Textdaten
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Autor: E. V–y.
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Titel: Ein Grab im Unterland
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 807–810
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[807]
Ein Grab im Unterland.


„Zu Cleversulzbach im Unterland“ beginnt zwar ein Mörike’sches Gedicht, aber trotzdem wissen wohl Wenige im Schwabenlande, daß diesen Namen wirklich ein einsames, kleines Pfarrdorf jenseits Heilbronn trägt, noch weniger aber mag man es außerhalb der Grenzen des würtembergischen Landes ahnen, daß dieses Dörflein eine geweihte Stätte birgt, welche von der ganzen deutschen Nation heilig gehalten zu werden verdiente.

Cleversulzbach liegt fern vom lauten Weltgetriebe, verschollen und verborgen am Fuße eines waldigen Hügels. Kein Schnauben, Pfeifen und Rasseln des Dampfrosses klingt in die Stille. Selten geschieht’s, daß ein Wandersmann den Weg nach dem Dorfe einschlägt, noch seltener, daß ein Wagen dahin rollt. Die Verbindung mit dem nächsten Städtchen unterhält allein der Postbote – ein seltsam Ziel also zu einer Pilgerfahrt und dennoch ein würdiges.

Wie schön ist die Fahrt an dem sonnigen Herbstmorgen durch die gesegneten Auen des Schwabenlandes, zwischen den grünen, traubenbehangenen Weinbergen dahin! Von den Höhen und aus den Thälern grünen altersgraue Oerter, Wartthürme, verfallene Schlösser; der „silberblinkende“ Neckar windet sich anmuthig an dem malerischen Lauffen vorüber, wo Hölderlin, sein Sänger, geboren wurde. Heilbronns uralte Thürme tauchen auf und schwinden wieder, und – Neckarsulm ist erreicht, die letzte Eisenbahnstation.

Cleversulzbach, das stille Dorf, liegt indessen noch mehr als zwei Stunden von Neckarsulm, diesem aus dem Bauernkriege [808] bekannten Orte, entfernt. Der Weg dahin führt über Neuenstadt an der Linde, das aus den Trümmern einer Römerniederlassung erbaut wurde, nachdem die Mutterstadt, der Ort Helmbund in der Niederung, im vierzehnten Jahrhundert durch Wassersnoth oder Krieg zerstört worden. Zwischen dieser „neuen Stadt“ und Cleversulzbach steht das „tausendjährige Kirchlein“, das allein von dem ehemaligen Helmbund übrig blieb. Halb zerfallen, sieht es traurig aus seinen drei gothischen Fensteraugen hinüber nach der auf dem Bergrücken liegenden Neuenstadt, die sein vergaß. Stolz und beschattend breitet die uralte Linde, nach welcher die Stadt mit benannt wird, ihre grünen Arme dort oben aus.

Auf dem Wiesenteppiche zur Rechten stehen Tausende der melancholischen Herbstzeitlosen. Links breiten sich bunte Saatfelder aus, und dann tauchen die Häuser des Pfarrdorfes Cleversulzbach auf und sein windschiefer, kleiner Thurm. Vor dem Eingange des Dörfchens liegt der Friedhof – und dorthin ist unser erster Gang. Die Thür knarrt in den rostigen Angeln; die Umfassungsmauer ist alt und schadhaft, und auf die letzten Ruhestätten der Dörfler brennt die Sonne sengendheiß herab. Nirgends ein schattenspendender Baum; das Gras ist verdorrt; die schlichten Holzkreuze hüben und drüben sind verwittert; am Wege ist ein Kindergrab halb zugeschüttet. Der Todtengräber ruht von seiner Arbeit; zwei Blumenkränze, die den neuen, kleinen Hügel schmücken sollen, hängen einstweilen auf fremden Kreuzen. Aus der naheliegenden Kirche klingt Orgelton und der Gesang der Gemeinde herüber.

Welch heilige Ruhe auf diesem schmucklosen Friedhofe! Wenige Schritte zur Rechten, nach der Mauer hinüber und unter dem einzigen Baume des Friedhofes, einer kümmerlichen Linde, ist ein rohes, steinernes Kreuz sichtbar. Schiller’s Mutter“, sagt die kunstlos eingegrabene Inschrift. Kein Geburtsjahr und kein Todestag, kein Bibelspruch und kein gereimter Vers ist auf dem schlichten Denkmal zu finden, und ich meine, so ist’s recht und würdig. Schiller’s Mutter unter dem Hügel da vor uns, den versengtes Gras und spärlicher Epheu bedecken! Eine einzige Blume, eine blaue Campanula blüht auf dem Hügel; sie beugt matt ihr Haupt. Einförmig zirpen die Grillen auf dem Boden; ein Vogel flattert erschreckt auf und duckt sich hinter der Mauer des Nachbargartens. Es ist traumhaft still auf dem kleinen Gottesacker.

Was die hier Ruhende der deutschen Nation, der ganzen Welt gab, ist ein Unsterbliches. Ob das deutsche Volk nicht auch der Mutter seines Dichters hätte gedenken und sorgen sollen, daß ihrer letzten Ruhestätte ein Denkmal würde, das länger der Zeit und dem Verfall trotzen könnte, als jenes unscheinbare Steinkreuz? Unwillkürlich fragt man so. Und die Antwort?

Mit dem Grabe der „Schillerin“ durch eine Stein-Einfassung vereint, befindet sich dort ein zweites, das ein gleiches Kreuz trägt. Ein blühender Rosenstrauch steht statt einer Linde darauf, und ein Kranz ist darüber gehängt – ein Zeichen, daß es kein „vergessen Grab“ ist. Charlotte Mörike – eines andern schwäbischen Dichters Mutter – schläft hier neben Elisabeth Dorothea Schiller. Und der, welcher dem Andenken seiner Mutter den Stein errichtete, war’s auch, welcher jenes fast schon verschollene Grab, nach welchem bisher Niemand gefragt, bezeichnete und so der Vergessenheit entriß.

Im Jahre 1834 wanderte ein „musengeküßter“ junger Pfarrer gen Cleversulzbach, um dort sein Amt als Seelenhirt der kleinen Gemeinde anzutreten, Eduard Mörike. Er wußte, was Andere lang vergessen, daß einer seiner Vorgänger, der Pfarrer Frankh, Schiller’s Schwager gewesen und daß Frau Elisabeth Dorothea hier ihre müden Augen geschlossen. Und als er endlich ihr einsames Grab gefunden, legte er einen unvergänglich schönen Schmuck auf dasselbe nieder, folgende Verse:

„Nach der Seite des Dorfs, wo jener alternde Zaun dort
     Ländliche Gräber umschließt, wall’ ich in Einsamkeit oft
Sieh den gesunkenen Hügel! Es kennen die ältesten Greise
     Kaum ihn noch, und es ahnt Niemand ein Heiligthum hier.
Jegliche Zierde gebricht und jedes deutende Zeichen;
     Dürftig breitet ein Baum schützende Arme umher.
Wilde Rose, dich find’ ich allein statt anderer Blumen;
     Ja, beschäme sie nur, brich als ein Wunder hervor!
Tausendblättrig öffne dein Herz! entzünde dich herrlich
     Am begeisternden Duft, den aus der Tiefe du ziehst!
Eines Unsterblichen Mutter liegt hier bestattet; es richten
     Deutschlands Männer und Frau’n eben den Marmor ihm auf.“

So viel aber auch die pietätvollen Verse gelesen und gehört wurden, es fand sich Niemand, der dazu aufgefordert hätte, den stillen Vorwurf, welcher in ihnen lag, zu nichte zu machen. So ließ Eduard Mörike selber, vielleicht damals, als man seine eigne Mutter in’s Grab legte, dasjenige von Schiller’s Mutter neu herrichten und setzte ihr das einfache Kreuz.

Als man am 10. November 1859 das Geburtshaus des „großen Marbacher Kindes“ ganz seinem Andenken weihte, wurde auch die Schenkungsurkunde vom Grabe der Mutter dort niedergelegt. Die Gemeinde Cleversulzbach überließ das Eigenthumsrecht an demselben dem Schillerverein. Eine kleine Summe ist für die Erhaltung des Hügels zwar bestimmt, aber die Bodenbeschaffenheit und der Sonnenbrand machen jede Blumenpflanzung auf demselben fast unmöglich.

Der gütigen Bemühung des jetzigen Herrn Pfarrers von Cleversulzbach verdanken wir den wörtlichen Auszug aus dem Todtenbuche – das Einzige, was sich noch Schriftliches über Schiller’s Mutter daselbst findet. Der Eintrag rührt von der Hand des Schwiegersohnes her und lautet:

„1802 D. 29. Apr. N. M. 2 Uhr starb meine Frau Schwieger, weil. Frau Elisabeta Dorothea, weil. Hr. Johann Caspar Schillers, Herzogl. Württembergischen Majors u. Intendanten der Herzoglichen Solitude Gemalin, an der Entzündung u. wurde den 1 Mai Nachmittags 2 Uhr standesmäßig beerdigt, 69 Jahre 4 Mon. 16 Tage alt.“

Ueber den Pfarrer selber fand sich nur folgende kurze Notiz in den Registraturacten:

„Pf. M. Johann Gottl. Frankh, geb. Stuttgart d. 26 Dz. 1760, hier angestellt als auf dem ersten Dienst, a. 1799 od. 1800, studierte fleißig die Bibel u. seine kirchlichen Autoren, hatte a. 1804 1 Knaben von 1½ J. u. verschwindet wieder, indem d. 1. Febr. 1805 ein neuer Pfarrer, Gottlieb Friedr. Hirzel eingetreten ist.“ – –

Bilder vergangener Tage ziehen an uns vorüber. Die Sonne lacht goldig in die Fenster des weißen, saubern Häusleins. Tritt da nicht eben aus der geöffneten Thür die etwas gebeugte und doch immer noch rüstige Gestalt Frau Elisabeth Dorothea’s? Ihr Gesicht schaut so freundlich aus der weißen, faltigen Haube, und ihre Augen blicken strahlend auf ein Etwas, das sie, in weißen Kissen sanft gebettet, behutsam in den Armen trägt. Das erste Enkelchen ist im Cleversulzbacher Pfarrhause geboren, und die Großmutter trägt es, nachdem es, alter schwäbischer Sitte gemäß, baldigst die Taufe empfangen, zum ersten Male in den sonnenwarmen Garten. Sie denkt dabei, wie sie einen andern Enkel gewiegt, den Erstgeborenen ihres Sohnes – damals stand noch der Gatte verklärt lächelnd neben ihr, und der „Fritz“, der einstige heimathlose Flüchtling, hatte im stolzen Glücke den Arm um sein Weib geschlungen und sah mit leuchtenden Augen die Freude seiner alten Eltern. Das war in dem fernen Ludwigsburg gewesen. Trübes und Freudiges lag für die Matrone zwischen jenem Tage und dem Heute. Der stramme alte Major Schiller hatte sein Haupt zur Ruhe gelegt und seine Wittwe mit der letzten Tochter, Luise, in dem verwitterten Leonberger Schlosse jenseits der Solitüde zurückgelassen.

„Ich und Luise befinden uns zum Preise Gottes auch recht erträglich. Außerdem leben wir so in der Stille beisammen, arbeiten mit Spinnen und Stricken und anderen häuslichen Geschäften, machen wenige Besuche, damit wir nicht wieder Gegenbesuche bekommen, weil es in den Landstädten der üble Gebrauch mit vielem Aufwande.“

Noch stiller wurde es, als Luise mit dem Manne ihrer Wahl davonzog. Nun saß die Matrone allein am Spinnrocken, und allerhand Gedanken und Erinnerungen umwebten sie, während das Rad schnurrte und ihre fleißigen Finger nicht müde wurden, den Faden zu drehen. Da war zuerst die schmucke Gestalt Johann Caspar Schiller’s, wie er als Brautwerber vor die Jungfer Elisabeth Dorothea Kodweis trat, die erröthend und züchtig die Blicke senkte. Dann tauchte das braungetäfelte Stübchen in Marbach auf, wo neben dem mächtigen Kachelofen ein Hausrath zu sehen war, den man im Verzeichniß der „Liegenschaft und Fahrniß“ des jungen Ehepaares noch als „anzuschaffen“ aufgeführt hatte – eine Wiege. In derselben [809] lag ihr Knabe und lauschte, die großen klugen Augen weit offen, den sanften Wiegenliedern der Mutter. Wie schön das Lächeln auf dem Antlitze der Matrone ist, wenn sie des Sohnes denkt! Von dem Kinde in Marbach bis zum Professor in Jena war zwar ein langer Weg, und manche Thräne ist den Mutteraugen bis dahin entquollen, aber – hier richtet sich das graue Haupt höher auf – kaum eine zweite Frau darf sich mit so gerechtem Stolze eine „glückliche, gesegnete Mutter“ nennen, wie sie. – Zuweilen kommt ein Freudenbote in ihre Einsamkeit, ein Brief vom Fritz oder ihrer ältesten Tochter Christophine Reinwald, und dann setzt sich die Schillerin an den Eichentisch und greift zur Feder, und wenn sie auch lange Zeit braucht, bis sie einen Brief „stylisiret“, sie läßt sich die Mühe nicht verdrießen, und bei den Empfängern erregt jeder ihrer Herzensergüsse Freude und Rührung.

Die Briefe von Schiller’s Mutter sind das Zeugniß ihrer Seelengüte und wahren Frömmigkeit Mit echt hausfraulicher Sorgfalt sucht sie die fernen Lieben mit dem zu erfreuen, was ihre eigenen fleißigen Finger geschafft haben.

„Nehme Er, liebster Sohn, dieses Wenige von meinem dankbaren Herzen an. Das Stückle Tuch ist auch von unseren Kindern gesponnen und ich wünschte, daß Er es zu einem halben Dutzend Hemden selbst tragen möchte. Das Tischzeug ist für die liebe Lotte. Nebstdem überreiche für unsern besten Karl die Sacktücher, dem kleinen Ernst Zitz zu Bettkitteln. Hätte ich noch etwas von meinen Sachen, so steht Ihm Alles zu Seinem Verlangen, auch habe ich der Luise schon gesagt, Alles das Beste und Schicklichste soll nach meinem Tode für Ihn und die liebsten Seinigen aufgehoben werden. Wie glücklich und ruhig wäre ich, wenn ich auch noch vermögend an der so herzlich kindlichen Liebe meinen Dank beweisen könnte; denn meine selbstgemachte Leinwand ist immer mehr als noch so gut als in Kaufläden; es schmerzte mich, meinen Fleiß unter fremde Menschen kommen zu lassen. Wir spannen öfters bis Nachts 12 Uhr und der liebe, selige Vater hatte eine große Freude, uns Flachs zu kaufen.“

Bleiben jedoch einmal die Briefe vom Sohne länger, als gewöhnlich, wie geängstigt und besorgt ist dann gleich das treue Mutterherz! So schreibt sie einmal:

„Leonberg, 16. Mai 1797. 

Mein bester Sohn, diesesmal wird uns die Zeit allerdings zu lang, keinen Buchstaben von Ihm in einem Vierteljahr zu sehen; es macht mich anfangen sehr unruhig, da ich alle Posttag vergeblich warte, welches doch in meinen wirklichen Umständen mir den größten Trost auf der Welt noch gewährt – immer gute Nachricht von meinen lieben Kindern zu bekommen. Gott gebe, daß Alles bei Ihm und den Seinigen wohl ist. – Da ich schon so lange keine Nachrichten von Euch Lieben bekommen, so habe ich die Briefsammlung von Ihm noch von Mannheim und Leipzig, Dresden, Weimar und Jena durchgelesen, welche mir theils Thränen, theils Freude gekostet; es stärkt aber immer mein Dankgefühl gegen Gott, der uns schon durch so manche Labyrinthe geführt und doch Alles bisher so weislich zu unserm Besten gefügt und zwar zu unserm ewigen Heile. O, wenn ich zurück denke, wie viele Barmherzigkeit Gott an mir allein erwiesen, so muß ich ausrufen, ich bin viel zu gering aller dieser Gnade, die er an mir und meinen lieben Kindern erwiesen. Es ist unglaublich, daß ich noch lebe und mich so gesund und in Kräften bewegen kann, wenn ich bedenke, was ich schon in etlichen vierzig Jahren um meines Ehestandes durchgemacht, und ich stärke mich immer durch das Vertrauen zu der göttlichen Vorsehung, in dem noch kleinen Rest meines Lebens nicht verlassen zu werden. – Gott erhalte Sein theures Leben in Gesundheit noch lange Jahre, welches ich täglich in meinem Gebete thue. Die treuste und dankbare und Euch Alle zärtlich liebende Mutter S.“

Aber auch in Cleversulzbach sehnt man sich nach der Mutter, und das junge Ehepaar holt sie aus der Unruhe und dem Kriegslärme, welchen die Franzosen in der Umgebung Stuttgarts verbreiteten, in die beschauliche Stille des Dorflebens.

Die Schilderung, die Mörike „im alten Thurmhahn“ entwirft, mochte auch wohl auf das Studirstübchen des Herrn Pfarrer Frankh zutreffen, welches Mutter Schillerin immer mit einer gewissen Ehrfurcht betrat:

„Hier wohnt der Frieden auf der Schwell’,
In den geweihten Wänden hell,
Sogleich empfing sie sondre Luft,
Bücher und Gelehrtenduft,
Gerani- und Resedaschmack,
Auch ein Rüchlein Rauchtaback.“

Das häusliche Glück ihres jüngsten Kindes wirft neuen Freudenschein über ihre alten Tage: „Die Luise ist wohl und vergnügt und sie schicken sich gut für einander. Er thut sein Amt recht gut versehen und ist auch ein guter Prediger, wie die Leute sehr gut mit ihm zufrieden hier sind,“ berichtet sie dem Fritz, aber so stolz sie auch auf den geistlichen Herrn Schwiegersohn ist, ganz so hoch als den Dichtersohn stellt sie ihn doch nicht im Wissen und Können.

„Pfarrer Frankh wird sich fürchten, an seinen Schwager zu schreiben; verzeih’ Er also, wenn es noch nicht geschehen ist,“ schreibt sie.

Im Pfarrhause hätte man gern gesehen, die sorgende, kluge Großmutter nähme beständig dort ihren Wohnsitz. „Sie wollen haben, daß ich vor immer dableiben soll, zu Diesem bin ich aber nicht entschlossen, weil ich mein Logis in Leonberg nicht ganz vergeben möchte.“

So zieht sie sich denn, als die junge Mutter genesen und sie den Enkel tüchtig gedeihen sieht, wieder auf ihren Wittwensitz nach Leonberg zurück, um nur dann und wann einige Zeit in Cleversulzbach als Gast einzukehren. Die freundliche Gestalt der „Pfarrersmutter“ war gewiß im Dorfe bald bekannt, und man grüßte sie überall ehrfurchtsvoll, wenn sie dasselbe an der Seite der Tochter durchschritt. Das Dörfchen liegt dem Walde nahe, und so wenig malerischen Reiz es an und für sich hat, es besitzt etwas, auf welches seine Bewohner ein besonderes Gewicht legen: „einen Gesundbrunnen“. Unten am Bache befindet sich ein krystallenes Bassin mit starkem Abflusse, von einer Gruppe hochgewachsener Erlen und niederen Buschwerks malerisch umgeben. Der Sage nach soll die Tiefe unergründbar sein. Die Dorfbewohner schreiben dem etwas schwefelhaltigen Wasser Heilkraft zu. Gewiß schöpften auch die beiden Frauen aus dem Pfarrhause auf ihren Spaziergängen an dieser Stelle. Die Mutter Schiller’s war eine große Freundin der Natur. Wie bei ihrem Sohne, so mochte sie auch in dem Mädchen den Sinn für dieselbe geweckt haben, und sicher schlug man an manchem Sonntag Nachmittage den Weg nach dem Walde ein.

Die Pfarrerin Frankh ist, dem noch von ihr existirenden Bilde nach, weder schön noch anmuthig gewesen. Sie hatte hiernach ein scharfes Profil und eine stark gebogene Nase; der Kopf war von reichgelocktem Haare umwallt. Ihre Briefe zeigen sie als gute Hausfrau, Tochter und Gattin; sie pflegte die schwerkranke Mutter mit rührender Liebe bis zum Ende. Auch ihre Gestalt taucht dort zwischen den Beeten des Gartens auf, als:

 – – „Hausfrau, die so reinlich stets
Den Garten hielt, gleich wie sie selber war, wann sie
Nach schwülem Tag am Abend ihren Kohl begoß,
Derweil der Pfarrer ein paar Freunden aus der Stadt,
Die eben weggegangen, das Geleite gab;
Er hatte sie bewirthet in der Laube dort,
Ein lieber Mann, redseliger Weitschweifigkeit.“

Von Leonberg aus schreibt die Matrone am 28. October 1801 einen Brief nach Cleversulzbach, aus welchem ihr ganzer Mutterstolz über den Dichtersohn spricht:

„Auch habe ich vor etlichen Tagen Briefe wieder von Fritzen und Lotte bekommen. Er ist nicht in Berlin gewesen, aber in Dresden und Leipzig, da in letzterem ihm große Ehre geschah. Er schrieb auch, daß ein neues Stück, von ihm gemacht, zu Lieb ihm aufgeführt worden. Als er in die Loge, so wäre Er gleich mit Pauken und Trompeten empfangen worden und nach dem ersten Acte rief Alles zusammen: ‚Es lebe Friedrich Schiller!‘ und er mußte hervortreten und sich bedanken. Als er aus der Komödie ging, nahmen Alle die Hüte vor ihm ab und riefen: ‚Vivat, es lebe Schiller, der große Mann!‘ Das ist freilich eine Ehre, die nur einem Prinzen gemacht wird. – Auch die Lotte schrieb mir, daß ihm so viele Ehre erwiesen worden, daß es sie zu Thränen gerührt.“ –

Das ist der letzte fröhliche Brief, welchen sie schrieb; ihre Gesundheit war stets eine schwankende gewesen, und mehrmals hatten sie heftige Krankheiten bis an den Rand des Grabes gebracht. Nun befiel sie auf’s Neue ein Leiden, dem sie erlag. [810] Während eines Curgebrauchs in Stuttgart wurde sie so krank, daß Luise Frankh sie in Betten gehüllt heimholte. So betrat sie am 12. Februar 1802 zum letzten Male die Schwelle des Cleversulzbacher Pfarrhauses, um es nicht eher wieder zu verlassen, als bis man sie hinaustrug, um sie drüben in den stillen Grund zu betten.

Ein einziger Brief ist aus jener Zeit erhalten; er ist an Christophine Reinwald gerichtet und vom 2. April 1802 datirt. Die ruhigste Ergebung in einen höheren Willen spricht sich darin aus und die rührendste Dankbarkeit für die Liebe ihrer Kinder. Einen Monat später – und die zitternde Hand, welche ihn niedergeschrieben, ruhte starr und kalt auf dem Herzen, das so warm und edel geschlagen. Wie

Das Grab von Schiller’s Mutter.

sanft und gottergeben sie aus dem Leben schied, schildern am besten Luisens Worte an den Bruder:

„So wie sie zu sich selbst wieder kam, sprach sie von ihren lieben Kindern und dankte Gott mit innigster Rührung vor diesen Trost im Tode. Ach, von Dir, lieber Bruder, sprach sie oft und segnete Alles mit so vieler Dankbarkeit gegen Dich, was Du je unternehmen würdest. Ich mußte ihr Dein Medaillonportrait zwei Tage vor ihrem Ende holen, das drückte sie an ihr Herz und dankte Gott vor ihren lieben Sohn. Auch mir dankte sie oft für meine Pflege und Vorsorge in ihrer schmerzlichen Krankheit, und ich konnte ihr doch so wenig Linderung verschaffen. – Sie wurde mit aller möglichen Ehre und Ehrerbietung, die je unser Dorf vermochte, zur Erde bestattet und liegt so nahe meinem Garten, daß ich aller Augenblicke ihren Grabhügel sehen kann.“

Der einfache Sarg von den angesehensten Bauern getragen, unter dem Gesange der Schulkinder in die Grube gesenkt, eine warme Grabrede des Schwiegersohns – so mochte die Bestattung sein.

Noch vor des Dichters Tode, zu Anfang des Jahres 1805, war der Pfarrer Frankh nach dem jenseits Neuenstadt liegenden Städtchen Möckmühl versetzt; von dort aus konnte die Tochter wohl nur selten einmal das Grab der Mutter besuchen, um einen frischen Kranz darauf zu legen. Und Jahre kamen und gingen, und der Hügel war eingesunken und die darunter ruhende einfache und natürliche, mit der größten Herzensgüte begabte Mutter unsers volksthümlichsten Dichters, war – scheinbar vergessen.

Scheinbar nur! Der Ruhm, das Grab vor gänzlicher Vergessenheit und Zerstörung bewahrt zu haben, gebührt, wie gesagt, einzig Eduard Mörike. Die duftigen Lieder dieses sangbegnadeten Dichters sind lustig hinaus geflattert in die Welt; er selber legte den Hirtenstab kränklichkeitshalber nieder. Als er zum letzten Male unter die Buche im kleinen Pfarrgarten, die „Dichterbuche“, trat, mochten ihm die Blätter ein wehmüthiges Lebewohl zurauschen, aber auch die Linde auf dem Grabe der Dichtermutter bewegte ihre Zweige grüßend. Wäre sein Name nicht als Dichter genannt und bekannt, er verdiente es der einzig guten That wegen, überall gerühmt zu werden, wo man Schiller’s Andenken feiert, der That wegen, das Grab der „Schillerin“ geschmückt und gepflegt zu haben.

Die Mutter Schiller’s! Noch einen letzten Blick und Abschiedsgruß nach ihrer Schlummerstätte! Was sie dem deutschen Volke gegeben, ist unvergänglich. Wer weiß und ermißt, wie viele der poetischen Anregungen sie dem Kinde mitgab, wie groß ihr unbewußter Antheil an all dem war, was er an unsterblichen Werken schuf?! Verdient das schmucklose Grab nicht ein grünes Blättchen von den zahllosen Lorbeerkränzen, welche man dem Andenken ihres großen Sohnes flicht?

E. V–y.