Textdaten
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Autor: E. Vely
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Titel: Vom Grabe Mörike’s
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 443–444
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[443] Vom Grabe Mörike’s. In Stuttgart am 6. Juni war’s, um die Abendzeit. In Sonntagsgewändern wogte eine fröhliche Menge unter den frischen grünen Bäumen des Parkes, und seitwärts von demselben, auf dem schattenlosen, durch wenige hervorragende Denkmäler geschmückten Pragfriedhof hatte sich eine stille Gemeinde um ein offenes Grab versammelt. Voller Sonnenschein umfloß es; es war, als solle der, welchen hier die letzte Ruhestätte erwartete, nicht in das Dunkel, sondern in’s Licht gebettet werden – als wolle auch die Natur ihm ein würdiges Todtenopfer bringen. Und wohl hatte Eduard Mörike, dessen von Lorbeerkränzen überdeckten Sarg man langsam den Weg heraustrug, ein solches verdient als Sänger der Natur, deren geheimnißvolles Treiben er belauscht und mit dem Herzen erfaßt hatte.

Sie Alle, die ihm jetzt die letzte Ehre erwiesen, hatten sich an seinen lieblichen Liedern und sinnigen Märchen erfreut und klagten nun um sein Scheiden; Alle waren sie gekommen, die auf ihn als einen der Ihren blicken durften und die ihn lieb gehabt, sei es als Mensch oder als Dichter. Zunächst am Grabe standen, die am meisten an ihm verlieren, der Aesthetiker Vischer und Dr. Notter, der bekannte Dante-Uebersetzer, die Freunde seiner Jugend und seines Alters, stete treue Gesinnungsgenossen. Ihnen schlossen sich an Freiligrath, Karl Gerok, der geistliche Sänger und ehemalige Berufsgenosse des Geschiedenen, J. G. Fischer, Georg Scherer, Ludwig Pfau, Karl Schönhardt, die schwäbischen Dichter der Jetztzeit, die Schriftsteller von Walesrode und Arnold Wellmer, der Kunsthistoriker Professor Lübke, Hofrath Hemsen und viele Andere.

Der Geistliche sprach, wie es gewünscht worden, nur ein Gebet, dann trat Professor Vischer heran, dem Freunde den letzten Gruß hinunter zu rufen.

„Lebe wohl – Du fühlst es nicht,
Was es heißt, dies Wort der Schmerzen,“

hatte der verstummte Mund gesungen – tiefste Bewegung klang aus der Stimme des Redenden, der Mörike zuerst so treffend wie schön als Dichter charakterisirte:

„Hinabgesunken, theurer Freund, ist Dein Irdisches, und Du bist nun ganz Geist geworden, schwebst unkörperlich weithin in den Herzen und Geistern der Menschen. Nicht so weit wirst Du strahlen, wie jene größten Geister, die, mit dem vollen Maß der schaffenden Kräfte begabt, die Welt bezaubern; nicht so weit wirst Du glänzen, wie jene Talente, die es der Menge recht machen, weil sie in deren gewöhnlichen Darstellungen bleiben, sie nur mit farbreichen duftlosen Blumen ausschmückend. Du bist nicht berühmt und wirst es nicht sein bei Denen, die es nicht ahnen, welch ein Wesen es ist, das Dir bei Deiner Geburt die zarten Geisterhände auf Stirn und Lippen legte. Du wirst nicht berühmt sein bei Jenen, die es nicht fassen, was der Dichter sehnt und meint, wenn er aus Licht und Luft lauter magische Fäden spinnt und Herz und Welt, Geistesleben und Erde, Sonne, Mond, leuchtende Bäume und rauschende Wasser in ein Ganzes geheimnißvoll zusammenschlingt, nicht bei Jenen, die es nicht fassen, wie es kommt, daß der Dichter nicht von dieser Welt ist, daß er mitten in diese unsere Welt uns eine zweite, eine Welt von Wundern hineinstellt. Aber ist Deine Gemeinde nur im Vergleich mit der Menge klein, es ist eine Gemeinde, die sich labt und erquickt an Deinem wunderbaren seligen Treiben, es ist eine Gemeinde, die den Dichter nicht nach rednerischen Worten schätzt, sondern den Wohllaut trinkt, der aus ursprünglichem Naturgefühl der Sprache quillt.“

Aber auch von dem Menschen, dem schlichten, anspruchslosen und von seinem weichen Gemüthe sprach Professor Vischer. „Es ist ein guter Mensch gestorben –“ wer hätte nicht in der Runde mit eingestimmt? Treu und ehrlich, warm und hingebend, so wurde er als Freund vom Freunde geschildert. „Mein letztes Gespräch mit ihm,“ so fuhr der Redner fort, „galt Jenen, die das Dasein für schlecht und für das Beste das Nichts halten. Er nickte und blickte freundlich, als ich sagte, wir machten ja die Welt, falls sie schlecht wäre, noch schlechter, wenn wir in uns und Andern das große, wahre Gut der schönen Täuschung über die Uebel des Daseins und die Quelle aller wahren Freude, aller Lebenstüchtigkeit zerstörten, den Glauben an ein ewig Festes, an ein Bleibendes in den Wogen der Zeit, das Wesen hat, weil es unsichtbar ist. Und so freundlich blickend und nickend bleibt er mir nun in’s Gedächtniß geschrieben.“

Die ergreifende Rede schloß mit dem Citate:

„Denn hinter ihm, im wesenlosen Scheine
Lag Alles, was uns bändigt, das Gemeine.“

Im Namen der Stuttgarter Künstlergesellschaft „Bergwerk“ legte Karl Schönhardt einen Lorbeerkranz am Grabe „des Ehrenknappen, dessen stilles Grubenlicht so schön gestrahlt“, nieder, und G. H. Fischer brachte als „Jünger dem Meister“ einen Palmenzweig und warmempfundene Verse.

Dann fielen die ersten Händevoll Erde auf den Sarg, und schweigend zerstreute sich die Schaar – das war Eduard Mörike’s prunklose, aber tiefergreifende Leichenfeier.

„Keinen Lorbeer will ich, die kalte Stirne zu schmücken,
Laß mich leben und gieb fröhliche Blumen zum Strauß!“

hatte der Heimgegangene einstmals die Muse angefleht, und in der That, der volle Lorbeer senkte sich erst auf sein Grab, und richtig und ganz wird ihn die Nachwelt erkennen und schätzen – aber auch der „fröhlichen Blumen“ hat ihm das Leben nicht zu viel gebracht, wenn auch die Dauer desselben eine lange war. Eine wankende Gesundheit hat ihn auf manchen Lebensgenuß verzichten lassen.

Am 8. September 1804 ward er zu Ludwigsburg geboren; er erhielt seine Schulbildung auf dem Stuttgarter Gymnasium, wurde für das theologische Studium bestimmt und besuchte das Seminar zu Urach. Hier, an der Pforte der Rauhen Alb, in der wundervoll romantischen Umgebung, mochte sich seine Naturliebe voll entwickeln; auf den schattigen Pfaden zur Höhe, zwischen den Ruinen der alten Burg, am plätschernden Wasserfalle im Thale mochten die ersten Lieder in seiner Brust erklingen.

Mit achtzehn Jahren kam er nach Tübingen, wo er mit Strauß, Vischer und Bauer Freundschaft schloß. Nach Vollendung seiner Universitätsstudien wanderte er als Pfarrgehülfe von einem Dörflein zum andern, bis ihm 1834 die Pfarrstelle zu Cleversulzbach verliehen wurde. Während an seine Freunde theils der Kampf und die Bewegung herantrat, theils die Lust, zu sehen und zu hören, wie es draußen sei, lebte er in stiller Beschaulichkeit unter dem Dache des bescheidenen Hauses, wo einst Schiller’s Schwester als Pfarrerin gewaltet, freute sich der Blumen in dem kleinen Garten, durchstreifte die nahen Wälder oder schrieb unter der „Dichterbuche“ die Lieder nieder, welche in seinem Innern erblühten. Was ihn im engsten Kreise umgab, wurde Anlaß zu Poesien: jene Buche, in deren Rinde noch heute Hölty’s und anderer Dichter Namen zu lesen sind, der Thurmhahn auf dem Kirchendache, jeder Waldgang, ja, seine Berufsgeschäfte sogar, wie aus der „Pastoralerfahrung“ und der „Trauung“ hervorgeht. Das, was in der weiten Welt vorging, lag seiner Muse fern, nur in die Vergangenheit griff er zurück und schuf gelungene Uebersetzungen von Anakreon und Theokrit.

Die Einsamkeit des kleinen Pfarrhauses theilten bis zu seiner Vermählung die Mutter und Schwester Clara, welch Letztere er häufig in seinen Liedern erwähnt und die ihm lebenslang das wärmste und vollste Verständniß entgegen gebracht. Die Mutter bettete er während seines Dortseins an die Seite von Schiller’s Mutter.

Wie hoch er sie verehrt, spricht sich in den kurzen Versen aus:

„Siehe, von alle den Liedern nicht Eines gilt Dir, o Mutter,
     Dich zu preisen, o glaub’s, bin ich zu arm und zu reich.
Ein noch ungesungenes Lied ruhst Du mir im Busen,
     Keinem vernehmbar sonst, mich nur zu trösten bestimmt,
Wenn sich das Herz unmuthig der Welt abwendet und einsam
     Seines himmlischen Theils bleibenden Frieden bedenkt.“

Während seines Aufenthaltes in Cleversulzbach verkehrte er viel mit Justinus Kerner in Weinsberg und Ritter, der damals Pfarrer in der Nähe war, in beiden verwandte Seelen findend. Seine Gesundheit gestattete ihm jedoch die Ausübung seines Amtes nicht auf die Dauer; er gab seine Stellung auf und siedelte nach Mergentheim, später nach Stuttgart über, so oft er frei von körperlichen Schmerzen war, sich mit dichterischen Arbeiten befassend.

Es sind nicht der Bände viele, die er mit Poesien und Erzählungen gefüllt, aber was er geschaffen, verdient einen Ehrenplatz in der deutschen Literatur; manche seiner Lieder stehen den lyrischen Gedichten Goethe’s am nächsten. Seine Novelle „Maler Nolten“ erschien 1832, die gesammelten Gedichte 1838, die „Idylle am Bodensee“, das „Stuttgarter [444] Hutzelmännlein“, „Mozart auf der Reise nach Prag“, „Vier Erzählungen“ folgten im Laufe der Jahre. So abgeneigt im großen Ganzen heute die Menge den Märchen ist, ich glaube, der Nüchternste aus ihr könnte das „Hutzelmännlein“ nicht lesen, ohne von dem Zauber seiner Poesie völlig umfangen zu werden. Er selber ruft einem kritisirenden Freunde zu:

„Die Märchen sind halt Nürnberger Waar’,
Wenn der Mond Nachts in die Boutiquen scheint:
Drum nicht so strenge, lieber Freund,
Weihnachten ist nur einmal im Jahr.“

Noch einmal versuchte Eduard Mörike einen Lehrstuhl der Literatur am Katharinenstift zu Stuttgart einzunehmen, auch das gestattete ihm sein leidender Zustand nicht lange; 1866 trat er ganz in’s Privatleben zurück. Im Verkehr mit seinen Freunden suchte er Freude und Erholung; er war der liebenswürdigste Gesellschafter; besonders gern und mit Meisterschaft las er dramatische Sachen vor und würzte häufig die Unterhaltung mit seinem köstlichen Humor. Ein jedes seiner Worte war von Bedeutung und des Festhaltens werth, aber nie war er anspruchsvoll, und jede Selbstüberschätzung lag ihm fern.

Schwester Clara, die unermüdlich treue Pflegerin, die nie von seiner Seite wich, erzählte mir, daß er seit zwei Jahren mit der Umarbeitung des „Maler Nolten“ beschäftigt war. Sehr oft wurde er in seiner Arbeitszeit von Besuchen unterbrochen und ihm so manche Stunde geraubt, in der er sich frisch und zum Schaffen angeregt fühlte. Aber nie konnte ihn die sorgende Schwester bewegen, sich mit seiner Thätigkeit entschuldigen zu lassen, das schien ihm zu anspruchsvoll. Diese Arbeit ist fast vollendet, und mit ihr werden wohl auch noch andere Sachen aus seinem Nachlasse der Oeffentlichkeit übergeben werden. Fast den ganzen Winter kränkelte er schon; früher war ihm der Gedanke, das Ende herannahen zu fühlen und den Schmerz der Seinigen sehen zu müssen, furchtbar gewesen, obwohl er den Tod selber als solchen nicht fürchtete. In der langen Krankheitszeit sah er der Scheidestunde immer fester in’s Auge, immer ruhiger. „Clärle,“ flüsterte er einmal Nachts der an seinem Bette Wachenden zu, „weißt Du, was der Uhland vor seinem Tode seiner Frau gesagt? ‚Emilie, wir müssen uns fügen!‘“ Und ohne weiteren Zusatz verstand das treue Schwesterherz die Bedeutung dieser Worte.

Eine zu seinen übrigen Leiden hinzutretende Wassersucht brachte ihn schnell dem Grabe näher; er litt furchtbar, aber gefaßt.

„Das ist der der Todeskuß,“ sagte er abschiednehmend zu den Seinen, und bald darauf, am Morgen des 4. Juni hatte er die Augen auch zum Todesschlafe geschlossen. Er hinterläßt die Gattin, zwei Töchter und die treue Schwester. Schätze hat er weder aus dem Erlöse seiner Werke noch seiner Berufsthätigkeit sammeln können, und seine Ansprüche gingen auch nie über das Maß des Nothwendigen hinaus. Kurz vor seinem Tode hatte ihm der König von Sachsen die Zusicherung einer Pension geben lassen, auch die Schillerstiftung hatte die Summe, welche er jährlich durch sie empfing, erhöht – er hat Beides nicht mehr genossen.

Ein Lieblingsgedanke der Schwester war der, ihn, wie er oft gewünscht, auf einem ländlichen Friedhofe ruhen zu lassen – Cleversulzbachs stiller Todtenort wäre ihr des Geschiedenen am würdigsten erschienen. Aber die bei jedem Todesfalle über die Angehörigen hereinbrechende Hülflosigkeit und andere Schwierigkeiten hatten den stillen Wunsch nicht laut werden lassen.

Eine besondere Freude hatte ihm, nach der Schwester Erzählung, die Zeichnung der Gräber von Schiller’s und von seiner eigenen Mutter in der Gartenlaube (Nr. 50 des vorigen Jahrganges) und die Erwähnung, daß er der Finder und Hüter des erstern gewesen, gemacht. Damals mochte er noch nicht ahnen, wie bald man auch ihm sein letztes Bett höhlen werde – und doch war es die Erfüllung des von ihm selber gesungenen Liedes vom Tännlein und Rosenstrauch, die wer weiß wo im Walde und in welchem Garten grünen und blühen:

„Sie sind erlesen schon,
Denk’ es, o Seele,
Auf Deinem Grab zu wurzeln
Und zu wachsen.“

Hübsch wäre es gewesen, man hätte dem Dichter der Dorfidylle ein Grab neben den beiden Dichtermüttern geben können; die Buche seines Gartens hätte leise zu ihm herüber gerauscht, der Wind auch wohl im Herbste ein dürres Blatt von ihr nach dem Hügel getragen. Aber auch dort, wo er schlummert, gleiten die Strahlen der Sonne über sein Bett, werden Blumen es überwachsen und wird der Morgenthau in ihren Kelchen wie Thränen funkeln – wer weiß, ob sich in der Nacht, nachdem sich über ihm die Erde geschlossen, nicht begab, was er einstmals „um Mitternacht“ geschaut:

„Gelassen stieg die Nacht an’s Land,
Lehnt träumend an der Berge Wand,
Ihr Auge sieht die gold’ne Wage nun
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn;
     Und kecker rauschen die Quellen hervor,
     Sie singen der Mutter, der Nacht, in’s Ohr
     Vom Tage,
     Vom heute gewesenen Tage.“

E. Vely.