Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Krell, Nicolaus“ von Moriz Ritter in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 116–122, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Crell,_Nikolaus&oldid=- (Version vom 30. Dezember 2024, 16:42 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Kremplsetzer, Georg
Band 17 (1883), S. 116–122 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Nikolaus Krell in der Wikipedia
Nikolaus Krell in Wikidata
GND-Nummer 118033719
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|17|116|122|Krell, Nicolaus|Moriz Ritter|ADB:Crell, Nikolaus}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118033719}}    

Krell: Nicolaus K, kursächsischer Kanzler unter Christian I. Er wurde geboren um das Jahr 1551 zu Leipzig, wo sein Vater als Rathsherr und Rechtsgelehrter wirkte. Gleich diesem widmete er sich den juristischen Studien. Nachdem er im J. 1574 an der Leipziger Universität den Grad des Magisters gewonnen, reiste er im J. 1577 nach Frankreich und erwarb sich - an welcher Universität ist unbekannt – die juristische Doctorwürde. Als Doctor begann er in seiner Vaterstadt, an der Universität und in der juristischen Praxis, zu wirken, wurde aber schon im J. 1580 vom Kurfürsten August zum Hofrath ernannt und im folgenden Jahre dem neu eingerichteten Hofstaat des Kurprinzen Christian beigesellt. Kenntnisse und Geschäftsgewandtheit müssen ihn dem letzteren zeitig empfohlen haben. Denn als Christian im J. 1586 seinem Vater in der Regierung nachfolgte, wurde K. wenige Monate nachher (5. Juni neuen Stils) nicht nur zum Mitglied des Raths, sondern auch zum eigentlichen Geschäftsführer der inneren und äußeren Politik erhoben: er war es, dem entweder gleich oder doch sehr bald die Abfassung der wichtigeren aus den Verhandlungen des geheimen Raths und den Entschlüssen des Kurfürsten hervorgehenden Schriften – der Gutachten, die an den Landesherrn gerichtet wurden, der Schreiben und Erlasse, die in des letzteren Namen ausgingen – zugetheilt wurde. Von dieser Zeit seiner umfassenderen Wirksamkeit beginnt denn auch für uns die nähere Kenntniß seiner Geschichte. Wir wissen nicht, ob K. seine hohe Stellung erstrebt hat, um reformirend in die sächsische Regierung einzugreifen; [117] aber klar ist es, daß er eine Lage der Dinge vorfand, die einem thatkräftigen Mann auch ungesucht eine entscheidende Wirksamkeit aufdrängen mußte. Die kirchliche Frage, welche die Welt beherrschte, hatte damals über die sächsische Politik eine doppelte Krisis gebracht: eine erste, die aus den inneren, eine zweite, die aus den auswärtigen Verhältnissen sich entwickelte. Nach innen war die sächsische Landeskirche von den Lehrstreitigkeiten aufgewühlt, welche die gesammte protestantische Theologie und Kirche damals bewegten.– Kurfürst August, als Regent seiner Kirche, hatte diesen Kämpfen gegenüber zuerst an den durch die Autorität Melanchthon’s geschützten Lehrnormen festgehalten, welche manche Verschiedenheiten der Auffassung frei ließen; dann aber, empört darüber, daß man sein Land hinter seinem Rücken calvinisch machen wollte, hatte er die Abfassung und Annahme der Concordienformel betrieben, welche in allen streitigen Punkten den Lehrbegriff verengte: in seiner Kirchenordnung von 1580 befahl er, daß sämmtliche Lehrer und Geistliche sich an die Bestimmungen dieser Formel zu halten hatten. Wie nun aber die frühere Richtung, für welche der Name und die Schriften Melanchthon’s maßgebend waren, eine starke Partei an den beiden Landesuniversitäten, in der Geistlichkeit und unter den studirten Beamten für sich hatte, so war nach dem Tode des Kurfürsten August die große Frage offen, ob die mit den Mitteln der Gewalt durchgeführte Bindung der Geister Bestand haben sollte oder nicht. – Zu dieser inneren Schwierigkeit gesellte sich eine auswärtige. Bei den Gegensätzen zwischen der katholischen und protestantischen Partei der deutschen Reichsstände und dem Zusammenhang dieser Gegensätze mit den Religionskriegen der Nachbarmächte hatte der verstorbene Kurfürst immer mäßigend einzuwirken gesucht; seine leitenden Grundsätze waren: sorgsame Pflege der noch übrigen Bürgschaften der staatlichen Einheit des Reichs und Wahrung der Verbindung des Kaiserthums mit dem Hause Oesterreich, Vermeidung aller confessionellen Sonderbünde im Reich und strenge Neutralität der Reichsstände gegenüber den Verwicklungen des Auslandes. Aber darüber wurden in Deutschland die zwischen der katholischen und protestantischen Partei streitigen Rechts- und Machtfragen so zahlreich und schwer, daß eine Entscheidung derselben immer drängender erschien, die Verfassung des Reiches zeigte sich so ohnmächtig und der junge Kaiser Rudolf den Protestanten so verdächtig, daß eine Entscheidung in den Formen der Reichsverfassung zur Unmöglichkeit wurde, im Auslande endlich nahmen die Religionskriege seit Gründung der französischen Ligue einen Umfang und eine Intensität an, daß ein Ueberfluthen derselben über die Grenzen des Reichs allgemein gefürchtet ward. Die Frage war, ob unter diesen Wirren die conservativen Grundsätze des Kurfürsten August festgehalten werden sollten, oder ob die entgegengesetzte Politik die richtige war, welche von der kurpfälzischen Regierung vertreten wurde: eine Politik, welche eine Verbindung der protestantischen Reichsstände empfahl zur selbständigen Vertretung ihrer Rechte und Interessen, sowol im Reich wie auch in den Verwickelungen der Nachbarmächte. Hatte nun K., als er in die Regierung eintrat, diesen Fragen gegenüber ein selbständiges Programm? Mit Sicherheit kann man das nur in Betreff der kirchlichen Angelegenheiten behaupten. Gleich so vielen Zöglingen der Universität Leipzig war K. ein Anhänger Melanchthon’s: in der Abendmahlslehre, welche die Geister am schärfsten entzweite, verabscheute er das Dogma von der Ubiquität, verwarf er den Empfang des Sacraments von Seiten der Ungläubigen und wollte die Formeln, welche die leibliche Gegenwart Christi unzweideutig aussprachen, der Kirche wenigstens nicht aufgenöthigt sehen. Was in dieser Lehre und in anderen streitigen Punkten die Concordienformel über die früheren Normen der sächsischen Kirche hinaus festgesetzt hatte, verwarf er und vollends mißbilligte er das gewaltsame Vorgehen, durch welches den Anhängern jener Formel die Alleinherrschaft [118] in Kirche und Schule gesichert werden sollte. – Diese Ansichten Krell’s waren nicht unbekannt, als er in den geheimen Rath aufgenommen wurde; dem jungen Kurfürsten widerstrebten sie aber um so weniger, da derselbe für seine Person ebenfalls jedes Eintreten für die Concordienformel vermieden hatte und vermied. Im Vertrauen auf einen solchen Rückhalt zögerte denn auch K. nicht seine Anschauungen zu verwirklichen. Schon im nächsten Jahre nach dem Regierungswechsel setzte er es durch, daß an den beiden Universitäten Wittenberg und Leipzig die Verpflichtung auf die Concordienformel aufgehoben, und bei der Verpflichtung auf die Augsburger Confession die Unterscheidung der ungeänderten von der geänderten beseitigt wurde. Bald nachher ward diese Verfügung auf sämmtliche Kirchen- und Schuldiener ausgedehnt, und so mit einem Schlag gesetzlich der Zustand hergestellt, der in der früheren Periode der Regierung des Kurfürsten August bestanden hatte. Aber freilich, um thatsächlich die früheren Verhältnisse herzustellen, dazu war es erforderlich, die Herrschaft, welche die Partei der Concordie in der sächsischen Kirche gewonnen hatte, wieder zu brechen und Männer von vermittelnder Richtung emporzubringen. Beides zeigte sich gleich schwierig. Indem K. für die Universität und die einflußreichen Kirchenämter Männer zu gewinnen suchte, die im Geiste Melanchthon’s wirken sollten, zog er streitlustige Theologen herbei, welche der calvinischen Lehre vom Abendmahl und der calvinischen Abneigung gegen Bilder und Altäre zum Sieg zu verhelfen gedachten. Indem dann die Wächter des verengten Bekenntnisses mit grimmigen Predigten und Schriften gegen die neue Richtung zu Felde zogen, sah K. sich zu Zwangsmaßregeln genöthigt, deren Schärfe doch ziemlich einseitig die Partei der Concordie traf: ein Erlaß vom J. 1588 verbot bei Strafe der Ausweisung, in den Predigten neben der falschen Lehre zugleich die Personen anzugreifen und als falsche Lehre bloße Schulmeinungen, d. h. Sätze, die nach der Augsburger Confession unentschieden, durch die Concordienformel aber verworfen waren, zu bekämpfen; eine zweite Verordnung schärfte die Censur für alle theologischen Schriften ein, setzte jedoch zur Handhabung derselben eine Commission nieder, in der calvinisch gesinnte Männer den Ausschlag gaben. Der Gang des Streites führte immer mehr auf die Alternative, ob Sachsen lutherisch bleiben oder calvinisch werden solle. Wie nun aber die Gegensätze kirchlicher Lehre das öffentliche Leben mit all’ seinen Einrichtungen durchdrungen hatten., so konnte es nicht anders sein, als daß durch solche Bewegungen das gesammte Gemeinwesen, das kirchliche wie das staatliche, in seinen Tiefen erregt wurde. Unter den Landständen, die bei der Einführung protestantisch-kirchlicher Ordnungen überall neben dem Landesherrn mitgewirkt hatten und die Verbürgung derselben zu ihren Pflichten und Rechten zählten, traten die drei Stifter, sowie die Universitäten auf die Seite Krell’s, innerhalb des Adels dagegen und der Städte hielt die Mehrzahl an dem System fest, welches gestürzt werden sollte. Mit dem Adel, der also in Opposition gegen die Regierung trat, hing wieder ein guter Theil der hohen Beamten zusammen. Männer, wie der Hofmarschall Wolfgang v. Schönberg, der Kammerrath Otto v. Diskau, der Pfennigmeister Christoph v. Loß, waren zugleich Beamte und Landstände: sie und, wie es scheint, die Mehrzahl der Hofbeamten überhaupt waren den kirchlichen Neuerungen ebenfalls entgegen. Daß endlich unter der Geistlichkeit der größere Theil die calvinischen Neuerungen verabscheute, ist schon angedeutet, und gerade ihre Stimmung wurde für K. um so gefährlicher, da sie einen kühnen Sprecher in dem Hofprediger Mirus fand. Dieser Mann, der zu dem Kurfürsten zugleich mit der Autorität des Beichtvaters sprach und die lutherische Opposition am Hofe durch heftige Predigten wach hielt, eröffnete bereits im J. 1587 seine Angriffe gegen die kirchlichen Neuerungen mit einer scharfen Denunciation Krell’s bei dem Kurfürsten. Es wurde damals klar, [119] daß nur im Streit gegen zahlreiche widerstrebende Mächte das neue System durchdringen konnte. Verhältnißmäßig leicht führte nun K. den ersten Kampf mit Mirus durch, da dieser durch Maßlosigkeit, die den Kurfürsten persönlich verletzte, seine Ausweisung selbst herbeiführte. Schwieriger gestaltete sich der Streit mit den feindlichen Einflüssen am Hofe. Aber auch in diesen wagte sich K. hinein, gestärkt durch das Vertrauen seines Kurfürsten, welches er durch Arbeitskraft und Integrität der Amtsführung verdient hatte, getrieben von einer rastlosen Thätigkeit, welche, da sie zugleich das Allgemeine der Geschäfte beherrschte und das Einzelne zu besorgen verstand, die Selbständigkeit der Amtsgenossen nicht wol ertragen konnte. So wußte er von vornherein, als er in den geheimen Rath eintrat, seine Nebenbuhler in den Schatten zu drängen und den Hauptantheil der Regierung an sich zu ziehen; und wenn für’s erste ein Mann, der zu den Beförderern der Concordienformel gehörte, der Kanzler David Peifer, an der Spitze der Beamtenschaft blieb, so kam es doch nach drei weiteren Jahren dahin, daß Peifer zurücktrat und K. an seine Stelle gesetzt wurde (Juli 1589). Diesen Sieg benutzte dann der neue Kanzler, um eine völlige Umgestaltung der Regierung herbeizuführen. Waren bisher die wichtigern Fragen der inneren und äußeren Politik von dem geheimen Rath collegialiter behandelt, so wurden jetzt die gewöhnlichen Regierungsgeschäfte dem zahlreich besetzten Hofrath zugewiesen; die wichtigen Angelegenheiten dagegen sollten fortan von K. persönlich dem Kurfürsten vorgetragen und dann mit Zuziehung einiger Räthe, über deren Auswahl der Kurfürst in jedem einzelnen Falle zu entscheiden hatte, bearbeitet werden. Scheinbar zog damit der junge Kurfürst die Geschäfte unmittelbar an seine Person; aber da Christian I. unselbständig, arbeitsscheu und dem Trunke ergeben war, so lag die wahre Bedeutung der Neuerung darin, daß der Kanzler, von der Mitwirkung eines selbständigen Collegiums befreit, fortan den Gang der Regierung eigenmächtig bestimmte, unterstützt von einigen Räthen, die er sich zu diesem Zwecke aussuchte. – In derselben Zeit, da K. auf diesen Höhepunkt der Macht gelangte, fiel in der zweiten großen Frage, die der sächsischen Regierung gestellt war, in der Frage der auswärtigen Politik, die Entscheidung. Sehr merkwürdig ist es aber, daß K. hier keineswegs die kühne Initiative ergriffen hatte, die in der kirchlichen Frage sein Vorgehen bezeichnet. Die Grundsätze, welche er zu Anfang von Christians Regierung aussprach, hielten sich vielmehr streng innerhalb des conservativen Programms des Kurfürsten August: er wagte es damals nicht dem kühneren Gang der pfälzischen Regierung zu folgen, welche dem König Heinrich von Navarra in seinem Kampfe gegen die katholische Ligue Beistand leistete und zur Theilnahme an dieser Unterstützung gern das gesammte protestantische Deutschland fortgerissen hätte. Erst im Laufe der folgenden Jahre begann die sächsische Regierung aus ihrer Zurückhaltung herauszutreten; aber auch da scheint der Antrieb nicht von K., sondern von den Brüdern Kaspar und Wolfgang v. Schönberg ausgegangen zu sein, von denen der erstere im Dienste des Königs von Frankreich stand, der andere am Hofe Christians die Stelle des Hofmarschalls bekleidete. Unter deren Einwirkung erfolgte eine Wendung der sächsischen Politik, welche entschieden wurde, als im Juni 1589 bei einer in Langensalza gehaltenen Zusammenkunft Christians mit dem Landgrafen Wilhelm von Hessen beschlossen wurde, den König Heinrich III. von Frankreich, der von der katholischen Ligue sich getrennt und mit dem protestantischen König von Navarra sich vereinigt hatte, durch ein Darlehen zu unterstützen. Dieser Beschluß wurde einige Tage vor der Erhebung Krell’s zum Kanzler gefaßt. Und gewiß ist es nun, daß K. von jener Zeit ab die neue Richtung der sächsischen Politik, die er nicht selbständig eingeschlagen, aufrichtig annahm und mit klarer Entschlossenheit verfolgte. Unter seiner Geschäftsführung und Verantwortung geschah [120] es, daß der Kurfürst von Sachsen im März 1590 mit Johann Casimir von der Pfalz in Plauen zusammenkam und dann im Februar 1591 zu Torgau eine imposante Versammlung protestantischer Fürstengesandten abhielt. Erstrebt wurde bei diesen Verhandlungen ein dreifaches Ziel: Unterstützung des inzwischen zur französischen Königswürde gelangten Heinrich von Navarra im Kampfe gegen die spanisch-liguistische Conföderation, Schärfung der protestantisch-reichsständischen Opposition gegen die katholische Haltung der kaiserlichen Regierung, besonders gegen die Entscheidung der confessionellen Machtfragen durch den Reichshofrath, Zusammenschluß endlich der protestantischen Reichsstände zu einem Bündniß, das die Rechte und Machtansprüche der protestantischen Partei mit selbständiger Politik hätte vertreten können. Die Aussichten des deutschen Protestantismus, sich als eine geeinte Macht zu constituiren, waren damals günstiger als jemals vorher oder nachher; fragte man aber nach dem wahren Grund dieser günstigen Lage, so konnte man ihn nur darin finden, daß die seit Jahrzehnten getrennten Führer der protestantischen Sache, die Kurfürsten von Sachsen und Pfalz, sich einträchtig zusammengefunden hatten. Und hier lag nun auch der Punkt, wo sich die älteren kirchlichen Bestrebungen Krell’s mit seiner neuen auswärtigen Politik zusammenschlossen. Denn wie damals die Dinge lagen, wurde die politische Verbindung von Pfalz und Sachsen erst dann eine wirklich feste, wenn die zwischen den Kirchen beider Lande begonnene Versöhnung vollendet ward. In diesem Zusammenhange war es also doppelt bedeutsam, daß die calvinistischen Bestrebungen in Sachsen langsam und gewaltsam vorangingen. Seit 1589 arbeitete eine Commission von Theologen im Auftrage des Kurfürsten an einer neuen Auflage von Luther’s Bibelübersetzung, welche mit den historischen Büchern des alten Testaments begann und mit Anmerkungen gegen die Ubiquität, gegen Bilder und Altäre versehen wurde. Zu Anfang 1591 erhob sich auf den, sei es selbständigen, sei es von den Theologen eingegebenen Antrieb des Kurfürsten eine Agitation gegen den Exorcismus bei der Taufhandlung, in Folge deren schließlich ein Erlaß der Consistorien auf Abschaffung dieser Ceremonie erging, mit der Anordnung, daß sämmtliche Geistliche sich dem Erlaß durch Unterschrift unterwerfen sollten. Aber gerade hier, wo man mit calvinischem Purismus einen Gebrauch angriff, der recht sinnenfällig war, kam die durch die kirchlichen Neuerungen hervorgerufene Erbitterung zu Tage. In mehreren Gemeinden ereigneten sich aufregende Scenen des activen und passiven Widerstandes; eine Anzahl Geistlicher ließ sich lieber absetzen, als daß sie die Beschwörung des Teufels bei der Taufhandlung verdammt hätten; und im Hintergrund dieser ganzen Bewegung, sie freudig begrüßend, stand die wachsende Opposition der Landstände und eines großen Theils der Hofbeamten, welche sich mit gleicher Entschiedenheit gegen die auswärtige wie gegen die kirchliche Politik richtete. Schon kam es dahin, daß der Hofprediger Salmut es passend fand die Landstände einzuschüchtern, indem er in einer Predigt die Regierung aufforderte, das Schwert zu gebrauchen, das Gott ihr in die Hand gegeben habe. K. selber sah sich immer mehr dahin gedrängt, die Regierungsgeschäfte mit einigen wenigen Vertrauten – es waren die Räthe Andreas Paul, Eberhard v. Weihe und Heinrich v. Bünau – allein zu führen und die übrigen hohen Beamten, meist aus der Zeit des Kurfürsten August stammend, entweder um ihren Einfluß oder auch geradezu um ihre Stellen zu bringen. Die also Zurückgesetzten schlossen sich um so fester mit dem unzufriedenen Adel zusammen, sie bestärkten sich in ihrem Zorn durch Herabsetzung des bürgerlichen Standes ihres Gegners und warfen ihm vor, daß er die Patronatsrechte und Jagdbefugnisse des Adels verletze; mit Hoffnung schauten sie in die Zukunft, da sie K. nicht nur im Lande von der großen Mehrzahl gehaßt, sondern auch im fürstlich sächsischen Hause isolirt sahen: sein einziger Rückhalt war hier [121] der geistig und körperlich schwache Kurfürst; dessen Gemahlin, die brandenburgische Prinzessin Sophia, konnte als das Haupt der Mißvergnügten angesehen werden, und der nächste Agnat, der Herzog Friedrich Wilhelm von Sachsen-Weimar, gerieth mit dem Kurfürsten in einen unangenehmen Briefwechsel über die calvinischen Neuerungen. In dieser schwankenden Lage befanden sich die Dinge, als der noch nicht ganz 31 Jahre zählende Kurfürst am 5. October 1591 (n. St.) durch einen vorzeitigen Tod abgerufen wurde. Da er einen unmündigen Nachfolger hinterließ, so erfolgte ein Wechsel, der für K. und sein Werk verderblich ward. Die vormundschaftliche Regierung kam an jenen Herzog Friedrich Wilhelm, der maßgebende Einfluß fiel an die Stände und die von K. zurückgesetzten Räthe. Eine der ersten Maßregeln der neuen Regierung, welche noch am Tage vor dem feierlichen Leichenbegängniß des verstorbenen Kurfürsten vollzogen wurde, war, daß K. auf Antrag eines Ausschusses der Ritterschaft verhaftet wurde; in seine Stelle als Kanzler trat wieder David Peifer ein. Im März des Jahres 1592 kam sodann der sächsische Landtag in Torgau zusammen, um die kirchliche und politische Regierung wieder in die alten Geleise zu führen und um das Werk der Rache zu beginnen. Auf eine von Ritterschaft und Ständen vorläufig erhobene Anklage entschied der Administrator: der peinliche Proceß gegen den gefangenen Kanzler solle in der Weise geführt werden, daß die Landschaft dabei als Klägerin auftrete. Und nun begann ein Verfahren[1], welches, vom Tage der Verhaftung gerechnet, 10 Jahre dauerte, bis es am 19. October 1601 mit der öffentlichen Hinrichtung Krell’s endete. Ob dabei das formelle Recht in grober Weise verletzt wurde, wie K. und seine Freunde behaupteten, darüber wäre nur bei genauester Kenntniß des damaligen Entwicklungsstadiums des sächsischen Strafprocesses zu entscheiden; gewiß ist, daß den Grundsätzen von Billigkeit und Menschlichkeit, auch wie man sie damals kannte, in gräßlicher Weise Hohn gesprochen wurde. Erst im Juli des Jahres 1595, also beinahe vier Jahre nach der Verhaftung, kam es zur ersten Hauptverhandlung, indem dem Gefangenen eine articulirte Anklageschrift zur Verantwortung vorgelegt wurde. Mindestens dreimal wurde die Commission, welche der Administrator zur Leitung des Processes niedergesetzt hatte, geändert. Ein Vertheidiger, selbst die bloße Berathung mit Rechtsgelehrten, wurde dem Angeklagten nicht zugestanden. Während in der ersten Hälfte des Processes die Landschaft allein als Klägerin auftrat, gesellte sich in der zweiten Hälfte desselben zu ihrem Syndicus ein landesfürstlicher Fiscal als Mitkläger. Die Leiden, welche der Kanzler während dieses schleppenden Verfahrens ausstand, waren diejenigen, welche die Rohheit der Bewachung, der Schmutz und die Verwahrlosung des Gefängnisses über den der damaligen Kriminaljustiz Verfallenen gewöhnlich brachten. Schließlich wurden die Acten zur Feststellung des Urtheils nicht, wie man erwarten durfte, an eine protestantische Universität, sondern an eine katholische, unter des Kaisers Einfluß stehende Behörde, an das böhmische Appellationsgericht nach Prag gesandt. Von dort erfolgte im September 1601 das Erkenntniß auf Hinrichtung durchs Schwert. Eine specielle Angabe der Thatsachen und Rechtssätze, welche diese Entscheidung rechtfertigten, sucht man in dem Erkenntniß vergebens, aber klar ist es, daß es im Wesentlichen die Begünstigung des Calvinismus, die Unterstützung Frankreichs und der Torgauer Unionsversuch waren, für welche die Todesstrafe verhängt wurde, d. h. Vorgänge und Grundsätze, welche die Politik eines Theils der protestantischen Reichsstände bezeichneten und im öffentlichen Leben des Reichs mit voller Freiheit an’s Tageslicht traten. Allerdings mußte durch eine solche That der Rache die Politik derjenigen, die sie zu verantworten hatten, gebunden werden. Und wenn der Kurfürst Christian II. bei Beginn seiner selbständigen Regierung die Verpflichtung auf die Concordienformel in den Eid sämmtlicher Beamten aufnahm, [122] so war das nur eine von den Bürgschaften für das Regiment nach den Grundsätzen des reinen Lutherthums; die andere bestand in der Blutschuld, die er auf sich lud, als er in den ersten Tagen seiner Selbstregierung das Urtheil über den unglücklichen Kanzler vollziehen ließ.

Angaben über die Litteratur bei Henke, Caspar Peucer und Nic. Krell, Marburg 1865, S. 85, 90. Ferner Ritter in den Briefen und Acten I, S. 11 ff., 50 ff.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 121. Z. 20 v. o.: Ueber dies Verfahren handelt neuerdings auf archivalischer Grundlage: Dr. Benno Bohnenstädt, Das Proceßverfahren gegen den kursächsischen Kanzler Dr. Nicolaus Krell 1591 bis 1601, dargestellt nach den Akten des Dresdener Hauptstaatsarchivs. Inaugural-Dissertation, Halle a. S. 1901. [Bd. 55, S. 890]