Zwei Aufsätze und eine Zuschrift über das Haus auf dem Michaelerplatz
Ich weiß nicht, wie ich dem stadtbauamte für die reklame danken soll, die es mir mit dem verbot, an der fassade weiterzuarbeiten, gemacht hat. Ein lang behütetes geheimnis kam dadurch ans tageslicht: ich baue ein haus.
Mein erstes haus! Ein haus überhaupt! Denn das hätte ich mir wohl nie träumen lassen, daß ich auf meine alten tage noch ein haus bauen werde. Nach all meinen erlebnissen war ich mir bewußt, daß wohl niemand so verrückt sein werde, sich ein haus bei mir zu bestellen. Und daß es unmöglich wäre, meine pläne bei irgend einer baupolizei durchzudrücken.
Denn ich hatte schon eine erfahrung hinter mir. Es war mir die ehrenvollle aufgabe zuteil geworden, in Montreux, am schönen ufer des genfersees, ein portierhäuschen zu errichten. Dort lagen viele steine am ufer, und da die alten bewohner des seeufers alle ihre häuser aus diesen steinen erbaut hatten, so wollte ich es ebenso machen. Denn erstens ist das billig, was doch wieder auch im architektenhonorar zum ausdruck kommt – man erhält viel weniger – und zweitens haben sich die leute weniger mit der zufuhr abzumühen. Ich bin grundsätzlich gegen das viele arbeiten, meine person nicht ausgeschlossen.
Sonst dachte ich an nichts böses. Wer beschreibt daher mein erstaunen, als ich zur polizei vorgeladen und gefragt wurde, wie ich, ein fremdling, ein solches attentat [294] auf die schönheit des genfersees verüben könne. Das haus sei viel zu einfach. Wo blieben die ornamente? Mein schüchterner einwand, daß der see selbst ja bei windstille glatt und überhaupt ohne ornamente sei und doch von manchen menschen für ganz passabel erklärt werde, richtete nichts aus. Ich erhielt eine bescheinigung, daß die errichtung eines solchen bauwerkes wegen seiner einfachheit und daher häßlichkeit verboten sei. Ich ging beglückt und selig nach hause.
Beglückt und selig! Denn wer von allen architekten des erdballes hat es von der polizei schwarz auf weiß bekommen, daß er ein künstler ist? Jeder von uns hält sich für einen künstler. Aber man glaubt uns das nicht immer. Manche glauben es diesem, manche jenem. Den meisten niemand. Mir mußten es alle, sogar ich selbst mußte daran glauben. Denn ich war verboten, polizeilich verboten, wie Frank Wedekind oder Arnold Schönberg. Oder besser, wie Arnold Schönberg verboten würde, wenn die polizei die gedanken in seinen notenköpfen zu lesen verstünde.
Ich hatte das bewußtsein, ein künstler zu sein, etwas, woran ich immer dunkel geglaubt hatte und was mir nun die polizei amtlich bestätigte. Und als guter staatsbürger glaube ich nur dem amtsstempel. Aber dieses bewußtsein war teuer erkauft. Irgend jemand, vielleicht ich selber, hatte es ausgeplaudert, und so kam es unter die leute, und keiner wollte mehr mit einem so gefährlichen menschen, wie es doch ein Künstler immer ist, etwas zu tun haben. Man glaube aber nicht, daß ich müßig ging. Wenn jemand tausend kronen hatte und eine wohnungseinrichtung brauchte, die nach fünftausend kronen aussah, so kam er zu mir. Ich hatte mich darin zum spezialisten [295] ausgebildet. Die aber, die fünftausend kronen hatten und für diesen preis ein nachtkästchen haben wollten, das nach tausend kronen aussah, gingen zu einem anderen architekten. Da nun die erste menschenkategorie weit häufiger ist als die zweite, hatte ich vollauf zu tun. Man sieht, daß ich mich nicht beklagen kann.
Nun kam eines tages ein unglücklicher und bestellte bei mir die pläne zu einem hause. Es war mein schneider. Dieser brave mann – eigentlich waren es zwei brave männer – hatte mir jahr für jahr anzüge geliefert und geduldig an jedem ersten januar eine rechnung geschickt, die, ich kann es nicht verhehlen, nie kleiner wurde. Ich konnte mich, und kann mich heute noch nicht, trotz dem heftigen widerspruche meiner mäzene, des verdachtes erwehren, daß mir der ehrenvolle auftrag zu teil wurde, damit wenigstens eine verkleinerung dieser rechnung erzielt würde. Der architekt bekommt nämlich eine ehrengabe, das architektenhonorar. Trotz dem schönen namen ist diese ehrengabe nicht davor gefeit, von unbezahlten rechnungen abgezogen zu werden.
Ich warnte die beiden braven männer vor mir. Vergebens. Sie wollten unbedingt die rechnung kleiner haben – pardon: den bau einem amtlich gestempelten künstler übergeben. Ich sagte ihnen: Wollt ihr, daß derzeit noch unbescholtene männer unbedingt die polizei auf den hals bekommen? Sie wollten es.
Es ist geschehen, wie ich vorhergesagt habe. Im letzten moment kam glücklicherweise baurat Greil und winkte dem büttel ab, der schon den auftrag hatte, die missetäter in den gemeindekotter zu stecken. Außer der hohen obrigkeit gibt es, gott sei dank, immer noch eine höhere obrigkeit.
[296] Das haus wird bald fertig sein. Wie es mit meinen anzügen bestellt sein wird, weiß ich noch nicht. Ein neues haus wollen meine bauherren nicht mehr bauen. Ich werde mich daher nach einem neuen schneider umsehen müssen. Wenn dieser mann ein ebenso unerschrockener mäzen ist wie meine bisherigen kleiderlieferanten, kann in zehn jahren mein zweites haus erstehen.
Es ist etwas besonderes um den baucharakter einer stadt. Jede hat ihren eigenen. Was für die eine stadt schön und reizvoll ist, kann für eine andere häßlich und abscheulich sein. Die danziger ziegelrohbauten verlören sofort ihre schönheit, wenn man sie in den wiener boden versetzen wollte. Man spreche hier nicht von der macht der gewohnheit … Denn es hat ganz bestimmte gründe, warum Danzig eine ziegelrohbau- und Wien eine kalkputzstadt ist.
Ich will diese gründe hier nicht besprechen, der beweis würde ein ganzes buch füllen. Aber nicht nur das material, auch die bauformen sind an den ort, an den grund und an die luft gebunden. Danzig hat hohe und steile dächer. Die architektonische lösung dieser dächer nahm den erfindungstrieb der danziger baukünstler völlig in anspruch. Anders in Wien. Auch Wien hat dächer. Wenn man um den johannistag herum am ende der nacht in den straßen ist und sie bei hellem morgenlichte menschenleer vor einem liegen, glaubt man, eine unbekannte stadt zu durchwandern. Denn zu dieser zeit brauchen wir nicht mehr auf passanten, wagen und automobile rücksicht [297] zu nehmen und stehen erstaunt vor einer fülle an details, die uns der tag vorenthalten hat. Und da sehen wir die wiener dächer, sehen sie zum ersten male, und wundern uns, daß wir sie bei tag übersehen konnten.
Aber die wiener architekten überließen das dach ganz dem zimmermann. Mit dem hauptgesimse war die arbeit abgeschlossen. Paläste erhielten wohl eine attika mit vasen und figuren darauf. Der bürger verzichtete auch auf diese.
Fünf minuten von Wien entfernt, nach überschreitung des glacis, des heutigen ringes, gab es „das dach“. Dieselben architekten, die in Wien keine dächer zeichneten, waren voll geist und erfindung, wenn es sich um die dächer und kuppeln eines hauses oder palastes in der vorstadt handelte. Ich zeige dies nur auf, um zu beweisen, daß die alten wiener baukünstler den baucharakter eines ortes ins kalkül zogen und bewußt alles vermieden, was diesen stören konnte.
Ich klage unsere heutigen architekten an, daß sie bewußt dem baucharakter nicht rechnung tragen. Noch der bau der ringstraße hat sich der stadt angepaßt. Wenn aber die ringstraße heute gebaut würde, besäßen wir keine ringstraße, sondern eine architektonische katastrophe.
Wienerisch ist der gerade gesimsabschluß, ohne dächer, kuppel, erker und andere aufbauten. Das baugesetz spricht von einer höhe von 25 metern bis zur oberkante des hauptgesimses. Aber das dach soll ausgenützt werden und ateliers und andere vermietbare räume beherbergen. Denn der grund kostet viel geld und die steuern sind hoch. Dieser finanziellen frage wegen ging der alte wiener baucharakter verloren. Ich wüßte schon ein mittel, [298] wie wir ihn wieder gewinnen könnten. Beileibe nicht mit neuen gesetzen, die dem haus- und grundbesitzer rechte nehmen würden. Beileibe nicht nach dem alten grundsatze: gleiches unrecht für alle. Sondern: wer sich verpflichtet, über sein hauptgesims nichts, aber auch garnichts aufzubauen, dem werden sechs stockwerke bewilligt. Denn: lieber ein ehrlich hohes haus als solche mit dachungetümen, die im sogenannten „belehnungsstil“ gebaut sind. Wir hätten dann wieder schöne monumentale linien und große verhältnisse, wir, zu denen seit jahrhunderten italienische luft über die alpen weht, italienische größe und monumentalität, dinge, die in unseren nerven liegen und um die uns die menschen in Danzig mit recht beneiden können.
Und dann haben wir den kalkverputz. Man sieht ihn über die achsel an und beginnt sich seiner in einer materialistischen zeit zu schämen. Da wurde der alte gute wiener verputz mißhandelt und prostituiert, durfte nicht mehr sagen, wer und was er ist, und wurde dazu benützt, stein zu imitieren. Denn stein ist teuer und er ist billig. Aber in der welt gibt es keine teueren und billigen materialien. Bei uns ist die luft billig und auf dem mond teuer. Gott und dem künstler sind alle materialien gleich und wertvoll. Und ich bin dafür, daß die menschen die welt mit gottes- und künstleraugen betrachten.
Der kalkverputz ist eine haut. Der stein ist konstruktiv. Trotz der ähnlichen chemischen zusammensetzung ist zwischen beiden der größte unterschied in der verwendung. Der kalkverputz hat mit leder, tapete, wandstoffen und lackfarbe mehr ähnlichkeit, als mit seinem vetter, dem kalkstein. Wenn sich der kalkverputz ehrlich als überzug des ziegelmauerwerkes gibt, hat er sich seiner [299] einfachen herkunft ebensowenig zu schämen, wie sich der tiroler in der kaiserburg seiner lederhosen zu schämen hat. Ziehen aber beide den frack und weiße binden an, so wird sich der mann dort unsicher fühlen und der kalkverputz wird plötzlich gewahr werden, daß er ein hochstapler ist.
Die kaiserburg! Ihre nähe allein ist schon ein prüfstein für echt und unecht. Und nun gab es die aufgabe, in der nähe der kaiserburg ein neues haus zu bauen, ein modernes geschäftshaus. Es galt, einen übergang zu schaffen von dem kaiserlichen wohnsitz über das palais eines feudalherrn in die vornehmste geschäftsstraße, den kohlmarkt. Der bauplatz, der seinerzeit festgelegt wurde, ist vergrößert worden. Sicher nicht zum vorteil des platzes. Durch eine große kolonnade aus cipollinomonolithen wurde versucht, diesen fehler auszugleichen; die fassade springt dadurch im parterre und mezzanin um dreieinhalb meter zurück. Es sollte ein bürgerliches haus werden: die architektonische ausgestaltung hört mit dem hauptgesimse auf, und das kupferdach, das bald schwarz geworden sein wird, wird dann nur mehr den nachtschwärmern der johannisnacht zum bewußtsein kommen. Und die vier stockwerke sollen mit kalkverputz überzogen werden. Was zur dekoration nötig ist, soll ehrlich mit der hand aufgetragen werden, so wie es unsere alten barockmeister gehalten haben, in jenen glücklichen zeiten, als es noch kein baugesetz gab, weil jeder das gesetz in seinem herzen trug.
Im parterre aber und im mezzanin, dort wo die geschäfte ihren sitz aufgeschlagen haben, dort verlangt das moderne geschäftsleben eine moderne lösung. Mit recht. Für den modernen geschäftsbetrieb haben uns die alten [300] meister keine vorbilder hinterlassen können. Auch nicht für elektrische beleuchtungskörper. Stünden sie aber aus ihren gräbern auf, sie würden die lösung schon finden. Nicht im sinne der sogenannten modernen. Auch nicht im sinne der alttuenden tapezierer, die die porzellankerzen mit glühbirnen auf alte kerzenhälter stecken. Sondern neu, modern und ganz anders, als es sich diese beiden feindlichen lager denken.
Es wurde versucht. Es wurde versucht, das haus in einklang mit der kaiserlichen burg, dem platz und der stadt zu bringen. Wenn dieser versuch gelingt, dann wird man es mit dank vergelten, daß ein starres gesetz mit feinem künstlerischen takt eine wahrhaft freisinnige auslegung fand.
Jedes wort, das zum preise unserer alten stadt, zur rettung unseres verlorengehenden stadtbildes zu lesen ist, findet sicher bei mir stärkeren widerhall als bei manchem anderen. Daß aber ich, gerade ich mich eines verbrechens an diesem alten stadtbild schuldig gemacht haben sollte, dieser vorwurf trifft mich härter, als mancher glauben würde. Hatte ich doch das haus so entworfen, daß es sich möglichst in den platz einfügen sollte. Der stil der kirche, welche das pendant zu diesem bau bildet, war für mich richtunggebend. Nicht, um licht und luft abzuwehren, wählte ich die fensterform, sondern um – was eine berechtigte forderung unserer zeit ist – beides zu vermehren. Die fenster sind nicht zweiflügelig, sondern dreiflügelig, und gehen vom fensterbrett bis zur decke. Echten marmor wählte ich, weil mir jede imitation zuwider ist, und den putzbau hielt ich so einfach wie möglich,
[301] weil die Wiener bürger auch einfach bauten. Nur der feudalherr hatte auf seinem palast starke architekturglieder, die aber nicht in zementguß, sondern in stein ausgeführt wurden und jetzt unter dem putz schlummern. (Am palais Kinsky und am palais Lobkowitz wurden diese steine wieder zu neuem leben erweckt.) Mir war es darum zu tun, geschäftshaus und wohnhaus streng zu trennen. Ich war bisher immer in dem wahn befangen, dies im sinne unserer alten wiener meister gelöst zu haben. Und in diesem wahne wurde ich noch durch den ausspruch eines mir feindlich gesinnten modernen künstlers bestärkt, der sagte: Das will ein moderner architekt sein und baut ein haus wie die alten wiener häuser!