Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften Zwei Aufsätze und eine Zuschrift über das Haus auf dem Michaelerplatz | |
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ausgebildet. Die aber, die fünftausend kronen hatten und für diesen preis ein nachtkästchen haben wollten, das nach tausend kronen aussah, gingen zu einem anderen architekten. Da nun die erste menschenkategorie weit häufiger ist als die zweite, hatte ich vollauf zu tun. Man sieht, daß ich mich nicht beklagen kann.
Nun kam eines tages ein unglücklicher und bestellte bei mir die pläne zu einem hause. Es war mein schneider. Dieser brave mann – eigentlich waren es zwei brave männer – hatte mir jahr für jahr anzüge geliefert und geduldig an jedem ersten januar eine rechnung geschickt, die, ich kann es nicht verhehlen, nie kleiner wurde. Ich konnte mich, und kann mich heute noch nicht, trotz dem heftigen widerspruche meiner mäzene, des verdachtes erwehren, daß mir der ehrenvolle auftrag zu teil wurde, damit wenigstens eine verkleinerung dieser rechnung erzielt würde. Der architekt bekommt nämlich eine ehrengabe, das architektenhonorar. Trotz dem schönen namen ist diese ehrengabe nicht davor gefeit, von unbezahlten rechnungen abgezogen zu werden.
Ich warnte die beiden braven männer vor mir. Vergebens. Sie wollten unbedingt die rechnung kleiner haben – pardon: den bau einem amtlich gestempelten künstler übergeben. Ich sagte ihnen: Wollt ihr, daß derzeit noch unbescholtene männer unbedingt die polizei auf den hals bekommen? Sie wollten es.
Es ist geschehen, wie ich vorhergesagt habe. Im letzten moment kam glücklicherweise baurat Greil und winkte dem büttel ab, der schon den auftrag hatte, die missetäter in den gemeindekotter zu stecken. Außer der hohen obrigkeit gibt es, gott sei dank, immer noch eine höhere obrigkeit.
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/296&oldid=- (Version vom 1.8.2018)