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Artikel „Tiedemann, Friedrich“ von Julius Pagel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 277–278, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tiedemann,_Friedrich&oldid=- (Version vom 7. Dezember 2024, 11:58 Uhr UTC)
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Tiedemann: Friedrich T., berühmter Physiolog der Neuzeit, ist am 23. Aug. 1781 als Sohn des Hofraths und Professors T. (s. o.) zu Kassel geboren. Seinen Studien oblag er zunächt seit 1798 in Marburg, setzte dieselben 1802 in Bamberg hauptsächlich unter Marcus und später in Würzburg unter Thomann und Kaspar v. Siebold fort. Im J. 1804 erlangte er mit der Inauguralabhandlung „De cordis polypis“ in Marburg die Doctorwürde und habilitirte sich ebendaselbst als Privatdozent der Physiologie. Nebenher hielt er auch Vorlesungen über vergleichende Osteologie und die damals gerade lebhaftes Aufsehen erregende Gall’sche Schädellehre. Zur weiteren wissenschaftlichen Ausbildung, besonders in der Anatomie, Zoologie und Physiologie, machte T. später wissenschaftliche Reisen, mit längerem Aufenthalte in Paris. Bereits 1805 erhielt er einen Ruf als ordentlicher Professor der Anatomie und Zoologie an die Universität Landshut, wo er 11 Jahre lang eine außerordentlich segensreiche akademische und schriftstellerische Thätigkeit entfaltete und durch zahlreiche, weiter unten anzuführende Forschungen und Entbehrungen zum Ruhme und Aufschwung der Landshuter Hochschule ungemein viel beitrug. 1816 ging er in gleicher Eigenschaft nach Heidelberg, wo er auch die Vorlesungen über Physiologie übernahm. Krankheitshalber – T. litt seit 1835 am grauen Staar, [278] der später von Professor Chelius dem Jüngeren auf beiden Augen glücklich operirt wurde – trat er die Vorlesungen über Physiologie, vergleichende und pathologische Anatomie an seinen Schwiegersohn, Theodor Bischoff, ab, nachdem bereits 1822 die Zoologie Leuckart d. Aeltere übernommen hatte. Als Bischoff 1844 nach Gießen übersiedelte, veranlaßte T. die Erbauung eines anatomischen Theaters in Heidelberg, dessen Vollendung er noch erlebte. 1849 trat er gänzlich vom Lehramte zurück und siedelte nach Frankfurt a. M. über, wo er am 10. März 1854 noch das Glück hatte, sein 50jähriges Doctorjubiläum unter zahlreichen Ovationen von seiten seiner Freunde und Schüler begehen zu können. Im Sommer 1856 zog er sich nach München zurück, wo er am 22. Januar 1861 starb – T. gehört zu den bedeutensten Forschern der Neuzeit auf sämmtlichen, von ihm vertretenen Gebieten. Insbesondere ist es sein Verdienst, neben anderen hauptsächlich die exacte Richtung angebahnt, bezw. verfolgt zu haben. Am bekanntesten sind seine Leistungen auf dem Gebiet der Physiologie, speciell die (zusammen mit Gmelin veröffentlichten) Arbeiten über die physiologische Chemie, z. B. der Verdauung. In dieser Beziehung sind zu nennen: „Versuche über die Wege, auf welchen Substanzen aus dem Magen und Darmcanal ins Blut gelangen, über die Verrichtung der Milz und die geheimen Harnwege“ (Heidelberg 1820); „Die Verdauung nach Versuchen“ (2 Bde., ebda. 1826). Von einem großartig und umfassend angelegten Werke „Physiologie des Menschen“ erschien nur 1830 Theil 1 (Darmstadt 1. Bd., auch ins Englische und Französische übersetzt) und 1836 (ebda.) Theil 3 u. d. T.: „Untersuchungen über das Nahrungsbedürfniß, den Nahrungstrieb und die Nahrungsmittel des Menschen“. Zu den frühesten, bezw. Erstlingsarbeiten Tiedemann’s gehören zahlreiche Monographien vergleichend-anatomischen Inhalts (über die Anatomie der Strahltiere, des Fischherzens, der kopflosen Mißgeburten), besonders die berühmte Schrift: „Anatomie und Bildungsgeschichte des Gehirns im Fötus des Menschen nebst einer vergleichenden Darstellung des Hirnbaus in den Thieren“ (Nürnberg 1816; französisch: Paris 1823; englisch: Edinburg u. London 1826). Verwandten Inhalts sind die Abhandlungen: „Ueber das Hirn des Orang-Utangs und über das des Delphins verglichen mit dem Gehirn des Manschen“ (1825) und „Das Hirn des Negers verglichen mit dem des Europäers“ (englisch 1836 und deutsch Heidelberg 1837). – Ein vollständiges, bis zum Jahre 1844 reichendes Verzeichniß von Tiedemanns Arbeiten giebt Callisen’s med. Schriftstellerlexikon. Hierzu käme noch die 1854 erschienene „Geschichte des Tabaks und anderer ähnlicher Genußmittel“ (Frankfurt). – Bezüglich der genaueren Würdigung von T. und seinen Verdiensten um die Wissenschaft verweisen wir auf A. Hirsch, Geschichte der med. Wissenschaften in Deutschland, ferner auf den „großen Häser“ und auf die gleich zu nennende Quelle bezw. die dort angeführten Litteraturnachweise. – Biogr. Lexikon V, 681.