ADB:Deinhardt, Johann Heinrich

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Artikel „Deinhardt, Johann Heinrich“ von Friedrich August Eckstein in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 5 (1877), S. 30–33, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Deinhardt,_Johann_Heinrich&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 23:23 Uhr UTC)
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Deinhardt: Johann Heinrich D., Schulmann, geb. in Nieder-Zimmern bei Weimar am 15. Juli 1805, † in Bromberg am 16. Aug. 1867. Er war der Sohn tüchtiger Landleute, unter sechs Geschwistern das jüngste. Seine erste Bildung erhielt er in der Dorfschule, 1815 wurde er in die Parochial- oder Predigerschule nach Erfurt gebracht, in der er so gute Fortschritte machte, daß er bereits nach 1½ Jahren in die Tertia des Gymnasiums aufgenommen werden konnte. Die Schule war damals in nicht besonderer Verfassung und wurde erst durch die Umgestaltung 1820 zu einem guten Gymnasium, an dem neben dem Director Straß Lehrer wie Spitzner und nachher Kritz wirkten und tüchtige Schüler zogen. Zu Deinhardt’s Mitschülern gehörten unter anderen Ritschl und Benary. Zu Ostern 1825 verließ er das Gymnasium mit einem Zeugnisse ersten Grades und bezog die Universität Berlin. Den Plan, Theologie zu studiren, hatte er aufgegeben; er wollte Schulwissenschaften, besonders Mathematik studiren. Er hörte bei Ohm und Ideler mathematische, bei Encke, der ihm auch einen Theil der Rechnungen für einen Jahrgang seines astronomischen Jahrbuchs übertrug, astronomische, bei Link und Ermann naturwissenschaftliche Vorlesungen, versäumte aber auch nicht philologische und sprachwissenschaftliche bei Böckh und Bopp, geschichtliche bei Fr. v. Raumer, geographische bei Ritter und war besonders eifrig in den philosophischen Hegel’s und Henning’s. Damals lebte noch in der studirenden Jugend daß lebhafteste Interesse für die Philosophie. Dieser Beschäftigung dankte D. die gründliche Durchbildung und die ideale Richtung seines ganzen Strebens. Zu Ostern 1828 wurde er als stellvertretender [31] Lehrer der Mathematik und Physik nach Wittenberg berufen und machte bald darauf die Oberlehrerprüfung. Michaelis 1828 wurde er ordentlicher Lehrer, später Oberlehrer. Dem Director gegenüber, der als strenger Philolog die alten Sprachen bevorzugte, mußte sich D. für die durch ihn vertretenen Disciplinen erst Boden gewinnen; es gelang ihm bei den Schülern die besten Erfolge zu erzielen und dadurch das Widerstreben Spitzner’s zu besiegen. Als Lehrer und noch mehr durch seine litterarische Thätigkeit hatte er die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich gelenkt, die ihm 1844 das Directorat des Gymnasiums in Bromberg übertrugen, nachdem er vorher das colloquium pro rectoratu vor der wissenschaftlichen Prüfungscommission in Halle gemacht hatte.

In voller Manneskraft trat er in die neue Stellung ein, in der er 23 Jahre hindurch verblieben ist. Es waren in einem theilweise widerstrebenden Lehrercollegium große Schwierigkeiten zu überwinden und auch die Schüler begriffen nur allmählich, was seine Leitung und sein Unterricht bezweckten. Durch Berathung mit seinen Collegen wurden die Classenziele festgesetzt, Einheit und Zusammenhang in die Lehrverfassung gebracht, Mängel in der Methode einzelner Lehrer möglichst beseitigt. Es wurden Classenprüfungen eingeführt, Redeacte, Turnfeste und gemeinsame Spaziergänge veranstaltet. Durch Ausarbeitung genauer Disciplinargesetze (1844, umgearbeitet 1854 und 1866) wurde der Sinn für Ordnung in den Schülern befestigt. Die 1845 eröffnete Vorbereitungsclasse erwuchs zu einer dreiclassigen Vorbereitungsschule, die erst 1864 aus seiner privaten Leitung in die Hände des Staates überging und damit ein integrirender Theil des Gymnasiums wurde. Mit 200 Schülern hatte er die Schule übernommen, die in 6 Classen vertheilt waren; ihre Zahl stieg auf 432 in 14 Classen. Dabei waren der polnischen Schüler immer weniger geworden und das deutsche evangelische Element erhielt das Uebergewicht. Es ist ihm auch gelungen die äußere Lage der Lehrer zu verbessern und aus dem Honorar für gehaltene Vorlesungen die Stiftung einer deutschen Prämie (1850), eine andere für unverheirathete Töchter von verstorbenen Lehrern (1853) ins Leben zu rufen und die Wittwen- und Waisenstiftung (1857) kräftig zu fördern. Den Neubau eines Gebäudes hat er nicht mehr erlebt.

Das gute Verhältniß, in welchem er zu den Behörden stand (namentlich Johannes Schulze ehrte ihn durch sein Vertrauen), wurde durch die politischen Stürme des Jahres 1848 vielfach gestört. Schon im J. 1846 hatte der deutsch gesinnte Mann der polnischen Bewegung gegenüber entschieden Stellung genommen und sich zur praktischen Theilnahme an dem politischen Leben veranlaßt gefühlt. 1848 ward er ein entschiedener Vertreter des Liberalismus oder, wie die Denuncianten der Kreuzzeitung ihn nannten, eines der Häupter der Bromberger Demokratie und ein gefährlicher Verführer der Jugend. Selbst seine Berliner Gönner (Schulze und Kortüm) wandten sich von ihm ab und man dehnte den Verweis wegen der politischen Haltung auch auf seinen Unterricht aus, den er zu einem akademischen steigere und seine Schüler zu Schwätzern mache. In dieser Zeit reactionärer Bedrängniß wäre ihm eine Berufung nach Parchim (1850) oder nach Anclam (1852) willkommen gewesen, aber sie erfolgte nicht, weil er politisch verdächtig erschien. Er dachte auch wol daran an einer Universität sich niederzulassen und philosophische Vorlesungen zu halten. Inzwischen hörte diese Unruhe auf, nachdem wiederholte Revisionen die Behörde von dem guten Zustande der Schule überzeugt hatten, und die letzten Jahre brachten ihm zu der ungetrübten Wirksamkeit auch wiederholte Anerkennung. Die philosophische Facultät der Berliner Universität ernannte ihn bei dem Jubiläum 1860 honoris causa zum Doctor, ja er erhielt sogar bei der Krönung des Königs Wilhelm in Königsberg 1861 den rothen Adlerorden vierter Classe. In den letzten Jahren [32] gebot ihm eine zunehmende nervöse Reizbarkeit, verbunden mit ernstlichen katarrhalischen Leiden, eine größere Zurückgezogenheit vom öffentlichen Leben und nöthigte ihn Milderung durch den Gebrauch von Seebädern oder durch Gebirgsreisen zu suchen. Auch 1867 war er zu diesem Zwecke nach Thüringen gegangen, kehrte aber am 26. Juli krank nach Bromberg zurück. Die Feier des 50jährigen Jubiläums seiner Schule stand in den letzten Tagen dieses Monats bevor; er versuchte seinen für die Festfeier vorbereiteten Vortrag zu halten, sank aber nach kurzer Zeit zusammen und mußte die Festversammlung verlassen. Die Krankheit nahm rasch einen nervösen Charakter an und am 16. August erlag er derselben.

Auf seine Lehrerthätigkeit legte D. großes Gewicht. Er hatte zunächst mathematischen und physikalischen Unterricht zu ertheilen und that das mit großer Einfachheit und Klarheit. In Bromberg wählte er später mehr die Lehrgegenstände, die auf Geist und Gemüth des Schülers am meisten wirken, wie Religion (Sitten- und Glaubenslehre nach der Anleitung des Neuen Testaments), deutsche Litteratur zur Erweckung des nationalen Enthusiasmus, philosophische Propädeutik. Dem polizeilichen Discipliniren der Schüler war er nicht hold; die Weckung des wissenschaftlichen Interesses und die Anregung des Fleißes hielt er für das beste Mittel gegen alle Ausschreitungen. Aber Trägheit und Unsittlichkeit strafte er mit oft leidenschaftlichem Zorne, in dem er wol auch fehlgreifen konnte.

Unter seinen wissenschaftlichen Arbeiten steht nicht blos der Zeit nach voran: „Der Gymnasialunterricht nach den wissenschaftlichen Anforderungen der jetzigen Zeit“, Hamburg 1837, in welchem Buche er das preußische Gymnasialwesen gegen die Lorinser’schen Angriffe vertheidigt und die Aufgabe des Gymnasiums als einer Bildungsanstalt der theoretischen Stände und die daraus sich ergebende Entwicklung des wissenschaftlichen Sinnes klar hinstellt. Die dazu dienenden Lehrgegenstände, deren Verknüpfung zu einem organischen Ganzen und die dabei zu beobachtende Methode werden fast zu umständlich und durch Hegel’sche Terminologie oft unklar dargelegt. Das Buch fand wohlverdiente Anerkennung; es ist 1858 noch in das Holländische übersetzt. An den Grundanschauungen hat D. festgehalten; nur manche seiner Ansichten hat er in späteren Aufsätzen und Abhandlungen modificirt oder weiter entwickelt. Schon in der Centralbibliothek von Brzoska erschienen 1838 und 1839 Aufsätze zur Empfehlung gymnastischer Uebungen, über die Berechtigung der philosophischen Propädeutik, allgemeine Bestimmung über den Zweck und die Mittel der Gymnasialdisciplin; in der Berliner Zeitschrift für Gymnasialwesen: über die Themata zu deutschen Aufsätzen, über die zweckmäßige Einrichtung der Schulprogramme u. a. Namentlich hat er zu der Encyklopädie von Schmid eine große Zahl von Artikeln geliefert, die ebensowol die allgemeinen Bildungsfragen (ästhetische Bildung, Bildungsideal, Erkenntnißvermögen, Fleiß, Gemüth, Gedächtniß, Gewöhnung, Phantasie), als auch die geschichtliche Entwicklung (Fröbel, Kant, Lorinser, Plato, Schaub u. a.) betreffen. Auch einige seiner Schulprogramme (er hat deren von 1830–1867 zwölf verfaßt) gehören hierher. Bereits 1838 hatte er Vorschläge zur Gründung einer Zeitschrift für wissenschaftliche Pädagogik gemacht. 1843 wurde er von dem Cultusminister Eichhorn aufgefordert, den Entwurf einer Instruction für den Religionsunterricht auf Gymnasien auszuarbeiten, der sich von dem damals gültigen Plan, die Kirchengeschichte und eine wissenschaftlich zusammenhängende Glaubens- und Sittenlehre in den vier letzten Schuljahren zu behandeln, nicht unterscheidet. In diese Zeit fallen seine „Beiträge zur religiösen Erkenntniß“ (Hamburg 1844), die aus Vorträgen in der litterarischen Gesellschaft in Wittenberg entstanden sind. Mit behaglicher Breite, aber auch in oft unklarer Sprache [33] behandelt er den Begriff der Religion, die Offenbarung Gottes in der Welt, Pantheismus, Deismus, den Begriff der Persönlichkeit, die Idee der Freiheit. Manche spätere Abhandlungen über den Gegensatz des Pantheismus und des Deismus in den vorchristlichen Religionen (1845), Begriff der Religion (1859), über die Vernunftgründe der Unsterblichkeit der menschlichen Seele (1863) ergänzen jene Arbeit. Schärfste Wissenschaft und lebendiger Glaube wirken bei ihm zusammen zum Finden der Wahrheit. In das Gebiet der alten Philosophie kam er durch seinen Unterricht in der philosophischen Propädeutik; für sie war bestimmt das Schriftchen: „Der Begriff der Seele mit besonderer Rücksicht auf die aristotelische Psychologie“ (1840) und „Ueber den Inhalt und Zusammenhang von Platon’s Gastmahl“ (1865). Viele dieser Abhandlungen hat H. Schmidt gesammelt unter dem Titel „Deinhardt’s kleine Schriften“ (Leipzig 1869). Von seinen Schulreden sind nur wenige in diese Sammlung aufgenommen. Schließlich ist noch zu erwähnen „Leben und Charakter des Wandsbecker Boten M. Claudius“ (Gotha 1864), für den er bereits in der ersten Wittenberger Zeit eine besondere Vorliebe gefaßt hatte.

Es ist eine große Zahl von Schriften und Abhandlungen, die D. neben den Mühen seines Amtes nur durch geordnete Thätigkeit und bei seiner Schnelligkeit im Arbeiten vollenden konnte. Trotzdem war er heiterer Geselligkeit und biederer Gastfreundschaft zugethan, ein offener, zuverlässiger Freund und bei seiner Begeisterung für alles Gute und Schöne zur Unterstützung allgemeiner Interessen immer bereit. Im October 1833 hatte er sich mit der Schwester seines Freundes H. Schmidt verheirathet und ein wahrhaft glückliches Familienleben begründet, das durch den im J. 1863 erfolgten Tod der Gattin getrübt wurde. Drei verheirathete Töchter haben den Vater überlebt.

J. Fechner in der Berliner Zeitschr. für das Gymnasialwesen 1868, S. 77–79. Th. Bach, J. H. Deinhardt, ein Beitrag zur Geschichte des preuß. Gymnasialwesens in Masius’ Jahrb. für Pädagogik 1873 und in einem Separatabdruck, Leipzig 1874.