Schloss Schwarzburg in Thüringen

CCLXII. Carlscrona Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band (1839) von Joseph Meyer
CCLXIII. Schloss Schwarzburg in Thüringen
CCLXIV. Das Eskurial
  Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
[Ξ]

SCHWARZBURG

[77]
CCLXIII. Schloss Schwarzburg in Thüringen.




     Längst sanken die Schlösser in ewige Nacht,
          Der Ritter auf Thüringer Erde;
     Die Schwarzburg allein, in herrlicher Pracht, –
          Noch prangt sie, wie eine Verklärte.
Wie blickt sie dort bräutlich im Walde heraus,
Die gräfliche Burg, nun das fürstliche Haus.

     Was mag doch wohl die Ursach’ seyn
          So selt’nen Glücks? wirst du fragen.
     Der Segen, der kommt von oben herein,
          Mein Freund! – Doch will ich dir’s sagen:
Die Schwarzburg gab Schutz; sie raubte nicht;
Drum brach sie kein Sturm, kein Gottesgericht.


Unsere Rudolstädter Freunde hatten die Vorkehrungen zu der beschlossenen Lustfahrt nach Schwarzburg schnell getroffen. Zwei Troschken fuhren vor; die Kinder und ein Flaschenkober waren bald an Bord gebracht, und fröhlich lichteten wir morgens um 6 Uhr, bei dem heitersten Himmel, die Anker. Alles deutete auf einen freundlichen, warmen Tag. Frisch und fröhlich schmetterten die Posthörner, als wir über das Steinpflaster der kleinen Residenz rollten, und manches hübsche Gesichtchen im Nachthäubchen, dem man’s ansah, daß wir es geweckt hatten, kam, als wir vorüber fuhren, an’s Fenster. Bald waren wir im Freien, und Bäume, Gärten und Felder flogen pfeilschnell an uns vorüber.

Von Rudolstadt geht der Weg anfangs auf der Saalfelder Straße hin nach dem nahen, schönen Dorfe Volkstädt. Die dasige Porzellainfabrik ist die älteste Mittel-Deutschlands. Sie besteht seit fast hundert Jahren. – Jenseits Volkstädt hat man von einer kleinen Anhöhe noch einmal die lachendste Aussicht auf das schöne [78] Saalthal. Man sieht am jenseitigen Ufer eine Reihe starrer Felswände, deren Scheitel dichten Tannenwald tragen, und fast eingezwängt in das Gestein blickt das Dorfchen Unter-Preilipp heraus. In der Ferne aber liegt Saalfeld amphitheatralisch über dem blumigen Thalboden, umgeben von Bergen. – Es wendet sich nun die schöne Kunststraße rechts und hinab rollten wir dem, außerhalb Thüringen wenig gekannten, Schwarzathale zu. So nahe, verlangten wir doch vergeblich, es zu sehen; denn bescheiden verbirgt sich’s und alle Schönheit hinter einem Haine von Obstbäumen, welche das Dorf Schwarza umkränzen. Aber wer dieses Tempe Thüringens in einsamen Stunden durchwandern mag, bald ruhend in seinen colossalen, stillen Wäldern, bald von Felsen zu Felsen kletternd, oder von Schlucht zu Schlucht irrend, begleitet vom Gesange der zahllosen Vögel, der wird nicht leicht die Schweiz um ihre grünen Matten und ihre Alpen beneiden.

Die Schwarza fließt mitten durch den Ort, und gleich unterhalb desselben fällt sie in die Saale. Hinter dem Dorfe verengt sich das Thal, und der eigentliche Charakter desselben fängt an sich zu entfalten. Zuerst erfreute uns der herrliche Anblick der Greifensteiner Ruine und an ihrem Fuße das Städtchen Blankenburg, bei dem die Rinne, von Westen her, der Schwarza zuströmt. – An dieser Stelle ändert sich die Formation des Gebirges. Von Rudolstadt her hatten wir Sand; bei Blankenburg befanden wir uns auf der Scheidung der neuern und der ältern Erdrinde. Große Geschiebe von Quarz und schwarzem Thonschiefer lagen am Ufer und am Wege, und eine Menge haldenähnlicher Hügel, welche sich von den Füßen der Berge bis dicht an die Straße drängen, verrathen, daß hier den Eingeweiden der Erde einst große Metallschätze entzogen wurden. Wirklich war der uralte Bergbau Blankenburg’s auf dieser Steinscheidung von unglaublicher Bedeutung. Noch im 17ten Jahrhundert befanden sich an 60 Gruben, meistens auf silberhaltigem Kupfer, im Umgang. Den letzten Versuch, ihn wieder zu heben, machte im Anfange dieses Jahrhunderts der Bergrath Danz, der, nachdem er in einem bewegten Leben, als praktischer Bergmann, die Gruben von halb Europa gesehen hatte, diesen Punkt für so wichtig und vielversprechend erkannte, daß er sich hier niederließ, und auf der Grenze des Ur- und Flötzgebirges einen Stollen von großer Länge trieb, auf welchen er viele Jahre und das Meiste seines Vermögens verwandte. Der merkwürdige Mann machte das Zechenhaus zur Wohnung für sich und seine Familie. Er verfolgte seinen Plan mit unerschütterlicher Beharrlichkeit, bis ihn in rauher Winternacht einst eine Rotte Bösewichter in seiner Klause überfiel, und seiner ganzen Habe und so der Mittel beraubte, das Unternehmen fortzusetzen. Seitdem liegt Alles öde und wüst. Stunden lang ziehen die alten Bingen und Halden, theils das Schwarzathal hinauf, theils über die Anhöhen nach Königssee hin, und viele Sagen erzählen von den ehedem erbeuteten Schätzen. Tiefen Eindruck hinterläßt eine Wanderung über diese Trümmer eines erloschenen Gewerbes. Keine Spur von Leben regt sich mehr in den dunkeln Bergräumen; das heitere Glückauf des Bergmanns begrüßt nicht mehr; das Summen der muntern Hüttenleute (neun Schmelzhütten sollen allein im Grunde [79] zwischen Blankenburg und Königssee gestanden haben), das fröhliche Stampfen der Pochwerke schlägt nicht an das lauschende Ohr; nur die einsame Holzart ertönt, oder Heerdengeläute, oder Glockengetön aus den benachbarten Dörfern.

Gleich hinter Blankenburg zieht sich das Thal allmählich enger zusammen, und es bleibt blos eine von schroffen Schieferwänden eingeschlossene Schlucht übrig, aus welcher die Schwarza brausend hervorbricht. Am Eingange desselben liegt auf dem rechten Ufer, höchst romantisch, eine Papiermühle, von welcher man noch einmal auf Blankenburg und den Greifenstein hinabblickt. Unser Führer sagte uns, hier hätten wir den halben Beg von Rudolstadt nach dem noch 2 Stunden entfernten Schwarzburg zurückgelegt. Bis dahin begegnet man keiner menschlichen Wohnung weiter. Finster und grauenhaft krümmt sich die Stromschlucht zwischen den Felswänden durch, und tobend wälzt sich die Schwarza über ihr dunkelfarbiges Schieferbett. Ehemals gönnte sie kaum dem Wanderer einen schmalen Fußpfad an ihrem Ufer; erst die Kunst zwang den Felsen einen fahrbaren Weg ab, und die gemauerte Straße ist der einzige trockene Boden des dunkeln, wilden Thals. Nur dann und wann, näher an Schwarzburg, erweitert es sich etwas; jedoch immer nur auf kurzer Strecke, und kleine, freundliche Wiesengründchen sind wahre Lichtblicke in dieser dämmernden Einöde. Alle Bergwände sind mit Holzung bekleidet; nur da, wo jene ganz senkrecht abfallen, folglich kein Baum wurzeln kann, starren die schwarzen Thonschieferfelsen unfreundlich herab, und unter diesen hebt sich der himmelhohe Kirchenfelsen trotzig empor. Man kann diese ganze Strecke des Thals einzig im Thüringer Walde, einzig in ihrer Art nennen. „Hier sind nicht (sagt Jacobs in seiner trefflichen Beschreibung d. Th. W.) die wunderbaren, kühnen und abenteuerlichen Felsengruppen von Eisenach, Altenstein und Glücksbrunn, von lachenden Buchenwäldern umgeben und durch den entzückenden, erhebenden Anblick auf ein großes, fruchtbares Thal und ferne blaue Berggipfel erheitert; nicht die herrlichen Colosse eines Bärenbruchs und Falkensteins, bei Tabarts und Tambach, die sich aus einem blumigen Wiesenboden erheben und mit fichtenumkränztem Haupte gen Himmel streben! – nein, es ist ein starres, elegisches Emporragen todter, schwarzer Schieferwände, welche die Brust des Wanderers in diesem wilden Thale beengen und nur dann eine frohe Empfindung geben, wenn man sie hinter sich hat, und das wunderschöne, glänzende Schwarzburg selbst aus seinem Wiesenthale auf seiner Bergzinne sich erheben sieht.“ – Bald verkündigte uns das Schmettern der Posthörner froh die Nähe des Ziels, und wenige Augenblicke später hielten wir, bei einer 1000 jährigen Eiche, an einem stattlichen, recht wirthlich aussehenden Hause, dem Schwarzburger Gasthofe.

Die Schwarzburg steht auf einem schmalen, hackenförmigen Vorsprunge des Gebirgs, 250 Fuß über dem Thale. Die Schwarza umkrümmt den Felsen auf drei Seiten und am östlichen Fuße desselben liegt das Dorf (etwa 50 Häuser), dessen Einwohner sich von undenklichen Zeiten her „die Männer vom Thale Schwarzburg“ nennen. [80] Zerstreut auf den Terrassen des Schloßfelsens umher sieht man, außer dem bereits erwähnten, recht guten Gasthofe, der von allen Zimmern die schönsten Aussichten hat, eine Kalkhütte, die Burgvogtei, Verwalterwohnung, das Zeughaus, einige Oekonomiegebäude und mehre Lusthäuschen. Auf der südöstlichsten, etwas niedrigern Ecke aber findest du Etwas, was du nicht suchst und hier gern vermissen möchtest, – ein Zucht- und Irrenhaus.

Das Schloß ist der uralte Stammsitz der ehemals reichsgräflichen, jetzt fürstlichen Dynastie Schwarzburg. Seine Erbauung reicht in jene Frühzeit der deutschen Geschichte hinauf, wo die ersten Carolinger gegen die häufigen Einfälle der Sorben und Wenden an den Zugängen des Reichs Gränzfesten errichteten. Carl der Große belehnte einen Grafen von Schwarzburg, und in den Urkunden Thüringens finden wir sie schon im 9. Jahrhundert als mächtige Herren. In spätern Tagen kam die Schwarzburg zwar in fremden Besitz; doch nur auf kurze Zeit, und seit 1229, wo sie Graf Heinrich IV. wieder an sich brachte, blieb sie Eigenthum der erlauchten Familie, welche sich, was keine andere in Deutschland kann, noch gegenwärtig der Wiege ihres Hauses erfreut. 1726 zerstörte eine Feuersbrunst vieles am uralten Bau und der damalige Fürst Rudolstädtischer Linie, welchem die Burg bei der Erbtheilung der schwarzburgischen Lande zugefallen war, erhielt dadurch Gelegenheit, diese ehrwürdige Besitzung, wie sie es verdiente, durch den Neubau zu verschönern und zu erweitern. –

Das Innere des Schlosses ist angemessen; Säle und Zimmer sind geräumig, ihre Ausstattung ächt ritterlich, oft mit fürstlicher Pracht. Moderne Eleganz wird hier Niemand suchen, und Jeder gern vermissen. Sehr merkwürdig ist der sogenannte Kaisersaal, in dem vom Brande verschont gebliebenen Theile der alten Burg. Er wird durch eine Kuppel von oben erleuchtet. Die Bildnisse sämmtlicher deutscher Kaiser bis auf Karl VI. herab zieren seine Wände, unter ihnen Graf Günther XXII. von Schwarzburg, der von den meisten Ständen des Reichs wider Karl IV. als Gegen-Kaiser gewählt worden war. In einem andern Saale hängen die Portraits aller Fürsten des schwarzburgischen Hauses, viele von der Hand großer Meister und auch als Kunstwerke werthvoll. Auf den Corridors machen die seit Jahrhunderten gesammelten Trophäen jagdlustiger schwarzburgischer Fürsten und Herren, ungeheure Geweihe von den im Wildgehäge des Schlosses erlegten Hirschen, Elenthieren etc. eine seltsame Staffage. Ein Meisterstück von Bau, prachtvoll und wahrhaft fürstlich ist die Haupttreppe, aufgeführt aus inländischem Marmor. Die meisten Zimmer sind gegen Südwest gerichtet. Man genießt aus ihnen über die senkrecht in den Fluß abfallende Felsenwand zwar beschränkte, aber malerische Blicke in den Wiesengrund, den einzelne Häuser, einige Hammer- und Mühlwerke ausstaffiren, und über die hinter einander sich erhebenden bewaldeten Berge, welche alle einen Theil des mehre Quadratmeilen großen Wildgartens ausmachen, wohl dem geräumigsten in Deutschland. Zuweilen sieht man ganze Heerden von Rothwild am Waldsaum weiden, und zur Winterszeit kommen Hirsche bis unter die Fenster des Schlosses. – Am Zeughaus gehe man nicht vorüber. Wir fanden in demselben eine merkwürdige [81] Sammlung alter Waffen; doppelt interessant dadurch, weil sie größtentheils schwarzburgischen Fürsten und namhaften Personen von geschichtlichem Interesse zum Gebrauch gedient hatten. – Zunächst am Schlosse ist der Wildgarten wie ein Park mit Wegen durchschnitten und der Spaziergänger findet da viele Punkte, die entweder durch ihre Aussicht oder durch den Charakter des Romantischen und Schauerlichen fesseln. – Im Grunde weiter aufwärts kann man auch noch die Spuren der vor uralter Zeit berühmten Seifenwerke sehen, in denen die Vorfahren aus dem Sand und Gerölle der Gebirge, welche Strom und Regen im Thale abgelagert hatten, Gold wuschen. An dem zu Bergen aufgehäuften Schutt ist zu erkennen, wie großartig diese längst vergangene Industrie betrieben worden seyn müsse. Die letzten Goldwäschen bestanden noch um 1750; sie wurden aufgegeben, als sie den damit Beschäftigten nicht einmal mehr einen Taglohn übrig ließen. Man machte zwar Versuche, die Lagerstätte des kostbaren Metalls in den Gebirgen zu erforschen; doch waren sie zu ohnmachtig, um zum gewünschten Resultat gelangen zu können, und obschon man Baue auffand, wo vor Alters Gold unzweifelhaft gegraben worden war und man viele Spuren entdeckte, so reichten doch die Mittel niemals aus, sie gehörig zu verfolgen. Gegenwärtig ist im ganzen Schwarzagebiet, wo im 14., 15., und 16. Jahrhundert Tausende von Bergleuten den schwarzburger Bergsegen weltberühmt machten, auch nicht eine einzige Grube mehr in Ausbeute, und die vielen, ehedem am Flusse gelegenen Wasch-, Poch- und Schmelzwerke sind entweder verschwunden, oder in Mahlmühlen, Blech-, Hammer- und Eisenhüttenwerke umgewandelt. Letztere holen ihre Erze vom Auslande, den preuß. und meiningischen Gruben bei Saalfeld und Schmiedefeld. – Das 2 Stunden von Schwarzburg thalaufwärts gelegene, unter fürstlicher Verwaltung stehende Eisenwerk Katzhütte (mit Hoh- und Blauöfen) ist das bedeutendste des Thüringerwaldes, und kann eben so schöne und so zierliche Gußwaaren als die Berliner königl. Gießerei liefern. Es beschäftigt über 200 Personen. Ein Gang dahin lohnt die Mühe reichlich, zumal wenn es dem Besucher glückt, im Direktor, Bergrath Junot, die Bekanntschaft eines der gebildetsten praktischen Hüttenleute Deutschlands zu machen. Dessen Gattin ist die Tochter des großen Schiller, und uns, den Weithergereisten, dünkte so manche Reliquie des deutschen Dichterfürsten, die hier verwahrt ist, einer noch weitern Wallfahrt würdig.