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CCLIX. Valenzia.




Der brudermörderische Gladiatorenkampf ist vorüber. Friede! jubelt’s in allen Thälern, Friede! ruft’s von allen Höhen, Friede! tönt’s von allen Thürmen des unglücklichen Spaniens. Schon längst hatte sich Europa in Ekel von den Schranken gewendet; nur der Menschenfreund wendete dem Würgen seine stille Theilnahme noch zu und erfreut sich am innigsten seines Endes.

Was wird aber nun aus Spanien werden? Die Frage ist in Aller Mund; aber die Lösung des Problems ist durch den Sturz des Carlism nicht erleichtert. Es gibt Leute, die beim Schluß jeder Scene eines großen Drama’s wähnen, nun falle der Vorhang und das ganze Spiel sey aus. Sie mögen es auch jetzt sich denken; aber mit wenig Furcht vor dem Widerspruche der Ereignisse glaube ich der Flucht des Prätendenten einen richtigern Platz anzuweisen, wenn ich sie als das Ende des ersten Akts der spanischen Revolution bezeichne.

Cäsar, den Königstitel ablehnend; Sixtus V., seine Krücken wegwerfend; Cromwell, die Krone zurückstoßend; Bonaparte, erster Consul: das waren imposante Handlungen großer Schauspieler; doch ein Völkerdrama schlossen sie nicht. Und das erbärmliche Exit des spanischen Prinzen sollte eins beendigen? Wie kann auch dessen Rolle mit der jener Männer nur verglichen werden!

Betrachte man, um von dem Irrthum geheilt zu werden, Don Carlos in den 3 Phasen seines Lebens. –

Zuerst vor 10 Jahren. Wir sehen ihn als muthmaßlichen Thronerben in seinem Pallaste zu Madrid, umgeben von den Grands von Spanien, den Würdenträgern der Kirche; einen Schwarm von Höflingen zu seinen Füßen. Königlicher Prunk umringt ihn; ihn ehren Europa’s Gesandte. Rom überhäuft ihn mit den Beweisen seiner Gunst. Was er ist, ist er durch seine Geburt. Nicht die kleinste Auszeichnung verdankt er seinem Geiste, der sich nicht aus dem Kreis der gemeinen Intrike wagt.

Fünf Jahre vergehen und wir sehen Don Carlos zum zweiten Male. Er heißt sich König; aber der Fürst spielt hier nur eine untergeordnete Rolle. Alles ist ambulant; er selbst, sein Hoflager, sein Ministerium. Oft ist sein Pallast nur eine Scheune; aber demungeachtet umgibt ihn ein dicker Kranz von besternten Höflingen und aller leere Prunk des Königthums. Gänzliche Unfähigkeit zu der Rolle, die er übernommen, ist der Stempel jeder seiner

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/123&oldid=- (Version vom 25.11.2024)