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Häuser sind von Holz und elend, ihre Kleidung ist ein schwarzer Mantel. Sie führen zum Schutze ihrer Heerden Waffen. Der Waldbewohner ist schwarzgelb, mager; aber ein kräftiger Menschenschlag.

Die Waldregion hat eine Breite von 5 bis 15 Meilen. Nach dem Gebirge zu wird sie lichter, das Terrain stücklichter. Felsen werden sichtbar, und die tief gefurchten Abhänge bilden häufige Schluchten. Muntere, chrystallhelle Bergströme rauschen entgegen, die Gegend ist angebauter und auf den mit Felsstücken besäeten Wiesen und Triften stehen steinerne Wohnungen, mit kleinen Gärten und Getreidefeldern umgeben. Mit jeder Viertelmeile entfaltet sich nun mehr und mehr der Charakter der Alplandschaft. Die Straßen winden sich, wie die Straßen der Schweiz, im Zickzack steilen Bergwänden hinan, oder an Schluchten hin, und suchen über kühn geschlagene Brücken bald das eine, bald das andere Ufer der Bergströme. Wie in den untern Regionen auf der Südseite der Schweizergebirge, zeigt sich allenthalben üppiger Pflanzenwuchs; Lianen ranken als Guirlanden durch die Bäume, Hirsche und Rehe streifen vorüber, und in den hohen Wipfeln wiegen sich Phasanen, oder spielen Affen. Weiter hinauf, mit 4-5000 Fuß Höhe, beginnt die Vegetation kälterer Klimate. An den sonnigen Wänden rankt der sorgfältig gepflegte Weinstock, und um die Wohnungen, ganz schweizerischer Bauart und Form, breiten sich Pflanzungen von Kirsch und Birnbäumen und Aprikosen, und Korn und Weizenfeldern aus. Wilde Rosen, Hagebutten, Himbeeren und Brombeersträuche bedecken die zur Kultur weniger geschickten Striche, und die verwitterten Felsblöcke, Geschiebe der hohen Urberge, sind überzogen mit Erdbeeren, die das ganze Jahr hindurch zugleich Blüthen und Früchte tragen. Die Menschen sind von denen der tiefern Regionen vortheilhaft unterschieden. Sie sind weißer, schlank, stark, gewandt, frohsinnig und gastfrei. Mit ächt schweizerischer Beharrlichkeit machen sie die Felswände und rolligen Abhange urbar, und ihr Fleiß ersetzt, was die Natur dem Erdreich versagt hat. Diese Region, deren höchste Bergkuppen 9000 Fuß erreichen, bildet den dritten Gürtel um den eigentlichen Himalayah. Man erschrickt, wenn man jene Berge betrachtet und sich denkt, daß man auf ihren Gipfeln die höchsten Kegel noch 16,000 Fuß über sich sehen würde. Es prangt diese Landschaft mit Seen, mit Wasserfällen, Staubbächen und allen Wundern der Alpenwelt. Nur die Eismeere und Schneewüsten fehlen noch; sie sind der höchsten Region vorbehalten.

Innerhalb der mittlern Bergkette liegert eine Menge Dörfer und Flecken, und hier finden die Sommerwanderungen der englischen Familien aus den Städten und Ebenen Hindostans ihr Ziel. Jagd und Streifereien in das Hochgebirge füllen den Ankömmlingen die Zeit schnell aus und das Vergnügen ist hier in nicht weniger mannichfaltigen Formen zu Hause, als in der Schweiz, wenn es auch zur Zeit noch nicht mit derselben Bequemlichkeit genossen werden kann. Doch haben sich seit einigen Jahren eine Menge europäischer Gastwirthe angesiedelt, und viele Familien besitzen schöne Villen.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/159&oldid=- (Version vom 4.9.2024)