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CCXXII. Segovia in Spanien.




Segovia (10,000 Einw.; einst 80,000!) dessen Erbauer, der Sage nach, Herkules selbst war, und dessen reiche Minen und blühenden Gefilde im Alterthume berühmt gewesen, ist noch jetzt eine der malerischsten Städte Spaniens. Sie liegt auf einem schmalen und steilen Felsriff, der sich zwischen zwei tiefen Thälern hinzieht, in welchen die Flüsse Eresma und Arova strömen, welche sich unterhalb der Stadt vereinigen. Zur Zeit der arabischen Herrschaft war sie die Residenz eines Königs. Die reichen Minen find längst verloren gegangen, die Kultur ist gewichen und die Gegend ist verwildert; aber in der wohlerhaltenen Trajanischen Wasserleitung und dem Alkazar (dem Pallaste der maurischen Könige) bewahrt Segovia noch Monumente seiner glänzendsten Zeiten.

Der Aquaedukt beginnt in den Hügeln von Ildefonso, und führt das Wasser auf einer sehr beträchtlichen Lange über das Thal zur Mitte der Stadt. Anfänglich sind, wie sich von selbst versteht, seine Bogen niedrig. Langsam nehmen sie zu an Höhe; am Fuße der alten Stadtmauer thurmen sie 120 Fuß hoch sich auf. Dort sind zwei Reihen Bögen über einander gesprengt; ein vortrefflicher Gedanke des Baumeisters, um den Schein der Schwäche zu vermeiden. Am schönsten nimmt sich der Aquaedukt aus, wenn die Morgensonne strahlend durch die obern Bogen bricht, die Pfeiler der untern aber tief in Schatten sich hüllen, und gleichsam auf dem leichten Nebel nur zu ruhen scheinen, mit welchem der Fluß das Thal anfüllt. So betrachtet ist er einer Brücke ähnlich, die, über 3000 Fuß lang, die Stadt mit dem fernen Gebirge verbindet. Von der Stadt selbst sieht man blos die höchsten Kuppeln und die Glockenthürme, deren kupferne Dächer blendende Strahlen aussenden.

Die Leitung führt bis zum höchsten Punkt der Stadt, wo sie sich in einem Reservoir ausmündet, von welchem Röhren das Wasser in Ueberfluß den entferntesten Quartieren zubringen, und Plätze und Märkte mit kühlenden Springbrunnen zieren. Es war ein schöner, eines Welteroberergeistes würdiger Gedanke, die sprudelnden Quellen in dem fernen Gebirge zu sammeln und mit einem solchen für die Ewigkeit gebauten Werke der Wohlthäter einer Stadt für alle Zeiten zu werden. Interessant ist der Vergleich zwischen alter und neuer Bauart, wozu sich, da der Aquaeduct einige der Hauptstraßen überspannt, hier die beste Gelegenheit bietet. An einer Stelle schreitet der Römerbau über eine Kirche weg und über den gegenüber liegenden Palast. Wie nobel und herrlich erscheint jener, wie spricht das Ebenmaaß seiner Verhältnisse, die Einfachheit seiner Form so wohlgefällig an: wie widerlich und ungestaltet

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/163&oldid=- (Version vom 4.9.2024)