit zurückgekommenen [704] Freundes Hemprich sehen zu müssen. Zum Glück gelang es ihm, ihr Schicksal etwas zu mildern.

Abgesehen hiervon wurde E. von allen Theilen der Gesellschaft mit größter Theilnahme empfangen und vielfach gefeiert und geehrt. Ueberall, selbst im Kreise der königl. Familie, hatte er Bericht über seine Reise zu erstatten. Was er mitbrachte, war auch nicht gewöhnlicher Art. Die gefundenen Naturalien waren der besseren Uebersicht halber, nicht, wie von der Mehrzahl der Reisenden in einzelnen dürftigen Exemplaren, sondern in zahlreichen Formenreihen möglichst guter Individuen gesammelt. Die Reisenden hatten auf diese Weise gegen 3000 Arten Pflanzen in über 46000 Exemplaren und über 4000 Arten Thiere in 34000 Individuen zusammengebracht. Hierzu kommen mehrere Hundert geognostische Handstücke, eine Menge archäologische Gegenstände, besonders aber Karten, Berg- und Uferprofile, andere Aufzeichnungen ethno- und geographischer Art, unter denen die das Rothe Meer, das Sinailand und den Libanon betreffenden viel Neues und Wichtiges enthielten. Hatten die jungen Forscher somit der Morphologie und Systematik, der Völker- und Länderkunde in besonders reicher Weise Genüge gethan, so waren doch diese Dinge ihnen selbst nicht als die wichtigsten erschienen. Vielmehr hatten sie die Wissenschaft besonders mit einer großen Menge an Ort und Stelle ausgeführter physiologischer und vergleichend anatomischer Beobachtungen bereichert. Und diese hatte E. vorzugsweise geliefert, der, während sein Freund kleinere Ausflüge machte oder mit der ihm eigenen Gewandtheit die geschäftliche Seite der Reise behandelte, im Zelt in der Wüste oder am Strande, oft auf der Barke oder der nackten Klippe mit Messer und Mikroskop thätig war und, mit besonderem Zeichentalent begabt, die Beobachtungen sofort zu fixiren wußte. So bieten ihre Reiseergebnisse außer den Naturkörpern selbst und ihren genauen unterwegs aufgeschriebenen Schilderungen von allen wichtigen zugleich die Abbildungen. E. hatte es dabei immer auf das Feinste und Schwierigste abgesehen und so eine große Anzahl neuer Beobachtungen zumal über Nerven- und Sinnesorgane vieler Thiere, über die Verwandlung der Insecten, über den Bau und das architektonische Wirken der Korallenthierchen angestellt und endlich im Wasser und Schlamme die allerkleinsten mikroskopischen Geschöpfe an vielen Orten aufgesucht.

Alle diese reichen Reisefrüchte waren nun aufgehäuft. Leider war manches Lebendige davon dem scharfen Winterfrost von 1825 auf 1826 erlegen und viele Exemplare seiner mehrfach gesammelten Naturalien gegen seinen Wunsch schon vor seiner Ankunft an andere Sammlungen abgegeben.

Immerhin blieb ein großer Schatz der wissenschaftlichen Genossenschaft zum Verständniß herzurichten. Die Regierung und zumal der durch Alexander v. Humboldt gewonnene und E. sehr geneigte Minister v. Altenstein bewilligte bedeutende Mittel und in besonderer Werkstatt wurden Künstler und Arbeiter von Staatswegen mit Darstellung der Gegenstände beschäftigt, welche E. nach und nach dazu reif machte. So begann er frisch zu arbeiten und es erschien ein Band seiner Reisebeschreibung und eine Anzahl Fascikel schöner Abbildungen von Thieren mit Erläuterungen („Symbolae physicae“, 1828). Allein die Maschinerie, die ihm dienen sollte, überwucherte bald die wissenschaftliche Assimilation, die des einzelnen Mannes Kraft ausführen sollte und gerieth ins Stocken. Dazu kam, daß die herbeigeführte Unvollständigkeit seiner Formenreihen ihn hemmte und verstimmte. Endlich zogen ihn einzelne der zu bearbeitenden Zweige besonders an, so daß der an freie Arbeit gewöhnte Geist sich allzusehr bedrückt fühlte. Er glaubte hiermit seine Schuldigkeit nicht mehr thun zu können und als endlich noch eine andere Reise dazwischengekommen und mehrfach vergebliche Versuche zur Umgestaltung jener Arbeitseinrichtung gemacht waren, ließ [705] sich E. von der Verpflichtung für dieselbe ganz entbinden. Leider sind damit überaus große Schätze der deutschen Wissenschaft als ihr geistiges Eigenthum entgangen, die dann später theils von fremden Naturhistorikern anderweitig bearbeitet sind, theils auch noch in den königl. Museen Berlins unbearbeitet ruhen. E. aber wollte lieber der offen erklärte Schuldner der wissenschaftlichen Mitwelt bleiben, als etwas hinausgeben, das nach seiner Ueberzeugung unvollkommen und unfertig bleiben mußte. Halbheit und Ungründlichkeit waren es, die er vor allem verabscheute.

Inzwischen war noch mancherlei einzelnes von den Reiseergebnissen bearbeitet und veröffentlicht. Die Korallenthiere zumal erfuhren noch seine gründliche systematische Bearbeitung. Dann aber zog ihn der Trieb, das Lebendige, wenn möglich, an seinen Uranfängen aufzuspüren, zur Feststellung der morphologischen Verhältnisse der kleinsten mikroskopischen Organismen und zunächst zum Vergleich der in den Nilländern gefundenen Formen mit den heimischen. Dies führte ihn zu eingehenderer Erforschung des feineren Baues dieser Geschöpfe überhaupt und er lenkte hiermit wiederum in das Fahrwasser ein, in welchem er schon als Student mit Glück seine geistige Forschungsfahrt begonnen hatte. E. war von Jugend auf von einer idealistischen Gesammtanschauung des Naturganzen erfaßt, von dessen zweckmäßigen, von den vernünftigen Gesetzen eines bewußten Schöpfers beherrschten Einrichtungen er überzeugt war. Als Arbeiter aber war er der reinste und nüchternste Empiriker und von Anbeginn von heißem Durst erfüllt, seine Ueberzeugung durch immer neue und schlagende thatsächliche Beweise zu stützen. Jeder materialistisch verschwommenen Ansicht ebenso feind, wie der philosophirenden Schwärmerei, suchte er der organischen Welt ihre festen Grenzen zu stecken, die gewaltige Einwirkung derselben auf den anorganischen Erdkörper klar zu legen und überall die der vorurtheilsvollen Oberflächlichkeit entsprungenen unsauberen Geister des wissenschaftlichen Aberglaubens zu verbannen. Dies also trieb ihn abermals, wie schon früher, vorzugsweise ans Mikroskop, da eben hinter den Grenzen der natürlichen Sichtbarkeit sich die Gespenster der Selbstzeugung (generatio aequivoca), der Umwandlung der Formen in einander etc. am bequemsten verbargen. Zugleich zog ihn die Anmuth der Erscheinungsformen, die hier seiner harrten, unwiderstehlich an. Schon seine Promotionsschrift (1818) trug den Sinnspruch: „Der Welten Kleines auch ist wunderbar und groß und aus dem Kleinen bauen sich die Welten“ und eine andere Jugendarbeit übereinstimmend den anderen: „Non oculis multum, multa dant parvula cordi. His aliquid forma, sentio, majus inest.“ Hier also, „in der Richtung des kleinsten Raumes“ faßte er von jetzt ab mit ganzer Kraft an und erntete bald unvorhergesehene Reichthümer neuer Erkenntniß. In wenigen Jahren hatte er eine große Menge Arten von sogenannten Infusorien unterschieden, hatte bewiesen, daß diese zuerst von Leeuwenhoek ein Jahrhundert früher in die Wissenschaft eingeführten Wesen eine ebenso gesetzmäßige Entwicklung, ebenso fest abgeschlossene specifische Formenkreise erkennen ließen, wie die mit bloßen Augen sichtbaren Geschöpfe, und daß sie nichts weniger als belebte Schleimkügelchen, vielmehr sehr künstlich und mannigfach gebaute Organismen seien.

In diese Zeit der Umgestaltung und Klärung seiner geistigen Entwicklung fällt also seine zweite außereuropäische Reise. Schon 1827 war er zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften und zum außerordentlichen Professor in der medicinischen Facultät der Universität ernannt und somit zu fester wissenschaftlicher Stellung in Berlin gelangt, in welcher er denn auch, 1839 zum ordentlichen Professor befördert, seine Laufbahn vollendete. Von seiner Rückkehr an hatte er in Humboldt den eifrigsten Förderer seiner Bestrebungen gefunden. Derselbe, von der russischen Regierung zu einer geognostischen Untersuchung des [706] Urals und Altais aufgefordert, erkor sich E. und den Mineralogen Gustav Rose zu Begleitern. Die Reise, die etwa dreiviertel Jahr dauerte (1829), gestaltete Ehrenberg’s Verhältniß zu Humboldt zu einem dauernd freundschaftlichen, dessen Wärme bis zum Ende dieses großen Naturkundigen stetig zunahm. Die Reise selbst erweiterte Ehrenberg’s Uebersicht außerordentlich, schärfte seine Einsicht in das, was er zunächst suchte, und klärte seine geistige Stellung innerhalb des sich um ihn weitenden Arbeitsgebietes. Größere Sammlungen zu machen, lag nicht im Reiseplan. Doch sammelte E. nach Bedürfniß und Lust an dem Formenreichthum der belebten Natur mancherlei Werthvolles. Nach schnellem Durchreisen des Urals und Sibiriens bis zur chinesischen Grenze kehrte er zurück, um nun die unterbrochenen Arbeiten daheim wieder kräftig aufzunehmen und, wie schon gesagt, bald darauf jenes Aufarbeiten der orientalisch-afrikanischen Schätze niederzulegen und seinen eigenen freien Weg weiterzugehen. Die Begründung eines eigenen Heerdes (1831) mit Julie Rose aus Wismar, des Chemikers Heinrich Rose’s Schwägerin, als nunmehr treueste Lebens- und Arbeitsgefährtin gab seinem Vorwärtsstreben eine feste Basis, und ein seltener Kreis von Freunden und Berufsgenossen, wie die beiden Rose, Mitscherlich, Weiß, Klug, Link u. A., denen sich bald mehr und mehr jüngere zugesellten, gab immer neue Anregung und lohnte jede neue geistige That mit reger Theilnahme. So gelangte E. in kurzer Zeit zu den abgerundeten Ergebnissen seiner Infusorienforschungen, daß er, nachdem er in einigen vorläufigen Abhandlungen die wesentlichen Züge der Verbreitung, Formbeständigkeit, Fortpflanzung, Entwicklung und des inneren Baues dieser kleinsten Wesen mitgetheilt, das Ganze dieser Entdeckungen in dem abgeschlossenen Werk „Die Infusorien als vollkommene Organismen“ (1838) der Mitwelt vorlegen konnte. Dies Werk war es, welches Ehrenberg’s Ruf begründete und durch die Gelehrtenkreise der gebildeten Welt beider Hemisphären verbreitete. Selbst Cuvier erklärte in der Pariser Akademie, daß dadurch die Gesammtanschauung von der Organisation der Thierwelt wesentlich umgestaltet sei. Es war durch diese Forschungen nicht allein ein noch theils unbekanntes, theils dunkles Gebiet der Naturkunde erschlossen und aufgehellt, sondern es war nun gelungen, jenen Wahn, daß sich aus modernden Substanzen in Flüssigkeiten (in einem sogenannten „Aufguß“) die „Aufgußthierchen“ von selbst erzeugen und in einander umwandeln könnten, zu beseitigen. Dieselben waren als wohlorganisirte Wesen den übrigen ebenbürtig zur Seite gestellt. Wenn, wie in jedem Menschenwerk, auch in dieser so umfassenden Arbeit außer den zahlreichen für alle Zeit sicher begründeten Thatsachen sich noch Mängel finden, so sind diese verschwindend klein gegen den gemachten wirklichen Gewinn. Hunderte neuer Formen von Wesen waren nach Bau und Stellung im System und wichtige neue Anschauungen vom Lebendigen überhaupt für die Wissenschaft gewonnen. Ein fast unbekanntes Chaos von Formen hatte er nach seiner sehr verschiedenen Ausbildung in bestimmte Classen zu vertheilen vermocht (Räderthierchen, Magenthierchen etc.).

Man warf E. später vor, daß er mehr behauptet habe, als man sehen könne. Zumal gibt man die von ihm aufgestellte feinere Leibesbildung seiner Magenthierchen (Polygastrica) nicht zu. Dennoch liegt sein Fehler höchstens darin, daß er gewisse feinere Differenzirungen im Innern dieser Thiere für beständiger und schärfer abgegrenzt anschaute, als sie es in allen Fällen sind. Doch ist dieser Irrthum unbedeutend im Verhältniß zu der viel gewaltigeren Verirrung seiner Tadler, welche das für ein bloßes indifferentes und innerlich formloses Plasma-Körperchen ansehen, was doch allermindestens den feineren Bau und die unumgänglichen Structurverhältnisse einer lebensfähigen organischen Zelle besitzen muß. Auch sind manche von Ehrenberg’s bestrittenen Ansichten neuerdings [707] wieder bestätigt. Andererseits hatte E. freilich noch nicht den heutigen Maßstab für die Abgrenzung zwischen Thier- und Pflanzenreich und wurde auch deshalb später und noch jetzt angegriffen. Und doch hat er gerade durch seine überaus scharfen Beobachtungen erst den Grund gelegt und die möglichen gangbaren Wege gezeigt, auf denen wir zu unserer heutigen, in manchen Beziehungen übersichtlicheren Erkenntniß der Unterschiede kleinster organischer Thiere und Pflanzen gelangt sind. Wir verdanken ihm, zumal für die zoologische Seite, die erste Auffindung zweckmäßiger Forschungsmethoden, wie sie nunmehr Jedem geläufig sind. Der sichere Nachweis einer gesetzmäßigen und complicirten Organisation der fraglichen Geschöpfe ist das Wichtige; einige zu günstig aufgefaßte Einzelheiten berechtigen nicht, jenen dadurch in den Schatten zu stellen. Uebrigens war der Erfolg dieser gewaltigen Arbeit zunächst ein völlig durchschlagender.

Der Umstand, daß Ehrenberg’s Mikroskop nun allerlei Wässer mit lebenden Bewohnern bevölkert hatte, machte ihn ebenso populär, als wissenschaftlich bekannt. Alle Kreise der Gesellschaft nahmen wiederum Antheil an diesen Entdeckungen und stellten ihr Contingent an Schülern. Selbst bei Hofe mußte er auch diese neuen Wunder zeigen. Der Reisende E. war nun vom Mikroskopiker überwunden, die Entdeckungen am Arbeitstisch und in den Berliner Sümpfen größer als die am Ufer des Nils und des Rothen Meeres.

Allerlei Nebenergebnisse folgten alsbald dem hauptsächlichen. Einige derselben waren seine sorgfältig vergleichenden Beobachtungen derjenigen Organismen, welche die seit Jahrhunderten die Seefahrer beschäftigende Erscheinung des Meeresleuchtens hervorbrachten. Auch hier gelang es ihm, dies Phänomen theilweis auf ganz bestimmte Arten von Geschöpfen zurückzuführen, den Vorgang an einigen klar zu beobachten und den Weg zu weiterer Erkundung zu öffnen. Zu noch überraschenderem Ergebniß führte ihn die Untersuchung der merkwürdigen Thatsache, daß hin und wieder auf Brot oder anderen Speisen freiwillig eine blutähnliche Substanz erschien und sich tagelang schnell vermehrte. Er stellte fest, daß dieselbe aus sehr kleinen „Monaden“ bestand, welche, in gewaltiger Vervielfältigung begriffen, in kurzer Zeit verhältnißmäßig große Massen erzeugen können. Treffend bewies er, daß das oftmals im Laufe des Mittelalters aus geweihten Hostien und ähnlichen Dingen scheinbar hervorquellende Blut auf diese Erscheinung zurückzuführen sei und daß in vielen Fällen der Zufall, in anderen betrügerischer Priesterfanatismus mit Hülfe eines zeitweis züchtbaren unschuldigen Infusoriums zu Aberglauben und Unthaten Veranlassung gegeben hatte. Nicht minder glücklich war er bei Entschleierung einer anderen räthselhaften Erscheinung, die wiederholt ganze Völkerschaften in Schrecken versetzt hatte, die des blutigen Regens und Schnees. E. erkannte in der das wässerige Meteor färbenden Masse viele organische, selbst noch lebende Körper, deren Geburtsort durch Vergleich mit ihren ihm bekannten Artgenossen zum Theil ganz sicher festzustellen war. Dem blutigen Wunder wurde dadurch nicht nur abermals die Thür gewiesen, sondern es führte eine lange Reihe sich daran knüpfender Beobachtungen zu der Thatsache, daß eine sehr große Menge an verschiedenen Orten der Erdoberfläche in die Lüfte gehobener Staubtheilchen und kleinster Organismen sich in einer oberen Region der Atmosphäre sammelten und lange Zeit lebend umhergetrieben, endlich hier und dort als Staub oder im Regen zu Boden fielen. Dabei ergab sich die Herkunft des Sirocco- und Passatstaubes und die Ursache des sogenannten Dunkelmeeres im atlantischen Ocean. Ueber alle diese Dinge gab E. zugleich die gründlichsten historischen Zusammenstellungen ihres Vorkommens von den ältesten der Geschichte zugänglichen Zeiten an. Die [708] Untersuchung mancherlei anderer meteorisch scheinender Körper vervollständigte auch diese Ermittlungen bald.

Selbstverständlich wuchs dadurch nicht blos sein wissenschaftlicher Name, sondern er wurde immer mehr der Freund des Volkes, welche Beziehung durch sein Eingehen auf alle die Gesammtheit betreffenden Ereignisse, wie Seuchen der Menschen und ihrer lebenden Hausgenossenschaft etc., stets näher wurde. So fand er denn bei seinen Reisen sowol im Vaterlande als auch wiederholt in England, Frankreich (1838 u. 47), in Skandinavien (1833), der Schweiz, Italien überall unter Naturforschern und Laien durch alle Schichten der Gesellschaft immer wachsende Theilnahme. Jede Art Anerkennung wurde ihm zu Theil. In London wurde er zum Master of arts promovirt. Alle namhaften gelehrten Gesellschaften machten ihn zum Mitglied und die Fürsten decorirten ihn. Im J. 1842 wurde er beständiger Secretär der Akademie in Berlin, seit 1860 als Nachfolger Humboldt’s auswärtiges Mitglied der Pariser Akademie.

Während E. den glücklich betretenen Weg durch das Gebiet seiner Entdeckungen fortsetzte, unterließ er doch auch jetzt nicht, noch diese und jene von den Früchten seiner Reise ins Nilland nachträglich gezeitigt vorzulegen. Seine botanischen Studien hatte er im Rothen Meer durch die Wahrnehmung der Pollenschläuche in einer Stapeliablüthe gekrönt, durch welche er eine ungefähr gleichzeitig von R. Brown in London, A. Brongniart in Paris und Amici in Florenz unabhängig gemachte wichtige Entdeckung im Gebiet der Sexualität der Pflanzen, so zu sagen auch im Namen der deutschen Naturforschung machte, die er dann später in verallgemeinerter Form mittheilte.

Den Korallenthieren des Rothen Meeres folgten die Akalephen dorther und aus der Ostsee. In neueren eigenen Beobachtungen ging er auf den feineren Bau des Nervensystems, auf die Blutkörperchen etc. ein. Andererseits aber hatte sich ihm eine neue Fernsicht für weitere wissenschaftliche Eroberungen eröffnet, welcher er alsbald mit der ihm eigenen und stets mit glücklichem Erfolg belohnten Thatkraft zustrebte. In einem Trippel von Karlsbad hatten sich die Kieselpanzer fossiler Infusorien in sehr großer Menge gefunden und E. wurde dadurch zur Untersuchung ähnlicher Ablagerungen, wie auch der käuflichen Polirtrippel, angeregt und fand, daß alle größtentheils aus zusammengehäuften Bacillarienschalen bestehen. Neben den lebenden kleinsten Wesen also, welche nach seinen Ermittlungen nun schon alle Wässer und feuchte Stellen des festen Erdbodens, die Regenbütten und Dachrinnen, das feuchte Moos der Bäume, den Schnee der Hochalpen und gar den die Erde einhüllenden Luftmantel bevölkerten, zeigten sich nun auch deren Reste in den Ablagerungen der Erdrinde selbst. In kurzer Frist hatte er alle möglichen verwandten Bildungen durchsucht und in allerlei kieseligen Flötzen, wie sie als Trippel, Bergmehl, Kieselguhr, Polirschiefer etc. bekannt sind, ungeahnte Massen solcher Geschöpfe erkannt, welche an manchen Orten in der Tiefe die fossilen Schalen der Voreltern der an der Oberfläche noch lebenden gleichartigen Wesen erkennen ließen. Die außerordentliche Vermehrungsfähigkeit, welche er früher an lebenden Infusorien durch genaue Beobachtung festgestellt hatte, nach welchen z. B. die Leiber der Nachkommenschaft eines Individuums, wenn seine Theilung und Fortpflanzung ungestört bliebe, in 8 Tagen den Raum einer Kubikmeile einnehmen würden, schien ihm hier thatsächliche Bestätigung zu finden. Körperchen, von denen viele Billionen schon zur Zusammensetzung eines Kubikzolles gehörten, bildeten Schichten loser oder fester Erd- und Steinarten von 100 und mehr Fuß Mächtigkeit. Was man sonst an den Schalen größerer Thiere nur für gewisse Kalkflötze erkannt hatte, war hier für unsichtbar kleine kieselbepanzerte Wesen nachgewiesen. Merkwürdiger Weise fanden sich im Baugrunde der Stadt Berlin nun dergleichen „Infusorienlager“ [709] in sehr bedeutender Mächtigkeit und Ausdehnung und die Haltlosigkeit der Fundamente ganzer Straßen sowol wie die Schädlichkeit des Pumpenwassers derselben legten von neuem Zeugniß für Ehrenberg’s Beobachtungen und darauf gegründete Prophezeiungen ab, so daß sein Ansehen unter seinen Mitbürgern nicht wenig zunahm. Für die Wissenschaft indessen hatte er eine Fundgrube unschätzbarer Reichthümer an Erkenntnißmaterialien geöffnet und damit wiederum eine wissenschaftliche Leistung ausgeführt, welche an allgemeiner Tragweite für die ganze Naturanschauung jene Entdeckungen im Gebiete der lebenden Infusorien noch übertraf. Selbst von der ganzen Bedeutsamkeit dieses neuen Gewinnstes überzeugt, kam er bald zu dem Entschluß, der Erforschung desselben zum Nutzen für die gesammte Naturforschung und zumal für die Geologie nunmehr seine Kraft in erster Linie zu widmen. In den nächsten Jahren schon gelang es ihm, eine bedeutende Menge von betreffenden Gegenständen zu untersuchen. Eigene Reisen außer den schon erwähnten, besonders noch eine wissenschaftliche Mission in die Eifel (1845) und Sendungen überall her lieferten das Material. Alle gefundenen Ergebnisse stellte er dann in seinem zweiten Hauptwerk zusammen, das er „Mikrogeologie oder das Erden und Felsen schaffende Leben“ (1854) nannte. Die wesentlichsten Resultate dieses gewaltigen Werkes, in dem er auf 40 großen Tafeln alle wichtigsten und maßgebenden organischen Formen in gewohnter Meisterschaft verzeichnet hat – zusammt den in den späteren Jahren seiner Thätigkeit noch daran geknüpften Ergänzungsarbeiten – sind etwa diese: Viele und bedeutende Glieder der auf wässerigem Wege gebildeten Gebirgsschichten unserer Erdrinde bestehen zum Theil oder fast ganz aus den kieselerdigen oder kalkigen Skeleten kleinster Organismen. Besonders sind es die Bacillarien, die die genannten Kieselflötze aufbauen. Die Polythalamien dagegen sind es, welche viele Kalkgebirge, zumal die der Kreide, zusammensetzen (sich sogar aus jeder Schlemmkreide darstellen lassen); diese ausschließlich Meeresablagerung, jene zum Theil Süßwassergebilde. Mischbildungen, wie Mergelschichten, sind auch gemischte Zusammensetzungen. Die Form der Geschöpfe in solchen „Biolithen“ sind alle specifisch fest erkennbar und lassen die Entstehung als Meeresflötze (Halibiolithe) oder Süßwasserbildungen genau erkennen. Bis zu den für „azoisch“ gehaltenen tiefen silurischen Schichten hinab gehen diese Bildungen. Der „Grünsand“ dieser und anderer Perioden besteht nicht nur aus Polythalamien, sondern zeigt auch größere Thierreste (Mollusken etc.). Die größte relative Mächtigkeit erreichen die Kiesel- und Mergelbildungen, zum Theil mittels der bedeutenden Entwicklung der von E. entdeckten Classe der kieselschaligen Polycystinen (den Radiolarien verwandt), in der Tertiärzeit bis 1000 Fuß mächtige Flötze bildend (diese z. B. auf Barbados, den Nicobaren, die ersten in Californien, Mexico etc.). Selbst in vulkanischen Gesteinen finden sich vielfach dergleichen Wesen – fast nur Süßwasserformen – eingeschlossen, und die Kieselschalen dieser Eindringlinge, äußerst feuerbeständig, wie sie sind, warfen mithin auf die so räthselvollen Quellen vulkanischer Erzeugnisse mancherlei Licht. Bis in die tiefsten Tiefen der Oceane (gegen 20000 Fuß) finden sich außer den Resten abgestorbener auch die Spuren lebender Organismen. Diese Formen ähneln großentheils, wo sie Niederschläge bilden, der Kreideformation. Auch auf den höchsten Bergspitzen und auf dem Schnee der Polarzone sind lebende Infusorien ansässig und schweben massenweis hoch in der Atmosphäre. Somit waren die Grenzen des organischen Lebens bedeutend gegen die frühere Vorstellung nach Raum und Zeit durch diese kleinsten Wesen erweitert.

Ehrenberg’s Arbeiten hatten ihm in immer weiteren Kreisen Sympathien erworben und aus allen Ländern erhielt er von Gelehrten und Ungelehrten Proben zu seinen Untersuchungen, und er verstand in merkwürdiger Weise, sich [710] jede Spur dienstbar zu machen. Am meisten leistete Nordamerika, dessen Regierung auf Veranlassung der E. befreundeten Gelehrten durch ihre Militärärzte überall sammeln ließ. Zahlreiche Mittheilungen in der Akademie und anderen wissenschaftlichen Organen Berlins berichten über seine Arbeiten, die er durch immer zweckmäßigere Methoden zu erleichtern wußte. Nach Erscheinen der Mikrogeologie waren seine Ergänzungsbeobachtungen besonders glücklich auf die Organismen des Grünsandes, der Meerestiefen, auf die Polycystinenmergel, auch auf die Luftstaube gerichtet. Und selbst in seinen letzten Lebensjahren gelang es ihm noch, da er, durch einen Schenkelhalsbruch unbeweglicher geworden und dabei halb erblindet, nur noch wenig selbst erschauen konnte, mit Hülfe einer Tochter alle seine Forschungsgegenstände durch umfassende Arbeiten und viele Abbildungen und Diagnosen zum befriedigenden Abschluß zu bringen und in Ruhe sein Handwerkszeug am Lebensfeierabend aus der Hand zu legen.

Die letzten Jahrzehnte hindurch hatten ihm freilich, während er ruhig fortarbeitete, allerlei Neuerungen in der Wissenschaft wenig Freude gemacht. Zunächst hatten manche seiner Schüler das von ihm Erlernte dazu benutzt, ihn, indem sie, wie natürlich, seine Entdeckungen durch neue vermehrten, nicht nur zu kritisiren, sondern seine Ansichten zu verwerfen und neue an deren Stelle zu setzen. Wie sie dabei vielfach in größere Irrthümer verfielen, als E. selbst, ist oben gesagt. Er erkannte das Richtige in den Arbeiten Anderer gerne an und wies das, wovon er sich nicht zu überzeugen vermochte, in ruhiger Weise zurück. Die bedeutenden Fortschritte in der Erkenntniß der Entwicklung des Organischen, die er selbst ja wesentlich eingeleitet hatte, verfolgte er, woher sie auch kamen, mit gespanntester Theilnahme. Als aber die neuere deutsche Naturforschung den sicheren Boden vorurtheilsfreier Empirie, auf dem E. bis zu Ende fest und sicher stehen blieb, verließ und sich schwindelhaften Hypothesen mit Fanatismus hingab, machte er ohne Wanken Front gegen dieselben. Einer ruhigen Erörterung der sogenannten Descendenztheorie nach dem Princip rationeller Gesetzmäßigkeit war er nicht entgegen, ließ sie aber seinerseits als zur Zeit unbeweisbare Hypothese auf sich beruhen. Allein die speculativen Uebertreibungen, die als Lehre von der natürlichen Zuchtwahl alsbald die Köpfe einnahmen, die verkehrten Auffassungen der Uebergangsformen zwischen Thieren und Pflanzen, die als „Protistenreich“ die Rolle der Urwesen spielen sollten, diese und ähnliche Ausschreitungen verwies er nicht ohne den verdienten Spott aus der inductiven Wissenschaft in das Reich phantastischer Dichtungen. Er war den Neueren vielfach durch die überwiegende Menge seiner eigenen Beobachtungen überlegen und je länger, desto mehr wird seine Lehre wesentlich wieder als richtig und nur in einigen Deutungen gewisser Structurverhältnisse der kleinsten Wesen als theilweis fehlgegriffen befunden werden. Nicht lange, so wird die heut vielfach herrschende Weise, über das Werden der organischen Welt zu speculiren, dem klaren Geist, in dem E. arbeitete und verharrte, wieder Platz machen. Er selbst tröstete sich mit dem Wort: „Wunden, die die Wissenschaft schlägt, muß die Wissenschaft heilen und wird es.“

Aus dem größeren Kreise wissenschaftlicher Freunde war er zuletzt fast allein geblieben. Eine eigentliche Schule hat er nicht gegründet. Er war immer nur Lehrer für einen kleinen Kreis und auch hier mehr durch Erläuterung am Mikroskop und auf Excursionen, als durch Vortrag ausgezeichnet. Nur wenige Stunden widmete er seinen amtlichen Vorlesungen und zumal für sein Nominalfach, Geschichte der Medicin, fand er selten Zuhörer. (Doch war er vier Mal Decan seiner Facultät und 1855 Rector seiner Hochschule.) In seiner Werkstatt glaubte er allein arbeitend seine Lebensaufgabe besser erfüllen zu können, als von Schülern umgeben. Dennoch fehlte er denen nie, die von ihm etwas [711] bestimmtes lernen wollten, sondern war hierin überaus gefällig. Allen begegnete er als freundlicher Berather. Die liebenswürdigste Humanität war neben der strengsten Wahrhaftigkeit Grundzug seines Wesens. Erfüllt von der Ueberzeugung, daß das Weltganze vernünftig erschaffen und ebenso verwaltet sei, daß diese Wohlordnung in dem Menschengeist gipfle, dessen Befähigung ihn zur Hoffnung auf höchste Vervollkommnung berechtige, lebte er zufrieden in dieser Anschauung. Manche seiner vortrefflichen Feier- und Gedächtnißreden legen in edlen und schwungvollen Gedanken und Bildern von seiner wissenschaftlichen und menschlichen Denkweise Zeugniß ab. Seine dauernde gemüthvolle Heiterkeit, seine Freude an anregender Unterhaltung, sein weiser Rath in Schwierigkeiten und sein kräftiger Trost fesselten Jung und Alt an ihn und seine Freunde blieben ihm treu, bis sie vor ihm aus dem Leben schieden. Außer Heinrich und Gustav Rose war es zumal v. Martius in München, dem er nahe verbunden war. Besonders aber blieb der Verkehr mit A. v. Humboldt stets rege und warm. Beide Männer ergänzten einander in ihren idealistischen Anschauungen und wehrten gemeinschaftlich hier den Aberglauben, dort den Nihilismus ab. Vorzugsweise aber war E. in seinem weiten Familienkreis der Allverehrte. Und nachdem der Tod ihm frühzeitig die erste Gattin entrissen, war es einer zweiten (Tochter des aus den deutschen Freiheitskriegen bekannten Friccius) beschieden, ihm diesen Kreis wieder freundlich zu gestalten. So konnte der Mann, der dem Reich der Wissenschaft eine neue Provinz erobert, sie neue Forschungsmethoden gelehrt und über ein halbes Jahrhundert die Fahne richtiger Naturforschung hoch gehalten hatte, nach wohlerfülltem Tagewerk dessen Ende entgegensehen, das ihn im hohen Alter im Kreise der Seinigen standhaft und bereit fand.

Vgl. des Verfassers ausführlichen Lebensabriß Ehrenberg’s, Bonn 1877.