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Entweder hat dieser Verbrecher schon früherhin in Kreißen gelebt, in denen über den HErrn und über die Hoffnung Israels viel geredet wurde, oder es war in dem ganzen Volke die Geschichte und das Wirken JEsu bekannter und besprochener, als wir uns denken; denn ein drittes anzunehmen, nämlich daß dem Schächer durch unmittelbare Eingebung JEsu und Seines Geistes auf einmal das alles zu Sinn gekommen, dazu haben wir keine Veranlaßung. Dieser Schächer hat aber nicht allein Erkenntnis JEsu, er hat Erkenntnis sein selbst, er weiß sein todeswürdiges Verhalten und sagt es gerade heraus, daß er wie der andere mit Recht in dieser Verdammnis seien. Seine Sündenerkenntnis ist also Bekenntnis, und zwar gewis kein reueloses, denn er wagt etwas, indem er seine Missethat bekennt, den mitgekreuzigten Schächer straft und die Unschuld JEsu anerkennt. Zur Buße aber kommt bei ihm ein hoher Glaube: er begehrt nicht durch Christi Hilfe vom Kreuze genommen zu werden, davon sagt er kein Wort; er stirbt, aber nicht in Verzweiflung, auch nicht in der Meinung, daß sich in seinem Tode seine Seele in nichts auflöse, wie der Rauch in die Luft, denn er bittet um etwas, was ihm erst nach seinem Tode gewährt werden kann; dabei bittet er so zweifellos, daß man merkt, es ist ihm bereits eine innere Zuversicht gegeben, daß er, obwohl ein Schächer, so Großes bitten darf. Sein Glaube ist ein bittender, ja ein betender, an der Hand Christi in ein anderes Leben hinübergreifender, ja eine Herrlichkeit des ewigen Lebens ergreifender mächtiger Glaube. Diesem Schächer ist es gegangen wie hernach dem Hauptmann. Er sieht den Heiland am Kreuz in voller Schmach und Erniedrigung, in schweren Todesleiden. Wenn ihm durch die Behandlung