CCLVIII. Karlsruhe Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band (1839) von Joseph Meyer
CCLIX. Valenzia
CCLX. Le Puy
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VALENCIA
in Spanien

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CCLIX. Valenzia.




Der brudermörderische Gladiatorenkampf ist vorüber. Friede! jubelt’s in allen Thälern, Friede! ruft’s von allen Höhen, Friede! tönt's von allen Thürmen des unglücklichen Spaniens. Schon längst hatte sich Europa in Ekel von den Schranken gewendet; nur der Menschenfreund wendete dem Würgen seine stille Theilnahme noch zu und erfreut sich am innigsten seines Endes.

Was wird aber nun aus Spanien werden? Die Frage ist in Aller Mund; aber die Lösung des Problems ist durch den Sturz des Carlism nicht erleichtert. Es gibt Leute, die beim Schluß jeder Scene eines großen Drama’s wähnen, nun falle der Vorhang und das ganze Spiel sey aus. Sie mögen es auch jetzt sich denken; aber mit wenig Furcht vor dem Widerspruche der Ereignisse glaube ich der Flucht des Prätendenten einen richtigern Plaz anzuweisen, wenn ich sie als das Ende des ersten Akts der spanischen Revolution bezeichne.

Cäsar, den Königstitel ablehnend; Sixtus V., seine Krücken wegwerfend; Cromwell, die Krone zurückstoßend; Bonaparte, erster Consul: das waren imposante Handlungen großer Schauspieler; doch ein Völkerdrama schlossen sie nicht. Und das erbärmliche Exit des spanischen Prinzen sollte eins beendigen? Wie kann auch dessen Rolle mit der jener Männer nur verglichen werden!

Betrachte man, um von dem Irrthum geheilt zu werden, Don Carlos in den 3 Phasen seines Lebens. –

Zuerst vor 10 Jahren. Wir sehen ihn als muthmaßlichen Thronerben in seinem Pallaste zu Madrid, umgeben von den Grands von Spanien, den Würdenträgern der Kirche; einen Schwarm von Höflingen zu seinen Füßen. Königlicher Prunk umringt ihn; ihn ehren Europa’s Gesandte. Rom überhäuft ihn mit den Beweisen seiner Gunst. Was er ist, ist er durch seine Geburt. Nicht die kleinste Auszeichnung verdankt er seinem Geiste, der sich nicht aus dem Kreis der gemeinen Intrike wagt.

Fünf Jahre vergehen und wir sehen Don Carlos zum zweiten Male. Er heißt sich König; aber der Fürst spielt hier nur eine untergeordnete Rolle. Alles ist ambulant; er selbst, sein Hoflager, sein Ministerium. Oft ist sein Pallast nur eine Scheune; aber demungeachtet umgibt ihn ein dicker Kranz von besternten Höflingen und aller leere Prunk des Königthums. Gänzliche Unfähigkeit zu der Rolle, die er übernommen, ist der Stempel jeder seiner [70] Handlungen. Grausamkeit, Unentschlossenheit, Treulosigkeit, Feigheit bilden den Cyklus der Eigenschaften, auf die der Prätendent die Ansprüche des großen Mannes gründet.

Fünf Jahre später treffen wir ihn auf Frankreich’s Schwelle, verlassen und verflucht, elendiglich bettelnd um gastfreundlichen Schutz. Ehrlos stiehlt er sich aus dem Lande, das er verwüstet, von dem Volke, das er entmenschte: und Verwünschungen von Freund und Feind folgen ihm nach. Don Carlos hat das Ende seiner Laufbahn erreicht, ein Ende, würdig seinem Beginnen. Sein Name gehört fortan der Vergangenheit. Wer zu Spott und Abscheu geworden, kann niemals wieder Begeisterung für sich erwecken. –


Auch du, schönes Valenzia, hast das Blut deiner Bürger um den Nichtswürdigen fließen sehen, und mehr als einmal sahst du die Brandfackel leuchten, womit er dich zu züchtigen gedachte. Deine Erhaltung kommt aber nur halb auf Rechnung deines Muths; halb gehört sie der Feigheit deines Dräuers.

Valenzia liegt im Eden Spaniens; im Mittelpunkte der Provinz, welche sich unter dem schönsten Himmel Europa’s ausbreitet; im Lande voll anmuthiger Hügel, Thäler und kleiner Ebenen, dem reichlich bewässerten und dem das nahe Meer beständige Kühlung zuweht. Wie um Neapel ist hier der Himmel beständig heiter, eine Wolke ist eine Seltenheit, selbst im December sind Reif oder Nachtfröste unerhört. Der üppig-fruchtbare Boden, der die edelsten Erzeugnisse Spaniens, köstliche Weine, Oliven, Südfrüchte (selbst Datteln), Aloe und balsamische Harze; Getreide in Ueberfluß; Flachs und Hanf in überschwänglicher Menge hervorbringt, ist hoch cultivirt, und die nähere Umgebung der Hauptstadt macht auf mehre Quadratmeilen einen herrlichen Garten aus, von unglaublich dichter Bevölkerung. Die Gegend von Valenzia sieht, was sorgfältige und verständige Benutzung des Bodens angeht, dem übrigen Spanien so unähnlich, wie die Vorderseite eines schönen Gemäldes seiner Rückseite, der rauhen Leinewand.

Die Stadt, am schiffbaren Guadalaviar, ¼ Meile vom Meere, zählt in 6000 Häusern etwa 80,000 Einwohner und ist ihrer Bevölkerung nach die dritte in ganz Spanien. Sie ist maurischen Charakters, von innen und außen; starke Mauern fassen sie ein, tiefe Gräben umgeben sie und eine Citadelle, die zwar klein ist, aber sie vollkommen beherrscht, dient ihr als Wehr und als Zwingburg. Der Generalcapitain des Königreichs, ein Erzbischof, eine Universität und eine königliche Academie der bildenden Künste haben hier ihren Sitz. Der Handel wetteifert mit dem von Barcelona und Cadix, und wird begünstigt durch eine Menge Anstalten, die sich auf ihn beziehen: Handelsinstitut, Assecuranzgesellschaft, Börse und Hauptzollamt. Marseille unterhält eine wöchentliche, regelmäßige Dampfschifffahrtsverbindung mit Valenzia und die meisten Reisenden nach dem Süden Spaniens bedienen sich derselben, als der sichersten, schnellsten, bequemsten und zugleich billigsten Reisegelegenheit. Die geschützte Rhede von Groa, in halbstündiger Entfernung, dient Valenzia zum Hafen. Auch der Gewerbfleiß ist [71] hier größer als irgend sonst wo in Spanien. Seiden- und Strumpfweberei beschäftigen über 20,000 Arbeiter; noch 1820 waren an 4000 Stühle in Thätigkeit. Die Universität ist die besuchteste des Reichs; die Zahl der Studenten übersteigt gegenwärtig 2000.

Unter dem Namen Huerta (Garten) begreift man alle die Stadt umgebenden Felder auf dem Umkreis von sieben Stunden. Die Fruchtbarkeit dieses irdischen Paradieses ist bekannt; sie ist das Produkt einer künstlichen Bewässerung, welche von den Arabern herstammt, und in derem System auch nach der Eroberung durch christliche Waffen nicht das Mindeste geändert wurde, aus Furcht, die Fruchtbarkeit des Bodens zu beeinträchtigen. Ein eigenes Tribunal sorgt für die genaue Ausübung der Regeln, welche zur Aufrechterhaltung jenes Systems maurische Gesetzgebung empfahl. Nach uralter Weise hält dieses Gericht auf dem freien Platz vor der Kathedrale wöchentliche Sitzung; alles wird da mündlich und von den Partheien selbst verhandelt; sein Ausspruch entscheidet ohne Appellation. – 12,000 Menschen bewohnen jede Quadratmeile der Huerta. Das Volk ist roh, stark, kräftig, und auf den ersten Blick sieht man’s ihm an, daß es von ganz anderm Stamm als das Volk der Stadt entsproß. Das Königreich Valenzia war nämlich maurisch bis zum 13. Jahrh. König Jakob von Arragon unterwarf es mit einem Heere, das größtentheils aus Franzosen bestand, die sich nach der Eroberung in der Stadt niederließen und der Bevölkerung allmählich ihr Gepräge aufdrückten. So finden wir, abgesehen von den vielen französischen Formen im Volksdialekte, in den Nachkommen der Eroberer auch jetzt noch die physische Gestalt ihrer Vorfahren, und namentlich ist dieß bei den Frauen bemerklich; denn sie haben eine auffallend weiße Haut, viele sind blond und blaue Augen sind so gewöhnlich als die schwarzen. Die Huerta hingegen bewahrt den arabischen Typus unvermischt und ist mehr maurisch als irgend sonst eine Gegend Spaniens. Valenzianische Bauern sind von denen in Fez und Marokko nicht zu unterscheiden. Man stelle sich breite, sonnenverbrannte Gesichter mit weißen Zähnen und stechenden Augen vor, mit über die Schulter hinabhängenden Haaren, nackten, sonnenverbrannten Beinen. Ihr Kostüm entspricht dieser Figur. Ein niedriger Hut mit fußbreiter Krampe, Beinkleider von Leinwand, ein blauer Gürtel und ein Hemde ist Alles. Die Reichen allenfalls haben noch eine Weste von schwarzem oder rothem Sammet mit silbernen Knöpfen; alle aber tragen, reich wie arm, eine grobe Wolldecke auf den Schultern, die ihnen zugleich als Bett und als Mantel dient. Stricksandalen bekleiden ihre Füße. Schön sind ihre Frauen; voll Feuer; reizvoll im Sonntagsstaat, im enganschließenden seidenen Korsett und im leichtgelockten haar, das auf dem Scheitel ein silberner oder goldener Pfeil zusammenhält. In diesem Volke nun wohnt ein erblicher Grimm gegen die Städter und kein Maure des afrikanischen Ufers kann seinen europäischen Nachbar beständiger hassen. Darum ist fortwährend Krieg zwischen Beiden, und Schlägereien, an denen öfters Hunderte Theil nehmen, sind was Gewöhnliches. Wenn die Bewohner der Huerta einen Streich gegen die Städter vorhaben, so versammeln sie sich bei dem Schalle einer Meermuschel; dieß ist der Caracol, und er ist so gefürchtet, [72] daß Todesstrafe jedem droht, der beim Blasen desselben betroffen wird. Unterm Schalle des Caracol erhob sich im Unabhängigkeitskriege einst die ganze Huerta und erschlug die Franzosen zu Tausenden. –

Das Innere der Stadt ist nicht gerade freundlich; enge winkliche Straßen werden durch die weit hervorragenden Giebel noch finsterer, und Schmutz und Koth sind überall lästig. Demungeachtet ist Valenzia reich an schönen Gebäuden und manche waren seine Zierde schon zur maurischen Zeit. Sehr merkwürdig sind der große königl. Palast und die Kathedrale. Von der Plattform des hohen achteckigen Glockenthurms der letztern übersieht man die ganze Stadt und die ganze Huerta. Es gibt keinen schöneren Umblick, zumal wenn sich das Auge an die kahlen, öden Ansichten arragonischer und kastilischer Orte, die man den Geistern der Einsamkeit erbaut glauben sollte, schon gewöhnt hat. Reizend in der Mitte seines Gartens gelegen gleicht Valenzia einer Stadt der Lombardei. Derselbe Reichthum an Grün, dieselbe kraftvolle Vegetation; auch dieselbe Monotonie der höchsten Kultur. Die Dörfer berühren sich; unzählbare Klöster und Villen erheben sich dicht an einander; und nur wo zuweilen eine schlanke Palme hervorragt und ihre Fächerkrone ausbreitet, bekommt die Landschaft ein anderes, fast tropisches Ansehen.