CCXX. Der Donaustrudel Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band (1838) von Joseph Meyer
CCXXI. Der Himalayah
CCXXII. Segovia in Spanien
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DER HIMMALAJAH
vom Flecken Kursalee in Hoch-Indien

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CCXXI. Der Himalayah.




Die glühenden Ebenen von Hindostan sind dem Europäer im Sommer Kerker, und die Sonne ist sein Gefangenwärter. Er darf dann, außer am späten Abend und in der frischen Morgenstunde, nicht wagen, seine Wohnung zu verlassen. Die Meisten, welche diese Regel vernachlässigen, raffen Typhus und Fieber hinweg.

Bevor die Britten ihre Herrschaft über Hochindien ausgedehnt und befestigt hatten, war es ihren Beamten vergönnt, zu ihrer Erholung jährlich einige Monate in die gesünderen Seestädte zu ziehen, und viele brachten ihre Urlaubszeit auf dem Kap zu. Seit zwei Jahrzehnten hat sich dieß geändert. Im unbestrittenen Besitz der ganzen südwestlichen Seite des indischen Hochalpenlandes haben die Britten aus den Ebenen bequeme Fahrstraßen in jene Gebirgswelt gezogen, und mit dem Eintritt der heißen Jahreszeit wandern sie aus den Städten der Niederungen schaarenweise in ihre asiatische Schweiz, wie die Engländer in der Heimath in die europäische ziehen. Auf jene langen Ferien hofft der Beamte und Kaufmann in Indien, wie der Gefangene auf seine Befreiung. Schon Wochen vorher sieht man überall in den Häusern die Vorbereitungen zum Umzug. Es werden Vorräthe gerüstet, Kisten und Körbe gepackt, und Saumthiere, beladen, vorausgeschickt. Befreundete Familien treten in Gesellschaften zusammen, und der Tag des Aufbruchs ist ein Tag des Jubels. – Zuerst wird die bengalische Ebene durchzogen. Auf den trefflichen Heerstraßen geschieht dieß schnell, und das Aufsteigen beginnt. Anfänglich ist’s kaum merklich. Der Weg geht durch Wälder, die das Hochgebirg in seiner ganzen südlichen Ausdehnung umsäumen. Prachtvoller Baumwuchs entsproßt dem von tausend Quellen befeuchteten Boden, und Lianen und blühende Schmarotzerpflanzen aller Art knüpfen die Riesen der vegetabilischen Welt mit bunten und grünen Guirlanden anmuthig zusammen. Ueberall ist Kraft und Fülle einer noch jungfräulichen Natur. Man hört Vögel singen, und das widrige Geheul der Schakals und Tiger der Ebene erschreckt nicht mehr. Feierlich rauscht’s in den hohen Wipfeln, und man athmet schon erquickende, balsamische Gebirgsluft.

Der Waldgürtel des Himalayah ist wenig bevölkert. Es bewohnen ihn Hirten, die ihre Heerden im Walde weiden lassen, Honig und andere Produkte sammeln, und sie gegen die Artikel der Ebene tauschen. Ihre [89] Häuser sind von Holz und elend, ihre Kleidung ist ein schwarzer Mantel. Sie führen zum Schutze ihrer Heerden Waffen. Der Waldbewohner ist schwarzgelb, mager; aber ein kräftiger Menschenschlag.

Die Waldregion hat eine Breite von 5 bis 15 Meilen. Nach dem Gebirge zu wird sie lichter, das Terrain stücklichter. Felsen werden sichtbar, und die tief gefurchten Abhänge bilden häufige Schluchten. Muntere, chrystallhelle Bergströme rauschen entgegen, die Gegend ist angebauter und auf den mit Felsstücken besäeten Wiesen und Triften stehen steinerne Wohnungen, mit kleinen Gärten und Getreidefeldern umgeben. Mit jeder Viertelmeile entfaltet sich nun mehr und mehr der Charakter der Alplandschaft. Die Straßen winden sich, wie die Straßen der Schweiz, im Zickzack steilen Bergwänden hinan, oder an Schluchten hin, und suchen über kühn geschlagene Brücken bald das eine, bald das andere Ufer der Bergströme. Wie in den untern Regionen auf der Südseite der Schweizergebirge, zeigt sich allenthalben üppiger Pflanzenwuchs; Lianen ranken als Guirlanden durch die Bäume, Hirsche und Rehe streifen vorüber, und in den hohen Wipfeln wiegen sich Phasanen, oder spielen Affen. Weiter hinauf, mit 4-5000 Fuß Höhe, beginnt die Vegetation kälterer Klimate. An den sonnigen Wänden rankt der sorgfältig gepflegte Weinstock, und um die Wohnungen, ganz schweizerischer Bauart und Form, breiten sich Pflanzungen von Kirsch und Birnbäumen und Aprikosen, und Korn und Weizenfeldern aus. Wilde Rosen, Hagebutten, Himbeeren und Brombeersträuche bedecken die zur Kultur weniger geschickten Striche, und die verwitterten Felsblöcke, Geschiebe der hohen Urberge, sind überzogen mit Erdbeeren, die das ganze Jahr hindurch zugleich Blüthen und Früchte tragen. Die Menschen sind von denen der tiefern Regionen vortheilhaft unterschieden. Sie sind weißer, schlank, stark, gewandt, frohsinnig und gastfrei. Mit ächt schweizerischer Beharrlichkeit machen sie die Felswände und rolligen Abhange urbar, und ihr Fleiß ersetzt, was die Natur dem Erdreich versagt hat. Diese Region, deren höchste Bergkuppen 9000 Fuß erreichen, bildet den dritten Gürtel um den eigentlichen Himalayah. Man erschrickt, wenn man jene Berge betrachtet und sich denkt, daß man auf ihren Gipfeln die höchsten Kegel noch 16,000 Fuß über sich sehen würde. Es prangt diese Landschaft mit Seen, mit Wasserfällen, Staubbächen und allen Wundern der Alpenwelt. Nur die Eismeere und Schneewüsten fehlen noch; sie sind der höchsten Region vorbehalten.

Innerhalb der mittlern Bergkette liegert eine Menge Dörfer und Flecken, und hier finden die Sommerwanderungen der englischen Familien aus den Städten und Ebenen Hindostans ihr Ziel. Jagd und Streifereien in das Hochgebirge füllen den Ankömmlingen die Zeit schnell aus und das Vergnügen ist hier in nicht weniger mannichfaltigen Formen zu Hause, als in der Schweiz, wenn es auch zur Zeit noch nicht mit derselben Bequemlichkeit genossen werden kann. Doch haben sich seit einigen Jahren eine Menge europäischer Gastwirthe angesiedelt, und viele Familien besitzen schöne Villen.

[90] Erst wenn man die mittlere Bergkette überstiegen hat, treten die Schneegebirge Thibets, (der eigentliche Himalayah,) die sich seit dem Verlassen der Ebene den Blicken gänzlich entzogen hatten, wieder vor’s Auge. Ihr Anblick ist zermalmend, und Worte sind unfähig, die Majestät und Pracht derselben zu schildern. Weder die Savoyschen Alpen, noch Norwegens großartige Gebirgsnatur, noch die des Kaukasus geben einen Maaßstab, sowohl in Hinsicht der Pracht der Gruppirung, als des Riesenhaften aller Verhältnisse. Kein Menschenauge, das diese Alpenwelt zuerst erblickt, bleibt ohne Thränen der Rührung, oder unergriffen von der Herrlichkeit und Größe ihres Schöpfers.

Besonders imposant ist der Blick in den Himalayah von dem Dorfe Kursalee aus, das auf dem Plateau der mittlern Gebirgskette, unfern von der Schlucht liegt, die sich der Jumna, 600 Fuß tief, in den Felsen gewühlt hat. Fast 7000 Fuß hoch über der bengalischen Ebene gelegen, besteht es aus etwa 30 Häusern. Sie werden von Brahminen bewohnt, welche von den Almosen vorüberwandernder Pilger zu den heiligen Quellen des Jumna leben. Der Ort hat ganz das Ansehen eines Schweizer Alpendorfes. Hafer, Gerste, alle Baumarten der deutschen Wälder, kommen gut fort und in den Gärten gedeihen Erbsen, Bohnen und andere europäische Gemüse in Menge. An den Wänden einiger Häuser sind Kirsch- und Pflaumenbäume spaliermäßig gezogen. Die Winter sind zwar lang und strenge: aber die rasche Entwickelung der Vegetation in den Sommermonaten entschädigt wieder.

Von diesem Punkte breitet sich das Hochgebirge fächerartig aus. In einem Halbkreise von etwa 30 deutschen Meilen öffnet sich dem Blicke eine Welt des Todes, in der sich Gletscher auf Gletscher thürmen, Schneewüsten über Schneewüsten ragen. Pyramidenförmig steigen Bergriesen[1] aus ihnen empor und zittern wie Geistergestalten in dem Blau des Himmels. Aber ich bekenne mein Unvermögen, solche Szenen zu malen und lege den Griffel nieder.




  1. Die Höhe dieser für immer unersteiglichen Gipfel ist, nach den englischen Messungen, 22–26000 Fuß über der Meeresfläche. Der Kaukasus, nach dem Himalayah das höchste Gebirge Asiens, hat nur 17,000 Fuß. Der Chimborasso in Peru ist noch nicht 20,000 Fuß hoch; der Montblanc nicht viel über 14,000. Jene Piks wurden also den letzteren um fast 12,000 Fuß überragen.