Zur Elektrodynamik bewegter Systeme II

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Autor: Emil Cohn
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Titel: Zur Elektrodynamik bewegter Systeme II
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aus: Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften, Jg. 1904, 2. Halbband, Nr. 53, S. 1404–1416
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Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Verlag der Akademie (Georg Reimer)
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons
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Gesammtsitzung vom 15. Dezember 1904
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[1404]
Zur Elektrodynamik bewegter Systeme. II.
Von Prof. Emil Cohn
in Strassburg i. E.
(Vorgelegt von Hrn. Warburg.)

Vor einigen Jahren habe ich eine Erweiterung der Maxwell’schen Gleichungen für bewegte Körper angegeben, welche mit allen damals bekannten Thatsachen in Übereinstimmung war.[1] Dieser auf inductivem Wege gewonnene Ansatz hat sich auch gegenüber den später hinzugekommenen Erfahrungen bewährt. Die entscheidenden Proben betreffen den Fall gleichförmiger Translationsgeschwindigkeit; die specielle Form der Gleichungen, welche diesem Fall entspricht, scheint mir ausser Frage gestellt. Die allgemeinen Gleichungen sind einer gleich scharfen experimentellen Prüfung bisher nicht unterworfen worden. Bei ihrer Aufstellung habe ich mich durch das Princip der „wissenschaftlichen Oekonomie“ leiten lassen[2]; es mag sein, dass sich gleichwohl ein einfacherer Ansatz finden lässt, der den Thatsachen ebenfalls gerecht wird. Inzwischen möge mir gestattet sein, die charakteristischen Züge derjenigen Elektrodynamik, die aus meinen Gleichungen folgt, hier zu entwickeln. Die Sätze, die sich ergeben werden, sind in voller sachlicher Übereinstimmung mit dem Inhalt meiner älteren Abhandlung, soweit es sich um die Eigenschaften des elektromagnetischen Feldes an sich handelt; sie weichen davon zum Theil ab hinsichtlich der mechanischen Kräfte. Dass die Bestimmung dieser Kräfte in gewissem Umfange willkürlich war, habe ich seiner Zeit ausdrücklich hervorgehoben; ich glaube sie jetzt in besserer Weise vornehmen zu können.

§ 1. Die Grundgleichungen.

Sie lauten:

I

[1405]

II
III
IV
V

Hier bedeuten und die beiden Feldintensitäten;

scalare Constanten, einen constanten Vector;
die Geschwindigkeit der Materie;
die Strahlung relativ zur Materie;
die elektromagnetische Energie der Volumeinheit;
eine Fläche, welche dauernd durch dieselben materiellen Theilchen geht, ihre Randcurve, die Normale von .

Im Vacuum gelten die Werthe:

.

Damit ist gesagt, dass als Einheit der Geschwindigkeit die Lichtgeschwindigkeit im Vacuum gewählt ist. Im Vorstehenden ist die Gesammtheit unserer Voraussetzungen enthalten. Die Gleichungen beanspruchen für beliebige Geschwindigkeiten Geltung in dem gleichen Umfang, in welchem die Maxwell’schen Gleichungen für Geltung haben.

Es folgt aus unseren Gleichungen u. a., dass sich für die Strahlung nach allen Richtungen mit der gleichen Geschwindigkeit ausbreitet. Sie setzen also ein Bezugssystem voraus, für welches diess thatsächlich zutrifft. Dass ein solches in den Fixsternen existirt, steht ausser Frage. Inwieweit es durch unsere Gleichungen bestimmt ist, soll später erörtert werden.

Die Gleichungen I und II, auf die (unendlich klein gedachte) Flächeneinheit bezogen, schreiben wir:

I′
. II′

Die Bedeutung des neu eingeführten Symbols ist dann:

(1)
(2)

[1406] wo Differentiation mit Bezug auf einen festgehaltenen materiellen Punkt (Raumpunkt) bezeichnet. Ferner Rotation, Divergenz, Gradient,

.
§ 2. Umformung auf ein bewegtes Coordinatensystem und Ortszeit.

Wir zerlegen die Geschwindigkeit in eine gemeinsame, der Zeit nach constante Translationsgeschwindigkeit des ganzen Systems und die „relative“ Geschwindigkeit :

, (3)

und wir bezeichnen eine Differentiation nach der Zeit in Bezug auf einen relativ ruhenden Punkt durch :

(4)

Dann wird

(5)

Zugleich führen wir statt der „allgemeinen Zeit“ die „Ortszeit“ ein. Sie ist für einen Punkt, dessen relativer Radiusvector ist, definirt durch

(6)

Differentiationen nach den relativen Coordinaten, bei denen die Ortszeit als vierte unabhängig Veränderliche angenommen ist, sollen durch einen obern Indexstrich bezeichnet werden. Dann ist

(7)

Endlich zerlegen wir und :

(8)

[1407] Mittels (5), (7) und (8) entstehen aus I′ II″ zwei Gleichungen, die wir dadurch vereinfachen wollen, dass wir

(9)

setzen. Dann ergibt sich:

I′a
II′a
IIIa
IVa
§ 3. Das Feld in relativ ruhenden Medien.

Es möge das ganze System ausschliesslich die Geschwindigkeit besitzen oder, was dasselbe bedeuten soll, sich in relativer Ruhe befinden. Dann ist , und es gelten – und zwar in aller Strenge – die folgenden Gleichungen

I′b
II′b
IIIb
IVb

Diese Gleichungen haben genau dieselbe Form, wie die Maxwell’schen Gleichungen für ein ruhendes System. Durch diese Gleichungen ausschliesslich aber ist das Feld und damit auch die Strahlung relativ zur Materie bestimmt, sofern noch gewisse Grössen – „elektrische und magnetische Mengen“ – die nach eben diesen Gleichungen unveränderlich sind, vorgeschrieben werden.[3] Stellen wir also einstweilen die Betrachtung der Vorgänge zurück, bei denen elektromagnetische Energie in andere Energieformen, insbesondere in mechanische Arbeit übergeht[4], und richten wir unser Augenmerk auf die elektromagnetischen Vorgänge an sich, so können [1408] wir sagen: die Elektrodynamik des bewegten Systems erscheint dem mitbewegten Beobachter nur insoweit durch die Bewegung beeinflusst, als derselbe im Stande ist, die Ortszeit von der allgemeinen Zeit zu unterscheiden. Die Differenz beider Grössen besteht nach (6) in einem Bruchtheil der dem Vector entsprechenden Lichtzeit, welcher im ungünstigsten Fall ( parallel ) dem Verhältniss von Translationsgeschwindigkeit zu Lichtgeschwindigkeit gleichkommt.

Wenden wir das auf die Bewegung der Erde an: Überall, wo nicht die Ausbreitung von Strahlung selbst das Object der Messung ist, legen wir identische Zeitmomente an verschiedenen Punkten der Erdoberfläche dadurch fest, dass wir die Ausbreitung des Lichts als zeitlos behandeln. In der Optik aber definiren wir diese identischen Zeitmomente dadurch, dass wir für jedes relativ ruhende isotrope Medium eine Ausbreitung in Kugelwellen annehmen.[5] Das heisst: die „Zeit“, welche uns zur Darstellung irdischer Vorgänge thatsächlich dient, ist die „Ortszeit, für welche die Gleichungen I′b bis IVb gelten, – nicht die „allgemeine Zeit“ .

Was erfordert würde, um von experimentell zu unterscheiden, das lässt sich gut übersehen an der Hand eines Vorschlags, den kürzlich W. Wien gemacht hat „zur Entscheidung der Frage, ob sich der Lichtäther mit der Erde bewegt oder nicht.“[6] Durch die Lücken zweier Zahnräder, deren gemeinsame Axe die Richtung der Erdbewegung hat, soll in beiden Richtungen Licht von gleicher Intensität hindurchgesandt werden. Dann sollen beide Räder in Rotation versetzt werden mit gleicher Umlaufsgeschwindigkeit. Wien schliesst: Ruht der Aether, so ist die Lichtzeit verschieden für die beiden Wege; – das ankommende Licht trifft das Rad am Ende seines Weges in verschiedener Stellung auf beiden Stationen; – die Intensitäten müssen verschieden geworden sein.

Nun ist klar, dass für den Versuch nicht gleiche Rotationsgeschwindigkeit gefordert wird, wie Wien meint, sondern gleiche Gesammtdrehung[7] von dem Moment der Beobachtung bei Ruhe bis zum Moment der Beobachtung bei Rotation. Sind die beiden Gesammtdrehungen gleich für gleiche „allgemeine Zeiten“ der beiden Stationen, so erhält man eine Helligkeitsdifferenz bei „ruhendem [1409] Aether“ (und keine bei „mitbewegtem Aether“). Sind aber die beiden Gesammtdrehungen gleich für gleiche „Ortszeit“ der beiden Stationen, so erhält man (Helligkeitsdifferenz bei „mitbewegtem Aether“, aber) keine Differenz bei „ruhendem Aether“. Ob nun die eine oder die andere Art der Drehung thatsächlich stattgefunden hat, dafür kann es optische, oder allgemeiner elektrische, Prüfungsmittel aus logischen Gründen nicht geben. Erfordert wird vielmehr eine materielle (mechanische oder akustische) Sicherung oder Controle. Das Schema wäre dieses: die beiden Räder sitzen auf derselben Welle, die in der Mitte angetrieben wird; wir müssen dann für Phasengleichheit der beiden Enden einstehen können bis auf 1/10000 der Lichtzeit, welche der Länge der Axe entspricht.[8]

Was wir unter „elektrischen und magnetischen Mengen“ zu verstehen haben, bedarf noch einer Erläuterung. Es sind diess keine Begriffe, die neben unseren Gleichungen und unabhängig von ihnen in die Elektrodynamik eingeführt werden müssen. Sie ergeben sich vielmehr aus diesen Gleichungen als „Integrationsconstanten“. Die Gleichung I sagt aus, dass für jede, durch unveränderliche materielle Theilchen gehende, geschlossene Fläche das Flächenintegral von eine von der Zeit unabhängige Grösse ist; diese Grösse nennen wir die magnetische Menge innerhalb . Die Gleichung II sagt dasselbe bezüglich des Flächenintegrals von aus für eine in Isolatoren verlaufende Fläche und knüpft für eine beliebige Fläche die zeitliche Änderung dieser Grösse an die elektrische Strömung durch in der gleichen Weise, wie Flüssigkeitsinhalt mit Flüssigkeitsströmung verknüpft ist. Wir nennen diese Grösse die Elektricitätsmenge innerhalb . In den Definitionen beider Grössen ist aber stillschweigend vorausgesetzt, dass wir angeben können, was identische Zeitmomente in den verschiedenen Punkten der geschlossenen Fläche sind. Aus dem Vorangehenden folgt nun: Wenn wir identische Zeiten an verschiedenen Orten so definiren, dass die Lichtausbreitung gleichförmig wird gegenüber den Fixsternen (Zeit ), dann drücken sich Elektricität und Magnetismus aus als Flächenintegrale von und . Wenn wir identische Zeiten an verschiedenen Orten so definiren, dass die Lichtausbreitung gleichförmig wird gegenüber der Erde (Zeit ), dann drücken sie sich aus als Flächenintegrale von und .

Aus den Gleichungen, in welche I′, II′, III für übergehen, ergibt sich mittels (7):

(10)

[1410] Setzen wir zunächst voraus, dass das Feld statisch sei, dann ist erstens und folglich , und zweitens , also

und somit für eine beliebige geschlossene Fläche:

Verläuft nun in Isolatoren, so ist allgemein das erste Integral von dem speciellen Werth von , das letzte Integral von dem speciellen Werth von unabhängig. Die einmal vorhandene Gleichheit beider Ausdrücke bleibt also bei allen Veränderungen des Feldes bestehen; d. h.

im Isolator, (11)
für jede Leiteroberfläche. (12)

(10), (11) und (12) sagen aus, dass allgemein die Grössen, welche als magnetische Dichte , elektrische Dichte im Isolator und Gesammt-Elektricitätsmenge eines Leiters zu bezeichnen sind, in beiden Darstellungen die gleichen Werthe besitzen. Das Resultat ist daher: identische Daten bestimmen identische Felder , unabhängig von dem Werthe von .

Alles in diesem Paragraphen Ausgeführte gilt für Medien, die sich in relativer Ruhe befinden gegenüber einem Bezugssystem, welches selbst eine gleichförmige Translationsgeschwindigkeit besitzt. Indem wir dieses Bezugssystem als in der Erde festliegend annehmen, vernachlässigen wir deren Axendrehung. Theoretisch gesprochen lässt sich der Forderung allseitig gleichförmiger Lichtausbreitung relativ zur Erde durch keinerlei „Ortszeit“ genügen, weil die Geschwindigkeit der täglichen Bewegung kein Potential besitzt. Diess hat nämlich zur Folge, dass die Veränderung, welche die Lichtzeit durch die Bewegung erleidet, vom Lichtwege abhängt und nicht nur von dessen Anfangs- und Endpunkt. Bedenkt man aber, dass die Geschwindigkeit der täglichen Bewegung für je ein Meter Abstand von der Axe um weniger als 1/100 cm/sec variirt, so wird klar, dass kein Interferenzversuch diese örtlichen Geschwindigkeitsdifferenzen zur Wahrnehmung bringen kann. (Man denke sich ein Interferometer, dessen beide Lichtwege die Hälften eines Quadrats von einem Meter Seitenlänge sind; das eine Seitenpaar sei parallel der Bewegungsrichtung; es werde Na-Licht benutzt. Drehung des Instruments um 180° hätte dann eine Verschiebung des Interferenzbildes um ein Milliontel Streifenbreite zur Folge.) Auch, dass [1411] die Richtung der Geschwindigkeit sich mit der Zeit ändert, ist ohne wahrnehmbaren Einfluss. Der Beweis soll hier übergangen werden. Wir dürfen also praktisch auch die tägliche Bewegung als reine Translation betrachten, die sich der Bewegung in der jährlichen Bahn an jeder Stelle der Erdoberfläche in jedem Moment überlagert.

§ 4. Relative Bewegungen.

Wir betrachten jetzt den allgemeinern Fall relativer Bewegungen, setzen aber voraus, dass das Product aus gemeinsamer Translationsgeschwindigkeit und relativer Geschwindigkeit gegenüber dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit eine verschwindende Grösse sei. Diese Bedingung, welche in (9) formulirt ist, hat uns zu den Gleichungen I′a bis IVa geführt. Dieselben stimmen in der Form überein mit I′ bis IV. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass an Stelle des „absolut ruhenden“ räumlichen Bezugssystems das „relativ ruhende“ und an Stelle der „allgemeinen Zeit“ die „Ortszeit“ getreten ist. Das heisst also, auf die Erde angewandt: soweit wir das Product aus der von uns angenommenen Erdgeschwindigkeit und der thatsächlich gegebenen relativen Geschwindigkeit gegen die Erde vernachlässigen dürfen gegenüber dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit, ist es gleichgültig, ob wir unsere Gleichungen auf ein gegen die Erde ruhendes Coordinatensystem und die „irdische Zeit“ beziehen, – oder auf ein beliebiges anderes Coordinatensystem, welches gegen die Erde die gleichförmige Geschwindigkeit besitzt und eine durch (6) definirte Zeit .

Was hier als Bedingung ausgesprochen wurde, gilt nun thatsächlich für alle Beobachtungen, wenn wir unter die Geschwindigkeit der Erde gegen die Fixsterne (etwa ) verstehen.

Wir können zwei Anwendungsgebiete unterscheiden:

1. Astrophysik. Hier ist entweder (Fixsterne) oder doch höchstens von der Grössenordnung von . Die vernachlässigten Grössen sind daher höchstens von der Ordnung , während die Messung des Aberrationswinkels und der verhältnissmässigen Änderung der Wellenlängen diese Genauigkeit nicht annähernd erreicht.

2. Bewegungen ausgedehnter Körper an der Erdoberfläche. Hier bleibt sehr klein gegen , und für jede Beobachtung verschwindend.

Alles also, was in § 3 für relativ ruhende Systeme streng abgeleitet ist, gilt mit praktisch ausreichender Genauigkeit auch für relativ bewegte Systeme.

Zusammengefasst: die bisher bekannten Thatsachen der Elektrodynamik lassen uns die Wahl, zur Darstellung eine ruhende Erde und [1412] irdische Zeit oder einen ruhenden Fixsternhimmel und himmlische Zeit zu benutzen.

Dass unsere Gleichungen, in der einen oder in der anderen Form interpretirt, den Einfluss relativer Bewegungen richtig darstellen, ist zum Theil von mir a. a. O., zum Theil von Anderen dargethan worden. Eine Zusammenfassung und eine Vergleichung mit anderen Theorien gedenke ich demnächst zu geben.

§ 5. Energiegleichung und mechanische Kräfte.

Um die Energiegleichung zu erhalten, zerlegen wir die Grösse der Gleichung (1) in zwei Theile:

. (13)

Hier soll die Änderung des Vectors relativ zur bewegten Materie bezeichnen, mit anderen Worten die Änderung, welche durch Änderung im festen Raumpunkt, durch Translation und durch Rotation der Materie erfährt. Diess wäre der vollständige Werth von , wenn sich die Materie nicht deformirte. Demnach ist der Beitrag, der von den Deformationen herrührt. Im Zeichen:

(14)
; u. s. w. (15)

oder

(16)

wo

; u. s. w. (17)

Man überzeugt sich leicht, dass , nach (13), (14), (15) berechnet, den Werth in (1) ergibt. Aus der Definitionsgleichung (14) folgt:

(18)
. (19)

[1413] Wir multipliciren nun I′ mit , II′ mit und addiren; dann kommt:

oder nach (13):

. (20)

Von der Änderung, welche und durch die Deformationen erleiden, sehen wir ab, setzen also ; dann wird nach III:

,

oder nach V:

. (21)

Ferner ist nach (16)

(22)

Endlich ergibt sich aus (17), indem man nach den Componenten von ordnet:

. (23)

(21), (22), (23) führen wir in (20) ein, und bezeichnen durch ein materielles Volumelement, so dass also

ist. Dann kommt:

, (24)

wo

. (25)

In (24) ist, jedesmal für die Einheit der Zeit und des materiellen Volumens berechnet, die linke Seite die Abnahme der elektromagnetischen Energie, das erste Glied der rechten Seite die Ausstrahlung, das zweite die abgegebene chemisch-thermische Energie, daher die abgegebene Arbeit.

[1414] Die Kräfte, welche diese Arbeit leisten, bestehen aus der translatorischen Kraft

(26)

und aus einem System von Deformationskräften, welche völlig übereinstimmen mit den Maxwell’schen Spannungen. Man kann sie zerlegen in eine allseitige normale Spannung

(27a)

nebst den Spannungen

. (27b)

Die Bewegungen der materiellen Theilchen sind daher bestimmt durch das äquivalente System translatorischer Kräfte , deren Componenten sind:

; u. s. w.[9] (28)

Setzt man hier die Werthe aus (26) und (27) ein, so erhält man

(29)

Dies ist der allgemeinste Ausdruck für die Kräfte.

Wir bemerken zunächst, dass für das Vacuum gilt:

und somit ;

ferner . Es verschwinden daher die vier letzten Terme in (29) einzeln, die drei ersten aber geben nach I′ und II′ die Summe Null. Die Kraft ist also identisch Null an allen Raumstellen, wo wir ein materielles Substrat der Kräfte nicht kennen. Dieser Satz ist ein logisches Postulat, solange man nicht dem Vacuum ad hoc ein Medium mit Eigenschaften der Materie substituirt. Er folgt andererseits aus unseren Gleichungen nur mittels der Voraussetzung . Man kann daher begrifflich das Bezugssystem, für welches unsere Grundgleichungen gelten, dadurch festlegen, dass es ruht gegenüber dem leeren Raum. Dadurch ist aber für die Darstellung der Erfahrung nicht das mindeste gewonnen.

[1415] Da wir elektromagnetische Kräfte messen an Körpern, welche gegenüber der Erde ruhen oder doch nur langsam sich bewegen, so ist von erster Wichtigkeit der Werth, den annimmt für Wir erhalten ihn in der durchsichtigsten Form, indem wir wieder mittels (6) die Ortszeit einführen. Dann folgt mittels (7) aus (29) oder einfacher mittels

u. s. w.

und

direct aus (28):

Hierin ist nach I′b bis III b:

also folgt:

(30)

wo

(31)

Der Werth in (31) hängt, als Function der relativen Coordinaten und der Ortszeit betrachtet, nicht mehr explicite von ab; aber auch nicht implicite, denn nach § 3 sind auch und von unabhängige Functionen derselben vier Variablen. Für stationäre Zustände wird nun . Weiter aber ist es für die Darstellung dieser Zustände gleichgültig, ob wir Ortszeit oder allgemeine Zeit benutzen. Also ergibt unser Ansatz: die Kräfte des stationären Feldes in relativ ruhenden Körpern sind in aller Strenge unabhängig von der Erdbewegung. Er ergibt ferner den Betrag dieser Kräfte in der wohlbekannten Form, welche den Ausdruck aller sicheren Erfahrungen bildet.

[1416] Im Fall veränderlicher Zustände tritt zu eine Anzahl von Gliedern, welche sich alle als vollständige Differentialquotienten nach der Zeit darstellen. Dieser Umstand schliesst die Möglichkeit aus, die momentanen Wirkungen periodischer Vorgänge beliebig zu summiren. Andrerseits aber ist jeder einzelne Term in der -Klammer eine sehr kleine Grösse: sowohl wie die Grössen in den sind von der Ordnung von ; aber ist mit einem Factor behaftet, der für alle leicht beweglichen Körper (Gase) sehr klein ist, und die haben als Factoren die Componenten von , wenn wir annehmen, dass das Bezugssystem unserer Gleichungen gegen die Fixsterne festliegt. Was zu hinzukommt, ist daher unmerklich; selbst aber ist von unabhängig, sobald man die irdische Ortszeit als vierte Variable wählt.

Auch die Betrachtung der mechanischen Kräfte also lässt unser früheres Resultat bestehen: keine Erfahrung hindert uns, unsere Grundgleichungen nach Willkür zu beziehen auf ein räumliches System, das in der Erde ruht, oder auf ein solches, das gegen die Erde eine beliebige gleichförmige Geschwindigkeit besitzt von der Ordnung der relativen Geschwindigkeit Erde–Fixsterne. Wir haben lediglich dem frei gewählten räumlichen System das zeitliche Bezugssystem anzupassen.




  1. Göttinger Nachrichten 1901, Heft 1; Ann. der Physik 7, S. 29, 1902.
  2. Vergl. Sitzungsber. 1904, 46, S. 1300 f.
  3. Vergl. hierzu unten S. 1409 f.
  4. Siehe unten § 5.
  5. Die Verwendung dieser Definition setzt voraus, dass Körper existiren, welche unter allen Umständen ohne Änderung ihrer Dimensionen gedreht werden können. Diese Voraussetzung liegt unserer gesammten Geometrie zu Grunde. Es ist gleichwohl nicht überflüssig, sie zu erwähnen; denn die Elektronentheorie negirt die Existenz solcher Körper.
  6. Phys. Zeitschr. 5, S. 585, 1904.
  7. „bis auf ganze Vielfache des Winkelabstandes zweier Zähne“ wäre eine zulässige, aber unwesentliche Verallgemeinerung.
  8. Auch dieses Verfahren hat natürlich nur einen Sinn, sobald wir sicher sein können, daß die Gesetze der Mechanik für die „allgemeine Zeit“ streng richtig sind.
  9. Zu den bisherigen Entwicklungen vergleiche man Lorentz, Math. Enc. V, S. 251 ff. Es ist aber zu beachten, dass bei Lorentz Glieder mit durchweg vernachlässigt sind.