Sieben Vorträge über die Worte JEsu Christi vom Kreuze/Kapitel 3

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III.
Wahrlich, ich sage dir,
heute wirst du mit mir im Paradiese sein.


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Luc. 23, 39–43.
39. Aber der Uebelthäter einer, die da gehenkt waren, lästerte Ihn und sprach: Bist Du Christus, so hilf Dir selbst und uns. 40. Da antwortete der andere, strafte ihn, und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? 41. Und zwar wir sind billig drinnen, denn wir empfangen, was unsere Thaten werth sind; dieser aber hat nichts Ungeschicktes gehandelt. 42. Und sprach zu JEsu: HErr, gedenke an mich, wenn Du in Dein Reich kommst. 43. Und JEsus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein.
 Die vier letzten Worte JEsu tragen insofern alle Einen Charakter, als sie sich ohne Ausnahme auf den HErrn selbst und Sein eigenes geistliches und leibliches Befinden, Seinen schweren Leidenskampf und Seinen Sieg beziehen. Die drei ersten Worte haben den gegentheiligen Charakter an sich, indem der HErr, wie wenn Er noch nicht so tief, als später in die inneren Leiden Seines Versöhnungswerkes eingetreten wäre, bei ihnen mehr auf andere, als auf Sich selbst sieht. Je weiter in Seinem Gang, desto größer, geheimnis- und bedeutungsvoller das Wort, welches Er spricht. Je weiter rückwärts zum Anfang der sechs Stunden, desto einfacher und gemein verständlicher tritt Seine Liebe gegen die Welt heraus, desto verheißungsreicher für die, welche Ihm zuhörten, war Seine Rede. Es scheint freilich, als| würden durch diesen Satz die ersten Worte des HErrn über die letzten gestellt; aber das ist keineswegs die Absicht. Was sich mehr auf die Person JEsu bezieht, ist deshalb nicht weniger in Liebesabsicht für andere geschehen, und was kenntlicher in der Liebe heraustritt vernehmlicher von ihr redet, ist deshalb nicht minder tief gemeint. Doch ist ein Fortschritt der Arbeit, des Kampfes und der Liebe von den ersten Worten Christi zu den zweiten; wie Sein Gang zum Ziele, so steigert sich Sein Wort und Ausdruck. Das Wort, welches wir heute zu betrachten haben, steht auf der Schwelle der ersten Worte und ihrer Bewegung zu den zweiten. Es liegt mitten inne. Man könnte zwar fragen, ob nicht dies Wort eigentlich das zweite wäre, und also unser bisheriges zweites an die dritte Stelle rücken sollte; aber laßen wir einmal die angenommene Folge, welche sich doch auch dem einfachen Betrachter empfehlen kann. Beide Worte, das an die Mutter und Johannes, wie das an den Schächer, predigen Lebensabschied, Todesnähe; aber das an den Schächer ist in dieser Hinsicht stärker. Von der Mutter und Johannes nimmt der HErr Abschied, und überläßt sie dem zeitlichen irdischen Leben, es ist mehr ein Wort des Ausgangs. Dagegen die Rede an den Schächer deutet mehr auf den Eingang in ein anderes Leben, ins Paradies, und man kann daher sagen, es liege in der Folge der beiden Worte, die wir angenommen haben, wenigstens ein innerer Fortschritt, um deßen willen man geneigt werden kann, auch die äußere geschichtliche Folge so anzunehmen, wie wir gethan. Am Anfang der sechs Stunden gedenkt der HErr Seiner Feinde, deren Grausamkeit allein schon genug ist, um Ihm die Fürbitte für sie zum ersten Geschäfte am Kreuze zu machen. Sein zweites Wort| spricht Er zu den Seinen, die sich ebenso in Liebe, wie die Feinde in Haß zu Ihm drängen. Erst die Feinde, dann die Seinen: beide umfaßt Sein gnädiges und erbarmendes Herz; dann kommen drittens die Bußfertigen, deren Gang den Feinden zeigt, wie man es anstellen müße, um in den Kreiß und Segen der Seinen einzutreten. So gedenkt also der HErr der Welt, der Kirche und derer, die durch Sein Wort von der Welt zu Ihm und Seiner Kirche sich kehren. Damit sind die drei Klaßen von Menschen verzeichnet, die es gibt, und die Liebe des Gekreuzigten erweist sich als vollkommen, alle umfaßend, niemand ausschließend; es tritt zu Tage, wie Sein Herz bis in den Tod für alle schlug, wie Er die gesammte Arbeit Seiner Erlösung allen vermeinte, wie Er als Heiland der ganzen Welt am Kreuze hieng und sich opferte. Es ist übrigens die Geschichte, die sich zwischen dem HErrn und den mitgekreuzigten Schächern ereignete, so reich, daß man wol eine ganze Fastenzeit hindurch die gesamte Siebenzahl von Predigten über sie halten könnte. Da gibt es viele Fragen aufzuwerfen und zu lösen, eine wichtiger und ans Herz dringender, als die andere, und ich muß mir daher in Wahrheit Gewalt anthun, meine Ordnung einzuhalten, um über das Wort JEsu selber hauptsächlich zu predigen. Weil aber auch dies Wort nicht völlig verstanden werden könnte, wenn es aus dem Zusammenhang der Geschichte gerißen würde, so wollen wir, was wir zu sagen haben, in zwei Theilen vorbringen, deren einer das vorlegen soll, was den Worten des HErrn vorangeht, während der zweite die Worte Christi selbst ins Auge faßt. Der HErr sei uns gnädig zu beiden.


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1.
 Nach dem Berichte der Evangelisten Matthäus und Marcus wurde unser HErr am Kreuze nicht bloß von denen verspottet und verlästert, die am Kreuze vorübergiengen, sondern auch die mit Ihm gekreuzigten Verbrecher schmähten Ihn und stimmten in die Reden der boshaften Feinde unter dem Kreuze ein. Es heißt ausdrücklich in der Mehrzahl, so Matth. 27, 44, wie Marc. 15, 8: „die mit Ihm gekreuzigten Räuber schmähten oder lästerten Ihn.“ Vergleicht man nun dies mit der Erzählung des heiligen Lukas in unserm Texte, welcher die Geschichte am eingehendsten vorträgt, so zeigt sich ein Unterschied: Lukas spricht nämlich von der Lästerung des einen von beiden, während der andere als ein großartiges, wenn auch in der ganzen Schrift einzig dastehendes Beispiel von Buße, Glaube und Heiligung aufgestellt wird. Entweder muß man nun annehmen, daß Matthäus und Markus in der Mehrzahl reden, während nur einer von den beiden Schächern gemeint ist, – und auch diese Auffaßung würde dem allgemeinen Sprachgebrauch gewis nicht widersprechen; oder man müßte die doppelte Erzählung dadurch zu vereinigen suchen, daß man sagte: anfangs haben beide Schächer gelästert, dann aber hat es sich mit dem einen gewendet und er wurde aus einem Lästerer ein Anbeter. Man hat also da zweierlei Erklärungen, zwischen denen ihr, lieben Brüder, wählen könnet, da sie beide wahrscheinlich genannt werden dürfen, und eine jede von ihnen beweist, daß kein Widerspruch zwischen der doppelten Erzählung ist. Denn was sich auf eine zweifache Weise zur Genüge erklären läßt, das kann man nicht widersprechend| nennen, da schon die Möglichkeit einer einzigen Erklärungsweise hinreichen würde, den Vorwurf des Widerspruchs abzuweisen. Sehen wir nun vorzugsweise unsern Text an, so finden wir, daß in Betreff der Aeußerungen, welche der schlimmere Schächer vom Kreuze herab JEsu gegenüber that, ein bestimmteres Wort gebraucht ist, als bei Matthäus und Markus, denn bei den letzteren heißt es: die Schächer schalten oder schmäheten JEsum. In unserem Texte aber wird dem üblen Schächer Lästerung im eigentlichen Sinne zugeschrieben; sein Schelten und Schmähen verstieg sich also bis zur Lästerung im vollen Sinne des Worts. Es wird uns aber auch im Texte gesagt, worin die Lästerung bestanden habe; sie wird wörtlich angeführt: „Wenn Du der Christ bist,“ sagte der Gehenkte, „so rette Dich selbst und uns.“ Würde man diese Worte lesen, ohne daß sie von dem heiligen Schriftsteller selbst als Lästerung bezeichnet wären und ohne daß sie der fromme Schächer so ernstlich getadelt hätte, so würden wir vielleicht geneigt sein, sie nicht so hoch aufzunehmen. Man könnte in ihnen vielleicht sogar eine Art Bitte und Hilferuf und eine, wenn gleich zweifelnde Achtungsbezeigung gegen unsern HErrn finden. Sie sind ein Beweis, daß manches Wort schlimmer als der Wortlaut ist. Die bekannte Gesinnung des bösen Schächers, etwa auch die Umstände und die Geberden müßen es außer Zweifel gesetzt haben, daß er eigentlich keinen Sinn ausdrücken wollte, als den: Du bist nicht Christus, sonst würdest Du thun, was dort Deine Feinde zu Dir sagten, nämlich vom Kreuze herabsteigen, Dir helfen und auch uns. Du kannst weder das eine, noch das andere, und drum bist Du nicht der Christ, denn der läßt sich nicht von| seinen Feinden tödten. Ist das der Sinn von den Worten des Gehenkten, und ist dieser Sinn Lästerung, das heißt, ist damit Christo zugeschrieben, was Ihm nicht zugeschrieben werden darf, ohne daß die offenbare Wahrheit geleugnet wird; so ist es am Tage, daß auch dieser elende Mensch am Kreuze, nicht bloß die Priester unter dem Kreuz, alles hätte anders wißen können und sollen, daß er nur seiner Bosheit nachgab, so zu reden, während in dem Benehmen des gekreuzigten JEsus und in Seinem vorausgegangenen Leben und Wirken Gründe und Einladungen genug zu Tage standen, die zu gegentheiligen Meinungen und Aeußerungen hätten führen können. Ja es muß die Einladung zum Gegentheil so stark gewesen sein, daß eben ihre Zurückweisung die schlimmen Worte zur Lästerung stempelte. Wie stark die Einladung zum Gegentheil war, das zeigt sich überraschend an dem Schächer, der mit seinem Leben das Kreuz verdiente, durch seine Leidens- und Todesstunden aber nicht bloß die Bewunderung und Liebe der Kirche aller Zeiten gewann, sondern auch des HErrn Trost und allmächtige Hilfe herausforderte. Es ist alles, was man von dem Schächer liest, so außerordentlich, daß man eine menschliche in der Willenskraft des Schächers liegende Aenderung und Wendung darin durchaus nicht erkennen kann. Dieser Schächer hat Erkenntnis; er muß von JEsu schon voraus gehört, manches und vieles gehört haben, denn er weiß den Wandel JEsu, kennt Seine Unschuld, die Ungerechtigkeit Seiner Verurtheilung, und mehr als das: er weiß von einem kommenden Reiche des Messias, von einem Reiche der Herrlichkeit, das in der Zukunft liegt, und im Betreff welches ihm auch der Tod JEsu und Seine schmähliche Pein nichts durchaus widersprechendes bietet.| Entweder hat dieser Verbrecher schon früherhin in Kreißen gelebt, in denen über den HErrn und über die Hoffnung Israels viel geredet wurde, oder es war in dem ganzen Volke die Geschichte und das Wirken JEsu bekannter und besprochener, als wir uns denken; denn ein drittes anzunehmen, nämlich daß dem Schächer durch unmittelbare Eingebung JEsu und Seines Geistes auf einmal das alles zu Sinn gekommen, dazu haben wir keine Veranlaßung. Dieser Schächer hat aber nicht allein Erkenntnis JEsu, er hat Erkenntnis sein selbst, er weiß sein todeswürdiges Verhalten und sagt es gerade heraus, daß er wie der andere mit Recht in dieser Verdammnis seien. Seine Sündenerkenntnis ist also Bekenntnis, und zwar gewis kein reueloses, denn er wagt etwas, indem er seine Missethat bekennt, den mitgekreuzigten Schächer straft und die Unschuld JEsu anerkennt. Zur Buße aber kommt bei ihm ein hoher Glaube: er begehrt nicht durch Christi Hilfe vom Kreuze genommen zu werden, davon sagt er kein Wort; er stirbt, aber nicht in Verzweiflung, auch nicht in der Meinung, daß sich in seinem Tode seine Seele in nichts auflöse, wie der Rauch in die Luft, denn er bittet um etwas, was ihm erst nach seinem Tode gewährt werden kann; dabei bittet er so zweifellos, daß man merkt, es ist ihm bereits eine innere Zuversicht gegeben, daß er, obwohl ein Schächer, so Großes bitten darf. Sein Glaube ist ein bittender, ja ein betender, an der Hand Christi in ein anderes Leben hinübergreifender, ja eine Herrlichkeit des ewigen Lebens ergreifender mächtiger Glaube. Diesem Schächer ist es gegangen wie hernach dem Hauptmann. Er sieht den Heiland am Kreuz in voller Schmach und Erniedrigung, in schweren Todesleiden. Wenn ihm durch die Behandlung| und das Ergehen JEsu aller Glaube vergangen wäre, so könnte man sich nicht verwundern; aber die Leiden JEsu, Sein Verhalten am Kreuze, wol auch die von Ihm gesprochenen vorausgegangenen Worte vom Kreuz machen ihm geradezu den Eindruck, daß neben ihm ein unsterblicher König, ja Christus selbst leide und sterbe, und es wird ihm gegeben zu glauben und zu erkennen, daß Er also leiden müße, um in Seine Herrlichkeit einzugehen. Im Geiste der Weißagung spricht Christus, der Gekreuzigte: „Ich bin ein Wurm und kein Mensch,“ denn so fühlt Er sich; zu dem Manne aber, der dies Gefühl in sich trägt, spricht der Schächer nicht etwa auch „Wurm“ oder „Mensch“, sondern „HErr“, und das, wie der Verlauf seiner Worte zeigt, im vollen Sinne der Verehrung, ja Anbetung. „Gedenke an mich, wenn Du in Deinem Reiche kommst,“ spricht er weiter. Er glaubt also, daß dieser Sterbende, der nun geht, wiederkommen werde, und zwar nicht, wie er geht, sondern ganz anders, in der Glorie eines Herrn, in der Majestät eines Königreichs, als der König Christus, der aus dem Grab ersteht und Seinen Feinden durch einen prachtvollen Einzug in diese Welt beweist, daß alle Seine Worte Wahrheit sind, sonderlich die Er von sich gesprochen. An dem Tag Seiner Herrlichkeit, in den Geschäften Seines Reiches, in der Majestät Seiner Begleitung könnte nun der HErr den Schächer vergeßen, der neben Ihm hieng, und das will dieser Schächer nicht, sondern auch dabei sein, und wie er mit Christo am Kreuze hängt, so will er mit Ihm dermaleins triumphieren in Seiner Wiederkunft. Darum spricht er zu Ihm: „Gedenke an mich, HErr, wann Du in Deinem Reiche kommst.“ Was ist das für ein kühner gewaltiger Glaube, was für ein Anhangen| und Kleben an Christo, was für eine Liebe! Wer ist größer, das cananäische Weib und der Hauptmann zu Capernaum oder dieser Schächer, der so voll Glaubens und heiligen Geistes und Heiligung ist, daß er es wagen darf, sich dem ewigen König für den Tag Seiner majestätischen Wiederkunft, zur Begleitung anzubieten? Ich muß es gestehen, daß es mir immer widerwärtig gewesen ist, wenn ich den Schächersglauben, von dem ich in unserem Texte lese, nur wie eine enge Pforte behandeln und die Prediger so reden hörte, als wäre der Schächer zu nichts da, denn nur zum Beweise, daß man sich auch noch in der Stunde des Todes bekehren kann. Ich sehe in ihm nicht bloß einen, der wie ein Brand aus dem Feuer gerißen wird, sondern er erscheint mir als ein großes wundervolles Beispiel, welches unser HErr am Kreuz zum Beweise Seiner größten geistlichen Macht und Wirksamkeit gegeben hat, einer Macht und Wirksamkeit, welche nicht bloß den Sünder gnädig annimmt, sondern ihn in einer Kürze mit allen ordentlichen Gaben des heiligen Geistes in der größten Fülle ausrüstet. Die Alten nannten diesen Schächer Dismas und ich denke, man darf ihn unbedenklich und mit größerem Rechte einen heiligen Dismas nennen, als viele Menschen, die im Ruhme der Nachwelt dieses Beiwort tragen.


2.
 Wie viel, meine lieben Brüder, ließe sich noch von dem Schächer sagen, wenn wir nicht Ursache hätten, zu Christo zu gehen. Was alles könnten wir noch aus seinen Worten schließen, wenn wir in dem Sinne fortfahren wollten, zu reden, wie wir| angefangen. Kaum wird ein anderes von den sieben Worten so viele und mannigfaltige Gedanken hervorrufen, wie gerade das Wort Christi, von dem wir reden, und die demselben vorausgegangene Geschichte. Reißen wir uns aber jetzt von allem anderen los und versenken unsere Blicke und Gedanken ganz in die Worte JEsu, die Er zu dem Schächer gesprochen hat: „Wahrlich sage ich dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“ Vergleichen wir diese Rede JEsu mit dem Gebet des Schächers, so finden wir, daß zwar allerdings aus dem Munde JEsu eine große Verheißung kam, daß aber diese Verheißung dem Gebete, welches sie beantwortet, unähnlich ist. Der Schächer bittet ein Genoße JEsu in Seiner herrlichen Wiederkunft zu sein, JEsus aber verheißt ihm Seine Gesellschaft im Paradiese. Da könnte man also allererst draus schließen, daß die Rede des Schächers Unstatthaftes gebeten habe, und daß ihm von Christo anstatt des Unstatthaften über das Bitten und Verstehen des Beters hinaus das Beßere zugesagt wurde. Allein, meine geliebten Brüder, wir wollen uns doch ja nicht irren, sondern unsere Ansicht verbeßern, ehe wir sie festsetzen. Der Schächer glaubt von einem zukünftigen Reiche Christi in der Herrlichkeit ganz dasselbe, was die Apostel glauben und was Christus vorhatte. Der Schächer hat sich in der Hoffnung eines dereinstigen herrlichen Reiches JEsu keineswegs geirrt, und wenn seine Rede und Bitte einen Irrtum enthalten sollte, so mußte dieser allein darin bestehen, daß er für sich etwas erbat, was gerade ihm nicht werden konnte. Da ihm nun aber der HErr durchaus keinen Abschlag gibt, indem Er ihm etwas anderes von ihm Unerwartetes verspricht; so könnte es gar wol sein, daß dem| Schächer auch seine Bitte noch wörtlich erhört würde, wenn gleich ihm so wenig, wie den Kindern Zebedäi, so sehr sie baten, der Blick in eine Zukunft eröffnet wurde, die nun einmal nach dem Willen ihres HErrn bis zu ihrem Eintreten in den näheren Umständen und Einzelheiten verhüllt sein sollte. Es könnte gar wol sein, daß wir zur Zeit, wo es gilt, neben dem HErrn, vielleicht in unmittelbarer Nähe den seligen Schächer sähen, gleichwie er am Kreuz und in den Leiden der anbetende Genoße seines HErrn gewesen ist. Es kann auch ganz leicht mit einer solchen Aussicht das Wort JEsu Christi selber vereinigt werden. Der Schächer war jetzt in der Verbindung mit JEsu, in der erwarteten großen Zeit will er es gleichfalls sein; indem ihm nun der HErr in Seinen Worten Seine Gesellschaft im Paradiese verheißt, füllt Er gewissermaßen die Zeit aus, welche zwischen jetzt und der herrlichen Zukunft liegt, und die Verbindung der Antwort JEsu mit dem Gebete des Schächers könnte wol folgendermaßen zu faßen sein: Dismas, du sollst nicht bloß jetzt und in der Zukunft, von der dein Mund spricht, mein Genoße sein, du sollst mir gar nicht mehr von meiner Seite kommen, und wie du der erste bist, den mein Leiden bekehrte, so sollst du auch der erste sein, der mit mir die Freuden der Ewigkeit und die Glorie meiner Wiederkunft genießt. Ob diese Verbindung des Gebetes und der Erhörung richtig sei, möget ihr, meine Brüder, beurtheilen. Wir schauen nun das Wort des HErrn JEsu genauer an.
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 „Du sollst heute mit mir im Paradiese sein,“ spricht der HErr. Also wo wird Er selbst noch heute sein, wo geht Er hin? Wenn Sein Leib erblaßt und todt zum gekreuzigten Leichnam geworden sein wird, wo hat man sich Seine Seele zu denken| und sie zu suchen? Die klare Antwort heißt: Im Paradiese. Es ist Euch bekannt, meine Lieben, daß die Kirche eine Höllenfahrt Christi lehrt, weil sie dazu durch ausdrückliche Stellen der heiligen Schrift veranlaßt ist. Weniger unsere symbolischen Bücher, als der Zusammenklang der Lehrer unserer Kirche geben uns über den Artikel von der Höllenfahrt etwas festes und gewisses. Die Höllenfahrt ist nach dem Worte unserer Väter, welches mit dem göttlichen Worte zusammenstimmt, eine große That des bereits wieder im Leibe befindlichen Christus, eine Offenbarung und Erweisung Seiner großen Herrlichkeit an die Verdammten, insonderheit an die Kainiten vor der Sündfluth, denen Noah’s hundertundzwanzigjährige Predigt nichts half. Von dieser Höllenfahrt ist in unserem Texte gar keine Rede und die Paradiesesfahrt des HErrn und Seiner vom Todesleibe entbundenen, aber mit der Gottheit des Sohnes ewig verbundenen Seele ist etwas ganz anderes. Von der Verherrlichung JEsu bei Seiner Höllenfahrt gar nicht zu reden, waren ja die Kainiten nicht im Paradiese, und eben so wenig kann der Ort, welcher dem bußfertigen Schächer verheißen wird, einer und derselbe sein mit dem, welcher in der heiligen Schrift Gefängnis genannt wird. Das Paradies, wohin die Seele JEsu und die Seele des Schächers gieng, ist ohne Zweifel das Gegenbild jenes irdischen Paradieses im Lande Eden, und in welcher Gegend der geschaffenen Welt es auch bestehe und gesucht werden müße, es muß ein Ort der Ruhe, der Erholung, des Friedens, ein lichter lieblicher Ort sein, sonst würde er nicht mit dem Namen Paradies benannt werden, welcher auf einen Lustgarten mit wehenden kühlen Bäumen, bei frischen Waßern, unter dem süßesten Himmel weist. Es ist der Aufenthaltsort der erlösten Seelen, die auf| den Tag Christi harren; so wie die Höllenfahrt aufs Gefängnis, so wird ohne Zweifel die Paradiesesfahrt des HErrn auf das Paradies einen wunderbaren Einfluß ausgeübt und eine mächtige Veränderung hervorgebracht haben, eine Veränderung, die uns über ein Kleines, wenn wir selber heimfahren, klar und offenbar werden wird. Aber auch schon im alten Testamente und am Charfreitag muß dieß Paradies ein überaus lieblicher, seliger, lockender Ort gewesen sein, und die Verheißung, dorthin zu kommen, muß für einen Menschen in Kreuzespein eine große Trostkraft ausgeübt haben. Der HErr Selbst am Kreuze tröstete Sich wol in Seinen bittern Leiden und heißen Schmerzen mit der stillen freudenvollen Ruhe des Paradieses, und obwol Er in dasselbe nicht fahren konnte, ohne die Erniedrigung und Schmach des Todes zu erdulden, so war Ihm doch ohne Zweifel das Ausruhen von so hartem Kampfe, in dem Er war, und welcher Ihm noch bevorstand, eine kühlende Luft aus der Ewigkeit, und dieselbe haucht Er nun auch mit Seinem Worte der Verheißung dem armen Schächer hin. Die Verheißung des HErrn ist damit für den Schächer eine Verheißung aller Seiner Gnade, eine Gewisheit, daß er nicht ins Gefängnis komme, nicht verloren und verdammt sein, sondern getröstet werden, aus der Gesellschaft der Räuber genommen und in die ewige Gemeinschaft der vollendeten heiligen Seelen gebracht werden solle. Sie ist aber auch noch mehr.
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 Ihr erinnert euch, meine lieben Brüder, an jene wunderbare prophetische Stelle, welche an Großartigkeit und Grausen zugleich wenige ihresgleichen hat; ich meine die, in welcher die Ankunft des Königs von Babel in der Unterwelt dargestellt wird, wie ihm die Böcke der Welt entgegenjauchzen: „so bist auch du| gefallen, du schöner Morgenstern.“ Als gerades Gegenteil denket euch, wenn ihr wollet, die Ankunft unseres HErrn im Paradiese. Wenn auch die Paradiesesfahrt des HErrn zu Seiner Erniedrigung gerechnet werden muß, so schließt doch das keineswegs aus, daß der Abend der Ankunft des Erlösers unter allen den Seelen, die Er mit Seinem Blute erkauft hat, an Freudenerregung seines gleichen vielleicht nicht hatte, von der Zeit an, in welcher das Paradies gegründet wurde. Es geziemt uns nicht, durch Anwendung unserer Einbildungskraft uns die viel tausend einzelnen Scenen, die gesamte unaussprechliche Herrlichkeit zu vergegenwärtigen, welche den Charfreitagabend im Paradiese gekennzeichnet haben wird vor allen Abenden und Tagen der Welt. Aber o welch eine Ruhe und Erquickung wird neben dem Gefühl der Sonderung vom Leibe und also des Todeszustandes die Seele JEsu erfüllt haben. Und was für ein Erstaunen, daß es auch dem Erlöser gegangen, wie ihnen allen, daß auch Er die Scheidung Leibes und der Seele erfahren, das eigenthümliche Weh des halbirten Zustandes schmecken mußte, wird die Versammlung der Geister der vollendeten Gerechten durchdrungen haben. Aber wie werden sich auch alle von Seiner Liebe und Gnade ergriffen und zu Ihm hingezogen gefühlt haben: was für eine Vereinigung der Liebe und des Dankes, was für ein Jubel wird die gottverlobte Schaar erfüllt und wie wird das neue Lied der erlösten Geister sich zum Vater, Sohne und Geiste emporgehoben haben! Und in dieser Seligkeit und Herrlichkeit wird es gewis eine Art von Gipfel und Höhenpunkt gewesen sein, in der engsten Gemeinschaft des siegreichen Erlösers und Opfers der Welt die Seele des Schächers wahrzunehmen. In diesem einen Beispiele stellte sich| die ganze Größe des Werkes und Leidens JEsu vor die Augen aller, es konnte nicht feierlicher und herrlicher die Frucht der Versöhnung im Paradiese verkündigt werden, als durch das Einhertreten einer geheiligten Verbrecherseele neben der gottverlobten Majestät der Seele JEsu. Und was muß das alles, diese ganze selige Erfahrung auf den Schächer für einen Eindruck gemacht haben und wie muß er in der Erfüllung der Verheißung JEsu Christi am Kreuze seine kühnsten Wünsche unendlich übertroffen und alles, was er selbst gebetet hatte, versiegelt und verpfändet gesehen haben!
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 Entschuldiget mich, meine lieben Brüder, daß ich Euch die Fülle des dritten Wortes JEsu durch eine Vergegenwärtigung alles deßen vorzulegen suchte, was der Charfreitagabend gemäß den Worten unseres HErrn gebracht hat. Der Schächer am Kreuze hat vielleicht dies alles nicht so vermuthen können, wie wir es aus dem ganzen Zusammenhang des göttlichen Wortes schließen. Der HErr aber hat gewußt, was Er versprach, und wenn Er Sein Wort an den Schächer mit der eidlichen Versicherung: „Amen, ich sage dir,“ einleitet, so liegt darin nicht allein ein Hervorleuchten des großen Bewußtseins JEsu von Seiner Kraft und Allmacht, sondern auch eine so hohe Meinung von den Freuden des Paradieses ausgesprochen, daß ein armer Schächer die Verheißung derselben nur unter dem Schwure seines Erlösers sollte glauben können. Zugleich aber liegt in dem Ganzen deßen, was wir gelesen und was ich Euch gesagt habe, eine Freude und Heimweh erweckende Macht, und es muß uns allen das Herz innerlichst beben, unser Dank aus den Augen rinnen und das Opfer der Anbetung zum HErrn aufsteigen dafür, daß wir| Nachfolger des Schächers werden dürfen. Da können die Lebenden und die Sterbenden jubiliren: „der den Schächer angenommen, ist auch mir zum Heil gekommen“, und wir können uns angeleitet fühlen, den Schächer als Erstling und Herzog von uns allen anzusehen.
 Zum Schluße, meine Brüder, will ich kühnlich reden. Ich weiß, daß auch die Geschichte mit den beiden Schächern und der Inhalt des Wortes JEsu an den bußfertigen unter ihnen eine Leidensstufe des HErrn bezeichnen kann. Reißt Er Sich im zweiten Worte von den Seinen los mit Abschiedsschmerzen, so reißt Er Sich im dritten vom Leben selbst los und geht entschloßen in den Zustand der Trennung Leibes und der Seele und in das wunderliche Leben der außer dem Leibe wallenden Seele ein. So sehr das Paradies tröste, es ist hier Todeserfahrung und die will für den Erlöser, der keinen Keim des Todes in sich trägt, etwas sagen und heißen, was wir Kinder des Todes nicht ermeßen können. Aber, meine Freunde, wie gesagt, ich will kühnlich reden, denn ich glaube, daß man sagen kann, daß diese Geschichte am Kreuze und dieß Wort vom Kreuze von den Freuden des Gekreuzigten mitten in Seiner großen Pein ein großes Zeugnis ablegt. Als die Kräfte Seines heiligen Geistes von Ihm ausgiengen und für Sein Auge sichtlich an dem Schächer arbeiteten; als das Werk gelang, und die Seele des großen Sünders sich dem Geiste hingab, und sich in einer Kürze von einer Stufe der Heilsordnung zu der andern führen und heben und verklären ließ; als die Schächerspredigt vom Kreuze ergieng und| der verlorene Mörder zum gläubigen sehnsüchtigen Anbeter der gekreuzigten Majestät seines HErrn wurde; als Er, der HErr, der gelästerte, dem jetzt niemand Anbetung brachte, weil alles schwieg, den Mörder beten hörte: kann es anders sein, mußte Er Sich nicht freuen und Sein gequälter Geist, Seine betrübte Seele, Sein gepeinigter Leib wie durch einen Labetrunk vom Himmel und mehr als durch Engeltrost erquickt werden? Ach es ist eine Wahrheit, die die Erfahrenen kennen, daß mitten in den Leiden der Heiligen ein verborgener Freudenpunkt ist, auf welchem sie ruhen und von dem aus sie die schwere Last der Leiden heben. Und etwas dieser Art mag es nun wol auch gewesen sein, was unsern HErrn bei der Wahrnehmung der gewaltigen Wirkung Seiner Leiden auf den Schächer trösten konnte. Daß Seine Leiden im Himmel wirkten, Er wußte es. Daß sie auf Erden unaussprechlichen Segen wirkten, Er sah und hörte es am Schächer. Daß sie im Paradiese wirken würden, das durchdrang Ihn also, daß Er dem Schächer davon die laute Versicherung gab. So schwer Sein Gang, er war ein Gang des Gelingens. Unaufhaltsam geht Er vorwärts. Für die Feinde betet Er, die Seinen versorgt Er, die Schächer macht Er selig: so ist Er ganz in Seinem Werke: alles gelingt, und ob Ihm auch damals niemand Hosianna sang, es war Ihm doch gesungen und war erhört, und ehe der zweite Teil der Worte vom Kreuze kommt, die letzte größte Tiefe der Leiden, konnte Er an dem bisherigen die Gewisheit haben, daß alles vollends gelingen werde. Während Ihn die Leiden überflutheten, sammelten und staueten sich doch auch die Waßer Seiner Freuden, derjenigen Freuden, die Seine besonderen, Ihm eigenen sind, nämlich der Erlösersfreuden,| der Freuden des guten Hirten, der in der Kraft Seiner Leiden ein verlornes Schaf nach dem andern heimträgt dem Erstling nach ins Paradies. – Diese Freuden, HErr JEsu Christe, der Du nun aus der Angst und dem Gerichte genommen bist, aber noch immer wie damals verlorne Schafe suchst, möchte ich Dir auch machen helfen, dadurch, daß ich mich zu Dir wende, wie mein Erstling, der Schächer am Kreuz. Diese Freuden wünsche ich Dir an allen meinen Brüdern und Schwestern; es ist das Einzige, was man Dir wünschen kann, der Du alles übrige bereits besitzest, oder doch hast, als besäßest Du es schon. Diese Freuden möchte ich einstmals mit Dir theilen, wenn ich bei Dir bin in Deiner Paradiesesstadt, und dann tagtäglich unter dem Jubel derer, die Du früher fandest, immer neue Schafe aus der Verlorenheit zu Deiner Herde gesammelt werden. HErr JEsu, sprich mir, auf daß mir zu Teil werde, was ich wünsche, jetzt und in der Stunde meines Abschieds ein kräftiges und trostreiches Wort von meiner Zukunft ins Paradies in meine Seele, und hilf mir zu Schächers Trost, zu Schächers Seligkeit und wenn es Dein Wille ist, zu Deines guten Schächers Herrlichkeit. Amen.




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