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Artikel „Dübner, Johann Heinrich“ von Friedrich August Eckstein in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 5 (1877), S. 440–444, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:D%C3%BCbner,_Friedrich&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 06:21 Uhr UTC)
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Dübner: Johann Heinrich D., Philolog, geb. 20. Dec. (so hat er selbst geschrieben, nicht 21.) 1802 in Hörselgau, gest. 13. Oct. 1867 in Montreuil sous Bois. Da seine Mutter, ein Bauernmädchen in dem genannten gothaischen Dorfe, sich wenig um das Kind kümmern konnte, sorgte der Schultheiß für seine Erziehung und brachte den elfjährigen Knaben auf das Gymnasium in Gotha, in dessen dritte Classe er am 2. März 1814 aufgenommen wurde. Als seinen Mitschüler kennen wir nur Heinrich Stieglitz. Ostern 1821 bezog er die Universität Göttingen, um Philologie zu studiren. Von seinen Lehrern nennt er mit Dankbarkeit besonders Mitscherlich, dem er beneficiorum paterno animo in se collatorum usque memor 1849 die Ausgabe des Himerius widmete; mehr [441] wird O. Müller auf ihn gewirkt haben, der wenige Jahre vorher seine akademische Wirksamkeit begonnen hatte. Außerdem hat er den Historiker Heeren und den Philosophen Krause gehört. Da er durch Privatunterricht seinen Unterhalt erwerben mußte, blieb er sechs Jahre auf der Universität und kehrte erst 1827 nach Gotha zurück, wo ihm die Stelle eines Inspector coenobii übertragen wurde. In den alten Klosterräumen des Gymnasiums bestand nämlich ein Alumnat für etwa 16 Schüler; diese hatte er zu beaufsichtigen und daneben auch Unterricht, sogar im Hebräischen, zu ertheilen. Seine Amtspflichten scheint er nicht gerade gewissenhaft erfüllt zu haben, auch die Aufrechthaltung der Zucht machte ihm Schwierigkeit und deshalb mag sein Abgang 1832 nicht ganz freiwillig erfolgt sein. Er hatte während dieser Zeit nicht nur zu den philologischen Zeitschriften viele Beiträge geliefert, sondern auch durch die Herausgabe des Justin (1831) und des Persius (1832) seinen Namen bereits in weiteren Kreisen bekannt gemacht. Seine Absicht, auf einer italienischen Reise kritische Hülfsmittel für eine Bearbeitung der griechischen Komiker zu sammeln, wurde vereitelt, als v. Sinner im Auftrage der Gebrüder Didot ihn aufforderte nach Paris zu kommen und dort als Mitarbeiter an der neuen Ausgabe des Thesaurus der griechischen Sprache von H. Stephanus einzutreten. Es war zunächst nur die mühselige Arbeit die angeführten Stellen der Schriftsteller aufzusuchen und zu berichtigen. Da aber Sinner sehr bald und Fix nach dem Abschlusse des ersten Bandes von der Redaction zurücktraten und die Fortsetzung des großen Werkes in die Hände der Brüder W. und L. Dindorf in Leipzig gelegt wurde, mußte bei der Entfernung der Herausgeber auch Dübner’s Antheil bedeutender werden. Denn ihm lag es nun ob, das ganze Manuscript für die Druckerei vorzubereiten und die erste Correctur zu übernehmen, dann aber, nachdem die in Fahnenabzügen gemachte vorletzte Correctur von Leipzig zurückgekommen war, die letzte Correctur zu lesen und dann die einzelnen Bogen fertig zu stellen. 34 Jahre vergingen, ehe das große Werk vollendet war; mit ihm wird sich die Erinnerung an die Sorgfalt des genauen Correctors erhalten. Die so angeknüpfte geschäftliche Verbindung mit dem berühmten Verleger des Thesaurus sollte in noch ausgedehnterer Weise einem zweiten großen Unternehmen desselben zu Gute kommen, der Sammlung griechischer Schriftsteller, welche mit revidirtem Texte und verbesserter lateinischer Uebersetzung die stattliche Reihe von Quartbänden bilden, deren Abschluß noch nicht erfolgt ist. Alle Gebiete der Litteratur, Dichter und Redner, Historiker und Philosophen, hat er hier behandelt, überall neue kritische Hülfsmittel und zwar nicht blos aus den Pariser Bibliotheken genau benutzend und den Text darnach scharfsinnig verbessernd, die älteren lateinischen Uebersetzungen berichtigend, neue Register anfertigend. Zu dem Hesiod von Lehrs gab er die Fragmente der Epiker mit ausführlichem Commentar (1840); zu den Fragmenten des Euripides und der Tragiker von W. Wagner die christlichen Dramen, vornehmlich den „Christus patiens“ aus bisher unbekannten Handschriften und mit genauen Nachweisungen (1846); die Scholien zu Aristophanes auf Grundlage der Arbeit von W. Dindorf (1842) mit eigenen Bemerkungen zu den Scholien der Lysistrata und den Thesmophoriazusen und einem neu angefertigten Register; den didaktischen Dichtern fügte er das jambische Gedicht der Phile über das Wesen der Thiere in neuer Textes-Recension hinzu (1845) und lieferte 1849 eine vollständigere und mit kritischen Anmerkungen versehene Ausgabe der Scholien zu Theokritos (1849) und 1851 auch eine neue Recension der übrigen Gedichte der Phile, die nach den ihm von Miller mitgetheilten Lesarten ganz anders als bei Wernsdorf gestaltet werden konnte; endlich 1869 die etwa um 500 Epigramme vermehrte und mit einem Commentar versehene „Anthologia Palatina“ deren zweiter Band erst [442] 1872 nach seinem Tode erschienen ist. Ob er an der ersten Ausgabe des Polybios (1839) Antheil gehabt hat, ist nicht ersichtlich; um die zweite (1866) hat er sich durch die Vermehrung, Anordnung und Uebersetzung der Fragmente und einen neuen Index verdient gemacht. Für Arrian (1846) boten die neu verglichenen Pariser Handschriften zahlreiche Verbesserungen; bei dem mit K. Müller herausgegebenen Strabon (1853) hat er in den ersten sechs Büchern Xylander’s lateinische Uebersetzung verbessert. Die Bearbeitung der Lebensbeschreibungen des Plutarch hatte Döhner übernommen, D. erhielt die sogenannten „Moralia“, für die er durch genauere Benutzung der Pariser Handschriften nach den von Kontos gemachten Collationen auch nach Wyttenbach so reiche Ergebnisse fand, daß er 1841 sich rühmte den Text an etwa 3000 Stellen verbessert zu haben; erst 1855 kamen Fragmenta et spuria hinzu. Für Plato hat er die Prolegomena von Albinus, Alkinoos und Olympiodor so wie die Scholien bearbeitet; erst 1873 sind sie herausgegeben. Von Aristoteles ist nur der erste Band (1848) durch ihn besorgt; dagegen hat er für Theophrast’s Charaktere und für Maximus Tyrius (1840) die besten Handschriften benutzt und zu dem Creuzer’schen Plotin (1855) Porphyrios und Proklos hinzugethan und Priscians Solutiones zum ersten Male nach einer Pariser Handschrift herausgegeben. Zu den Rednern hat er (1861) eine Auswahl von Homilien und anderen Schriften des Chrysostomos bearbeitet und die Declamationen des Sophisten Himerius (1849) aus der einzigen Handschrift vervollständigt und verbessert. Zu den Romanschreibern hat er die Register angefertigt und darin alle geschichtlichen Notizen vereinigt. – Für dieselbe Buchhandlung besorgte er in der saubern Collection Elzévirienne den Horaz ad modum Joannis Bond (1606), der 1855 erschien und nicht allein einen lesbaren Text, sondern auch einen bündigen Commentar liefert. In derselben Art bearbeitete er 1856 Virgils Werk. Den niedlichen Anakreon von Ambr. Firmin Didot hat er corrigirt und den griechischen Text zu der französischen Uebersetzung des Thukydides von demselben Gelehrten revidirt.

Als 1864 die Handlung Gaume an die Herausgabe der christlichen Väter ging, wurde D. nicht bloß Corrector, sondern Mitarbeiter. Bei dem Chrysostomus hat er Sinner und Fix durch die Correctur der Druckbogen und Angabe von Verbesserungen geholfen, ebenso bei Basilius und Bernhard; zu einer Ausgabe des h. Hilarius, zu der er sich bereit erklärt hatte, ist er nicht mehr gekommen. Den von Boissonade zuerst herausgegebenen Babrios hat er in der zweiten Ausgabe wesentlich verbessert.

Bei diesen griechischen Studien war er den lateinischen Schriftstellern, mit denen er seine schriftstellerische Thätigkeit begonnen hatte, nicht untreu geworden. 1837 besorgte er eine neue Ausgabe von H. Meyer’s Oratorum Romanorum fragmenta mit vielen Zusätzen. Wichtiger ist die auf Befehl des Kaisers Napoleon III. veranstaltete Ausgabe des Cäsar, welche reichhaltigen kritischen Apparat in der glänzenden Ausstattung der kaiserlichen Druckerei bietet und von deutschen Gelehrten um ihrer Seltenheit willen nicht genug beachtet wird. Noch mehr ließ er sich von unternehmenden Buchhändlern für Schulausgaben heranziehen, die in unzähligen Exemplaren in Frankreich verbreitet sind; sie enthalten außer dem Texte Einleitungen, Inhaltsangaben und Anmerkungen in französischer Sprache. So die zwei ersten Gesänge der Ilias, Sophokles’ Oedipus Rex und Philoktet, einige Staatsreden des Demosthenes, Virgil mit einem „Traité sur les principales particularités de la syntaxe poétique“, Cäsar, Cicero’s catilinarische Reden, Sallust, Nepos, Auswahl aus Ovids Metamorphosen, Phädrus, Plinius Panegyricus (1843), der auch kritischen Werth hat, Tacitus (1846) und die in den französischen Schulen noch nicht verdrängten Conciones und Narrationes aus den lateinischen Historikern. Diese sind meist bei Lecoffre erschienen.

[443] Der gründliche Kenner der griechischen Sprache konnte nicht verkennen, wie sehr der Unterricht in derselben durch die schlechten Lehrbücher und die verkehrte Methode beeinträchtigt wurde. Für den Elementarunterricht gab er 1855 bei Hachette „Lhomond grec ou premiers éléments de la grammaire grecque“ heraus; weil aber dieser grammatische Unterricht ohne vielfache schriftliche Uebungen wenig fruchtet, bearbeitete er ein „Lexique français-grec à l’usage des classes élémentaires“ und gab „Exercices“ (sowol versions als thèmes, wie die Franzosen sagen) mit einer elementaren Accentlehre; damit aber auch die Lehrer das Buch verwerthen könnten, wurde das corrigé dieser Aufgaben zu ihrem Nutzen besonders gedruckt. Dieses Wagniß, den Schlendrian zu bekämpfen, erregte lebhaften Kampf, zumal zu derselben Zeit der Minister Fortoul eine Commission niedergesetzt hatte, um den Plan einer Parallelgrammatik für die beiden classischen und die französische Sprache zu entwerfen. Diese Berathungen blieben natürlich erfolglos. D. wurde dadurch veranlaßt, 1856 ein Schriftchen herauszugeben: „La méthode grecque de M. Burnouf devant le nouveau règlement pour l’adoption des livres classiques“, in welchem er unter der Maske eines Professors, welcher mit der Prüfung der seit 1813 herrschenden Grammatik von Burnouf beauftragt ist, die unzähligen Fehler dieser Schulgrammatik unbarmherzig aufdeckte und gegen die längere Benutzung derselben als der wissenschaftlichen Ehre des Landes unwürdig protestirte. Noch in demselben Jahre folgte „Nouvel examen de la méthode grecque de M. Burnouf“, in welchem Schriftchen D. an einem einzigen Capitel der Grammatik mit philologischer Genauigkeit die Mängel nachwies, und im Januar des folgenden Jahres „Lettre à son exc. M. le ministre de l’instruction publique sur la méthode grecque prescrite aux lycées et aux colléges de l’état“. Wiederum ward eine Commission zur Prüfung der angegriffenen Methode eingesetzt und Gelehrte wie Hase und Egger in dieselbe berufen, sogar zwei Mitglieder des Instituts mit einer Revision der benutzten Grammatik beauftragt, aber das unerwartete Resultat war, daß man an dem Hergebrachten festhielt und nicht einmal Verbesserungen des Lehrbuches für nothwendig erachtete. Noch einmal ergriff D. das Wort in dem „Examen détaillé de la méthode de M. Burnouf“, um wenigstens Beseitigung der gröbsten Fehler zu erlangen und im Januar 1858 in einer „Lettre à M. Hase“, um seinem Befremden über die Zähigkeit, mit welcher man einen neuen Weg ablehnte, Ausdruck zu geben. In seinem ernsten Eifer für die Belebung der griechischen Studien mag er hie und da zu weit gegangen sein, zu schroff geurtheilt haben, die Zeit hat ihm aber Recht gegeben und bessere Bücher finden allmählich auch in Frankreich Eingang. Das Interesse, welches er bei diesem Streite für einen Lehrgegenstand gezeigt hat, bewährte er auch für andere durch Aufsätze in der Revue de l’enseignement und in dem Journal général de l’instruction publique und in einer Brochure „La Routine dans l’enseignement classique au dix-neuvième siècle“. Gelehrte Beiträge gab er zu der Revue de philologie 1845–1847, aber auch in den pädagogischen Zeitschriften finden sich kritische Erörterungen namentlich über Virgil und Horaz, die immerhin verdienen zusammengestellt zu werden.

D. führte ein stilles, zurückgezogenes Leben. Eine Grisette, die er später heirathetete, führte seinen Haushalt und war ihm bei der Verwaltung seiner Einkünfte unentbehrlich. 1845 war er während eines Aufenthaltes in Versailles zur katholischen Kirche übergetreten. Die letzten Jahre lebte er in dem Dorfe Montreuil und erfreute sich eines Gartens, mit dessen Früchten er gern seine Freunde beschenkte. Nannte er sich auch 1849 reipublicae Gallicae civis, so blieb er doch allen politischen Bewegungen fern. Napoleon III. verlieh ihm nach der Vollendung des Cäsar das Kreuz der Ehrenlegion und bezeugte ihm und seiner Wittwe auch sonst seine anerkennende Dankbarkeit. Immer im Dienste Anderer [444] beschäftigt, kam er nicht dazu große selbständige Arbeiten zu liefern; er war wie jene berühmten Correctoren des 16. Jahrhunderts unausgesetzt in Anspruch genommen, hat aber auch, wie jene, bei seiner umfassenden Belesenheit und gründlichen Sprachkenntniß auf der Grundlage reicher kritischer Hülfsmittel ruhig und besonnen die Kritik an einer großen Zahl namentlich griechischer Schriftsteller geübt. Das Ausland hat das besser anerkannt als Frankreich, dessen Institut keinen Platz für den ausgezeichneten Hellenisten hatte. Mit seltener Uneigennützigkeit und Gefälligkeit stand er gern zu Dienstleistungen bereit, wo es galt, griechische Texte zu corrigiren oder Pariser Handschriften zu vergleichen. Deutsche Gelehrte wissen das zu rühmen und Cobet, der oft auch seine Gastfreundschaft benutzt hat, sagt mit Recht: Quo neque candidiorem quemquam neque magis industrium et in codicibus excutiendis oculatiorem hominem videre me memini. Sein Grab ist auf Emil Gaume’s Anregung mit einer Marmortafel in griechischem Stile von M. Mesnier geschmückt, auf dem sein Bildniß in Medaillonform gebildet ist, welches Athene und Odysseus bekränzen. Eine lateinische Inschrift von Léon Renier erinnert an die Ausgabe des Cäsar, ein griechisches Distichon (von Chassang) und ein lateinisches stehen an den Seiten, die eigentliche Grabschrift ist französisch. Die Einweihung dieses Monuments ist am Jahrestage seines Todes 1868 vollzogen und dabei eine Rede von Sainte-Beuve vorgelesen worden.

Fréd. Godefroy, Notice sur J. F. Dübner Paris 1867. 8. Augsb. Allg. Zeit. 1867. Nr. 295. Ein Schriftchen von Ch. Lucas (Paris 1870) kenne ich nicht.