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hier größer als irgend sonst wo in Spanien. Seiden- und Strumpfweberei beschäftigen über 20,000 Arbeiter; noch 1820 waren an 4000 Stühle in Thätigkeit. Die Universität ist die besuchteste des Reichs; die Zahl der Studenten übersteigt gegenwärtig 2000.

Unter dem Namen Huerta (Garten) begreift man alle die Stadt umgebenden Felder auf dem Umkreis von sieben Stunden. Die Fruchtbarkeit dieses irdischen Paradieses ist bekannt; sie ist das Produkt einer künstlichen Bewässerung, welche von den Arabern herstammt, und in derem System auch nach der Eroberung durch christliche Waffen nicht das Mindeste geändert wurde, aus Furcht, die Fruchtbarkeit des Bodens zu beeinträchtigen. Ein eigenes Tribunal sorgt für die genaue Ausübung der Regeln, welche zur Aufrechterhaltung jenes Systems maurische Gesetzgebung empfahl. Nach uralter Weise hält dieses Gericht auf dem freien Platz vor der Kathedrale wöchentliche Sitzung; alles wird da mündlich und von den Partheien selbst verhandelt; sein Ausspruch entscheidet ohne Appellation. – 12,000 Menschen bewohnen jede Quadratmeile der Huerta. Das Volk ist roh, stark, kräftig, und auf den ersten Blick sieht man’s ihm an, daß es von ganz anderm Stamm als das Volk der Stadt entsproß. Das Königreich Valenzia war nämlich maurisch bis zum 13. Jahrh. König Jakob von Arragon unterwarf es mit einem Heere, das größtentheils aus Franzosen bestand, die sich nach der Eroberung in der Stadt niederließen und der Bevölkerung allmählich ihr Gepräge aufdrückten. So finden wir, abgesehen von den vielen französischen Formen im Volksdialekte, in den Nachkommen der Eroberer auch jetzt noch die physische Gestalt ihrer Vorfahren, und namentlich ist dieß bei den Frauen bemerklich; denn sie haben eine auffallend weiße Haut, viele sind blond und blaue Augen sind so gewöhnlich als die schwarzen. Die Huerta hingegen bewahrt den arabischen Typus unvermischt und ist mehr maurisch als irgend sonst eine Gegend Spaniens. Valenzianische Bauern sind von denen in Fez und Marokko nicht zu unterscheiden. Man stelle sich breite, sonnenverbrannte Gesichter mit weißen Zähnen und stechenden Augen vor, mit über die Schulter hinabhängenden Haaren, nackten, sonnenverbrannten Beinen. Ihr Kostüm entspricht dieser Figur. Ein niedriger Hut mit fußbreiter Krampe, Beinkleider von Leinwand, ein blauer Gürtel und ein Hemde ist Alles. Die Reichen allenfalls haben noch eine Weste von schwarzem oder rothem Sammet mit silbernen Knöpfen; alle aber tragen, reich wie arm, eine grobe Wolldecke auf den Schultern, die ihnen zugleich als Bett und als Mantel dient. Stricksandalen bekleiden ihre Füße. Schön sind ihre Frauen; voll Feuer; reizvoll im Sonntagsstaat, im enganschließenden seidenen Korsett und im leichtgelockten haar, das auf dem Scheitel ein silberner oder goldener Pfeil zusammenhält. In diesem Volke nun wohnt ein erblicher Grimm gegen die Städter und kein Maure des afrikanischen Ufers kann seinen europäischen Nachbar beständiger hassen. Darum ist fortwährend Krieg zwischen Beiden, und Schlägereien, an denen öfters Hunderte Theil nehmen, sind was Gewöhnliches. Wenn die Bewohner der Huerta einen Streich gegen die Städter vorhaben, so versammeln sie sich bei dem Schalle einer Meermuschel; dieß ist der Caracol, und er ist so gefürchtet,

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/125&oldid=- (Version vom 4.10.2024)