Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil/Zwölftes Buch

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[342]
Zwölftes Buch.
Veredelte Dauer und Beendigung der Liebe.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Gehört die Dauer der Liebe zu ihrem Wesen und zu ihrem Adel? Diese Frage hat von jeher Anlaß zu vielen Streitigkeiten gegeben. Einige haben die Flatterhaftigkeit derjenigen in Schutz genommen, die sich in der Dauer ihrer Anhänglichkeit durch die bloßen Launen des Geschmacks und der Sinnlichkeit bestimmen lassen: andere stellen die Schäfer am Ufer des Lignons zum Muster dar, die ihr Leben um spröde Schäferinnen verseufzen, und noch als Gatten die Rollen schmelzender Liebhaber bis ans Ende ihres Daseyns fortspielen. Jene verlachen den Werth, der auf die Dauer der Liebe gesetzt wird, wie ein Vorurtheil, und verspotten die Erzählungen von ewiger Liebe entweder als Mährchen, oder als Beyspiele einer seltenen Verrückung des Gemüths. Diese appellieren an unsere Imagination und [343] unser Herz, und wissen uns oft zu ihrem Glauben mit sich fortzureißen, wenn sie uns auch nicht durch wirkliche Erfahrungen überzeugen. Wer kann die Geschichte Philemons und Baucis anhören, die am Abend ihrer Tage keine andere Belohnung für ihre Tugenden, von den Göttern zu erflehen wußten, als die Wohlthat, zusammen zu sterben, ohne von dem Gefühle ihrer Möglichkeit und Wahrheit, so wie von denen des Edeln und des Schönen durchdrungen zu werden.

Für uns, die wir von dem Begriffe der Liebe jenes bloße Streben nach Befriedigung körperlicher oder auch geistiger Geschlechtssympathie, alle jene Verhältnisse, die sich auf Lüsternheit, Eitelkeit, gesellige Belustigungssucht, u. s. w. gründen, sorgfältig abgesondert haben; für uns, sage ich, kann die Beantwortung der Frage, ob Dauer zum Wesen der Liebe gehöre, so zweifelhaft nicht seyn. Wir nennen nur diejenigen Verbindungen mit diesem Nahmen, die auf dem Gefühle zärtlicher oder leidenschaftlicher Anhänglichkeit beruhen, und es versteht sich von selbst, daß diese über den Zeitraum einiger Tage und Wochen hinausreichen müssen.

Allein daraus folgt keinesweges, daß diejenige Liebe, die nach dem Verlauf einiger Monate und Jahre geendigt wird, keine wahre, wenigstens keine edle Liebe gewesen sey. Der Zustand, in dem wir uns während dieser Zeit befunden haben, kann allerdings als ein Abschnitt aus der Geschichte unsers Lebens angesehen werden, der, für sich betrachtet, ein Ganzes ausmacht, auf welches Begriffe von Wahrheit, Zweckmäßigkeit, Vollkommenheit, Adel und Schönheit zutreffen. Inzwischen gehört es doch unstreitig zur Veredlung dieser Liebe, wenn ihre Dauer verlängert wird, und wenn Zeit und Veränderung [344] der äußeren Verhältnisse die schönste Neigung des edelsten Wesens in uns nicht schwächen.

Alter und lange Fortdauer haben schon an sich durch ihre genaue Verwandschaft mit unsern Lieblingstrieben nach langem Leben und Unsterblichkeit ein hohes Anrecht darauf, uns in eine unbestimmte, aber wohlgefällige Rührung zu versetzen. Diese Ideen erhalten einen erhöheten Reitz, wenn der Gegenstand, der sie erweckt, an sich vergänglich zu seyn pflegt, und durch sein langes Bestehen Bilder des Seltenen und Ausgezeichneten erweckt. Wie interessieren uns nicht die zerbrechlichen Eyer, und die leicht zu verwischenden Kohlenstriche, die sich zu Pompeji seit Jahrtausenden erhalten haben! Welch einen höheren Anspruch auf Wohlgefälligkeit für den Beschauungshang bekommt aber das Unzerstörbare durch das Gefühl der innern Kraft, welche dabey zum Grunde liegt, der innern Vortrefflichkeit, der äußeren Nutzbarkeit! Dauernde Liebe führt auf die edelsten Neigungen, auf die schönsten Vorzüge des menschlichen Geistes und Herzens zurück. Festigkeit, Muth, Standhaftigkeit, Erhebung über Zeit und Schicksal, werden hier auf mannigfaltige Art bewährt. Dauernde Liebe befördert das häusliche Glück jener Ehen, die zum Anstande, zur Ehrbarkeit der Sitten, so wie zum Wohl des Bürgers so viel beytragen. Sie erleichtert und verlängert endlich die Sorgfalt der Eltern für die Erziehung ihrer Kinder. Und so erscheint eine Liebe die den Rest unsers Lebens hindurch dauert nicht bloß interessant und schön; sie ist auch schätzbar in Beziehung auf das gemeine Beste!

[345]
Zweytes Kapitel.
Die Dauer warmer Zärtlichkeit, nicht aber die Dauer der Leidenschaft, gehört zur veredelten Liebe.

Ihr, die ihr dem Vorzug nachstrebt, unvergänglich zu lieben, sucht nicht das verzehrende Feuer der Leidenschaft zu nähren, sondern verlängert die Wärme der Zärtlichkeit! Jener gewaltsame Zustand kann nicht dauern, und wenn er dauert, so wird er auf Kosten wahrer Liebe, und des Glücks des geliebten Gegenstandes erkauft!

Es ist besonders Weibern der Irrthum eigen, daß Liebe in jener Begeisterung beruhe, die an Wahnsinn grenzt, in jener Besessenheit, die in ihren Wirkungen sich der Wuth nähert. An dem Gefühle unserer Anbetung und unserer Abhängigkeit sich zu laben, in dem Selbstbewußtseyn ihrer Erhebung und ihrer eigenen leidenschaftlichen Spannung sich zu gefallen, das scheint ihnen der einzige und höchste Genuß zu seyn, den die engere Verbindung mit dem Manne darbiethet. Darum lassen sie uns zwischen Furcht und Hoffnung schweben; darum halten sie sich in jener Entfernung, in jenem Halbdunkel, welche die Phantasie zur Entwerfung trügender Bilder von ihren Vorzügen auffordern; darum suchen sie uns endlich durch Veranlassungen zur Eifersucht zu quälen, unser Bestreben nach dem Stolz ihres Besitzes, und unsere Besorgniß das Gewonnene zu verlieren, in stets reger Wachsamkeit zu erhalten! Leider sind die meisten Männer nichts bessers werth! Ohne Herz, ohne Gefühl für häusliche Freuden, streben sie nur nach Befriedigung ihrer Lüsternheit, ihrer Eitelkeit, höchstens nach Spannung ihrer Phantasie. Das zärtere Geschlecht wird nur als ein Werkzeug betrachtet, diese eigennützigen [346] Triebe zu erwecken und zu stillen. Sobald dieser Zweck erreicht ist, hört das Mittel auf ihnen schätzbar zu seyn. Warum soll denn das Weib seine Herrschaft nicht verlängern? Warum soll es sich nicht an dem Despoten rächen, der seine Selbständigkeit verkennt?

Aber wie unsicher ist gemeiniglich diese Herrschaft, und wie wenig vereinbar mit dem Wesen der Liebe? Ein schwacher Augenblick entwindet den Reitzen der Gestalt jenen Scepter, der nur auf Versagung unserer Begierden seine Macht gründet! Ein unvorhergesehener Lichtstrahl, der einen mühsam versteckten Fehler erhellet, zerstört das Zaubergemählde, das unsere Phantasie unter Begünstigung eines heiligen Dunkels geschaffen hatte! Wie leicht wird die Qual der Ungewißheit übertrieben, die Abhängigkeit zu fühlbar gemacht, und dadurch das Band zerrissen, das uns mit zu starker Anstrengung fesseln sollte! Ja! Unmuth und Verzweiflung haben schon eben so oft das Idol zertrümmert, in dessen Dienst fruchtlose Aufopferungen geschahen, als Sättigung und Aufklärung seine geborgten Züge verwischt haben.

Aber gesetzt, dieser leidenschaftliche Zustand könnte dauern; gesetzt, wir könnten unser ganzes Leben hindurch in dem träumenden, ungewissen Zustande zwischen Furcht und Hoffnung, zwischen Illusion und Realität hingehalten werden; – und es giebt Beyspiele der Art, so selten sie sind; – ist eine solche Verlängerung der Liebe von Seiten desjenigen, der sie befördert, nicht bare Selbstheit? O gewiß! Derjenige der so geliebt seyn will, zieht seinen Genuß aus unserer Qual und unsern Thränen! Unbekümmert um unsere Selbständigkeit und unser Glück, liebt er nicht unsere Person, sondern nur das Verhältniß, worin er sich mit uns versetzt glaubt. Er schließt sich an [347] den Leibeigenen an, aber er gleicht nicht den Geliebten mit sich aus. Und wie entehrend ist eine solche Verbindung für denjenigen, dessen Schwäche und Verblendung die Herrschaft des andern stützt! Der Sinn des Edeln, der Sinn des Schönen geht unter dem Druck der Fesseln und bey fortdauernder leidenschaftlichen Spannung verloren. Einzig und allein bekümmert, ein Gut zu erhaschen, das uns immer gezeigt und nie gewährt wird, werden wir endlich gleichgültig über die Wahl der Mittel, wodurch wir uns ihm zu nähern hoffen, unfähig jener heitern Ruhe, die den Geschmack am Schönen befördert; unbekümmert um die Pflichten, die unsere übrigen Verhältnisse als Mensch und Bürger uns auflegen, und deren genaue Beobachtung allein unsere Selbstachtung begründet.

Aber nein! Läßt sich nicht glückliche Liebe mit einem leidenschaftlichen Zustande vereinbaren? Auf kurze Zeit, ja! aber auf die Länge unmöglich! Die wirkliche Welt hat noch kein Beyspiel aufzuweisen, daß zwey Liebende im völligen ungestörten Genusse ihrer Vereinigung sich mit eben dem Feuer, mit eben dem unablässigen Gefühle der Unentbehrlichkeit jener Wonne, sich immer vereinigt zu denken, Jahre lang geliebt haben. Nein, nur Hindernisse, welche das Schicksal oder die Liebenden selbst ihrer Vereinigung entgegengesetzt, und wodurch sie den Zustand der Furcht und der Hoffnung verlängert haben, hat solche ewige Leidenschaften hervorgebracht. Selbst Romanschreiber wagen es nicht, eine solche Lage darzustellen; sie deuten sie nur an, wenn sie nach Verheirathung des glücklichen Paars am Schlusse ihres Werks versichern, daß die Liebenden mit eben der Leidenschaft, mit eben dem Feuer bis ans Ende ihrer Tage an einander gehangen [348] haben, die sie in den ersten Wochen ihrer Verbindung beseelte. Keiner hat es gewagt das Bild einer solchen Ehe darzustellen, und es durch hinreichende Motiven wahrscheinlich zu machen!

Ihr also, die ihr mit mir dem hohen Vorzuge nachstrebt, der Liebe eine unzerstörbare Dauer in diesem Leben zu sichern, gebt sie auf, die trügerische und Gefahr bringende Hoffnung, die Leidenschaft zu verewigen! Sucht eure Verbindung in jenes ruhige Gleis einzuleiten, worin allein Wahrheit der Liebe mit Vollkommenheits- und Schönheitssinn zusammengeht! Warme Zärtlichkeit, d. h. anhaltendes Streben nach Vereinigung der Naturen, um sich gemeinschaftlich zu beglücken, herrsche in euerm Herzen! Sie ist nicht frey von leidenschaftlichen Aufwallungen, diese warme Zärtlichkeit, aber sie zeigen sich nur bey besondern Veranlassungen; aber im Ganzen ist ihr Charakter sanft, nicht wild; aber im Ganzen wird sie von Vernunft geleitet. Sie fühlt sich innig vereinigt, und strebt sich immer mehr zu vereinigen; aber ihr Bestreben gleicht nicht den Trieben eines stets wachen Bedürfnisses; aber sie läßt einen wahren und verweilenden Genuß des Gegenwärtigen zu, und fühlt sich in den meisten Augenblicken ihrer Dauer ruhig, ausgefüllt und zufrieden in dem Bewußtseyn wechselseitiger Liebe und Treue!

Wie diese warme Zärtlichkeit dauernd werden könne, das unternehm’ ich euch zu lehren! Genügt euch dieses nicht, so wendet euch zu denen, die besser unterrichtet sind; ich habe euch nichts zu sagen.

[349]
Drittes Kapitel.
Liebende dürfen sich einander nicht zu gewöhnlich, aber auch nicht ungewohnt werden.

Zwey Gefahren drohen dieser warmen Zärtlichkeit. Die Liebenden werden sich leicht einander zu gewöhnlich, oder sie gewöhnen sich zu leicht von einander ab. Jenes geschieht, indem sie sich dem Genuß ihrer Vereinigung zu sehr überlassen: dieß indem sie sich moralisch oder physisch zu weit von einander entfernen.

Nichts häufiger als die Erfahrung, daß Menschen, die lange leidenschaftlich nach Vereinigung gestrebt haben, nun, wenn sie sich im ungestörten Besitz ihrer Personen fühlen, Gleichgültigkeit, Haß sogar, an die Stelle der Liebe treten lassen. Sie erschöpfen zu schnell den Genuß, den Sinne, Herz und Geist darbiethen, und übersättigen sich aus Mangel an weiser Mäßigkeit mit den Freuden, die, auf einen längern Zeitraum vertheilt, die höchste dauerndste Wonne ihres Lebens ausmachen würden.

Eben so häufig sind die Beyspiele, daß Menschen, denen die Vereinigung zu leicht gelungen ist, sich zu wenig um ihren Genuß und ihre Erhaltung bekümmern. Sie überlassen sich zu sehr den Zerstreuungen der größeren Gesellschaft, sie widmen sich beynahe ausschließend den Geschäften ihres Berufs, gewöhnen sich von einander ab, und lernen sich entbehren.

Es giebt noch Gefahren einer dritten Art, die freylich nur edleren Seelen drohen. Diese fehlen durch eine zu große Wachsamkeit über sich selbst, die leicht in Zwang und Steifheit ausartet. Sie wollen sich immer vortheilhaft zeigen, und erwecken den Verdacht einer angenommenen Rolle, oder die Besorgniß, nicht [350] ausgeglichen werden zu können. Sie suchen die größte Feinheit der Denkungsart und der Gesinnungen in die Aeußerungen ihrer Zärtlichkeit zu legen, und laufen Gefahr, nicht verstanden zu werden, oder sich nicht verstanden und getheilt zu fühlen. So findet die Liebe ihr Ende in übertriebener Delicatesse!

Liebende, die ihr mit unvergänglicher Zärtlichkeit an einander hängen wollt, hört auf diese wenigen Worte, welche eine Haupmaxime enthalten, die Liebe dauerhaft zu machen. Hütet euch, einander zu gewöhnlich, und einander zu ungewohnt zu werden!


Viertes Kapitel.
Liebe ist nicht einziger Beruf unsers Lebens, aber sie ist mehr wie Zeitvertreib; sie ist ernstes Geschäft.

Liebe ist die Stütze und das Labsal unsers Lebens: sie bereitet uns die höchsten Freuden zu, die sterblichen Menschen vorbehalten sind. Aber dieser Mensch kann und soll seiner ganzen Bestimmung nach sich der Besorgung und dem Genuß dieser Liebe nicht dergestalt überlassen, daß er darüber alle andere Pflichten und alle Annehmlichkeiten vergesse, die ihm als selbständigen Menschen obliegen und zukommen. Die Liebe muß vielmehr dazu dienen, ihm seinen Beruf zu erleichtern, und alle Freuden des Lebens zu erhöhen.

Es ist möglich, daß man Wochen lang die Liebe zum einzigen Beruf des Lebens mache. Aber nur Romane können uns den Zustand zweyer Liebenden schildern, [351] die Jahre lang keine andere Beschäftigung haben, als die, sich ihre Zärtlichkeit zu bezeugen, und darin den einzigen Genuß des Lebens zu suchen. Die Augenblicke, worin sie dazu Gelegenheit finden, sind bey weiten die wenigern. Die Zwischenakte sind immer länger als die wirklichen Auftritte der Liebe. Sie ist darum nicht weniger anhaltend wirksam. Das Gefühl der Wesenverwebung, der innigsten Herzensvereinigung, mischt sich in alles was wir unternehmen. Wir nähren heimlich und ohne darauf besonders zu merken, das Gefühl, daß ein großes Bedürfniß unsers einsamen Wesens ausgefüllt ist. Dieß giebt uns eine gewisse Ruhe, deren Süßigkeit unbeschreiblich und unmittelbare Wirkung der Zärtlichkeit ist. Das Bewußtseyn: ich lebe in einem Herzen außer mir, gesellt sich zu der Vorstellung, daß der Geliebte auf mannigfaltige Art Antheil an den Bemühungen hat, die wir anwenden, unsere Pflicht zu erfüllen. Wir erscheinen würdiger vor seinen Augen, der Gewinn unserer Arbeiten wird mit ihm getheilt, wir erwarten Beyfall, Erholung in seinen Armen, und dadurch werden Freuden, die an sich schon alle andere übertreffen, noch erhöhet. Vergnügungen, die wir allein einnehmen, verlieren dadurch ihre Einseitigkeit, daß wir des Antheils sicher sind, den der Geliebte an unserer Zufriedenheit nimmt, und daß wir den stets regen Wunsch fühlen, mit ihm theilen zu können.

Nichts ist folglich irriger als der Wahn, daß die Liebe nur da wirksam sey, wo sie sich dem Verbündeten unmittelbar deutlich macht. Nein! Der Geschäftsmann, der Gelehrte, der Soldat, die Hausmutter, die Führerin der größeren örtlichen Gesellschaft, kurz, alle diejenigen, die einem Beruf nachgehen müssen, den die [352] andere Hälfte ihres Wesens nicht theilen kann, bleiben selbst in dieser Trennung auf mannigfaltige Art durch Liebe vereint. Sie haben an ihr einen gemeinschaftlichen Wegweiser, Schutzgott und Belohner, ob sie gleich auf verschiedenen Wegen wandeln, und sich einer anscheinend verschiedenen Bestimmung widmen. Sie treffen doch in ihrem Bestreben, die zusammengesetzte Person achtungswürdig zu machen, so wie in dem Bewußtseyn, daß sie durch ihre Vereinigung vollständiger und vortrefflicher geworden sind, als sie es einsam waren, wieder zusammen. Sie fühlen unaufhörlich, daß ihre Thätigkeit einen erhöheten Schwung erhalten hat, und daß sie auf eine Muße rechnen dürfen, die dem isolierten Menschen nicht zu Theil wird.

Die meisten Liebenden fehlen, indem sie diese Wahrheit aus den Augen setzen. Für die Liebe leben, heißt ihnen diese unaufhörlich bezeugen. Sie werden sich dadurch einander lästig. Es kommt ein Mißverhältniß in ihre Lage zu der ganzen übrigen Welt. Sie fühlen, daß sie nicht dasjenige sind, was sie als selbständige Menschen seyn sollen, und daß sie nicht dasjenige seyn können, was das Ideal einer ganz zusammengesetzten Person voraussetzt. Man fängt an sich peinigende Vorwürfe über den Verlust der Zeit, über seine vernachlässigte Bestimmung zu machen; dann schleicht sich Langeweile hinzu, und man hört damit auf, sich entweder gezwängt bey einander zu fühlen, oder sich ganz von einander zu trennen.

Diese Gefahr ist da nicht zu besorgen, wo Liebende sich bestimmten, von der Zärtlichkeit noch unabhängigen Geschäften widmen; und eine der Hauptregeln, um die Liebe dauerhaft zu erhalten, ist diese: arbeite! [353] Die glücklichsten Ehen finden sich im Mittelstande, wo die Gatten durch angewiesene Geschäfte gezwungen werden, sich zuweilen zu trennen, um sich mit erhöheter Freude wieder zu vereinigen. Wo dieß wegfällt, da werden sie sich oft quälen und sich entzweyen müssen, um nur in dem Geschäfte der Wiedervereinigung Mittel gegen Einförmigkeit und Langeweile zu finden.

Es ist aber nicht genug, daß man sich überhaupt etwas zu thun mache, etwas um die Hand nehme; die Beschäftigung muß von der Art seyn, daß unsere Kräfte auf einen bestimmten Zweck hingeleitet werden, der mit der edleren Bestimmung des Menschen, Wahrheit und Vollkommenheit zu suchen, und Glück zu verbreiten, im Verhältnisse steht. Jene unbestimmte Thätigkeit, die nichts als ein süßes Nichtsthun in sich faßt, ist dem Charakter und der Liebe eben so gefährlich, als eine völlige Unthätigkeit. Aus diesem Grunde sind so viele Ehen unter den Reichen und Vornehmen unglücklich. Die Gatten fühlen daß sie Geschäfte haben müssen, aber sie machen sich dergleichen aus Zerstreuungen, die eigentlich nur zur Erholung dienen sollen. Sie lesen ein wenig, sie treiben ein wenig die schönen Künste, sie verschönern ein wenig ihr Gut und ihren Garten; alles ohne Zweck, ohne Regsamkeit des Triebes nach Vollkommenheit. Aber dieß reicht nicht hin, uns vor den Gefahren der Langenweile, und vor dem quälenden Bewußtseyn einer verfehlten Bestimmung zu bewahren. Nein! Wollen wir lesen, so geschehe es um uns zu unterrichten, um eine gewisse Vollständigkeit in unsere Kenntnisse, eine größere Richtigkeit in unsere Urtheile zu bringen: wollen wir uns den schönen Künsten widmen, so sey es, um in ihrer Ausübung, [354] oder in unserm Geschmack einen gewissen Grad von Vortrefflichkeit zu erreichen. Die edelste Bestimmung werden wir aber dann unserm Thätigkeitstriebe geben, wenn wir durch unsere Arbeiten und Bemühungen den Mitbürgern, den Miteinwohnern eines Orts oder eines Hauses nützlich zu werden streben.

Bey unserm Geschlechte findet sich ein solcher bestimmter Zweck schon leichter. Bey dem zärteren Geschlechte ist es oft schwer, ihn vor Augen zu setzen. Inzwischen wird die Frau, bey der einmahl der Trieb nach Vollkommenheit erwacht ist, und die der Stimme der Vernunft Gehör giebt, gleichfalls ein bestimmtes Ziel ihrer Emsigkeit zu finden wissen. Es muß die Hauptsorge des Mannes seyn, dieß mit ihr aufzusuchen, und ihr einen Reitz darin anschaulich zu machen, der sie fesselt. Hat sie mehrere Kinder, besonders Töchter, wie ist ihr dann auf einmahl geholfen! Welch eine dankbare Erinnerung wird sie nach sich lassen durch das Verdienst, das sie sich um ihre Bildung erworben hat! Fällt dieser Zweck weg, so kann ein weitläuftiger Haushalt ihre emsige Besorgung an sich ziehen. Fehlt auch dieser, so haben die Armen des Orts, so hat die Oberaufsicht über die weiblichen Arbeiten einer Fabrik, oder einzelner Handwerkerinnen Anspruch auf ihre Thätigkeit. Hat sie entschiedenes Talent zu den schönen Künsten, so wird das Bestreben, es darin zu einem gewissen Grade der Vollkommenheit zu bringen, einen großen Theil ihrer Zeit füllen. Die Sorge für die Einigkeit und das Vergnügen der größeren örtlichen Gesellschaft, für die Bildung ihres eigenen Geistes zur Unterhaltung engerer geselliger Zirkel, ist wieder eine ihr angemessene Bestimmung. Fühlt sie den Affekt des Wissens, so suche sie in diejenigen [355] Kenntnisse, die zu den Kräften ihres Geistes passen, Vollständigkeit und Vortrefflichkeit zu bringen. Ist ihr endlich gar schriftstellerisches Talent verliehen, so wird auch dieß ein Ziel seyn, das nicht unter allen Umständen verdammlich und tadelnswerth ist. Jede bestimmte Beschäftigung, die mit Wahrheit und Tüchtigkeit vereinbar ist, und, nach einem wohlgeordneten Plane eingerichtet, auf einen scharf ins Auge gefaßten Zweck losarbeitet, ist lobenswerth, füllt Geist und Herz, sichert vor tausend Fehlern und Verirrungen, und macht uns zufrieden mit uns selbst und andern.

Müssiggang, und du, zweckloser Zeitvertreib! Ihr seyd die Pest der Seele und der Liebe! Durch euch verfällt der Mensch auf den gefährlichen Ausweg, ein Herz zu tyrannisieren, um der Unruhe einer quälenden Unthätigkeit zu entgehen, und sich eine bestimmtere Beschäftigung zu verschaffen! Durch euch wird der Mensch verleitet, in der Annahme fader Huldigungen, die seiner Eitelkeit schmeicheln, eine Ausfüllung der Leere seines Geistes zu suchen, oder die Zeit mit kindischen Tändeleyen zu tödten! Wie ich sie hasse, jene Weiber, deren rastloser Geist in der Qual ihrer Liebhaber Frieden vor sich selbst sucht! Wie sie mir unerträglich sind, jene sogenannten artigen Weiber, die ihrer Angabe nach nicht ohne Liebe leben können, aber im Grunde nur einen Gespielen an ihrer Seite haben wollen, mit dem sie ihre Zeit zwischen Liebäugeln, Schäkern und Trällern verbringen! Wie unerträglich! aber auch wie unbegreiflich! Nein, ich sage es dreist: hätte ich zwischen diesen Geschöpfen, so voller Geist und Talente sie seyn mögen, und einer Nätherin zu wählen, die bey ärmlichem Verstande nach einer arbeitsamen Woche am Sonntage mir ihr volles [356] warmes Herz zubrächte; ich hielte es länger aus mit dieser als mit jenen!

Aber hütet euch nun auch, euch dergestalt mit Geschäften des Berufs zu überladen, euch dergestalt den Zerstreuungen der größern Gesellschaft zu überlassen, daß ihr entweder gar keine Muße übrig behaltet, die der Liebe geweihet werden könne, oder daß ihr dem Geliebten nur die Hefen eures Geistes zubringen müsset. Die Veredlung des Genusses, welchen die Zärtlichkeit darbiethet, die Veredlung der Mittel sie dauerhaft zu erhalten, verlangt allerdings ein gewisses Studium, eine gewisse Vorbereitung, eine gewisse Aufmerksamkeit auf uns selbst und den Geliebten, die weder von demjenigen zu erwarten sind, der sich ganz von Berufsgeschäften niedergedrückt fühlt, noch von demjenigen, der in dem Strome der großen Welt völlig aus einander fließt. Sagt nicht daß die Liebe ein zu spielendes Verhältniß sey, um ihr eine anhaltende Sorgfalt zu widmen: sagt nicht, daß die Ehe, die billig auf Zärtlichkeit gegründet seyn sollte, ein zu ernsthaftes Verhältniß sey, um für Unterhaltung und Belustigung zu sorgen. Was kann ernsthafter seyn, als das Geschäft, einen andern Menschen mit uns zu beglücken! Wer kann den Anspruch ableugnen, den die zärtlich zusammengesetzte Person auf eine schön ausgefüllte Muße zu machen berechtigt ist! Ja! ich behaupte es dreist, edel Liebende müssen auf alles aufmerken, müssen alles sammeln, was ihnen einzeln aufstößt, um den Stoff der Unterhaltung für ihre Zusammenkünfte zu vervielfältigen. Sie müssen sich darauf vorbereiten, die Stunden ihrer Vereinigung schmackhafter zu machen: sie müssen sich zusammenfassen, um die Pflichten der Liebe besser zu [357] erfüllen, und ihre Gestalt zu verschönern. Daß diese Bemühung nicht in Steifigkeit ausarte, nicht das Gefühl der Behaglichkeit beym traulichen Zusammenseyn störe, dafür sichern die fremden Geschäfte, welche den Uebermuth des Geistes zügeln; dafür sichert ein tiefgerührtes Herz!


Fünftes Kapitel.
Mittel, um sich immer neu zu bleiben, ohne einander unbekannt zu werden.

Neuheit ist eines der wirksamsten Mittel, wodurch die Sinnlichkeit des Menschen gereitzt wird. Auf dieser Erfahrung, verbunden mit jener, daß das Bedürfniß jeden Genuß würzt, beruht die Richtigkeit der Maxime: entbehre und genieße!

Ich habe oft bemerkt, daß Verbindungen zwischen ehelosen Personen, die nicht bey einander wohnen, und sich wenigstens durch den Anstand in ihrer Neigung, sich täglich und stündlich zu sehen, beschränkt fühlen, länger von warmer, mit leidenschaftlichen Aufwallungen verbundener Zärtlichkeit beseelt werden, als Ehen, die den Verbündeten das Recht geben, ganz mit einander zu leben. Ich habe daraus geschlossen, daß es vielleicht nützlich seyn könnte, wenn in den höheren Ständen die Gatten verschiedene Häuser bewohnten, und zwey Haushaltungen ausmachten. Allein eine solche Einrichtung streitet zu sehr mit der Natur der Geschlechtssympathie, und mit unsern bürgerlichen Einrichtungen, hindert überher zu sehr die Angewöhnung, auf welcher die Anhänglichkeit der Gatten unter einander, [358] und zwischen Eltern und Kindern beruht, als das ich im Allgemeinen dazu rathen könnte. [1]

Inzwischen führt mich doch jene Erfahrung auf die Maxime, den Genuß des häuslichen Zusammenlebens und der Absonderung von aller andern Gesellschaft mit weiser Oekonomie einzunehmen, damit sich die Liebenden nicht zu gewöhnlich werden.

Junge Personen, die nach Ueberwindung einiger Hindernisse, welche sich ihrer Verbindung entgegensetzten, vereinigt werden, pflegen sich, verführt durch den Wahn, als wenn sie sich nun ganz allein genug waren, in die Einsamkeit zurückzuziehen, und ohne Unterlaß bey einander zu seyn. Dieser süße Genuß dauert nur eine Zeitlang. Man verliert sehr bald das Gefühl, daß die Person, mit der wir nach Vereinigung streben, ein selbständiges Wesen für sich sey. Wir betrachten sie bald als ein uns zugeeignetes Gut, und mit der Sicherheit des Besitzes geht das Streben der Zärtlichkeit verloren. Man wird sich einander gewöhnlich: man fühlt wieder das Bedürfniß, sich an etwas zu hängen, was von uns getrennt sey: man sucht sich von dem beständigen Begleiter zu isolieren, und das Gefühl, ihn nicht los werden zu können macht ihn unerträglich. Schon an sich gehört die Macht, zuweilen einsam seyn zu können, zu dem Gefühle der Freyheit, das kein Mensch ungestraft auf die Länge aufopfert. Außerdem ist es unmöglich, bey einem solchen ungetrennten Zusammenleben nicht manche Schwäche zu zeigen, welche die Achtung, die so wichtig zur Dauer der [359] Liebe ist, unvermerkt schwächt. Es ist unmöglich, sich dem Ausbruche gewisser Launen, welche das Glück des Verbündeten so leicht stören, immer mit Vortheil zu widersetzen. Es ist unmöglich, nicht in eine gewisse Einseitigkeit zu verfallen, wenn man sich von anderer Gesellschaft ganz abzieht, und sich bloß auf den Austausch der Ideen unter einander beschränkt.

Diesen Gefahren entgeht man bey einer weisen Oekonomie in dem Genusse des ungetrennten Zusammenlebens. Es ist nothwendig, daß man sich zuweilen die Wonne des einsamen Beyeinanderseyns versage; daß man sich zuweilen durch Fremde stören lasse, um Abwechselung in dem Gange unserer Ideen hervorbringen, und das Gefühl rege zu erhalten: es ist doch nirgends besser als in unserer Einsamkeit!

Auf eben diesen Gründen beruht die Maxime: den Genuß physischer Freuden mit Mäßigung einzunehmen. Es treten noch andere Gründe herzu, die sie empfehlen. Dasjenige, was wir uns in diesem Punkte zuweilen versagen, schlägt gewiß zum Vortheil der Liebe und unserer Zufriedenheit aus. Die gehemmte Lüsternheit erhöht ihren Reitz und verstärkt die Einbildungskraft. Weiber die ihr unserm Ungestüm durch eben so schamhafte als kluge Weigerungen begegnet, laßt euch durch unsern vorübergehenden Unmuth nicht irre machen! Am Ende erhöht ihr doch immer die Achtung, die wir für eure Klugheit, Festigkeit und weibliche Zartheit hegen müssen, wenn wir anders überzeugt sind, daß nicht Kälte des Bluts und des Herzens bey eurer Handlungsart zum Grunde liege! Unbescheidenheit des Mannes, gar zu große Willfährigkeit des Weibes in diesem Stücke, sind gefährliche Klippen, an denen die Zärtlichkeit scheitert.

[360] Sucht Abwechselung in alle Freuden zu bringen! Wählt nicht immer einerley Unterhaltung! Die schönste Belustigung ermüdet, wenn sie täglich wiederholt wird. Es sey eure Sorge, die Mittel zum Zeitvertreibe zu vervielfältigen, und den Reichthum der Gefühle und Ideen, die ihr dem Verbündeten in der Unterredung zuführt, zu vermehren!

Aber vergeßt nun auch nicht, daß, wenn kleine Trennungen die Liebe erhöhen, größere sie aufheben! Daß der Geliebte sich nicht daran gewöhne, einsam zu seyn, oder nur in größeren Gesellschaften Unterhaltung zu finden, oder gar das traulichere Zusammenseyn bey einem Dritten aufzusuchen! Uebertreibt nicht die Sorge für Abwechselung; selbst das immer Neuseyn kann alt und ermüdend werden! Uebertreibt nicht das Interesse der Unterhaltung, die ihr mit und bey einander aufsucht. Ihr müßt sogar zuweilen dumm bey einander seyn können! Der Geist hält die Spannung nicht aus, die ihm durch ein anhaltendes und stets wachsendes Interesse der geselligen Mittheilung zugeführt wird. Auch hierin versehen es oft junge zur Begeisterung aufgelegte Gemüther. Sie haben sich dergestalt an die Süßigkeit und den hohen Schwung gewisser schwärmerischer Unterhaltungen gewöhnt, daß ihnen nachher alles andere schmacklos scheint, und dennoch verliert sich selbst der Reitz des Höchsten durch oft wiederholten Genuß. Sie gleichen dann in ihrer Abspannung dem Orientaler, der sich in Opium berauscht hatte, und nun das ganze Widrige der Nüchternheit und der Erschlaffung fühlet. Sie werden sich in ihrem gewöhnlichen Zustande unbekannt und müssen sich trennen, um bey andern eine neue Anspannung [361] und Füllung ihrer Phantasie zu suchen, worunter sie sich und den Genuß der Liebe allein wieder erkennen mögen.


Sechstes Kapitel.
Mittel, um immer schön zu bleiben.

Die Sinne haben einen großen Antheil an der Zärtlichkeit; einen noch größern hat daran der niedere Beschauungshang. Es ist unmöglich, daß die körperliche Wohlgestalt nicht ein Raub der Jahre werde; es ist unmöglich, daß sich nicht der üppige Körperbau verliere, der die Lüsternheit unmittelbar aufreitzt. Aber es ist möglich, daß unser Aeußeres, das sich nicht auf die körperliche Wohlgestalt allein beschränkt, dennoch fortdauernd die Wonne des Schönen erwecke, und dadurch mittelbar den Geist in eine Ueppigkeit und Lüsternheit versetze, die wieder in dem Körper ähnliche Wirkungen hervorbringt.

Ich habe schon oft in diesem Werke auf den genauen Zusammenhang des Schönheitssinnes mit der Geschlechtssympathie, und der Stimmung des Körpers mit der der Seelen aufmerksam gemacht. Ich wiederhole es hier: Weiber, die weder wohlgestaltet noch üppig gebauet sind, können noch Gefühle des Schönen, ja der Ueppigkeit und Lüsternheit erwecken; oft in stärkerer Maße, als wirklich wohlgestaltete, wirklich üppig gebauete Schönen! Wodurch? Durch Formen, die nicht unmittelbar ihrem Körper gehören, die aber, weil sie ihm nahe liegen, oft mit ihm verwechselt werden, durch die Nettigkeit, durch die Ueppigkeit, durch den Geschmack, der in ihrer Kleidung, in ihrem Putze herrscht; durch den gefälligen Ausdruck [362] ihrer Geberden und Mienen, kurz, durch alles, wodurch sich die Person des Menschen in seinem Aeußeren ankündigt.

Nichts ist gewöhnlicher, als daß Liebende nach der Ehe ihre Außenseite entweder ganz vernachläßigen, oder durch eine verkehrte Sorge dafür die unvermeidlichen Mängel, welche die Jahre in der Gestalt herbeyführen, noch auffallender machen. Beydes ist höchst unweise, und besteht weder mit den Pflichten die wir uns selbst, noch mit denen, die wir der zusammengesetzten Person schuldig sind.

Es ist bemerkenswerth, in welchem genauen Verhältnisse Reinlichkeit und ihr Bild, die Weiße, mit den niedrigen Sinnen steht. Schmutz ist der Tod der Begierde bey Menschen, die nur bis zu einem gewissen Grade von Verfeinerung gekommen sind. Nachlässigkeit im Anzuge und im Geräthe schließt sich hart an jenen Fehler an, während daß Sorgfalt in diesem Stücke den Reitz, den das Reinliche für die niedrigsten Sinne hat, mit einem andern für den Beschauungshang, unter dem mehrbedeutenden Nahmen der Nettigkeit, verbindet. Ordnung, Geschmack, Eleganz im Anzuge hebt dann das Nette zu einem wahren ästhetisch schönen Gegenstande, indem Formen, die den niedern Beschauungshang reitzen, unter Gesetze des Wahren und Zweckmäßigen gebracht werden. Dieser schöne Anzug, an einem weiblichen Körper angetroffen, regt leicht verwandte Ideen von wahrer Wohlgestalt der zärteren Art auf, und ladet nicht selten die Seele zugleich zu üppigen und lüsternen Gefühlen ein, die sich dem Körper um so leichter mittheilen, wenn sie durch dankbare und angewöhnte Erinnerungen vormahliger Wohlgestalt unterstützt werden. Daher kommt es, [363] daß die abnehmende Schönheit der Weiber durch den Putz unterstützt wird, und daß uns oft die sorgfältig gekleidete Gattin zu Begierden einladen kann, welche die unsorgfältig gekleidete nicht mehr einflößen könnte.

Diese Sorge für den Anzug und den Putz, wenn sie mit Geschmack verbunden seyn soll, setzt allemahl Uebereinstimmung mit dem Charakter und den Lagen der Person voraus, und läßt sich mit sittlicher Würde sehr wohl vereinigen. Sie ist kein gleichgültiges Mittel, um die Zärtlichkeit dauerhaft zu machen. Demjenigen, der dieß leugnen wollte, würde ich entweder Mangel an Erfahrung, oder an Verfeinerung der Sinnlichkeit zuschreiben.

Eben so wichtig als die Sorge für den Anzug und den Putz ist die Sorge für alle Beywerke, die uns umringen. O! diejenigen, welche die Freuden der Sinnlichkeit in ihrer ganzen Feinheit ausgekostet haben, wissen, welchen Einfluß Zimmer, Meublen, Geräthschaften aller Art, durch Nettigkeit, Wohlgestalt, Ueppigkeit ihrer Formen, und durch die Lieblichkeit ihrer Atmosphäre auf die freyere Wirksamkeit unserer Begierden, auf die höhere Behaglichkeit des Körpers überhaupt, und besonders auch auf die Wonne des Beschauungshanges haben! – Bis ins späteste Alter hinauf erhält sich der Reitz des lieblichen Ausdrucks in Mienen und Geberden. Er modificiert sich anders in der Jugend, anders im reiferen Alter, anders bey eintretender Abnahme der Kräfte. Aber in allen ihren verschiedenen Erscheinungen werden Lebhaftigkeit, Heiterkeit des Geistes, Wohlwollen, Menschenfreundlichkeit des Herzens, Schönheitssinn sogar, sich offenbaren können. Ich habe Frauen im hohen Alter gekannt, die dadurch ihre Runzeln [364] vergessen machten, und diesem Ausdrucke hat Ninon gewiß hauptsächlich die heftige Sensation verdanken müssen, die sie noch in späten Jahren auf die Sinnlichkeit der Jugend gemacht hat.

So wichtig die Sorge für unser Aeußeres ist, so sehr hat man sich zu hüten, nicht in Coquetterie und Ziererey zu verfallen. Es ist nichts, was so leicht Ekel erweckt, als das Alter, das im Anzuge, im Anstande, im ganzen Betragen sich der Jugend gleich stellt; es ist nichts, was den guten Geschmack so leicht beleidigt, als wenn jede Mode, ohne Rücksicht darauf, ob sie sich für die individuelle Person paßt, unbedingt mitgemacht wird. Eine übertriebene Sorge für den Anzug und den Putz, die Verlust an Zeit und Vermögen nach sich zieht, verträgt sich in keinem Alter mit einer edlen Denkungsart, und das sicherste Mittel, lächerlich zu werden, ist dieß, Ansprüche in unserm Aeußeren anzukündigen, die mit dem Charakter unserer Gestalt, unserer Seele und unserer Verhältnisse streiten!


Siebentes Kapitel.
Mittel, um immer interessant und wichtig zu bleiben.

Es ist den Liebenden hoher Genuß, das Unglück das dem einen von ihnen widerfährt, gemeinschaftlich zu tragen, und sich zu einem Schicksale zu verbinden. Aber es kann unserm Herzen auch zu viel aufgelegt werden, und das Gefühl, den Verbündeten immer leidend, immer trauernd zu sehen, erkältet leicht das Streben nach Vereinigung der Wesen, wenn gleich unsere Pflicht uns fernerhin [365] zum Mitleiden und zur Hülfe auffordert. Inzwischen hängt Glück, Gesundheit, Frohsinn nicht von uns ab. Ist es möglich, daß wir dem Verbündeten den Anblick unserer Leiden ganz entziehen können? Gewiß nicht! Aber was wir können, was uns zu Gebote steht, ist jene Geduld, jene Fassung, jene Ruhe, womit wir unsern Geist über das Zufällige hinaus heben, und allen Angriffen des feindlichen Schicksals einen gefaßten Sinn entgegensetzen. Nichts interessiert die Sympathie so sehr, als dieser Anblick, verbunden mit der Ahndung, daß der Geliebte dem Liebenden einen Theil seiner Leiden aus Delicatesse entzieht, und ihn nicht durch ewige Klagen ermüdet. Diese kluge Vorsicht erhöhet zugleich das Gefühl der Selbständigkeit und der Achtung.

Eine andere Vorsicht, welche Liebende anzuwenden haben, ist diese, sich nicht durch übertriebene Fürsorge, und übertriebene Aeußerungen des Antheils, den sie an einander nehmen, lästig zu werden. So wohlthuend es ist, ein Wesen neben uns zu sehen, das alle unsere Bedürfnisse ahndet, eifrig bemüht ist, ihnen abzuhelfen, und wenn es keine Hülfe zu geben weiß, uns wenigstens aufrichtige Theilnehmung schenkt; so leicht kann doch ein andringliches Ausspähen, eine kindische Aengstlichkeit, ein unruhiges Umhertreiben, widrig werden. Es ist schwer, hier die wahre Mittelstraße zu halten. Aber Delicatesse der Empfindungen, und Kenntniß des individuellen Charakters des Verbündeten wird sie zu finden und zu bewahren wissen.

Coquetten nutzen oft das Mittel, die Eifersucht anzufachen, um durch die Furcht, daß ihr Herz verloren werden könnte, den Geliebten zu fesseln. Ein trauriges Mittel für ein zärtliches Herz, das gequält, das geängstigt [366] werden soll, um erhalten zu werden! Wahre Liebe wird es nie gebrauchen. Demungeachtet ist die Vorsicht nicht zu tadeln, dem Liebhaber fühlen zu lassen, daß unsere Treue nicht von dem Bewußtseyn abhängt, daß unser Herz von andern verschmähet werden dürfte; ihn fühlen zu lassen, daß unsere gesellige Liebenswürdigkeit den Zirkel, der sich um uns herum versammelt, eben so sehr anzieht, als das Gefühl unserer Würde ihn in achtungsvoller Entfernung hält. Dadurch wird der Stolz auf unsern Besitz erhöhet, und das Bestreben gestärkt, ihn zu erhalten.

Höchst wichtig zur Dauer der Liebe ist noch die Erkenntniß, daß wir durch unsere Verbindung mit dem Geliebten an Ansehn, an Glücksgütern, an Bequemlichkeit, u. s. w. gewinnen. Wir bleiben Menschen, wir haben eine Selbstheit, die früh oder spät durchbricht! Der edelste Mensch braucht sich weder der Freude zu schämen, daß er durch das Ansehn, welches die Hälfte seines Wesens genießt, selbst an Ansehn gewinne, noch derjenigen, daß sein Wohlstand durch ihre haushälterischen Sorgen zunimmt. Das Gefühl der Werthschätzung verträgt sich mit der Liebe!

[367]
Achtes Kapitel.
Ohne Achtung besteht keine Liebe. In wie fern dieser Grundsatz wahr sey? Nöthige Vorsicht bey seiner Anwendung.

Ohne Achtung besteht keine Liebe, pflegt man gemeiniglich zu sagen. Allein dieser Grundsatz ist nicht allgemein wahr, wenn man den Sinn des Wortes Achtung genau faßt. Richtiger würde man sagen: es giebt auf die Dauer keine Liebe, wo das Gefühl der Neuheit, des Schönen, des sympathetisch Interessanten, und des Schätzungswerthen für die Selbstheit wegfällt. Denn wie ich oft gesagt habe, alle diese Empfindungen, welche von den liebenden noch verschieden sind, machen doch Ingredienzen der zärtlichen oder leidenschaftlichen Anhänglichkeit an der Person aus.

Wie viele Männer habe ich nicht gekannt, die an ihren Weibern mit dauernder Zärtlichkeit hingen, so sehr sie von ihrem moralischen Unwerth überzeugt waren! Achtung war es nicht was sie fesselte! Aber Sinnlichkeit, der oft Versagungen entgegengesetzt wurden, Eitelkeit auf den Besitz einer schönen, vornehmen und allgemein artig gefundenen Genossin ihrer Verhältnisse, Befriedigung des Eigennutzes, der sich von der unterhaltenden Gesellschafterin belustigt, oder von der klugen Rathgeberin wohlgeleitet fühlte, endlich Angewöhnung an die Person hielt sie in ihren schimpflichen Banden auf. Wie häufig sind die Erfahrungen, daß auch das zärtere Geschlecht bey aller Ueberzeugung von der Ausgelassenheit des Geliebten eine Leidenschaft, vor der es selbst erröthet, nicht zu überwinden vermag!

[368] Der Satz: ohne Achtung besteht keine Liebe, ist also nicht bey allen Menschen überhaupt, sondern nur bey edleren Seelen wahr. Diese fordern Befriedigung der Forderungen der Sittlichkeit durch die Aufführung des geliebten Genossen. Diese müssen den Menschen, an dem sie hängen, strebend nach Nutzbarkeit und Nützlichseyn für die Menschheit in ihm selbst und andern finden. Zwar ist Tugend eben so wenig für sie als für alle andere Menschen ein unbedingtes Mittel Liebe zu erwecken. Zwar ist Tugend allein und für sich kein hinreichendes Mittel, sie dauerhaft zu erhalten; Achtung ist noch von Liebe unterschieden; aber sie ist eines der größten Beförderungs- und Erhaltungsmittel der Zärtlichkeit für diejenigen, welche ihren Werth zu schätzen wissen, und für diese gilt der Grundsatz: ohne Achtung besteht auf die Länge keine Liebe!

Nicht alle Schwächen, nicht alle Fehler beleidigen auf gleiche Art: ein jedes Geschlecht besitzt gewisse wesentliche Vorzüge, deren Abwesenheit bey dem andern leichter Verachtung herbeyführt, als der Mangel anderer, die ihm minder eigenthümlich zu seyn pflegen. Das Weib verzeiht dem Manne eher einen gewissen Stolz und Uebermuth, als eine kleinliche Eitelkeit und einen Mangel an Stärke und Festigkeit des Charakters. Der Mann verzeiht dem Weibe eher eine gewisse Eitelkeit, eine gewisse übertriebene Zartheit, als den Mangel an Schamhaftigkeit, Sanftmuth, wohlwollenden Neigungen und Häuslichkeit. Wo diese Fehler unbekämpft wirken, oder zu stark eingewurzelt sind, als daß wir darüber Herr werden könnten, da geht am Ende gewiß Achtung, und mit ihr Liebe verloren.

[369] Nichts fesselt edle Seelen so sehr, als die Wahrnehmung der Perfektibilität, jenes begünstigten Strebens, immer besser, immer aufgeklärter zu werden, in dem geliebten Genossen! Sie ist der höchste Ruhm, sie ist die höchste Würde des Menschen! Wo wir sie finden, da werden wir durch die Hoffnung auf höhere Vollkommenheit des Geliebten zur Nachsicht mit seinen gegenwärtigen Fehlern aufgefordert; da werden wir zum sympathetischen Mitstreben nach dem höchsten Gute eingeladen; da wird unser Stolz auf mannigfaltige Art befriedigt. Wo aber diese Perfektibilität fehlt, wo der geliebte Genosse sich bereits vollkommen fühlt, oder aus Trägheit die Hände in den Schooß legt; da mag er auf einer noch so hohen Stufe der Moralität stehen, er wird immer Fehler behalten, er wird sie durch seine Selbstgenügsamkeit und Apathie vermehren und auffallender machen; er wird mit jedem Tage an innerm Werthe und in unserer Achtung sinken!

Oft wird Achtung für Beobachtung des Anstandes und jener äußern Formen genommen, wodurch man selbst Unbekannten den Werth, das Wohlwollen und die Aufmerksamkeit ankündigt, die wir dem Menschen und der Person in ihnen und uns schuldig sind. In diesem Sinne sagt man gleichfalls nicht mit Unrecht: ohne Achtung, d. h. ohne Beobachtung des Anstandes, der Ehrbarkeit, der Urbanität, besteht auf die Länge keine Liebe!

Es ist ein sehr gewöhnlicher, aber zugleich ein sehr gefährlicher Fehler, daß Freunde, daß Liebende, nach ihrer näheren Verbindung sich nun alles neben und gegen einander erlaubt halten, was nicht die Sittlichkeit und die Liebe unmittelbar beleidigt. Allein es giebt gewisse [370] Handlungen, die ohne an sich sträflich zu seyn, es dadurch werden, daß sie leicht sträfliche Gesinnungen herbeyführen, und die Geringschätzung, so wie unsern eigenen Uebermuth, die Vernachlässigung der Pflichten gegen den Genossen, so wie die Sorglosigkeit, über unsere eigene Schwächen zu wachen, befördern. Es giebt gewisse Ausdrücke, gewisse Geberden, es giebt ein gewisses Betragen, die den Sinn des Schönen geradezu, und den Sinn des Edeln in feineren Beziehungen beleidigen, und die der wohlerzogene Mensch, selbst in der Einsamkeit, entweder sich nicht erlaubt, oder denen er sich, durch Bedürfniß dazu gezwungen, mit abgewandter Aufmerksamkeit von sich selbst überläßt.

Es ist höchst nöthig, daß Liebende diese Zartheit der Empfindungen in ihr äußeres Verhalten gegen einander bringen. Sie wird ihnen in mancher Rücksicht vortheilhaft seyn. Sie begünstigt den Sinn des Schönen; sie schärft die Aufmerksamkeit auf ihr sittliches und liebendes Betragen gegen einander; sie gewöhnt sie zur Uebereinstimmung ihrer äußeren Handlungsart mit ihren innern Gesinnungen; sie beugt den Ausbrüchen der Schwächen des Charakters vor, und erhält sie endlich in jener Entfernung von einander, die dem Gefühl der Neuheit, der Selbständigkeit, des Schätzungswerthen und selbst der Achtung so zuträglich ist.

So sicher die Beobachtung dieser Grundsätze bey einer behutsamen Anwendung die Dauer der Liebe befördert, so leicht kann sie durch Uebertreibung den Tod der Liebe nach sich ziehen. Man kann sich und andere zu sehr bewachen. Wer sich immer achtungswürdig zeigen will, fällt leicht in Anmaßungen, erweckt oft ein Gefühl zurückschreckender Superiorität, und die Besorgniß, daß [371] er nicht ausgeglichen werden könne. Wer zu viel von der Perfektibilität des Genossen verlangt, bringt diesen oft zur Verzweiflung, und erweckt den Verdacht, daß es ihm weniger darauf ankomme, uns das höchste Gut der Tugend zuzuführen, als sich den Stolz und die Unterhaltung uns zu bilden, zu verschaffen. Der Ton der kalten Urbanität verscheucht alle Vertraulichkeit, und verwandelt das behagliche Zusammenseyn in zwangvolle Repräsentationsbesuche. Eine zu ängstliche Aufmerksamkeit auf das Betragen des Geliebten und unser eigenes macht uns empfindlicher gegen eingebildete Vernachlässigungen, und heischender nach kleinlichen Auszeichnungen.

Ich fühle die ganze Schwierigkeit der Befolgung meiner Lehren! Ich fühle das Unzulängliche meiner allgemeinen Vorschriften bey der speciellen Anwendung! Demungeachtet muß ich warnen! Vergeßt nicht, daß selbst die engste Vertraulichkeit ihre Grenzen hat. Vergeßt nicht, daß Achtung und Anstand nach den Verhältnissen der Zärtlichkeit und Häuslichkeit besonders modificiert seyn wollen:

Eine Menge von auffallenden Schwächen und Fehlern verlieren sich durch Angewöhnung. Man richtet sich zu einander ein, man behandelt sich gegenseitig mit der Nachsicht, worauf zum Theil die Liebe und ihr Glück beruhen. Aber manche Schwächen und Fehler werden um so unerträglicher, je häufiger und näher man ihre Folgen empfindet, je mehr man Nachsicht damit hat. Gegen diese Fehler und Schwächen seyd auf eurer Hut!

[372]
Neuntes Kapitel.
Maximen zur Erhaltung der Einigkeit.

Selbst in den zärtlichsten Verbindungen muß Selbständigkeit der Meinungen und der Handlungsweise jedem der beyden Genossen eigen seyn. Das Streben nach Vereinigung und nach gemeinschaftlichem Glück, nicht wirkliche Vereinigung, die gar nicht möglich ist, macht den Charakter der liebenden Anhänglichkeit aus. Selbständigkeit setzt Verschiedenheit in gewissen Punkten voraus, und diese muß zuweilen Zwiste herbeyführen. Es giebt keine zärtliche Verbindung, worin sich die Verbündeten nicht dann und wann uneinig fühlen sollten. Die Sorge edel Liebender geht aber dahin, die Veranlassungen zu diesen Uneinigkeiten ohne Aufopferung ihrer Selbständigkeit, möglichst zu vermeiden, und das Unangenehme welches sie mit sich führen, durch ein zartes Betragen zu mildern.

Die Hauptveranlassungen zu Zwisten in der engeren Vereinigung geben die innere häusliche Einrichtung, das Verhältniß der zusammengesetzten Person gegen die größere Gesellschaft, der Grad der Wärme, den die Geliebten in den Aeußerungen der Zärtlichkeit von einander fordern, die Erziehung der Kinder und gewisse Launen an die Hand, denen jedermann mehr oder weniger ausgesetzt ist.

Die allgemeinste und sicherste Regel, um Zänkereyen über diese Gegenstände zu vermeiden, und ihre Folgen zu schwächen, beruht darin, daß beyde Theile ihre Selbständigkeit wechselseitig anerkennen, daß jeder für sich diese Eigenthümlichkeit nach den Forderungen seines Geschlechts bewahre, und daß sie zugleich beyde von einander überzeugt sind, daß der Wunsch, die zusammengesetzte Person [373] zu beglücken, nicht aber Selbstheit, Nachgiebigkeit von dem andern verlange.

Es liegt in der Natur der Sache, daß dem Manne die endliche Bestimmung des Charakters, den die zusammengesetzte Person in der örtlichen und bürgerlichen Gesellschaft behaupten soll, zukomme. Mich dünkt, es ist der höchste Ruhm des Weibes, wenn es durch seinen Rath den Willen des Mannes nicht ändern kann, sich in diese Bestimmung zu schicken, und dann bey der Ausführung seiner Plane die nachtheiligen Folgen derselben durch kluge Behandlung zu mindern. Es wird der Frau leicht werden, wenn sie überzeugt ist, daß der Genosse ihres Schicksals sein Wohl nicht von dem ihrigen trennt, und dieß mehr als das seinige vor Augen hat. Aber zuweilen kann ihre Selbstheit die liebenden Absichten des Mannes verkennen: und welches ist dann des letztern Pflicht? Bey einer zarten Behandlung sich dennoch unerschütterlich und fest zu zeigen! Die Frau muß sehen, daß es dem Manne wehe thut versagen zu müssen, aber sie muß zugleich die Hoffnung verlieren, ihn von dem wohl überlegten, ihr verständigten Entschlusse abzubringen. Es ist gewiß, daß die erste Schwäche, die der Mann bey einem Zwiste zeigt, worin er von seinem Rechte überzeugt ist, die Gelegenheiten und die Lust zu ferneren Zwisten mehrt, daß hingegen ein Beyspiel von Energie des Charakters, verbunden mit Liebe, dem Weibe auf lange Zeit die Lust nimmt, sich in einen ähnlichen Kampf einzulassen.

Dann ist es aber auch Pflicht des Mannes, sich um das Detail desjenigen nicht zu bekümmern, was ohne Nachtheil für die vereinigte Person der Gattin als einzelnem Individuo ihres Geschlechts, allein oder vorzüglich [374] zu bestimmen zukommt. Nichts scheint mir lächerlicher, als wenn der Mann den Putz seiner Gattin anordnen, sich in die Führung des innern Hauswesens handelnd mischen, und sie gleichsam abrichten will, wie sie sich gegen ihre Freundinnen und gegen die örtliche Gesellschaft betragen soll. Er darf ihren Geschmack im Ganzen bilden, er darf den Fuß angeben auf dem sie leben wollen, er darf ihr vernünftige Grundsätze über ihre Würde als Mensch, als Hausmutter, als Gesellschafterin einflößen, aber er darf sie nicht wie ein Kind, wie eine Eleve, wie eine Haushälterin behandeln; er muß ihr Vertrauen zeigen, und sie dadurch auffordern, es verdienen zu wollen.

Nichts Zweckwidrigeres, nichts Empörerenderes als jener inquisitive Argwohn, jene kindische Neugierde, jene kleinliche Emsigkeit, womit der eine Gatte von allem was den andern angeht, unterrichtet seyn will! Ich kenne Familien, worin die Eheleute sich durch feyerliche Versprechungen anheischig machen, sich einander alles zu entdecken; keinen Besuch anzunehmen oder zu geben, ohne sich davon vorher zu unterrichten, ohne die Genehmigung des andern darüber zu erhalten; keinen Brief zu empfangen, ohne ihn dem andern lesen zu lassen. Alle dergleichen Mittheilungen, wenn sie zur Verbindlichkeit gemacht werden, führen am Ende das Gefühl des Zwanges, die Neigung sich dagegen aufzulehnen, Zank und wohl gar den Tod der Liebe herbey. Die Klugheit erfordert es, selbst da, wo das Herz gern Rechenschaft von den kleinsten Handlungen geben möchte, es mit einer gewissen Mäßigung zu thun, damit nicht ein Fehler der Vergessenheit für Vernachlässigung oder gar für absichtlichen Betrug gehalten werde!

[375] Leidenschaftlich Liebende sind besonders der Gefahr ausgesetzt, sich einander unverdiente Vorwürfe über Erkaltung und Mangel an zärtlicher Aufmerksamkeit zu machen. Mit Recht behauptet man, daß Verliebte hierin den Kindern gleichen! Ich weiß kein Mittel, welches leidenschaftlich Liebende vor dieser Gefahr retten könnte. Aber in Verbindungen, welche mehr auf warmer Zärtlichkeit als auf leidenschaftlicher Stimmung beruhen, kann den Scenen welche solche Zweifel an der Wärme des Genossen hervorbringen, durch ein weises Betragen vorgebeugt werden. Gemeiniglich liegen bey solchen Unzufriedenheiten weit mehr Anmaßungen der Eitelkeit als Besorgnisse wahrer Liebe zum Grunde. Kämpfe gegen diese Schwächen an, vergiß dich selbst, laß dich von dem Begriff der Liebe ganz durchdringen, du, der du den Geliebten mit oft wiederholten Vorwürfen über geschwächte Liebe quälst! Und du, der du dadurch leidest, setze vernünftige Vorstellungen, unzweydeutige Beweise der Zärtlichkeit aber auch der Festigkeit seinen ungerechten Klagen entgegen! Es giebt einen Mittelweg zwischen unbedingter Nachgiebigkeit und kalter, stolzer Abweisung anmaßender Forderungen, und diesen schlage ein! Besonders in den ersten Zeiten der Verbindung wird dieß Betragen wichtig! Wenn du einmahl den Geliebten an Huldigungen seiner Eitelkeit gewöhnt hast, dann wird es schwer dem Verdacht zu entgehen, daß die Veränderung in deinem Betragen nicht einem Wechsel in deinen Gesinnungen zuzuschreiben sey!

Das zärtere Geschlecht ist vermöge der Weichheit seines Herzens sehr geneigt, die Kinder, die Früchte der Liebe, zu verzärteln, und durch Mangel an Festigkeit fehlerhafte Neigungen in jungen Gemüthern Wurzel [376] fassen zu lassen. Der Mann ist dagegen von seiner Seite dem Fehler ausgesetzt, zu viel von dem Kinde in früheren Zeiten zu verlangen, und dabey nicht selten mehr auf seine Ruhe und die Ausführung seiner Grundsätze, als auf das Beste des Kindes Rücksicht zu nehmen. Auch hierin ist der Keim zu manchen Zwisten unter Gatten zu suchen. Wie leicht wird die Frau eine vernünftige Strenge auf Rechnung egoistischer Härte setzen! Wie leicht wird der Mann eine eben so vernünftige Langmuth einer Schwäche des Charakters zuschreiben! Gegenseitige Achtung und Liebe werden diese Gefahren mindern, aber schwerlich ganz aufheben. Jeder Theil hält sich um so mehr berechtigt, hier seiner Ueberzeugung zu folgen, da er einen gleichen Antheil an dem Wohl des gemeinschaftlichen Gegenstandes ihrer Pflichten und ihrer Sorgen nimmt. Verzeiht es, ihr weichgeschaffenen Mütter! Am Ende bleibt doch auch hier dem Vater das Recht zu bestimmen, und der Mutter nur das, bey der Ausführung das Fehlerhafte seiner Grundsätze zu mildern. Sie kann es mit desto größerer Sicherheit thun, da, nach allen meinen Erfahrungen, ein Uebermaß von Strenge immer weniger schadet, als übertriebene Nachgiebigkeit. Aber wie wird auch der Mann, wie ich ihn mir denke, sanften und vernünftigen Vorstellungen der Geliebten seines Herzens, der Genossin seines Schicksals, der Mitzeugerin, der Mitbilderin seiner Kinder nicht gern Gehör geben! Sollte ihn aber die Hitze übereilen, o Weiber, laßt die Mutter einen Augenblick der Geliebten nachstehen, um jener im folgenden ihren Sieg zu sichern! Welcher Mann würde dem Beweise der Zärtlichkeit widerstehen, den ihm die Geliebte durch Aufopferung der Ausbrüche der Mutterliebe bringt; welcher Unmensch würde einen wiederholten [377] Beweis dieser Art ohne die höchste Noth fordern können!

Oft liegt der Grund zu Zwisten unter den Liebenden in gewissen Launen, deren Aeußerungen kaum ohne Widerwillen und Auflehnung von dem Verbündeten getragen werden mögen. Der Zustand des Körpers hat gemeiniglich einen großen Antheil daran. Aber unser moralisches Wesen bleibt darum nicht frey von Vorwürfen, wenn wir uns ihnen überlassen, und ihre Folgen dem Gefährten unsers Lebens nicht ersparen.

Eben jene Vorsicht, die ich vorhin empfohlen habe, sich zuweilen zu trennen und in die Einsamkeit zurückzuziehen, gewährt den Vortheil, in Stunden, worin wir dem Anfall jener Launen ausgesetzt sind, uns dem Anblick und der Gesellschaft des Geliebten zu entziehen. Es ist auch unstreitig gewiß, daß unsere Seele, wenn sie es ernsthaft will, über die traurige Stimmung, in welche uns der Körper versetzt, manchen Sieg davon tragen mag. Wir sehen dieß, wenn wir auf das Betragen der Hypochondristen und selbst der Wahnsinnigen merken die in Gegenwart solcher Personen, denen sie Ehrfurcht schuldig zu seyn glauben, sich zwingen können, und ihrer übeln Laune oder ihrer Narrheit Einhalt thun. Eben so wird der Ton der Urbanität, der unter Gatten eingeführt ist, und noch mehr die Achtung, mit der sie sich einander ergeben sind, die Ausbrüche des Unmuths, der auf körperlicher Indisposition beruht, hemmen, und vielleicht eben dadurch lindern mögen, weil wir ihm nicht nachhängen dürfen.

Wie viel häufiger aber ist nicht der Fall, daß diese Launen ihren Grund in unbestimmten und übertriebenen Anmaßungen, in Versagungen einer kleinlichen Eitelkeit [378] haben! Und dann liegt die Schuld ganz an uns, wenn wir über sie nicht Herr werden, und andere darunter leiden lassen. O wie wohlthätig wird hier jene Arbeitsamkeit, die das schwelgende Aufschießen unserer Kräfte beschneidet und leitet, und uns das Gefühl innerer Würdigkeit zum Halt und zum Troste darbiethet!

Und du, der du durch diese Launen des Genossen leidest: komm ihm zu Hülfe! Schone seiner, wenn du ihn aufrichtig gegen seine Schwächen ankämpfen siehst; trage ihre unwillkührlichen Ausbrüche mit weiser, sanfter Nachsicht! Aber verzärtele ihn nicht, wenn du bemerkst, daß er sich ihnen ohne Widerstand überläßt. Freylich wirst du ihn nicht in dem ersten Anfalle seiner übeln Laune durch Kälte und Spott erbittern dürfen! Aber dein gekränktes Herz wird ihm doch, wenn dieser Anfall vorüber ist, es bemerklich machen müssen, daß selbst die Liebe es dir zur Pflicht macht, den Frevel der an ihr begangen wird, nicht ungeahndet zu lassen.


Zehntes Kapitel.
Mittel, um den Gefahren der Eifersucht vorzubeugen.

Schrecklichste der Qualen, Quelle der höchsten Leiden für denjenigen, der sie empfindet und wenn er zärter fühlt, auch für denjenigen, der sie erregt, Eifersucht! warum muß ich mich hier deiner erinnern, warum darf ich von dir nicht schweigen! Du verführst uns oft zu Ungerechtigkeiten, die entweder die Liebe auf einmahl endigen, oder ihr allmähliges Hinsterben befördern!

[379] Es ist gewiß, daß nicht alle Eifersucht Folge der Liebe ist. Oft geht diese Leidenschaft sogar mit Haß und Verachtung zusammen. Es giebt Menschen, welche nicht die Gewißheit von der begangenen Untreue, sondern den Gedanken scheuen, daß sie betrogen werden können; daß ihr Scharfsinn fehl sehen möge. Es giebt andere, die aus bloßem Neide andern den Besitz eines Herzens mißgönnen, das sie selbst verschmähen. Es giebt wieder andere, die nur die Folge der Untreue für ihre Existimation in der Gesellschaft, und für ihr häusliches Verhältniß fürchten. Endlich ist die Classe derjenigen die häufigste, die aus kleinlicher Eitelkeit und Selbstsucht zum Argwohn aufgelegt, jede Auszeichnung die einem andern widerfährt als einen Raub der Huldigungen betrachten, die sie für sich ausschließend verlangen.

Diesen niedrigen Arten der Eifersucht werden edle Seelen keinen Raum in ihrem Herzen, geben. Aber werden sie überhaupt Eifersucht empfinden, wenn sie den Gegenstand ihrer Zärtlichkeit achten, und von seiner Liebe gewiß sind? Wenn es wahr ist, daß es Eifersucht ohne Liebe giebt, ist es denn auf der andern Seite auch wahr, daß keine Liebe ohne Eifersucht bestehe?

Billig muß man die einzelnen Aufwallungen der Besorgniß, daß ein anderer durch höhere Talente zu gefallen, wenn gleich nicht durch höhere Aufopferungen, das Herz, auf dessen Besitz wir stolz sind, an sich ziehen möge, von der leidenschaftlichen Stimmung zum Argwohn leichtsinniger Untreue unterscheiden. Jenen einzelnen Affekten der Eifersucht wird auch das edelste Herz, bey der festesten Ueberzeugung von der Liebe und Treue des Verbündeten zuweilen unterworfen seyn; es wird [380] ihnen um so mehr unterworfen seyn, wenn es leidenschaftlich liebt, und die Verbindung noch nicht den ruhigen Gang der Zärtlichkeit genommen hat. Aber überhaupt ist jede wahre Liebe schüchtern und bescheiden, und gewisse Anfälle von Furcht, das gewonnene Herz zu verlieren, es wenigstens erkaltet zu sehen, lassen sich von ihr nicht trennen.

Ganz verschieden von diesen einzelnen Aufwallungen der Eifersucht ist aber jene anhaltende Stimmung der Seele zum Argwohn, die zur Leidenschaft geworden ist. Können edle Seelen dieser gleichfalls ausgesetzt seyn? Ja! Es giebt Fälle, es giebt Lagen, wo sie daran erkranken, und worin keine Macht der Vernunft, sondern allein ein glückliches Schicksal, das sie von dem Gegenstande ihrer Eifersucht völlig trennt, sie zu heilen vermag.

Es giebt gewisse Charaktere, welche in einer gewissen Rücksicht uns rechtfertigen, eine zärtliche Verbindung mit ihnen eingegangen zu seyn, in einer andern aber zu unserm Unglück und zu unserer Qual geschaffen sind, und uns dem Vorwurfe der unbehutsamsten Wahl mit Recht bloß setzen. Eben jene Eigenschaften, welche zur edleren und schöneren Liebe am meisten geschickt machen, jene Weichheit und Wärme des Herzens, jenes Feuer der Phantasie, jene feinere Reitzbarkeit der Sinne und des Gemüths, sind oft mit Fehlern verknüpft, welche die Verführung so sehr begünstigen: mit jener Eitelkeit, mit jener Vorliebe für das Neue, Seltene, Außerordentliche, endlich mit jener Lüsternheit der Seele und des Körpers, welche schwache Augenblicke für die Vernunft und die Unschuld herbeyführen. Während der ersten Spannung, welche die Leidenschaft der Liebe Charaktern dieser Art giebt, werden [381] sie diesen Fehlern weniger ausgesetzt seyn. Aber sie wandeln nichts desto weniger auf einer schlüpfrigen Fährte, und bey der ersten Veranlassung, die den Halt der Leidenschaft schwächt, verstärkt sich die Gefahr des Fallens.

Wehe nun gar, wenn ein solcher Charakter, aufgewachsen in der großen Welt, an Huldigungen der Eitelkeit, oder gar an Führung von Intriguen bereits einmahl gewöhnt gewesen ist; wenn er sich durch Unvorsichtigkeit in früheren Zeiten in der Verlegenheit gesehen hat, dem übertriebenen Rufe von seinen Vergehungen zu trotzen; wenn die Personen, denen er vorhin seine Zuneigung geschenkt, oder deren Aufwartung er gelitten hatte, seine Wahl oder seine Nachgiebigkeit nicht verdienten, und dadurch unsere Besorgniß unterstützt wird, daß er weder unsern Werth ganz zu schätzen wissen, noch ekel genug in seinen ferneren Neigungen seyn werde! Wehe uns dann noch mehr, wenn wir nun zuweilen durchbrechende Gefallsucht, Mangel an Wahrheitsliebe und an zärteren Empfindungen von dem was gesehen oder nicht gesehen Recht und Unrecht ist, kurz, Mangel an Scheu vor sich selbst in seinem Betragen antreffen! Wehe uns dann am allermeisten, wenn selbst in der Art, wie sich der geliebte Gegenstand an uns gehangen, oder sich uns ergeben hat, Uebereilung, Eitelkeit und Sinnlichkeit hervorgeleuchtet haben. – Armer, was wird dich retten? Nichts als die Ueberzeugung der gänzlichen Verworfenheit der Geliebten! Erhältst du diese, so wirst du dich mit allem deinem Stolze wapnen, um dich von der Unwürdigen loszureißen; aber gerade diese Gewißheit wird dir nicht gewährt. Du fühlst, es fehlt nur die Gelegenheit, aber du zitterst, daß sie herbeykomme, [382] du bewachst, du beugest der Gefahr vor, sie wird vermieden, und dennoch kannst du nie beruhigt werden, weil eben mit dieser deiner Ruhe wieder Sorglosigkeit von Seiten der Geliebten, wieder die Herrschaft ihrer alten Fehler, und mit ihr die stündliche Möglichkeit der Niederlage eintritt.

Schreckliche Nächte, an welche diejenigen, die sie durchwacht haben, ohne convulsivische Erschütterung nie zurückdenken werden. In denen Schlaflosigkeit mit gräslichen Träumen wechseln, und die Vorstellung der Geliebten sich bald unter der Gestalt eines unseligen, zur Qual unserer Tage geschaffenen Plagegeistes, bald unter dem Bilde der makellosen und gekränkten Unschuld darstellt. Wo wir von Vorwürfen gegen das gefallsüchtige Weib, von dem Vorsatze, uns ganz von ihm loszureißen, zu Vorwürfen gegen uns selbst und zu dem Entschlusse übergehen, ihm ganz zu vertrauen, und es ewig anzubeten! Welch ein Kampf gegen uns selbst! Welche Marter, sich sagen zu müssen, daß man das Glück der Geliebten stört, daß man durch seinen Verdacht, durch seine Wachsamkeit, den Reitz zur Untreue nur vermehrt, und den Gegenstand, der die Besorgniß erregt, wichtiger macht; unbrauchbar zu Geschäften und zur geselligen Mittheilung wird, sich selbst ein Greuel, andern ein Gegenstand der Verachtung und des Gelächters!

Aber ach! verachtet, verlacht sie nicht, diese Armen, welche die Hoffnung auf Besserung lange gefesselt hält! Was sie leiden, macht sie eures Mitleidens werth, und der Wunsch, den leichtsinnigen Gegenstand ihrer Liebe zur Tugend und der Festigkeit zurückzuführen, giebt ihnen sogar einigen Anspruch auf eure Achtung!

[383] Gut! aber wie ist den Unglücklichen zu helfen, wie ist ihnen zu rathen? Will der Gegenstand ihrer Liebe und ihrer Eifersucht durchaus sein Betragen nicht ändern, und durch Arbeitsamkeit, Aufmerksamkeit auf sich selbst, erhöhete Behutsamkeit den Zweifeln zu denen seine vorige Aufführung und die ursprüngliche Anlage seines Charakters berechtigen, begegnen; so bleibt nichts anders übrig als zu brechen, und die Verbindung zu endigen. Glücklich werden Menschen dieser Art nie mit solchen seyn, die ein zärteres Gefühl mit hohen Ansprüchen an Tugend und Treue vereinigen; und wo man überzeugt ist, nicht glücklich machen zu können, und sich selbst vergebens aufzuopfern, da ist es Pflicht, die Verbindung aufzuheben. Man behauptet zwar oft, daß man weiblicher Gefallsucht und männlicher Lüsternheit vieles nachsehen müsse. Daß nicht jede Frau, die gern die Aufmerksamkeit anderer Männer auf sich zu ziehen liebt, darum die Treue der Gattin breche; daß nicht jede Verirrung, zu denen die Sinne den Mann verführen, sein Herz der Geliebten raube. Allein diese Regeln der Klugheit, welche auf Ehen gewöhnlicher Art, für Menschen von gröberen Empfindungen passen, werden feiner organisierten Seelen nie annehmlich werden können. Für den Mann, der edel liebt, giebt es nur eine Frau auf der Welt: für die Frau die edel liebt, nur einen Mann. Beyde werden durch die Zärtlichkeit, mit der sie an einander hängen, unempfindlich gegen die Reitze und die Schmeicheleyen aller übrigen Personen von dem nehmlichen Geschlechte werden. Sollte es aber wahr seyn, daß selbst die treueste Liebe vor dem Andringen rascher Triebe nicht sichern kann; so stärkt die Liebe wenigstens unsere Vernunft [384] bis zu dem Grade, um jene Anfälle der Eitelkeit und Sinnlichkeit mit Glück zu bekämpfen.

Es leidet auch keinen Zweifel, daß Personen, die wirklich lieben, nicht im Stande seyn sollten, einen Charakter, der darum eifersüchtig ist, weil er liebt, und den Geliebten zu achten wünscht, zu beruhigen. Es kommt nur darauf an, ihm Bürgschaft für ihre Festigkeit und Haltsamkeit an ihren Grundsätzen zu geben. Eine große Sicherheit gewährt jene Arbeitsamkeit, jenes Anhängen an einem bestimmten Zwecke der Thätigkeit, die ich schon so oft empfohlen habe, und durch die wir vor tausend Gefahren einer wild umherschweifenden Phantasie, und eines unbestimmten Treibens unserer Kräfte bewahrt werden. Ein anderes Sicherheitsmittel giebt die Wahl des Umgangs mit Personen von anerkannter Tugend und wohlbefestigtem Rufe, so wie das Bestreben, ihres Beyfalls werth zu seyn. Ein drittes und das größte gewährt das Mißtrauen gegen uns selbst, mit dem wir Gefahren, die unsern Schwächen drohen, auszuweichen suchen; die Achtsamkeit auf unser Betragen und unsern Ruf: endlich die Unbefangenheit, die Offenheit, die Wahrheitsliebe, mit der wir selbst in solchen Fällen zu handeln suchen, die dem Herzen des Geliebten keine Besorgnisse erwecken können.

Durch diese Mittel haben selbst Personen, die durch die Anlagen ihres Charakters und ihre frühere Aufführung zu keinem Vertrauen berechtigten, dieß in der Seele des Eifersüchtigen zu erwecken gewußt. Und eben dieß, daß die geliebte Person diese Mittel, die so ganz in ihrer Gewalt stehen, nicht anwenden will, eben dieß ist es, was den edel Liebenden so sehr kränkt, und seiner Eifersucht [385] so viele Nahrung giebt. Er fürchtet nicht so wohl die Vorstellung eines gefallenen Wesens, das allen Anspruch auf Wiedererlangung der Achtung verloren hat; er fürchtet die Vorstellung eines Wesens, das sich durch seine Schuld in der steten Lage erhält, an die Möglichkeit und Leichtigkeit seiner Niederlage glauben zu müssen. – Dreymahl glücklich aber wirst du seyn, wenn du mit einem Weibe verbunden bist, das von Eltern geboren, in einem Hause auferzogen ist, die sich durch Sittlichkeit und Anstand auszeichneten; das nie durch ein unbehutsames Betragen den Schmähungen der Welt einigen Grund geliehen hat; das selbst, bevor es dir sein Herz geschenkt hat, dich lange prüfte, und sich nicht aus Schwäche, oder auf eine undelicate Art hingab; das während der Verbindung mit dir Gleichgültigkeit gegen die Versuchungen der Eitelkeit, Offenheit, Unbefangenheit, Festigkeit in seinem Betragen zeigte, und selbst in den Augenblicken, worin die Sinne ihre höchste Gewalt äußern, diese durch Schamhaftigkeit zu zügeln weiß! O wenn du so verbunden bist, wie leicht wird es dir werden, dich mit ganzem Vertrauen hinzugeben, und wenn dir ja noch Besorgnisse übrig bleiben, die von dem Streben nach zärtlicher Vereinigung unzertrennlich sind, sie durch Vernunft und Liebe zu besiegen!

Was ich hier von der Wahl des Weibes gesagt habe, an dessen Hand ich meinem Geschlechte Ruhe und Glück verspreche, das gilt, bis auf wenige Einschränkungen noch, auch von der Wahl, die das Weib zu treffen hat. Zärteres Geschlecht, kannst du von dem stärkeren gleich nicht jungfräuliche Reinheit erwarten, so hüte dich wenigstens vor Männern, die in [386] verworfener Sittenlosigkeit gelebt, oder mit Leichtigkeit Verbindungen geknüpft und gebrochen haben!

Ihr aber, die ihr ein reines Herz, Sittlichkeit, und ungekränkten Ruf euren Geliebten zubringt, setzt dann auch seinem Hange zum Argwohn, seinen Ungerechtigkeiten und übertriebenen Forderungen einen edeln Stolz und das Bewußtseyn eurer Würde und Festigkeit entgegen. Diese sind von Sorglosigkeit verschieden. Die verdächtige Person hat kein Recht, sich auf das Bewußtseyn ihrer Unsträflichkeit in dem gegenwärtigen Augenblicke zu berufen. Ihre vorigen Unbehutsamkeiten, die fortdauernde Möglichkeit des Rückfalls bringen sie um diesen Vorzug. Aber der Mensch, der nie Gelegenheit zu Zweifeln an seiner Sittlichkeit und Ehrbarkeit gegeben hat, darf Vertrauen fordern, und muß sich durch den Gebrauch der Rechte, welche ihm die Tugend giebt, ihren völligen Genuß sichern. Es geht mit dem Hange zur Eifersucht wie mit allen Schwächen des Charakters: je mehr ihnen geschmeichelt wird, desto tiefer wurzeln sie ein, desto mehr verlieren wir das Gefühl ihrer innern Unwürdigkeit und ihrer unseligen Folgen.

Ihr aber, die ihr diesen Hang in euch spürt, vergeßt auch nicht, daß man oft nur dann andere wegen gewisser Fehler in Verdacht hat, wenn man sich selbst ähnlicher schuldig fühlt! Wacht über euer eigenes Betragen! Wacht früh darüber, und seyd sicher, der ruhigere Gatte ist gewiß derjenige, der andere Gatten nie betrogen hat, und sich unfähig fühlt, seine Gattin zu hintergehen.

[387]
Eilftes Kapitel.
Wann wird die Treue gebrochen?

Nirgends zeigt sich der Unterschied zwischen feinerer und gröberer Denkungsart, zwischen Selbstsucht und Liebe auffallender, als bey den Forderungen, die wir auf Treue an uns selbst und an den Gegenstand unserer Liebe machen. Während daß einige nur dann die Rechte des verbündeten Theils zu kränken glauben, wenn sie einen Verrath begehen, den selbst die Gesetze ahnden würden, verlangen andere eine gänzliche Abgezogenheit von allem Umgang mit andern Personen von verschiedenem Geschlechte als Beweis der Treue.

Ob nun gleich in der guten Gesellschaft diese beyden Extreme einer zu laxen und einer zu strengen Denkungsart ziemlich allgemein gemißbilligt werden; so scheint man doch die wahre Linie, welche die Verbindlichkeit zur Treue umschreibt, bisher verkannt zu haben.

Mir scheint es, daß diese jedesmahl gebrochen werde, wo wir mit Vergnügen dem Gefühle nachhängen, daß ein Dritter der Vereinigung geschlechtsverschiedener Naturen mit uns nachstrebe. Jedesmahl wo wir uns der üppigen Eitelkeit überlassen, durch Reitze und Vorzüge, welche uns als einer Person von einem gewissen Geschlechte eigen sind, (durch unsere Geschlechtseigenthümlichkeiten) auf die Geschlechtssympathie eines andern zu wirken: jedesmahl, wo wir uns der Wonne überlassen, üppige, lüsterne Gefühle in seinem Körper oder seiner Seele zu erregen; jedesmahl, wo wir den Stolz fühlen, Huldigungen von einer Person von verschiedenem Geschlechte, die nur der erregten Geschlechtssympathie [388] zugeschrieben werden können, zu erhalten, und wohl gar der Wunsch bey uns erwacht, uns diese ausschließend anzueignen; da brechen wir die Treue, die wir dem einzig Geliebten schuldig sind. Gehen wir gar so weit, uns das Herz, die Person eines Dritten aneignen zu wollen, leisten wir seiner Zärtlichkeit oder seiner Leidenschaft dadurch Vorschub, daß wir ihm und andern glauben lassen, daß seine Bemühungen, unser Herz zu gewinnen, uns nicht gleichgültig sind; so steigt unsere Untreue zu einem noch höheren Grade.

Darum scheinen mir nun auch alle jene Aufwartungen, alle jene Unterhaltungen der Gefallsucht, welche sich Liebende in der größeren Gesellschaft neben der Hauptempfindung die sie im Herzen tragen, erlauben, ein Verrath an der Zärtlichkeit zu seyn, die sie dem Einzigen schuldig sind. Man sagt, sie sind gleichgültig, sie sind unschuldig! Aber in der Liebe ist nichts gleichgültig und unschuldig, was mit ihrem Begriffe und ihrem Zwecke streitet.

Diese Grundsätze entschuldigen feiner organisierte Seelen wegen einer Eifersucht, die ihnen von gröber gestimmten Menschen zum Vorwurfe gemacht wird. Ihre Rechte sind von höherer Art, und werden feiner, aber darum nicht minder lebhaft gekränkt.

Aber wie soll das schöne, das reitzende Weib es machen, wenn es wider seinen Willen von der Andringlichkeit der Müssiggänger zu leiden hat? Leere Entschuldigungen! Wir Männer haben einen sehr feinen Takt darüber, wo unsere Aufwartungen wohl angebracht und aufgenommen werden, und das Weib [389] hat es unstreitig in seiner Gewalt, einen solchen Ton gegen die Ueberlästigen anzunehmen, wodurch diese auf immer zurückgeschreckt werden.

Dagegen ist es aber nun auch lächerlich, und beruht auf einer wahren Anmaßung der Selbstheit, wenn wir der Geliebten den Beyfall anderer Personen von unserm Geschlechte mißgönnen, oder ihr verwehren wollen, diese schön, unterhaltend und achtungswerth zu finden. Es kommt nur darauf an, wie dieß geschieht. In Worten läßt sich dieß freylich nicht, und am wenigsten im Allgemeinen angeben. Aber ich frage euch alle, Männer und Weiber, die ihr dieses Buch leset, ob ihr am Ende eines Tages, den ihr abwesend von dem Geliebten in Gesellschaft mit Personen von verschiedenem Geschlechte zugebracht habt, euch nicht ganz genau zu sagen wißt, ob ihr eure Empfindungen ganz zu seiner Kenntniß gebracht wissen möchtet; mehr, ob ihr wünschtet, daß euer Geliebter ähnlichen Gefühlen Raum gegeben hätte. Diejenigen, von denen ihr dieß nicht wünscht, enthalten unstreitig eine Untreue!

[390]
Zwölftes Kapitel.
Wann der edle Mensch zum Bruch berechtigt ist? Sein Betragen bey und nach demselben.

Die Dauer der Liebe gehört zu ihrer Veredlung. Aber es giebt Fälle, worin sie erkalten muß, worin selbst edle Seelen entschuldigt, ja verbunden sind, alles zu versuchen, um über ihre Neigung den Sieg davon zu tragen, und sich von schimpflichen Fesseln loszumachen.

Die Person des geliebten Gegenstandes kann zuweilen dergestalt verändert werden, daß der Begriff und das Bild der zusammengesetzten Persönlichkeit ohne Ekel und Widerwillen nicht gefaßt werden können. Es wäre lächerlich, in solchen Fällen selbst dem edelsten Menschen die Fortdauer der Liebe zur Pflicht zu machen, oder sie ihm nur als einen besondern Vorzug zum Ruhm anzurechnen.

Es kommt inzwischen sehr auf eine genauere Bestimmung der Fälle an.

Wenn der Geliebte den Gebrauch seiner Geisteskräfte verliert, in Raserey, in Wahnsinn, in Abstumpfung geräth, so wird der edle Mensch nie die dankbare Erinnerung an die Vorzüge verlieren, die ihn ehemahls beglückt haben. Diese wird das Gefühl der Pflichten allgemeiner Menschenliebe erhöhen, und ihm einen nahen und thätigen Antheil an dem Schicksale des Unglücklichen einflößen. Aber lieben wird er nicht mehr, und mit Recht. Zwar täuscht sich die Zärtlichkeit zu der Person eine Zeitlang mit der Hoffnung, daß diese Veränderung keinen Einfluß auf die Standhaftigkeit unserer Zuneigung [391] haben könne. Aber die Täuschung kann auf die Länge nicht dauern, und würde selbst mehr für Schwäche als Stärke des Charakters zeugen.

Minder nachsichtig sind wir gegen eine Erkaltung, die ihren Grund in der Veränderung des Physischen des Geliebten findet. Aber auch hier hat unsere Strenge Grenzen, und Gebrechen, die Ekel oder Widerwillen erwecken, geben allerdings hinreichende Gründe ab, die Zärtlichkeit, das Streben nach dem Bewußtseyn vereinigter Persönlichkeit in bloße treue Anschließung an die Person zu verwandeln. Hingegen wird der Verlust der Schönheit, der mit keinem widerlichen Eindrucke auf die Sinne verknüpft ist, die Veränderlichkeit des Menschen, der auf Edelsinn Anspruch macht, nicht entschuldigen.

Der Mangel schöner Formen hindert die Seele nicht im Genusse dessen, was sie von der Seele des andern nehmen kann, und selbst die körperliche Lüsternheit wird bey gehöriger Vorsicht, die ich schon empfohlen habe, nicht völlig niedergeschlagen.

Untreue ist ein hinreichender Grund, eine liebende Verbindung zu trennen, wenn sie dem Begriff der Liebe auf eine Art widerspricht, daß ihr Zweck nicht mehr erreicht werden kann. Nicht alle Grade der Untreue geben darauf den nehmlichen Anspruch, und es ist gewiß, daß selbst bey dem stärksten Grade die Pflichten beyder Geschlechter sich hierunter nicht gleich sind.

Die Liebenden von beyden Geschlechtern, die sich alles Zuredens des Verbündeten ungeachtet von ihrer Gefallsucht nicht befreyen können, Intriguen anknüpfen und [392] fortführen, heben selbst die Rechte auf, die sie auf den Besitz des Herzens des Geliebten haben, wenn sie gleich nicht bis zur Beleidigung derjenigen Pflichten fortschreiten, die sie in Ansehung der Reinheit ihres Körpers auf sich genommen haben. Sie lösen durch eine Untreue des Herzens die Bande, mit denen sie an andern hängen, oft stärker auf, als durch diejenige Verirrung, welche ein schwacher Augenblick für ihre Sinne herbeyführt. Eine vorübergehende Schwäche, zu der Eitelkeit und Phantasie verführen, und von der Besserung zu hoffen ist, berechtigt dagegen keines von beyden Geschlechtern zum Bruche.

Für den Mann ist es Pflicht zu brechen, so bald er dem Weibe Mangel an Schamhaftigkeit und Ehrgefühl vorwerfen kann. Ein liebendes Weib kann sich ohne die größte Verworfenheit nicht zu Gunstbezeugungen verleiten lassen, die ihm immer leicht zu verweigern werden, wenn das Herz es nicht dazu verführt. Fehlt es, so ist es wahre Untreue, böser Wille! Man darf dreist behaupten, daß der Mann, der einen solchen Fehltritt seiner Geliebten weiß, und dennoch sie zu lieben fortfährt, den Anspruch auf Edelsinn verliert. Er kann fortfahren, sich an ihre Person anzuschließen: an ihrem Schicksale Antheil zu nehmen, für ihr Wohl zu sorgen. Aber nie darf er sich zu Aeußerungen der Zärtlichkeit wieder verleiten lassen, und am wenigsten den Körper wieder berühren, der durch willkührliche Uebertretung der heiligsten Pflicht auf immer geschändet ist.

Das Weib hat die nehmlichen Rechte zum Bruche, wenn der Mann sich durch Sinnlichkeit hinreißen läßt, einen thierischen Genuß in den Armen einer andern aufzusuchen. [393] Aber der Bruch ist nicht Pflicht für die Liebende; sie kann entschuldigt werden, sie kann sogar einen Anspruch auf Edelsinn erhalten, wenn sie dem Irrenden und Reuigen verzeiht! Der Grund ist offenbar! Bey unserm Geschlechte hängen dergleichen Vergehungen weit weniger vom Herzen ab, setzen weit weniger Mangel an Schamhaftigkeit, Ehrgefühl und Liebe zum voraus, und stehen in einem entfernteren Verhältnisse mit der Verworfenheit unserer Denkungsart. Diese Nachsicht muß aber ihre Grenzen haben. Wenn das liebende Weib einem immer wiederkehrenden Leichtsinne verzeiht, wenn es gar eine anhaltende Untreue duldet, und dennoch zu lieben fortfährt, so wird uns seine Gutherzigkeit verdächtig, und sein Streben nach dem Bewußtseyn zusammengesetzter Persönlichkeit verliert allen Anspruch auf Adel!

Pflicht ist es zu brechen, wenn der Charakter des Geliebten sich dergestalt verschlimmert, oder nach abgelegter Maske sich so verworfen darstellt, daß wir eine Verschlimmerung unsers eigenen Charakters, ein fortwährendes Hinderniß in der Ausübung unserer sittlichen Pflichten von der Fortsetzung der Verbindung befürchten müssen. Es giebt Männer, die durch entehrende Neigungen fortgerissen, ihre Gattinnen zu Genossen ihrer Trinkgelage, zu Theilnehmerinnen an der Befriedigung der schändlichsten Lüste machen wollen. Dieß zu dulden, wäre unedel. Es giebt Weiber, die ihre Neigung zu Zerstreuungen, welche den Geist verschwemmen, nicht mäßigen wollen, und zugleich von dem Manne unbedingte Huldigung ihrer Launen, Theilnehmung an allen ihren kindischen Zeitvertreiben als Beweise der Liebe fordern. In diesen und in allen Fällen, worin Achtung für den geliebten Gegenstand [394] unmöglich ist, worin die Fortdauer der Liebe auf Kosten unserer Selbstachtung erkauft werden muß, sind wir nicht allein berechtigt, sind wir schuldig zu brechen.

Bloße Erkaltung des einen Theils ist kein hinreichender Grund für den andern, zu brechen, so lange noch die Hoffnung bleibt, sein Herz wieder zu erwärmen. Es ist vielmehr ein sicheres Zeichen, daß derjenige, der bricht, seiner Seits erkaltet sey, oder bloß aus Selbstsucht und Eitelkeit liebe, wenn er bey Wahrnehmung des erkalteten Herzens sich sogleich zurückziehen kann. Ach! wer wirklich liebt, dem ist dieß unmöglich: der versucht alles, und harret lange, ob er nicht den Verlornen zurückbringen könne, und er giebt die Bemühung nicht eher auf, als bis er an der Hoffnung dazu verzweifelt!

Ist es Pflicht für denjenigen, der sich erkaltet fühlt, den veränderten Zustand seines Herzens dem Verbündeten zu offenbaren, oder darf er noch Zärtlichkeit vorgeben, wenn er keine mehr empfindet? Es ist gewiß, daß Aufrichtigkeit auch hier des edeln Menschen Pflicht ist, und zwar um so mehr, weil er dem andern dadurch Gelegenheit giebt, sich auch von seiner Seite auf einen völligen Bruch vorzubereiten. Inzwischen müssen wir völlig sicher seyn, daß unser Herz nie wieder für den Gegenstand, den wir geliebt haben, erwärmt werden könne. Oft treten Zeiten ein, in denen wir minder warm, minder lebhaft fühlen. Hier sogleich den Geliebten mit der Nachricht zu schrecken, daß wir uns kälter gegen ihn fühlen, scheint mir unweise. Ist aber unser Herz ohne Hoffnung der Wiederkehr für ihn verloren, dann dünkt mich müssen wir sprechen, und nicht die Früchte seiner Zärtlichkeit ohne Gegengabe und unwürdig genießen. Am wenigsten [395] kann ich es billigen, wenn wir bey erkaltetem Herzen eine Ursache zum Bruche, welche die Schuld desselben auf den Geliebten werfen soll, hervorsuchen, und uns gegen ihn in Vortheil zu setzen suchen.

Wenn aber der Bruch geschehen ist, so behalten wir dennoch Pflichten gegen den geliebten Gegenstand auf uns. Ist der Bruch durch unsere Schuld herbeygeführt, wie elend, wie verworfen würden wir nicht handeln, wenn wir Haß und Feindschaft auf ihn würfen, und ihn vor den Augen der Welt als den schuldigen Theil darzustellen suchten! Aber selbst in dem Falle, wo der Bruch von ihm veranlaßt ist, wo er unsern Haß, ja unsere Verachtung auf sich gezogen hat, sind wir es uns selbst schuldig, unsere ehemalige Liebe möglichst zu ehren! Er hat einen Theil von unserm Wesen ausgemacht! Der liebende Zustand gehört zu der Geschichte unsers Lebens!

Du, der du den vorigen Gegenstand deiner Zärtlichkeit mit Schmähungen verfolgst, du schändest dich selbst, weil du dich von ihm hintergehen ließest, weil du an ihm hingest! Unverantwortlich handelt derjenige, der sich heimlicher Gunstbezeugungen rühmt, die er während der Verbindung genossen hat, um diejenige, die sich dazu verleiten ließ, zu entehren. Er bricht das Siegel des Vertrauens, das jedem edeln Manne heilig ist: er enthüllt Geheimnisse, die ihm nicht gehören, und zeugt zu seiner eigenen Schande von Vergehungen, die er selbst herbeygeführt und getheilt hat!

Aber sind wir es uns nicht selbst schuldig, der Welt zu zeigen, daß wir nicht den Bruch veranlaßt haben, daß unser Betragen nicht dazu berechtigt hat? [396] Allerdings giebt es Fälle, worin diese Pflicht uns obliegt! Allein dazu giebt es bessere Wege, als Schmähungen und Indiscretion. Unser vorhergegangenes und nachheriges Betragen wird uns schon rechtfertigen, und die Welt wird es uns gewiß zum Verdienst anrechnen, wenn wir den ehemahligen Verbündeten möglichst schonen.

Am glücklichsten, am edelsten endigt aber die Liebe, wenn sie in traute Freundschaft übergeht, und das kann, das wird sie, wenn diejenigen, die sich geliebt haben, während ihrer Verbindung einander achtungswürdig erschienen sind, und auch nach derselben wechselseitig achtungswürdig bleiben.




Ende des zweyten Theils.


  1. In einzelnen Fällen dürfte gewissen Charakteren dennoch diese Einrichtung anzurathen seyn.

Anmerkungen (Wikisource)