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dagegen erscheinen die kleinlichen Gebäude späterer Zeiten und anderer Völker, wie sinnlos sind ihre Verzierungen, wie plump und unverständig ihre Verhältnisse!

In der stolzen Seele des Römers lag keine Ahnung von der Möglichkeit eines Wechsels der Dinge. Er setzte überall die Ewigkeit seines Staats voraus; deshalb auch Dauer für die Ewigkeit oberster Zweck in allen seinen öffentlichen Werken war. Durch sie spottete er gleichsam der Zeit und den Elementen. – Baumeistern späterer Völker scheint hingegen immer der Gedanke der Vergänglichkeit zur Seite gewesen zu seyn; – sie bauten für das Jahrhundert, höchstens für das Jahrtausend. – Der Aquaedukt ist von Granitquadern aufgeschichtet, ohne irgend ein Cement, oder Mörtel. Die Quadern sind auf einander geschliffen und nach drittehalbtausend Jahren ist noch kein Stein um ein Haar aus dem Lothe gewichen, oder geht ein Tropfen Wasser durch Versickerung verloren. Wenn aber je dieses Werk einmal vergehen sollte, so ist es gewiß nur durch die Sorglosigkeit der Segovier, welche die Wohlthat des Ueberflusses an herrlichem Trinkwasser nicht einmal mit der geringen Mühe vergelten mögen, den Aquaeduct von Unrath zu reinigen und von dem Strauch- und Buschwerke zu befreien, das ihn überwachsen hat, und während es ihn ziert, allmählich zu zerstören droht.

Nächst der antiken Wasserleitung ist der alte Palast der Maurischen Könige das merkwürdigste Gebäude Segovia’s. Der Alkazar hat durch den Gil-Blas des Lesage classischen Ruf durch die gebildete Welt. Er steht frei auf einem Felsen und seine burgähnliche Form beweist, daß er den doppelten Zweck einer Zitadelle und Königswohnung vertreten mußte. Er beherrscht die lieblichsten Aussichten in die tiefen Thäler und Auen der Eresma und Arova, über die hügeliche Landschaft und zur hochgipflichen Sierra, welche jene in blauer Ferne bekrånzt.

– „Ich verlangte einen Führer zum Schlosse. Der Wirth packte einen behenden, barfußen Buben an, und rief ihm zu, er solle mich begleiten. Auf breiten, großen Stufen war die Höhe bald erstiegen und wir waren am Thore. Ein alter Invalide kam nach langem Klopfen, frug und öffnete mit gleichgültiger Miene. Schweigend führte er uns durch ein finsteres Gewölbe und pochte an einer kleinen Pforte. Sie wurde von innen geöffnet. Wir sahen uns in einem weiten Hofe, auf welchem einige 40 zerlumpte Menschen mit wilden, ausdrucksvollen Zügen im Grase lagerten, oder in Gruppen umher standen und sich unterhielten. „Gefangene Carlisten!“ antwortete unserer Frage der Invalid, der an der Pforte seine Cigarre schmauchte und als Wache fungirte. Aber mein Cicerone erklärte mir, daß ich mich auf dem ehemaligen Turnierhofe der maurischen Könige befände.

Wir schritten über den kothigen Raum einem in’s Innere führenden Thore zu. Begleitet von einem der Unteroffiziere, der in der Halle saß, ging es eine Wendeltreppe hinan, dann über einen langen Corridor. Wir traten in den Rittersaal. Er war getragen von schlanken Säulchen, auf welchen tief herabgehende

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/164&oldid=- (Version vom 4.9.2024)