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beobachtet, und er ist noch im ersten Stadium. In keiner Erscheinung ist noch Bleibendes. Alles ist noch Gährung; Ideen und Vorstellungen entstehen und vergehen wie Blasen. Man adoptirt sie und läßt sich für sie todtschlagen, oder schlägt Andere todt. Es geht aber andern Völkern auch nicht besser. Erst kamen die Franzosen mit weißen Bändern und Lilien, und fochten mit uns für unsern König; dann kamen sie mit dreifarbigen und mit Adlern und schleppten ihn fort und sperrten ihn ein. Dann kamen die Engländer und stritten mit unsern Mönchen für die Ehre der heiligen Jungfrau, und nun sind sie wieder da und helfen die Klöster aufheben und die Mönche erschießen. Bald predigen die Fremden, bald predigen die Unsrigen Haß, oder Liebe, bald dem absoluten, bald dem constitutionellen Königthum, bald mußte man beide verleugnen und die Republick hoch leben lassen, wollte man nicht als Aristokrat am Stricke baumeln. Ist in dem Allen Verstand gewesen, oder Beständigkeit? Sie sehen, so hat jedes Volk und jeder Tag in dieser Gährungsperiode seine Ratte. Unsere Zeit bläßt Seifenblasen, und dem Zuschauer kommt sie schaal und unerträglich vor, wie große Leute, wenn sie mit Kindertand spielen. Jede Gegenwart hält sich für allein klug, und jeder Gläubige an das Thier des Tages für den Alleinrechtgläubigen. Niemand will irren, weil Alle befangen sind im Irrthum. Keiner gibt zu, daß Das, was für den Augenblick geboren ist, nicht für den nächsten zu leben hat. Doch – (der Junge trat mit dem Wasserkrug herein!) Sie wollen zu Hause.“ Und mir die Hand reichend, setzte er erst feierlich hinzu: „Wir sehen uns nicht wieder. Laß die feige Weisheit der Zeit Dein Ohr nicht bethören, oder Dir von ihrem Unglauben das Herz vergiften. Vertraue und hoffe! Ohne den Willen Dessen, der die Welten schuf, und den Menschen, und den Seraph, und den Wurm, und Jeden seine Bestimmung erfüllen läßt, wird auch kein Steinchen am Bau der Menschheit anders gelegt werden, als es werden soll, und – fällt auch kein Haar von Deinem Haupte.“ –



Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/166&oldid=- (Version vom 4.9.2024)