Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil | |
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Selbst in den zärtlichsten Verbindungen muß Selbständigkeit der Meinungen und der Handlungsweise jedem der beyden Genossen eigen seyn. Das Streben nach Vereinigung und nach gemeinschaftlichem Glück, nicht wirkliche Vereinigung, die gar nicht möglich ist, macht den Charakter der liebenden Anhänglichkeit aus. Selbständigkeit setzt Verschiedenheit in gewissen Punkten voraus, und diese muß zuweilen Zwiste herbeyführen. Es giebt keine zärtliche Verbindung, worin sich die Verbündeten nicht dann und wann uneinig fühlen sollten. Die Sorge edel Liebender geht aber dahin, die Veranlassungen zu diesen Uneinigkeiten ohne Aufopferung ihrer Selbständigkeit, möglichst zu vermeiden, und das Unangenehme welches sie mit sich führen, durch ein zartes Betragen zu mildern.
Die Hauptveranlassungen zu Zwisten in der engeren Vereinigung geben die innere häusliche Einrichtung, das Verhältniß der zusammengesetzten Person gegen die größere Gesellschaft, der Grad der Wärme, den die Geliebten in den Aeußerungen der Zärtlichkeit von einander fordern, die Erziehung der Kinder und gewisse Launen an die Hand, denen jedermann mehr oder weniger ausgesetzt ist.
Die allgemeinste und sicherste Regel, um Zänkereyen über diese Gegenstände zu vermeiden, und ihre Folgen zu schwächen, beruht darin, daß beyde Theile ihre Selbständigkeit wechselseitig anerkennen, daß jeder für sich diese Eigenthümlichkeit nach den Forderungen seines Geschlechts bewahre, und daß sie zugleich beyde von einander überzeugt sind, daß der Wunsch, die zusammengesetzte Person
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_2.djvu/372&oldid=- (Version vom 1.8.2018)