ADB:Tiedemann, Gustav Nicolaus

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Artikel „Tiedemann, Gustav Nikolaus“ von Bernhard von Poten in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 278–280, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tiedemann,_Gustav_Nicolaus&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 17:55 Uhr UTC)
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Tiedemann: Gustav Nikolaus T., badischer Revolutionär vom Jahre 1849, war am 17. Februar 1808 als ein Sohn des Physiologen Friedrich T. (oben S. 277) zu Landshut in Baiern geboren und zuerst in Bremen, wo ein Bruder seines Vaters als Kaufmann lebte, dann auf dem Lyceum zu Mannheim unterrichtet, trat, auf Anregung eines Oheims, des in letzterem Orte in Garnison stehenden Oberst v. Holzing vom Dragonerregimente v. Freystedt, am 1. October 1826 in das badische Kadettenhaus zu Karlsruhe und ward zwei Jahre später zum Officier in jenem Regimente ernannt, in welchem er seiner soldatischen Brauchbarkeit wegen bald Adjutant wurde. Einem längeren Aufenthalte in Commercy, wo ein Schwager jenes Oheims, Oberst Beaujolie, ein französisches Lanciersregiment befehligte, machte die Julirevolution ein Ende, worauf T. den Rest des ihm bewilligten Urlaubes in Hannover zubrachte. Nach Ablauf desselben wurde er in ein anderes, in Bruchsal stationirtes Dragonerregiment [279] versetzt und auch hier bald wieder zum Adjutanten ernannt. Das Leben in der Kleinstadt behagte ihm aber nicht. Er erbat und erhielt von neuem Urlaub nach Hannover, wo er im königlichen Marstalle ritt, die Thierarzneischule besuchte und Englisch trieb. Auch sonst war er bestrebt, sich in dem Berufe, den er gewählt hatte, in dessen Verhältnisse er sich aber nicht zu fügen verstand, weiterzubilden. Unzufrieden mit demselben, überhebend und unverträglich, gerieth er bald in Zerwürfnisse mit Vorgesetzten und in Händel mit Kameraden, kam in das Staatsgefängniß zu Kißlau und sah sich 1833 genöthigt, seinen Abschied zu nehmen. Die unmittelbare Veranlassung dazu gab ein Vorgang, bei welchem er nicht verstanden hatte, die Standesehre zu wahren (Allgemeine Militärzeitung Nr. 63, Darmstadt 1893). Er trat nun als Unterofficier in griechische Dienste, wo der schöne, kräftige, in allen körperlichen Uebungen höchst gewandte, mit reichen Sprach- und anderen Kenntnissen ausgestattete Mann, als er sich bei der Unterdrückung eines Aufstandes in der Maina durch Energie hervorgethan hatte, bald Officier, Regimentsadjutant und demnächst Leiter der Kriegsschule im Piräus wurde. Aber im J. 1843 machte die Staatsumwälzung, welche die Fremden aus ihren Stellungen vertrieb, seiner dortigen militärischen Laufbahn ein Ende. Da er schon 1841 eine Griechin, Irene Xanthis, geheirathet hatte, blieb er im Lande und gedachte sich hier eine neue Existenz zu begründen. Er versuchte es als Sprachlehrer, als Buchhändlergehülfe, als Landwirth. Alles schlug fehl und 1847 kehrte er nach Deutschland zurück, in der Hoffnung im Post- oder Eisenbahndienste Verwendung zu erhalten. Aber es warteten seiner nur neue Enttäuschungen, er fand nirgends ein zusagendes Unterkommen, dazu litt seine Frau an Heimweh, und so entschloß er sich, im folgenden Jahre wieder nach Griechenland zu gehen. Im Mai 1848 schiffte er sich dorthin ein. Kurz vorher, am Ostermontage, dem 24. April, hatte er in Heidelberg die aufständischen Bauern aus dem Oberlande vermocht, die Waffen niederzulegen. Ein Jahr später ergriff er diese zu gleichem Zwecke selbst. Wiederum war ihm nicht gelungen, in seiner zweiten Heimath eine Lebensstellung zu finden, und bei Beginn des badischen Aufstandes finden wir ihn in Deutschland. Er gedachte in die Dienste Schleswig-Holsteins zu treten, aber die Vorgänge in seiner engeren Heimath führten ihn in die Reihen der Aufständischen, zu denen er dadurch eine Beziehung hatte, daß sein jüngerer Bruder mit einer Schwester von Hecker verheirathet war. Er stellte sich Brentano zur Verfügung, ward zum Major ernannt und zunächst nach Kaiserslautern entsandt, um das Zusammengehen mit den Aufständischen in der Pfalz zu fördern. Als die Feindseligkeiten begannen, gehörte er den Stäben von Sigel und Mieroslawski an, nahm an den Gefechten vom 13. bis 16. Juni in der Neckargegend theil, ging dann aber, weil er unwohl war, nach Karlsruhe. Als er dort die Entfernung unfähiger Abenteurer betrieb, mißfiel er Mieroslawski und wurde in Gewahrsam nach Rastatt geschickt, am 30. Juni aber, nachdem der Feind die Murglinie genommen hatte, durch Sigel, der sich selbst in Sicherheit brachte, zum Gouverneur dieser Festung ernannt. Seine Aufgabe als solcher war von vornherein eine hoffnungslose. Außerdem war er derselben nicht gewachsen, es fehlte ihm an Energie und an Vertrauen auf das Gelingen der Sache. Sein Generalstabschef schildert ihn in seinem Buche „Aus dem Leben eines Volkskämpfers von Corvin“ (Otto v. Corvin-Wiersbitzki), Amsterdam 1861, als einen kleinen Geist und geschäftigen Pedanten, welcher sich wichtig machte, gebieterische Befehle gab und Vieles anordnete, aber nicht darauf hielt, daß etwas davon ausgeführt wurde. Doch gesteht er ihm auch gute Eigenschaften zu und bei dem von Corvin gefällten Urtheile darf nicht vergessen werden, daß dieser in hohem Grade eitel und selbstgefällig war und gern sein eigenes Licht leuchten läßt. Tiedemann’s Thätigkeit bestand hauptsächlich darin, die Einwohnerschaft [280] und die Soldaten niederzuhalten, welche nach Uebergabe riefen, sowie in der Fürsorge für die Bedürfnisse der Truppen. Von einer activen Vertheidigung konnte bei der übelen Beschaffenheit der Besatzung kaum die Rede sein, bei einem am 8. Juli unternommenen Ausfalle wurde er leicht an der Schulter verwundet. Am 23. Juli ergab die Festung sich auf Gnade und Ungnade, 6000 Mann streckten die Waffen. T. hatte darauf gerechnet in das Ausland entlassen zu werden, er wurde aber vor ein Kriegsgericht gestellt, am 10. August zum Tode verurtheilt und am 11. erschossen. Er starb mannhaft, wie ein Soldat sterben muß. Viel Aufsehen machte damals ein von seinem Vater an ihn gerichteter Brief (abgedruckt in der Allgemeinen Zeitung Nr. 225 vom 13. August 1849), in welchem dieser ihn zur Umkehr mahnt, aber zugleich schreibt, daß er gegen guten Rath stets taub gewesen sei.

Neuer Nekrolog der Deutschen, 27. Jahrgang, Weimar 1851, Nr. 183, 348 (zwei Lebensbeschreibungen, deren Verfasser auf verschiedenen Standpunkten stehen). – F. v. Weech, Badische Biographien, 2. Band, Heidelberg 1875.