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Artikel „Dohm, Ernst“ von Max Osborn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 219–224, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Dohm,_Ernst&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 02:18 Uhr UTC)
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Dohm *): Ernst D., hervorragender Publicist und Humorist des 19. Jahrhunderts, der langjährige Leiter des „Kladderadatsch“, mit dessen Namen der seine so innig verknüpft ist, daß er zu seinen Gunsten fast die individuelle Existenz verloren, zum mindesten mit ihm sich untrennbar verschmolzen hat, und daß eine Darstellung von Dohm’s schriftstellerischer Thätigkeit und Lebensschicksalen fast zusammenfällt mit der Geschichte des satirisch-humoristischen Organs, dem er länger als ein Menschenalter den Stempel seines Geistes aufgeprägt hat. D., der am 24. Mai 1819 in Breslau geboren war, studirte zunächst in Halle Theologie und Philosophie und gehörte dort zu den Lieblingsschülern A. Tholuck’s, der auch späterhin dem in so ganz andere Sphären verschlagenen Schüler stets treue Freundschaft bewahrte. Zwölf Mal hat der junge Theologe in der Umgegend von Halle sich in der Kunst des Predigens versucht, aber es scheint doch nicht, daß ihm der Beruf des Gottesgelehrten auf die Dauer zusagte. Frühzeitig erwachte litterarische Neigungen gewinnen bald die Oberhand. Er verläßt die gebahnte Straße, geht nach Berlin und nimmt zunächst Stellung als Hauslehrer [220] an, um von diesem Uferposten aus Fahrten auf das offene Meer des publicistischen Lebens zu unternehmen. Er wird Mitglied der berühmt gewordenen lustigen Berliner Vereinigung „Das Rütli“, die seit dem Winter 1845/46 in der Bierstube bei Lauch in der Werder’schen Rosengasse hinter der Werder’schen Kirche allwöchentlich ihre Versammlungen abhielt und, trotz ihres herausfordernden Namens, weniger in politischen als in litterarisch-künstlerischen Gesprächen die Raketen ihres Witzes steigen ließ. Dort gewinnt er Fühlung mit den führenden litterarischen Geistern der Hauptstadt und tritt auch schon Rudolf Löwenstein und Wilhelm Scholz, seinen späteren Collegen vom „Kladderadatsch“, nahe. In Joseph Lehmann’s 1832 gegründetem „Magazin für die Litteratur des Auslandes“, wo damals, ebenso wie noch Jahrzehnte später, die jüngeren Berliner Schriftsteller sich zuerst hervorwagten, debütirt er mit Essays über spanische und französische Litteratur; auch in Gubitz’ „Gesellschafter“, der sich in der vormärzlichen Zeit noch großer Beliebtheit erfreute, erprobt er seine Feder. Aber erst die Bewegung des Jahres 1848 gibt seinem Leben die entscheidende Wendung. Sie reißt ihn völlig in den Kampf der Geister, in dem er sich sein ganzes künftiges Leben hindurch als einer der geschicktesten und erfolgreichsten Fechter tummeln sollte. Als Stammgast der berühmten Berliner „Zeitungshalle“ von Julius in der Jägerstraße, eines der demokratischen Hauptquartiere, lernt er nun die Schaar der Männer kennen, die sich in jener Zeit und den folgenden Jahren an dem leidenschaftlichen Streit der politischen Parteien betheiligten – so kam es auch, daß D. als Zeuge im späteren Waldeck-Proceß vernommen wurde –, und als im Frühling 1848 der „Kladderadatsch“ geboren wurde, war D. von der zweiten Nummer an Mitarbeiter des neuen Blattes.

Als am 7. Mai des „tollen Jahres“ in den Straßen Berlins die erste Nummer dieses „Organs für und von Bummler“ mit dem grotesken Haupttitel ausgerufen wurde, sahen die Käufer und Passanten darin zunächst nur eins der zahllosen Witzblätter, die damals aus dem aufgewühlten Boden sprossen wie Spargel im Mai. Es war natürlich, daß die Kampfstimmung der Zeit nicht nur in ernsthafter und erregter Betrachtung, sondern auch in fröhlicher Satire sich wiederspiegeln wollte. Aber fast alle diese lustigen Blätter flogen rasch wieder davon. Nur der „Kladderadatsch“ hielt sich und bewährte eine Lebenskraft, die ihn befähigte, alle Wandlungen der nationalen und politischen Entwicklung zu überdauern. Er hat dies glorreiche Schicksal wohl verdient. Denn von Anfang an stand die Art, wie er die Ereignisse der stürmisch bewegten Zeit glossirte, thurmhoch über der mehr oder minder flachen Witzelei seiner norddeutschen Concurrenten. Das Trifolium seiner Begründer: der Verleger Albert Hofmann, der angehende Schriftsteller David Kalisch, damals noch junger Kaufmann, und der junge Zeichner Wilhelm Scholz, hob ihn von vornherein auf ein hohes litterarisch-künstlerisches Niveau, und die glückliche Ergänzung des Redactionsstammes durch die unmittelbar nach der Begründung erfolgte Hinzuziehung Ernst Dohm’s und Rudolf Löwenstein’s trug dazu bei, dieses Niveau dauernd zu erhalten und immer mehr zu steigern. D. aber wurde bald die Seele des Blattes. In der Nummer vom 27. Mai 1849 zeichnete er zum ersten Male als verantwortlicher Redacteur, und bis wenige Monate vor seinem Tode ist er, vierunddreißig Jahre hindurch, mit einer einzigen kurzen Unterbrechung, die durch eine zeitweilige Abwesenheit von Berlin begründet war, der verantwortliche und thatsächliche Redacteur des kostbaren Organs, das „täglich mit Ausnahme der Wochentage“ erschien und erscheint, gewesen. Das Wort von den „Gelehrten des Kladderadatsch“, dessen Entstehung sich nicht mehr genau feststellen [221] läßt, weist deutlich auf den eigenthümlichen Respect des Publicums vor dem Redactionscollegium und bezeichnet zugleich sehr glücklich das Wesen seiner Thätigkeit, die in Dohm’s Leitung und Mitarbeit ihre charakteristische Prägung erhielt. D. war ein Mann von reicher und tiefer Bildung. Von der hohen Warte des Weltweisen betrachtete er gelassen das Getriebe, ohne Hochmuth, aber mit der unbesiegbaren Spottlust des Ueberlegenen. Er besaß, was dem gewerbsmäßigen Witzbold mangelt, eine reife und feine Weltanschauung. Lachend erkannte er all das Dumme und Kleine, was sich aufbläht und eine Rolle spielen möchte. Seine satirischen Scherze waren nicht böswillig-hämische Sticheleien aus dem Hinterhalt, sondern freie und klatschende Geißelhiebe, die von oben her auf die Getroffenen herabsausten. Sein Hohn war nicht bitter und verletzend, nicht billig und gallig, sondern von souveräner Heiterkeit. Und hinter seinen geistreich-lustigen Gedichten und Bemerkungen leuchtete erwärmend ein heiliger Ernst, der nur die Eigenart hatte, sich meistens nicht positiv, sondern negativ auszusprechen. Er wird ale eine Persönlichkeit von ruhigem inneren Gleichmuth geschildert, der der Beweglichkeit seines Geistes die Wagschale hielt, als ein kluger sprühender Plauderer im intimen Kreise, dem aber nichts ferner lag als die gewandten Alluren des „amusanten“ Gesellschafters, Tischredners und Witzeerzählers. Die Bilder, die wir von ihm besitzen, bestätigen das vollauf: ein durchgeistigter, stiller, bescheidener Gelehrtenkopf mit hoher Stirn und Brille, mit dem scharfen Blick eines sicheren Auges und einem in seiner Linie geschlossenen Munde, dem man ansieht, daß er noch viel mehr verschwiegen als gesagt hat; keine Spur vom nervösen Journalistentypus oder von arrangirter Schriftsteller-Physiognomie. Aber in den Mundwinkeln zucken doch tausend Teufelchen, die nur auf eine Gelegenheit lauern, um vorzuspringen und ihre übermüthigen Tänze aufzuführen. In Dohm’s schön gewölbtem Schädel barg sich die goldene Gabe eines unerschöpflichen Humors, einer königlichen Ironie, die ihn auf rosigen Wolken emporhob und ihn wahrhaft zu dem Amte befähigte, ridendo castigare mores. Doch ohne Pedanterie übte er diesen Beruf. Er gehörte nicht zu denen, die eher Vater und Mutter verrathen, als einen Witz verschlucken können. Er war kein „Humorist auf alle Fälle“. Und jeder Doctrinarismus, vor allem der der politischen Parteibeschränktheit, lag ihm fern. Focht er in der nachmärzlichen Reactionszeit und in der heißen Periode des preußischen Verfassungsconflicts für die Sache der geistigen Freiheit und der Volksrechte, so war er doch gegen die gefährlichen Uebertreibungen, die sich der großen liberalen Bewegung an den Wagen hingen, nichts weniger als blind. Und er, dem nichts Kleinliches entging, bewahrte sich die volle Unbefangenheit dem Großen gegenüber, dem er sich willig beugte. Er erkannte früh, von der Fractionsschablone nie beirrt, die Bedeutung und Genialität Bismarck’s. Auch zu den Zeiten, da er den späteren Reichskanzler noch als seinen politischen Gegner betrachten und bekämpfen mußte, klingt, vielleicht oder wahrscheinlich unbeabsichtigt, ein Unterton fast zärtlicher Bewunderung mit. So erscheint bei ihm die nach 1866 veränderte Stellung zu dem Leiter der preußisch-deutschen Politik nicht als eine plötzliche Schwenkung, sondern als eine wohl vorbereitete und organisch sich vollziehende Wandlung.

Was D. und seine Mitarbeiter besonders auszeichnete, war bei aller rücksichtslosen und muthigen Schärfe der vollendete Tact ihrer Satire. Er verschaffte dem „Kladderadatsch“, ohne daß er ihm in der Liebe seiner Freunde schadete, die dauernde Achtung seiner Gegner und das nur selten unterbrochene Wohlwollen der maßgebenden Kreise, die er, wenn die Gelegenheit sich bot, so erbarmungslos verspottete. Dies Tactgefühl befähigte namentlich [222] D. zu seinem sicheren politischen Urtheil, das man ruhig als staatsmännisch bezeichnen kann. Wie er Bismarck’s Größe frühzeitig erkannte, so durchschaute er sofort die Gefahren, die Preußen von Napoleon III. her drohten, so sah er klar den Weg vor sich, den die große deutsche Frage zu gehen hatte. Und sein Instinct leitete ihn stets zum Rechten, wenn der Augenblick kam, da es Zeit war, ernsthaft zu werden, da der Humorist dem Dichter zu weichen hatte. Dann zeigte D. erst ganz, welch tiefer Lebensernst, welche Gedankenfülle, welches Formtalent ihm eigen waren. Niemand hat die deutsche Sprache besser gemeistert als er, und wo es galt, an allgemeiner Trauer würdig theil zu nehmen, wie beim Tode Friedrich Wilhelm’s IV., oder pathetischen Schwung nicht zu verschmähen, wie in den Jahren der Kriege gegen Dänemark, Oesterreich und namentlich gegen Frankreich, hat D. Gelegenheitsgedichte geschaffen, die zum Allerbesten gehören, was diese Gattung überhaupt hervorgebracht hat, und die als Documente der Zeit dauernde Geltung behalten werden. Sein packendes Gedicht auf die „Schlacht von Metz“ hat in der patriotischen Lyrik von 1870 kaum seines Gleichen.

Unter Dohm’s Leitung ward der „Kladderadatsch“ zu einem der wichtigsten Organe des öffentlichen Lebens in Deutschland. Der Historiker der Zukunft wird die Geschichte der fünfziger und sechziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts nicht schreiben können, ohne zu berücksichtigen, wie sich die Ereignisse in diesem Hohlspiegel ausnahmen; ebenso wenig, wie der Geschichtsschreiber der Reformationszeit ohne die satirischen Flugblätter des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts auskommen könnte. Oft genug ist überdies der „Kladderadatsch“, oder D., was dasselbe ist, nicht nur ein Spiegel, sondern ein Führer der öffentlichen Meinung gewesen. So ganz besonders in der schon erwähnten Stellung gegen Napoleon III., die zwar der Redaction genugsam „Verwarnungen“ seitens der einheimischen Regierung aus diplomatischen Gründen zuzog, die aber nicht wenig dazu beigetragen hat, die in Deutschland eine Zeit lang sich ankündigende sorglose Schwärmerei für den Glanz des kaiserlichen Hofes zu Paris wirksam zu bekämpfen und dadurch die Volksthümlichkeit des Krieges von 1870 vorzubereiten. So auch später, als D. mit unerschütterlicher Treue und Ueberzeugung und allen Waffen seines scharfen Geistes für Richard Wagner eintrat, dessen Genie er lange Zeit vor der Menge erkannte und verstand. In zahllosen Einzelfragen ist die Stellungnahme des Kladderadatsch für weite Volkskreise maßgebend oder mit entscheidend gewesen. Ein prägnanter Witz von ihm, eines seiner kostbaren Gedichtchen vermochte oft mehr als viele Reden, Erlasse, Programme und Leitartikel. Was ihm sein Ansehen gab, war seine verbürgte Unabhängigkeit und Ehrlichkeit. Als D. sich nach 1870 in der für einen Witzblattredacteur peinlichen Lage sah, in allem Wesentlichen mit den regierenden Gewalten Jahre lang übereinzustimmen, zwang er sich nicht zu einer oppositionellen Stellung, deren Mangel dem Blatte damals allerdings seine Schwungkraft lähmte. Aber als im J. 1879 Bismarck seine neue Zoll- und Wirthschaftspolitik inaugurierte, war der Kladderadatsch unabhängig genug, diese Schwenkung ironisch zu paraphrasiren, was zwar im Grunde ziemlich harmlos geschah, aber doch zu einer auf Bismarck’s Anregung erfolgten Anklage und zu einer Geldstrafe führte. Das war freilich nicht das einzige Mal, daß D. als verantwortlicher Redacteur auf die Anklagebank kam, und mehrmals hat er den Gewahrsam in der alten Berliner Stadtvogtei am Molkenmarkt, „Neun Ellen im Geviert, ein enges Loch, – Kaum größer als die Großmacht von Reuß-Gera“, beziehen müssen. Doch abgesehen von solchen Zusammenstößen war das Verhältniß zwischen D.-Kladderadatsch und dem großen Kanzler, auch in den Zeiten, da der witzige Kobold sich gar unbotmäßig benahm, [223] ein recht freundschaftliches. Bismarck hatte trotz aller Reibereien auch seinerseits eine besondere Vorliebe für den Kladderadatsch und unterhielt zu seinem Leiter Beziehungen wie zu einem Parteiführer. Bezeichnend für die seltsame Art dieser Freundschaft ist die documentarisch verbürgte Geschichte, wie im J. 1864 König Wilhelm I. auf den Antrag Bismarck’s D. den Rest einer Haftstrafe erließ, weil eine wenig reumüthige, aber um so geistreichere Caricatur von Wilhelm Scholz auf des „Verantwortlichen“ fünfwöchige Einsperrung die Majestät aufs höchste amüsirt hatte – so daß für den Kladderadatsch eine Unannehmlichkeit die Quelle eines neuen großen Erfolges wurde.

Dohm’s Ausübung der redactionellen Pflichten war meister- und musterhaft. Mit klarem Blick sichtete er die unermeßliche Zahl der Einläufe, verarbeitete er das Halbgeeignete, gab er Rath und Anregung, gab er seinem Blatt in allen Stürmen und Schwierigkeiten eine feste und geschlossene Einheitlichkeit. Das Ganze war von seinem Geist durchtränkt, und es ist darum, zumal da er seine Manuscripte stets vernichtete, sehr schwierig, in manchen Fällen unmöglich, seinen wie der Andern Antheil im einzelnen genau festzustellen. Weitaus die Mehrzahl der Gedichte, die an der Spitze der Nummer standen und die am meisten auf dauernde Geltung Anspruch haben, stammen in den Jahren von Dohm’s Redactionsführung aus seiner Feder; doch eine authentische Sammlung seiner Beiträge, auch der wichtigsten, besitzen wir nicht. Wie so oft im journalistischen Getriebe, verschmolz auch hier der Redacteur mit seinem Blatte, das von ihm das Opfer seiner Persönlichkeit forderte. Sonst ein Mann, der das Leben gern von der leichten Seite nahm, war D. gegen den Kladderadatsch von strengster Pflichttreue. Er hatte sich freilich nicht viel zu quälen. Seine geniale Begabung befähigte ihn, im letzten Augenblick, wenn nur noch eine winzige Spanne Zeit zur Verfügung stand, im Redactionszimmer der Druckerei, mitten im größten Lärm, die besten Beiträge niederzuschreiben. Das schon genannte Gedicht auf den Tod Friedrich Wilhelm’s IV. entstand so, im Zeitraum einer halben Stunde, während der Druckerjunge jede einzelne Strophe mit der noch nicht getrockneten Schrift dem Schreiber unter den Händen fortzog.

Der Kladderadatsch nahm Dohm’s Arbeitskraft fast ganz in Anspruch. Er hat außer der freilich kaum übersehbaren Fülle von kleinen Dingen, die er für sein Blatt schuf, nicht viel veröffentlicht. Aus dem Jahre 1849 besitzen wir von ihm eine Reihe kleiner Hefte voll liebenswürdiger Satiren unter dem Titel „Der Aufwiegler in der Westentasche“. Ferner schrieb er eine satirische Posse „Der trojanische Krieg“ (1864), einen Scherz auf den deutsch-österreichischen Conflict des Jahres 1850. Aus demselben Jahre stammen seine Coupletverse zu A. Weihrauch’s Berliner Posse „Wenn Leute Geld haben“. Lebendiger erhielten sich eine ausgezeichnete Uebersetzung Lafontaine’scher Fabeln und die überaus witzigen, glänzend gelungenen Uebertragungen einiger Meilhac-Halévy’schen Texte zu Offenbach’schen Operetten, wie der besonders geglückten „Schönen Helena“. Eine Zeit lang (1867–72) zeichnete D. mit Julius Rodenberg zusammen als Herausgeber des „Salon für Litteratur, Kunst und Gesellschaft“; aber um die Redaction hat er sich gar nicht gekümmert, und die einzige Spur seiner Thätigkeit für die Zeitschrift war ein mit „I“ bezeichneter „Chinesischer Brief“ im ersten Heft, dem nie ein zweiter gefolgt ist. Ständiger Mitarbeiter war D. an dem „Deutschen Montagsblatt“, für das er Jahre hindurch allwöchentlich seine gereimten „Ungereimten Chroniken“ schrieb (im J. 1879 unter dem Titel „Sekundenbilder“ gesammelt). Durch seinen Jahrzehnte währenden Aufenthalt in der Hauptstadt war D., ebenso wie sein Breslauer Landsmann David Kalisch, ein echter Berliner geworden. Sein Haus war [224] durch Decennien ein Mittelpunkt des litterarisch-gesellschaftlichen Lebens, seine Gastfreundschaft in allen Kreisen hochberühmt und viel gesucht. Eine tief in ihm wurzelnde sorglose Heiterkeit, die noch in späten Jahren gelegentlich Ausbrüche geradezu studentischer Laune zeitigte, gab seinem Wesen das Gepräge. Seine Freigebigkeit und unbefangene Lebensfröhlichkeit brachten ihn denn auch hie und da in kleine Ungelegenheiten, wie sie einem Studenten sonst eher begegnen als einem berühmten Schriftsteller. Im J. 1870 trieben ihn solche Ungelegenheiten sogar auf mehrere Monate aus Berlin; er ließ sich auf diese kurze Zeit in Weimar nieder, aber die Arbeit am Kladderadatsch führte er von dort aus weiter, und durch die nähere Bekanntschaft mit Franz Liszt trug er auch aus dieser Episode einen reichen Gewinn fürs Leben mit davon. Diese Verhältnisse können hier um so freimüthiger berührt werden, als niemand dem genialen Manne die liebenswürdigen kleinen Fehler, die zu seinem Charakterbilde gehören, mit pharisäischem Geiste nachrechnen wird, und als damit zugleich Gelegenheit genommen werden soll, den total unbegründeten und unbegreiflichen Vorwurf der Spielleidenschaft, der ohne jeden Anlaß gegen D. erhoben worden ist, nachdrücklich zurückzuweisen. – D. starb in Berlin am 5. Februar 1883.

Der Kladderadatsch und seine Leute 1848–1898 (1898). – Paul Lindau, Ernst Dohm und der Kladderadatsch (Nord und Süd, Oct. 1879). – „Im tollen Jahr.“ Erster Jahrgang des Kladderadatsch (neugedruckt 1898). – Bismarck-Album des Kladderadatsch (27. Aufl. 1898).

[219] *) Zu Bd. XLVII, S. 737.