ADB:Cordes, Johann Heinrich Karl

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Artikel „Cordes, Johann Heinrich Karl“ von Otto Hardeland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 521–525, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Cordes,_Johann_Heinrich_Karl&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 18:35 Uhr UTC)
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Cordes: Johann Heinrich Karl C., der Wiederbegründer der lutherischen Tamulenmission, wurde am 21. März 1813 zu Betzendorf bei Lüneburg geboren. Der Vater, unter den rationalistischen Pfarrern jener Zeit einer der edelsten, der nie die von der Schrift bezeugten Heilsthatsachen geleugnet, ja sogar am Charfreitag den Sohn in ergreifender Weise auf den Tod des Herrn hinweisen konnte, suchte den begabten Knaben nach Kräften auszubilden, konnte ihn aber nicht wie die älteren Kinder auf höhere Schulen schicken. Er wurde Buchhändler und kam als solcher 20jährig nach Freiberg in Sachsen, wo er an dem Frühling des wiedererwachenden religiösen und kirchlichen Lebens theilnehmen sollte. Zwar unter den jungen Theologen in und um Freiberg, denen er sich anschloß, war nur einer, Linke († 1878 als [522] Pfarrer in Nemt), der ihm die rechte Antwort geben konnte auf die seine Seele bewegenden Fragen, aber durch die Schriften von Höfling, Boos und anderen Zeugen der Gerechtigkeit ward es hell in seinem Herzen, und bald erstand die alte Liebe zur Theologie in ihm in neuer Gestalt als Liebe zur Mission. An freien Tagen wanderte er gern von Freiberg nach Dresden, um hier Gemeinschaft zu pflegen mit entschiedenen Freunden des Evangeliums und der Mission. Aber in die um jene Zeit von sächsischen Missionsfreunden gegründete Missionsschule zu Grünberg einzutreten, wie es seines Herzens Wunsch war, hinderte ihn der Wille seines Vaters, der sich noch nicht in des Sohnes „neuen“ Glauben finden konnte. C. selbst schreibt von dieser Zeit: „Durch schwere äußere und innere Erfahrungen bin ich auf den hingewiesen, der allein helfen kann, und für sein Evangelium vorbereitet. In das von heftigen Gewitterstürmen bewegte Herz fiel nun plötzlich der Same des Evangeliums. Zuerst wurden meine Vorurtheile beseitigt durch Professor Höfling’s Büchlein ‚Der wahrhaft historische und der fälschlich sogenannte Mysticismus‘; dann wirkten besonders Hofacker’s Predigten und Martin Boos’ Lebensgeschichte in mir eine gründliche Erkenntniß der Sünde und des rechtfertigenden Glaubens und zwar so schnell, daß mein Freund, der mir diese Bücher empfohlen hatte, erstaunte über die rasche Entwicklung meines inneren Lebens. Aber mein Vater, den ich meinen Wunsch aussprach, Missionar zu werden, erschrak über meinen Brief und sein Superintendent bedauerte ihn und mich, weil ich ein Schwärmer geworden sei“. Doch wenn auch C., dem Willen des Vaters gehorsam, nicht in den Missionsdienst trat, so ließ er sich doch von seiner „Schwärmerei“ nicht abbringen und durfte doch auch nach nicht gar langer Zeit erleben, daß sein Festhalten an dem für recht erkannten Wege auch seinen Vater gewann. Bei einem seiner Besuche in Dresden hatte er den Judenmissionar Hausmeister kennen gelernt und durch diesen erhielt er Stellung bei einem christlichen Buchhändler in Straßburg. Die Reisen, die er in dessen Auftrage zu machen hatte, führten ihn auch nach Basel. Der Besuch des dortigen Missionshauses rief von neuem in ihm den Wunsch wach, Missionar zu werden, aber er erkannte doch, daß ihm der Eintritt in die Baseler Mission nicht mehr möglich sein werde. Aber gerade um diese Zeit erhielt er die Nachricht, daß der Dresdener Missionsverein seine Verbindung mit Basel gelöst und sich als selbständige evangelisch-lutherische Missionsgesellschaft constituirt habe. Und als er nun noch einmal um seines Vaters Zustimmung bat, erhielt er ein freudiges Ja, da dieser selbst inzwischen ein „Schwärmer“ geworden war.

1837 trat C. in das neubegründete Missionsseminar in Dresden ein, wo er zugleich mit sechs anderen Zöglingen, die später zumeist nach Australien gesandt wurden, in der kirchlichen Theologie treulich unterwiesen wurde. Dann ging er noch nach Erlangen, wo ihm besonders Rückert und das Raumer’sche Haus zum Segen wurden. Nachdem er in Greiz die Ordination empfangen, wurde er am 2. März 1840 in der Waisenhauskirche zu Dresden abgeordnet mit dem Auftrage, auf dem alten Missionsfelde der lutherischen Kirche in Ostindien sich selbst eine Wirksamkeit zu suchen. Nachdem er Abschied genommen von dem greisen Vater und geliebten Geschwistern trat er den langen Weg an ins ferne Land und zwar ganz allein. Man hatte ihm einen Bruder mitgeben wollen, aber es kam nicht dazu und auch in dem unbekannten Lande erwartete ihn kein Bruderherz. Ja, es war noch völlig ungewiß, ob sich dort je eine Thür für ihn aufthun werde. Doch der Herr hielt seine Seele aufrecht. „Mit dem schwächsten seiner Werkzeuge wollte Er etwas Großes anfangen, damit die Ehre allein sein sei“, wie C. später selbst bekennt. Während eines [523] längeren Aufenthalts in England erfuhr er zwei wunderbare Lebensrettungen. Von einem hohen Dache herab stürzte ein Balken nur ein Haar breit hinter ihm zu Boden und ein Stein aus der Schleuder eines Straßenjungen traf ihn mit solcher Gewalt, daß das Auge mehrere Tage zugeschwollen war. Aber die rettende Hand des Herrn war doch noch näher und trieb ihn zu dem Ausrufe: „Ach, wäre ich dir immer so nahe als du mir bist, mein Heiland, wie selig wäre ich!“ Endlich nach fünfmonatlicher Seereise landete er in Madras. Aber nun trat ihm die ganze Größe und Schwierigkeit seiner Aufgabe so sehr vor die Seele, daß er zaghaft werden wollte, bis er sich endlich an dem 60. Psalme, dem Kriegsliede des Volkes Gottes, wieder aufrichtete. Von allen Seiten wurde ihm abgerathen, doch ja nicht wieder auf Grund des lutherischen Bekenntnisses eine Missionsthätigkeit zu beginnen. Die glänzendsten Anerbieten wurden ihm gemacht, wenn er in den Dienst der englischen Mission treten wollte, aber er ließ sich durch nichts abbringen von der ihm gestellten Aufgabe. Von dem damaligen einzigen Pastor sämmtlicher Trankebarer Gemeinden, dem Dänen Knudsen, freundlich willkommen geheißen und zur Mitarbeit aufgefordert, gewann er bald die Ueberzeugung, daß Trankebar wirklich „der Herd sei, von dem aus die lutherische Missionsthätigkeit in Indien auszugehen habe, da hier noch vor aller Augen deutlich dastand das kirchliche Gerüst von den alten Glaubensvätern aufgerichtet: das lutherische Bekenntniß, der kleine tamulisch-lutherische Katechismus, das schöne tamulisch-lutherische Gesangbuch, rein lutherischer Ritus bei Taufe, Abendmahl und Trauung“. So folgte C. denn mit Freuden dieser Aufforderung und erhielt auch bald von der Regierung die förmliche Erlaubniß, mit einzutreten in die Arbeit der königlich dänischen Mission und dann sogar auf dänischem Gebiete in dem benachbarten Poreiar ein eigenes Seminar zu errichten und selbständig zu leiten. Die Freunde in der Heimath geriethen freilich in nicht geringen Schrecken, als ihr Missionar seinem Werke gleich solche Ausdehnung gab, aber dieser ließ sich nicht irre machen, sondern schrieb: „Wir weihen der Mission unser Leben, zunächst zur Arbeit und wenn es Gottes Wille ist, auch zum Opfer; mehr können wir nicht. Es fragt sich aber, ob die christlichen Brüder zu Hause lieber unser Leben und unsere Kräfte oder ihr Geld dem Herrn opfern wollen. Mögen sie das bedenken. Einmal ist Trankebar von Deutschland verlassen worden, möge es nicht zum zweiten Male geschehen!“

Doch die Verbindung mit der dänischen Mission hatte auch ihre Schattenseiten. Wie schon Ziegenbalg und die älteren Missionare oft schmerzlich ihre Abhängigkeit von dem dänischen Gouverneur erfahren hatten, so mußte auch C. darunter seufzen, besonders seit P. Knudsen durch Kränklichkeit genöthigt wurde, in die Heimath zurückzukehren. Ja, die Schwierigkeiten schienen den beiden 1843 und 1844 angekommenen Missionaren so groß, daß sie im Telugulande eine neue Mission anzufangen beschlossen. Dieser Entschluß traf C., der so lange sich nach einem treuen Mitarbeiter gesehnt hatte, wie ein Blitz – aber er für seine Person hielt es doch für seine Pflicht noch auszuharren, und wie hat der Herr dieses sein geduldiges Ausharren, diese seine Treue gesegnet! Hauptsächlich, ja, soweit Menschen urtheilen können, nur dieser seiner Treue ist es zu danken, daß, als im J. 1845 die Trankebarer Gemeinden den von ihnen oft überschätzten Schutz der dänischen Regierung verloren, diese doch nicht einer englischen, sondern der lutherischen deutschen Missionsgesellschaft überwiesen wurden und zwar auf ihre eigene ausdrückliche Bitte, „um nicht auch im Geistlichen zu verlieren, wie sie im Weltlichen verlieren müßten durch den Verkauf Trankebars“ und dies, obwol C. nicht [524] über so reiche Geldmittel zu verfügen hatte wie die englischen Missionare und schon einen Anfang mit der Kirchenzucht gemacht hatte.

Auf dem Missionsfeste zu Dresden konnte er über den Erfolg der sieben ersten Jahre seiner Thätigkeit in Indien berichten: „Aus dem alten erstorbenen Stamme der Trankebarschen Mission ist schon manches neue Lebensreis aufgesprossen; auch haben wir manches Reis aus dem wilden Stamme des Heidenthums der Lebenswurzel Christi einpflanzen dürfen; etwa 300 Seelen sind von uns getauft, 6 Gemeinden sind gewonnen und das Missionsgebiet unserer Kirche in Indien hat sich nicht etwa nur ums Zehnfache, sondern bis auf ungeschlossene Grenzen hin erweitert. Und in diesen Gemeinden gibt es manche erweckte Seelen, die wirklich begierig sind nach dem reinen seligmachenden Worte, die um des reinen Wortes und Sacramentes willen noch etwas leiden und irdische Vortheile ausschlagen, die in Sünden- und Todesnoth sich Christi getrösten und durch ihr Leben sich ihm dankbar zu erzeigen bemühen“.

Im October 1849 zog C. zum zweiten Male in Trankebar ein, begleitet von der ihm in der Heimath angetrauten Schwester des damaligen Missionars Mylius (seine erste Frau war die Tochter des letzten der alten lutherischen Missionare in Ostindien, Kämmerer, gewesen), freudig begrüßt von seiner Gemeinde, die er nun abermals acht Jahre mit Wort und Sacrament bediente. Allerdings konnte er hier seines Amtes als Missionar weniger warten als die übrigen Brüder, die mitten unter den Heiden lebten oder doch diesen zum ersten Male die frohe Botschaft von Christo brachten; er hatte vorwiegend die schon für den Herrn gewonnenen Seelen zu pastoriren und konnte bei den Heiden Trankebars nicht mehr auf großen Erfolg rechnen, da sie schon seit Jahrzehnten das Evangelium kannten und sich meist gegen dasselbe entschieden hatten. Und noch mehr wurde seine Thätigkeit unter den Heiden beschränkt, als er 1854 zum „stehenden Präses“ der indischen Missionsconferenz und 1857 zum „Senior“ ernannt wurde, in welcher Eigenschaft er die ganze Mission im Auftrage des heimathlichen Missionscollegiums zu leiten hatte. 1858 riefen ihn die unglückseligen Kastenstreitigkeiten, die sich hauptsächlich an den Namen Ochs knüpfen, zum zweiten Male in die Heimath. 1860 hatte er die Freude, die Erstlinge der tamulischen Kirche, die Candidaten Nallatambi und Samuel, von denen ihm besonders der letzte als Schüler und Gehülfe nahe stand, zum Predigtamte ordiniren zu können. 1865 durfte er sein 25jähriges Amtsjubiläum feiern, bei welcher Gelegenheit die eingeborenen Christen erklärten: „Dies Fest müssen wir ordentlich feiern; es ist ein Freudenfest für unsere ganze Mission. Wäre Herr Cordes nicht hergekommen, wer weiß, ob es nur eine Spur lutherischer Mission im Tamulenlande gäbe“. In diesem Jahre wurden mehr als 600 Heiden getauft. Bald nach diesem Freudentage, bei welchem er alle Ehre von sich wies, mußte er wieder ein Opfer bringen, nämlich auf dringenden Rath des Arztes seine Frau mit den beiden jüngsten Kindern in die Heimath senden; dann erkrankte er selbst wiederholt; als Frau und Tochter Ende 1867 zurückkehrten, erkannten sie ihn nicht wieder, so sehr war er gealtert. 1868 begleitete er den Missionsdirector D. Hardeland noch auf seiner großen Visitationsreise durch das ganze Gebiet der Mission, dann fühlte er seine Kraft immer mehr schwinden und brach endlich ganz zusammen. Seinen letzten Jahresbericht, den er nur mit Mühe fertig brachte, schloß er mit den Worten: „Ob ich in diesem Jammerthal noch lange wallen oder bald heimkehren soll, will ich dem Herrn anheimstellen. Er wird seine Sache gewiß nicht lassen und wohl größeren Segen schenken, wenn erst eine neue bessere Kraft an meine Stelle getreten ist. Die Spuren Immanuels [525] werden in unserer Mission nicht aufhören, denn er ist bei uns alle Tage bis an der Welt Ende. Ich aber will mir an seiner Gnade genügen lassen wie St. Paulus, ja vielmehr wie der Schächer am Kreuze“.

Wider alles Erwarten erholte er sich jedoch in der Heimath nochmals. Er selbst wollte gern wieder zu seinen Tamulen, doch die Leiter der Mission hielten ihn in der Heimath für nützlicher und er selbst sagte sich doch auch, daß in Indien eine baldige Wiederkehr des alten Uebels wahrscheinlich sei. Und so hat er dann noch 15 Jahre lang am Missionshause zu Leipzig gewirkt als Mitglied des Missionscollegiums, Lehrer der Zöglinge, Redacteur des Missionsblattes und helfender Berather des Directors. 1887 nöthigte ihn jedoch anhaltende Kränklichkeit, um seine völlige Emeritirung zu bitten. Er zog sich nach der Lößnitz bei Dresden zurück, wo er noch die Feier seiner 50jährigen Abordnung zum Missionsdienste erleben durfte. Ein Jahr nach dieser seltenen Feier wurde er vom Schlage getroffen, der sich Anfang März 1892 wiederholte. Sein Sterben war wie sein Leben; still und sanft, im gläubigen Ausblick zu seinem Herrn entschlief er am 9. März 1892, an demselben Tage, an welchem er 52 Jahre zuvor Abschied von der Heimath genommen und 51 Jahre zuvor von Madras nach Trankebar aufgebrochen war. Als die pflegende Schwester ihm im letzten Stündlein vom Heimgehen redete, setzte er hinzu: „ins rechte Vaterland“; auf die Frage des Ortsgeistlichen, ob er das, was er den Tamulen gepredigt, was St. Paulus durch Gottes Geist verkündigt, was Vater Luther gelehrt, auch im letzten Stündlein festhalte und sein Vertrauen auf die Gnade setze, antwortete er wie einst der sterbende Luther: „Ja“.

Das Missionscollegium bezeugte dem „Vater“ der Tamulenmission: „Von dem Tage an, da er in das Missionsseminar zu Dresden eintrat (April 1837) bis zu seinem letzten Athemzuge gehörte sein ganzes Lebensinteresse, sein Denken und Handeln, sein Ringen und Streben der Sache der Mission. Sein treues Festhalten an dem Worte Gottes und dem lutherischen Bekenntniß, seine weitherzige Liebe gegen Jedermann und freundliche Geduld mit den Schwachheiten eines heidnischen Volkes mit fremden Sitten und Gebräuchen, sein demüthiges Achten auf Gottes Fingerzeig bei allen Unternehmungen, sein historischer, conservativer Sinn, sein klarer Blick und nüchternes Urtheil bei der Lösung schwieriger Fragen haben viel dazu beigetragen, unserer Mission ihr eigenthümliches Gepräge zu geben. Darum wird sein Andenken hier und draußen immer in Segen bleiben“.

Hardeland (Zittau).