Stunden der Andacht/Ein Wort an die edlen Mütter und Frauen in Israel

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Ein Wort
an die
edlen Mütter und Frauen in Israel.

Ehe diese Blätter der Presse übergeben werden, kann die Verfasserin derselben es nicht unterlassen, noch ein Wort daran zu knüpfen über einen Gegenstand, der auf’s Tiefste in die Speichen der menschlichen Gesittung und des menschlichen Geschickes eingreift: dies ist über die Erziehung unserer Töchter.

Je bescheidener die Stellung ist, die die Frau in der gesellschaftlichen Verfassung einnimmt, um so bedeutungsvoller ist dagegen ihre Stellung in den Räumen ihrer Häuslichkeit, und desto einflußübender und weitreichender ihr Wirkungskreis in ihrer Doppelaufgabe als Gattin und Mutter.

Denn die Gattin ist es, die dem Leben des Mannes erst den wahren Werth und die echte Weihe verschafft. Den [144] Fleiß des Gatten soll sie durch ihr wirthliches Walten erst zum wahren Segen bringen, das Haus, das er baut, soll sie mit emsiger kunstreicher Hand zieren und ausschmücken, es durch Freundlichkeit, Milde und Wohlthätigkeit zu einer segensreichen und gesegneten Stätte machen. Sie soll es verstehen, mit sanften Worten allen Groll und Unmuth von seiner Stirne zu scheuchen, und seine Freudenstunden zu erhöhen und zu versüßen; durch verständige Rede den raschen auflodernden Zorn des Mannes zu bewältigen und seinen oft unbeugsamen, oft unversöhnlichen Sinn zu Thaten der Milde und Versöhnlichkeit zu neigen. Sie soll ihm eine treue Gefährtin im Kampfe des Lebens sein; eine freundliche Trösterin in den trüben Tagen des Unglücks; überall und immerdar der fürsorgliche Engel seines Daseins.

Und welch ein bedeutungsvoller Wirkungskreis eröffnet sich erst vor ihr in ihrer Eigenschaft als Mutter! In der That, unberechenbar ist die Tragweite der weiblichen Leistungen als Mutter und Erzieherin ihrer Kinder. Aus den vier Pfählen ihrer Häuslichkeit dehnet sich in dieser Beziehung ihr Wirkungskreis über ganze Generationen und Geschlechter aus. – Das Kind in den ersten Jahren seines Daseins, wo sein kleines Herz, weich wie Wachs, sich bilden und modeln läßt, von wem empfängt es anders die ersten Eindrücke als von der zärtlichen Mutter, die es stets umgibt, die es pflegt und wartet, deren Ausspruch ihm ein Orakel, deren Blick ihm ein Himmel ist. Ihr Lied, ihr Wort, ihre Mahnung und ihr Beispiel dringt durch alle Poren der jungen Seele, und bildet dort die Quelle des Guten, der Tugend und der Religion, die ihm Heil bringet fürs ganze Leben, und [145] durch ihre Strömungen noch fernern Geschlechtern zum Segen gereicht. Der Vater hat keine solche Macht über des Kindes Herz, denn sein Beruf hält ihn oft fern vom Hause; die Sorgen des Erwerbs und Verkehrs halten zu oft seine Gedanken gefangen, auch fehlt ihm meist jene Sanftmuth, Weichheit und Milde, die nur dem weiblichen Gemüthe eigen ist, und unter deren warmen Hauch das zarte Reis so wohl gedeiht.

Doch nur ein edles Herz und ein gebildeter Geist vermag diesen heiligen Doppelberuf der Frau vollständig zu erfüllen, und es bedarf einer gar sorgsamen Anleitung und Erziehung, damit unsere Töchter einst als Priesterinnen an dem Altare ihres Hauses so beglückt und beglückend walten mögen.

Eine derartige Erziehung ist eine Aufgabe, deren Lösung viele Kenntnisse, viel Klugheit, ja sogar viel Weisheit erfordert nebst einem richtigen Takt und unermüdlicher Ausdauer. Denn wie der Sämann in die Furchen der mütterlichen Erde mannigfache Saaten und Keime legt, und ihr derart die verschiedensten Früchte entlockt, und alle ihre vielfachen Kräfte zu unserm Nutz und Frommen wirksam macht: so muß der Erzieher in den jungen Boden, dessen Pflege ihm anvertraut ist, mannigfachen Samen streuen, und alle in ihm schlummernden Kräfte zum Gedeihen bringen. Während wir die Hand in kunstreicher Führung der Nadel und in sonstiger haushälterischer und praktischer Betriebsamkeit üben, müssen wir auch auf die freie Entwicklung des Geistes wirken. Doch während wir den Zweigen der Industrie unsere Aufmerksamkeit widmen, und den Geist durch Bildung schmücken und mit Kenntnissen [146] aller Art bereichern, dürfen wir auch das nicht vergessen, was der eigentliche Grundstein aller Gesittung ist, und ohne das alle Kenntnisse und alle Bildung des Geistes nur der uns fernstehenden, winterlichen Sonne gleichen, die wohl Licht und Glanz, aber keine Wärme spendend, ihre Strahlen unerquicklich und unwirksam über die Gefilde streift – dies ist die Veredlung des Herzens, die Hebung und Kräftigung der religiösen Gefühle!

Aber leider wird dies in der Gegenwart nur zu sehr hintangesetzt! Das Aeußerliche und Schimmernde wird gepflegt, aber das Herz mit allen seinen Blüthen und Keimen wartet man nur mit nachlässiger Hand, und überläßt es ruhig der Zeit, was sie aus ihnen bilden wird, ob süße, erquickende Früchte, oder Unkraut, oder gar Giftpflanzen. Die Lehre der Religion wird nur nebenbei, nur als Form- und Nebensache behandelt! Und doch ist der Adel der Gefühle und die tiefsinnige Religiosität der höchste Schmuck der Frau. Sie gießen über ihr ganzes Wesen jenen unvergänglichen Zauber und Liebreiz aus, der ihr alle Herzen gewinnt; sie geben allen ihren Eigenschaften und Talenten erst den wahren Werth; im Verein mit ihnen werden dieselben erst ein Segen für ihr Haus und für die Welt, für die Gegenwart und für die Zukunft! –

Darum, ihr edlen Mütter in Israel, sorgen wir dafür, daß dieser hohe Schmuck unsern Töchtern nicht entgehe. Machen wir es ihren Erziehern zur ersten Pflicht, daß sie durch den erhabenen Unterricht von Gott und seinen Wundern die Herzen derselben veredlen; daß sie vor ihnen aufrollen die Geschichte und Geschicke unserer Vorfahren, [147] und ihre Seelen erfüllen mit treuer, aufopfernder Anhänglichkeit an ihr Volk, und mit glühender Liebe für die Menschheit; begleiten wir unsere Töchter in das Haus des Herrn, wo Predigt und Gesang und Gottesdienst einen veredelnden Einfluß auf das weibliche Gemüth üben, seine Gefühle heiligen, und zur tiefinnigen Verehrung Gottes führen. – Aber, um bei diesem Gottesdienste mit segensreichem Erfolg sich betheiligen zu können, daß die frommen Klänge und Gesänge unserer Gotteshäuser veredelnd und erhebend an die Saiten des weiblichen Gemüthes antönen, thut auch wieder eins vor Allem Noth. Es ist die Kenntniß und das Verständniß unserer heiligen Gebetsprache. Denn ohne das hören wir dort nur Wörter, aber keine Worte, dringen uns die Töne blos zum Ohre, aber nicht zum Herzen, und wir beten nur mit den Lippen, aber nicht mit der Seele. Die heiligen Gesänge Zions, die herrlichen Psalmen eines David, die erhabenen, seelenvollen Gebete Israels bleiben für uns ein versiegeltes Buch. Aber, warum sollten unsere Töchter, die auf Klavierspiel und Operngesänge, auf Erlernung von Sprachen, die nur die Sitte und Mode der Zeit erheischt, so viel Zeit und Fleiß verwenden, nicht auch jener heiligen Sprache, der ehrwürdigen Mutter aller Sprachen, täglich eine Stunde weihen, da sie doch der Schlüssel zu jenen Schätzen des Geistes und des Herzens ist, die Gott in seinem Buche, das wir so bezeichnend das Buch der Bücher nennen, niedergelegt hat? – Nicht auch der Erlernung jener Sprache einen kleinen Theil ihrer Zeit widmen, die noch immer das Band ist, das die durch alle Länder der Welt zerstreuten Glieder Israels zusammenhält? In allen Gegenden der Erde, in Cincinnati und in Bombay, in Tunis und in Warschau, [148] in Wien und in London tönt noch immer aus den jüdischen Tempeln die Sprache, in der einst Gott vom Sinai redete! –

Mit den Gefühlen echt weiblicher Religiosität paare sich ein erhebendes Nationalgefühl. Unsere Töchter sollen lernen mit Stolz und Selbstbewußtsein den Namen Israeliten tragen. Sie sollen den wahren innern Werth ihres Volkes erkennen und sich’s bewußt werden, daß die Gebrechen, die manchen traurigen Figuren das Verhängniß wirklich aufgeprägt hat, so wie die Schmach, die nur Bosheit oder Vorurtheil uns anzuheften bestrebt ist, sich endlich im Strome der Zeiten rein waschen wird und muß. Sie sollen sich’s bewußt werden, daß es eine Entwürdigung ihrer selbst wäre, wenn sie sich schämten, einem Stamme anzugehören, der so groß als irgend einer in der Geschichte dasteht, und dessen Blätter reich sind an glänzenden Helden, edlen Männern, aufopfernden Märtyrern. Es soll ihr Trost, ihr Streben, ihre Begeisterung sein, durch ihr Gemüth und ihren Wandel über jeden Tadel sich zu erheben, und sich als echte Töchter des Volkes zu bewähren, das inmitten eines jahrtausend-langen Kampfes gegen mancherlei tiefschmerzliche Anfeindungen sich doch den Segen eines frohen, häuslichen Sinnes und einer edlen Sittlichkeit wahrte.

Aber auch auf ihre Umgebung wollen wir unsere besondere Aufmerksamkeit richten, wollen verhüten, daß kein zweideutiges Wort, keine verletzende Handlung die reine Harmonie ihrer Seele störe, kein unreiner Hauch den klaren Spiegel ihrer Herzen trübe.

Doch wodurch schützen wir zumeist den frischen, sich [149] eben aufschließenden Kelch der jungfräulichen Blume vor dem Gifte des Verderbens?

Indem wir sie strenge jenen Gesellschaften entziehen, wo rücksichtslos jeder Gegenstand verhandelt wird; wo über Gott und die heiligsten Lebensverhältnisse leichtsinnig, freigeisterisch abgeurtheilt wird; wo über die Begeistrung für Recht und Wahrheit, über die erhabensten Gefühle als eine lächerliche Schwärmerei gespottet wird, und derart der göttliche Funke in dem jungen Herzen erstickt, der Strahl, der ihr Leben verklärt, verdunkelt werden muß. – So werden wir sie auch unbedingt jene Orte meiden lassen, wo die Klatschsucht ihre Sonde an alle Spalten und Fugen im Charakter und Wandel des lieben Nächsten legt, schonungslos jeden Fleck und Makel offenbart, und die geschäftige Verläumdung das ihrige hinzuthut. – Oder, wo der Ton jener Galanterie herrscht, der durch süße Schmeichelstimmen das Ohr so verwöhnt, daß dafür der kräftige Klang der Wahrheit verletzend wird und sie nicht hören mag; oder gar jene Galanterie, die verderbliche aufregende Bilder in die Seele trägt und den ruhigen Schlag des Herzens fieberisch aufregt.

Wir müssen ferner streben, daß keine Macht über sie gewinne die verderbliche Lesewuth der Romane, diese Seuche des Jahrhunderts, wo ohne Wahl und Takt Alles gelesen wird, was die Neuzeit bringt, Produkte, von denen die meisten die Phantasie aufregen und überspannen, die Begriffe von echter reiner Weiblichkeit verwirren und schwächen, und die gerade jene Vergehungen, die den strengsten Bannstrahl verdienen, mit dem Schleier der Nachsicht bedecken, oder gar in einen Nymbus gehüllt erscheinen lassen.

Wohl sollen wir unsere Töchter unter Menschen führen, [150] aber unter solche, bei denen sich ihre Herzen in fröhlicher harmloser Offenheit erschließen können und ein gleichtönendes Echo finden. Wir sollen ihnen eine Umgebung suchen, wo eine reine Natürlichkeit, ein frommes unschuldsvolles Herz geschätzt und heilig gehalten wird; wo ihnen das Bild weiblicher Würde und Tugend in seiner anmuthigen Gestalt entgegentritt, sie zur Nachahmung und Wetteifer beseelt, und ihr geistiges Auge an das Edle und Schöne gewöhnt.

Wohl sollen wir ihnen Bücher geben, aber gewählte, von dem streng prüfenden Blick einer verständigen Mutter oder Erzieherin auserlesen. Wir haben deren ja so viele, die Herz und Geist erheben und bilden; die Gegenwart ist reich genug an Schriften, der gewandten Feder geistreicher Autoren entflossen, die sowohl die Belehrung als das Vergnügen der jungen Lesewelt zum Zwecke haben.

Vor Allem aber wollen wir ihnen als edles Beispiel der Bescheidenheit, der Genügsamkeit, des häuslichen Waltens, der innigen Anhänglichkeit an Gott und Volk und Glauben, und der treuen Erfüllung aller unserer Pflichten vorangehen, und sie lehren, in einem höhern Streben als in dem nach Luxus und eitlem Tand ihr Vergnügen und ihren Genuß suchen.

Wenn die Bildung unserer Töchter eine derartige Pflege erhält, dann dürfen wir hoffen, daß mit ihnen das Glück einziehen werde in ihr eheliches Haus, daß Freude und Wohlergehen darin seinen bleibenden Wohnsitz nehmen, der Geist des Friedens und der Eintracht, der Geist des Edelmuths und inniger beseligender Religiosität darin herrschen werde.

[151] Allein dem Reichen und Bessergestellten ist es ein Leichtes, für seine Töchter eine vollständige Geist und Herz bildende und veredelnde Erziehung zu erlangen; denn er hat die Mittel, ihnen tüchtige Erzieher und Erzieherinnen zu geben, die mit Weisheit und Umsicht das Heil ihrer Zöglinge erstreben. Oder er vertraut sie der Obhut von Töchterschulen an, wo vielfache Lehrkräfte sich vereinend, ihre hohe Aufgabe zu lösen sorgsam bemühet sind, und fest und unermüdlich ihrem Ziele zuschreiten.

Derart ist für die Vermöglichen gesorgt. Was sollen jedoch die Mittellosen oder gar die Armen beginnen, denen nicht weniger, ja noch dringender, ein verständiger Unterricht Noth thut? Nützliche Kenntnisse könnten ihnen eine Versorgung eröffnen, ihnen einen heitern Lebensweg anbahnen, während ohne dieselben die Armen an ihre Dürftigkeit und ihr Elend ewig gefesselt bleiben. –

Drum, wenn unter allen humanistischen Geburten der Neuzeit die Lehr- und Erziehungsanstalten für die weibliche Jugend die meiste Würdigung gefunden, und ihre segensreichen Wirkungen allenthalben unverkennbar sind: so sind doch jene die preiswürdigsten, deren Stiftungen dahin lauten: die Mittellosen unentgeltlich aufzunehmen, und die derart, wie die Sonne den Höhen und Niederungen ihre lebenspendenden Strahlen in gleichem Maße sendet, so über Reiche und Arme die Wohlthaten und Segnungen ihres Unterrichtes gleich ergießen! Ihre Stifter haben sich in ihnen ein Denkmal gesetzt, das sicherer als alle Monumente von Gold und Marmor ihre Namen verewigt.

Aber leider haben nur sehr wenige unserer Gemeinden derartige Anstalten. Ich kann mich deshalb nicht erwehren, [152] hier den Wunsch auszusprechen, daß diejenigen Menschenfreunde und -Freundinnen, denen des Armen Wohl am Herzen liegt, die gern durch fromme Spenden Lust und Freude in die dunklen Hütten der Dürftigen bringen, und ihnen nicht nur momentane Abhilfe ihrer schreienden Nahrungssorgen, sondern eine gesicherte Aussicht in die Zukunft verschaffen wollen: daß diese warmen und edlen Herzen sich vereinen möchten, um in ihren Gemeinden solche Institute zu gründen, daß sie an den Bau dieses edlen, heilbringenden Werkes energisch die Hände legten, und auf diesem Altare ihre Opfer dem Herrn darbrächten, auf welche der Ewige gewiß segnend und wohlgefällig niederblicken würde.

Die Verfasserin.