CCXXI. Der Himalayah Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band (1838) von Joseph Meyer
CCXXII. Segovia in Spanien
CCXXIII. Frauenstein bei Freiberg im Erzgebirge
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SEGOVIA
in Spanien

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CCXXII. Segovia in Spanien.




Segovia (10,000 Einw.; einst 80,000!) dessen Erbauer, der Sage nach, Herkules selbst war, und dessen reiche Minen und blühenden Gefilde im Alterthume berühmt gewesen, ist noch jetzt eine der malerischsten Städte Spaniens. Sie liegt auf einem schmalen und steilen Felsriff, der sich zwischen zwei tiefen Thälern hinzieht, in welchen die Flüsse Eresma und Arova strömen, welche sich unterhalb der Stadt vereinigen. Zur Zeit der arabischen Herrschaft war sie die Residenz eines Königs. Die reichen Minen sind längst verloren gegangen, die Kultur ist gewichen und die Gegend ist verwildert; aber in der wohlerhaltenen Trajanischen Wasserleitung und dem Alkazar (dem Pallaste der maurischen Könige) bewahrt Segovia noch Monumente seiner glänzendsten Zeiten.

Der Aquaedukt beginnt in den Hügeln von Ildefonso, und führt das Wasser auf einer sehr beträchtlichen Länge über das Thal zur Mitte der Stadt. Anfänglich sind, wie sich von selbst versteht, seine Bogen niedrig. Langsam nehmen sie zu an Höhe; am Fuße der alten Stadtmauer thürmen sie 120 Fuß hoch sich auf. Dort sind zwei Reihen Bögen über einander gesprengt; ein vortrefflicher Gedanke des Baumeisters, um den Schein der Schwäche zu vermeiden. Am schönsten nimmt sich der Aquaedukt aus, wenn die Morgensonne strahlend durch die obern Bogen bricht, die Pfeiler der untern aber tief in Schatten sich hüllen, und gleichsam auf dem leichten Nebel nur zu ruhen scheinen, mit welchem der Fluß das Thal anfüllt. So betrachtet ist er einer Brücke ähnlich, die, über 3000 Fuß lang, die Stadt mit dem fernen Gebirge verbindet. Von der Stadt selbst sieht man blos die höchsten Kuppeln und die Glockenthürme, deren kupferne Dächer blendende Strahlen aussenden.

Die Leitung führt bis zum höchsten Punkt der Stadt, wo sie sich in einem Reservoir ausmündet, von welchem Röhren das Wasser in Ueberfluß den entferntesten Quartieren zubringen, und Plätze und Märkte mit kühlenden Springbrunnen zieren. Es war ein schöner, eines Welteroberergeistes würdiger Gedanke, die sprudelnden Quellen in dem fernen Gebirge zu sammeln und mit einem solchen für die Ewigkeit gebauten Werke der Wohlthäter einer Stadt für alle Zeiten zu werden. Interessant ist der Vergleich zwischen alter und neuer Bauart, wozu sich, da der Aquaeduct einige der Hauptstraßen überspannt, hier die beste Gelegenheit bietet. An einer Stelle schreitet der Römerbau über eine Kirche weg und über den gegenüber liegenden Palast. Wie nobel und herrlich erscheint jener, wie spricht das Ebenmaaß seiner Verhältnisse, die Einfachheit seiner Form so wohlgefällig an: wie widerlich und ungestaltet [92] dagegen erscheinen die kleinlichen Gebäude späterer Zeiten und anderer Völker, wie sinnlos sind ihre Verzierungen, wie plump und unverständig ihre Verhältnisse!

In der stolzen Seele des Römers lag keine Ahnung von der Möglichkeit eines Wechsels der Dinge. Er setzte überall die Ewigkeit seines Staats voraus; deshalb auch Dauer für die Ewigkeit oberster Zweck in allen seinen öffentlichen Werken war. Durch sie spottete er gleichsam der Zeit und den Elementen. – Baumeistern späterer Völker scheint hingegen immer der Gedanke der Vergänglichkeit zur Seite gewesen zu seyn; – sie bauten für das Jahrhundert, höchstens für das Jahrtausend. – Der Aquaedukt ist von Granitquadern aufgeschichtet, ohne irgend ein Cement, oder Mörtel. Die Quadern sind auf einander geschliffen und nach drittehalbtausend Jahren ist noch kein Stein um ein Haar aus dem Lothe gewichen, oder geht ein Tropfen Wasser durch Versickerung verloren. Wenn aber je dieses Werk einmal vergehen sollte, so ist es gewiß nur durch die Sorglosigkeit der Segovier, welche die Wohlthat des Ueberflusses an herrlichem Trinkwasser nicht einmal mit der geringen Mühe vergelten mögen, den Aquaeduct von Unrath zu reinigen und von dem Strauch- und Buschwerke zu befreien, das ihn überwachsen hat, und während es ihn ziert, allmählich zu zerstören droht.

Nächst der antiken Wasserleitung ist der alte Palast der Maurischen Könige das merkwürdigste Gebäude Segovia’s. Der Alkazar hat durch den Gil-Blas des Lesage classischen Ruf durch die gebildete Welt. Er steht frei auf einem Felsen und seine burgähnliche Form beweist, daß er den doppelten Zweck einer Zitadelle und Königswohnung vertreten mußte. Er beherrscht die lieblichsten Aussichten in die tiefen Thäler und Auen der Eresma und Arova, über die hügeliche Landschaft und zur hochgipflichen Sierra, welche jene in blauer Ferne bekränzt.

– „Ich verlangte einen Führer zum Schlosse. Der Wirth packte einen behenden, barfußen Buben an, und rief ihm zu, er solle mich begleiten. Auf breiten, großen Stufen war die Höhe bald erstiegen und wir waren am Thore. Ein alter Invalide kam nach langem Klopfen, frug und öffnete mit gleichgültiger Miene. Schweigend führte er uns durch ein finsteres Gewölbe und pochte an einer kleinen Pforte. Sie wurde von innen geöffnet. Wir sahen uns in einem weiten Hofe, auf welchem einige 40 zerlumpte Menschen mit wilden, ausdrucksvollen Zügen im Grase lagerten, oder in Gruppen umher standen und sich unterhielten. „Gefangene Carlisten!“ antwortete unserer Frage der Invalid, der an der Pforte seine Cigarre schmauchte und als Wache fungirte. Aber mein Cicerone erklärte mir, daß ich mich auf dem ehemaligen Turnierhofe der maurischen Könige befände.

Wir schritten über den kothigen Raum einem in’s Innere führenden Thore zu. Begleitet von einem der Unteroffiziere, der in der Halle saß, ging es eine Wendeltreppe hinan, dann über einen langen Corridor. Wir traten in den Rittersaal. Er war getragen von schlanken Säulchen, auf welchen tief herabgehende [93] Bogen in der gewöhnlichen maurischen Hufeisenform ruheten. Uebrigens war alles leer und öde; und der Unrath von Vögeln, der auf dem Boden lag, gab ein übles Zeugniß von der Tüchtigkeit der Fenster. Von da passirten wir eine Menge Gemächer, meistens klein und unansehnlich, oft schmutzig bis zum Ekel und meistens durch winkliche Corridors mit einander verbunden. Ich hatte es anders erwartet, war getäuscht und verlangte, müde etwas zu besehen, was nicht des Besehens werth war, zurück. „Ich will nur noch einen Kranken besuchen,“ antwortete der Corporal und öffnete eine kleine verschlossene Thüre, vor der wir standen. Ein hoher, ehrwürdiger Greis trat uns entgegen; sein kahler Kopf war voll Ausdruck. Der Corporal fragte ihn, ob er was essen wolle. „Nein,“ antwortete der Alte; „aber bringt mir einen Krug frisches Wasser. Ich bin sehr durstig. Der Kleine da holt mir’s wohl,“ setzte er hinzu, und auf einen Wink des Corporals nahm mein Bube den Krug und eilte damit fort. Ich sah mich um in der engen Zelle. Sie ließ kaum für uns den nöthigen Raum übrig; hatte aber eine köstliche Aussicht über das Thal und den Wald in’s Gebirge. Die Geräthe bestanden aus einem Rohrstuhle, einem Tische und einer Bettlade mit ein Paar Matratzen. Auf dem Tische lag ein Gebetbuch, einige Papiere, Winkelmaß und Cirkel. Ich äußerte dem Greise meine Theilnahme und den Wunsch, etwas von seinem Schicksale und der Ursache zu erfahren, die ihn hierher gebracht hatte. „Sie vermuthen einen Carlisten in mir;“ – sagte er gelassen; „aber Sie irren. Ich büße das Verbrechen, den Versuch gemacht zu haben, meinem unglücklichen Sohne das Leben zu retten. Dieser, taub meinen Bitten, war der Fahne des Prätendenten gefolgt. Die Guerilla, welche er befehligte, wurde zerstreut. Verfolgt, floh er des Nachts in’s väterliche Haus. Er war mein einziges Kind. Ich hielt ihn wochenlang verborgen. Vergebens. Entdeckt, wurde er zum Richtplatze geführt. Grausam machte man mich zum Zeugen seines Todes, und der Akt der Vaterliebe wurde interpretirt als Beweis Carlistischer Gesinnung. Die Regierung dekretirte Confiskation meines Vermögens und gab mir diese Zelle zur Wohnung. Hier bin ich nun seit drei Jahren. Aber der Abend meines Lebens ist vorüber gegangen und die Nacht bricht schnell herein. Ich bin nicht unglücklich; – ersparen Sie sich,“ – sagte er, mich mit heiterm Blick fixirend, – „das Wehgefühl des Bedauerns, das ich in Ihren Augen lese.“ Ich frug ihn, ob er keinen Freund, oder Bekannten in Madrid habe, der sich seiner annehmen könne. „Lassen Sie das,“ antwortete der Alte; „meine Zelle ist mir der liebste Aufenthalt auf der Erde geworden; Befreiung hoffe ich nur von oben.“ Ich suchte das Gespräch ab und auf die politischen Verhältnisse seines Vaterlandes zu lenken. Er schien mit den Ereignissen der Gegenwart bekannt, und seine Theilnahme doch etwas lebendiger zu seyn, als ich nach der vorhergehenden Aeußerung vermuthen durfte. Er sprach mit Kürze und Bestimmtheit und dem Freimuth eines Mannes, der das Leben mit seiner Furcht und seinem Hoffen hinter sich liegen hat, wie eine vollendete Reise. „Spanien lebt,“ sagte er, „in einer Uebergangsepoche. Jede Verwandlung ist Qual, und das lebende Geschlecht fühlt ihre Schmerzen, ohne ihre Lust zu genießen. Ich habe den Prozeß seit 50 Jahren [94] beobachtet, und er ist noch im ersten Stadium. In keiner Erscheinung ist noch Bleibendes. Alles ist noch Gährung; Ideen und Vorstellungen entstehen und vergehen wie Blasen. Man adoptirt sie und läßt sich für sie todtschlagen, oder schlägt Andere todt. Es geht aber andern Völkern auch nicht besser. Erst kamen die Franzosen mit weißen Bändern und Lilien, und fochten mit uns für unsern König; dann kamen sie mit dreifarbigen und mit Adlern und schleppten ihn fort und sperrten ihn ein. Dann kamen die Engländer und stritten mit unsern Mönchen für die Ehre der heiligen Jungfrau, und nun sind sie wieder da und helfen die Klöster aufheben und die Mönche erschießen. Bald predigen die Fremden, bald predigen die Unsrigen Haß, oder Liebe, bald dem absoluten, bald dem constitutionellen Königthum, bald mußte man beide verleugnen und die Republick hoch leben lassen, wollte man nicht als Aristokrat am Stricke baumeln. Ist in dem Allen Verstand gewesen, oder Beständigkeit? Sie sehen, so hat jedes Volk und jeder Tag in dieser Gährungsperiode seine Ratte. Unsere Zeit bläßt Seifenblasen, und dem Zuschauer kommt sie schaal und unerträglich vor, wie große Leute, wenn sie mit Kindertand spielen. Jede Gegenwart hält sich für allein klug, und jeder Gläubige an das Thier des Tages für den Alleinrechtgläubigen. Niemand will irren, weil Alle befangen sind im Irrthum. Keiner gibt zu, daß Das, was für den Augenblick geboren ist, nicht für den nächsten zu leben hat. Doch – (der Junge trat mit dem Wasserkrug herein!) Sie wollen zu Hause.“ Und mir die Hand reichend, setzte er erst feierlich hinzu: „Wir sehen uns nicht wieder. Laß die feige Weisheit der Zeit Dein Ohr nicht bethören, oder Dir von ihrem Unglauben das Herz vergiften. Vertraue und hoffe! Ohne den Willen Dessen, der die Welten schuf, und den Menschen, und den Seraph, und den Wurm, und Jeden seine Bestimmung erfüllen läßt, wird auch kein Steinchen am Bau der Menschheit anders gelegt werden, als es werden soll, und – fällt auch kein Haar von Deinem Haupte.“ –