Ruinen von Phylae in Oberägypten

LXXXIII. Die Gallerie von Gondo an der Simplon-Strasse Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band (1835) von Joseph Meyer
LXXXIV. Ruinen von Phylae in Oberägypten
LXXXV. Nantes
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DIE TEMPEL-RUINEN ZU PHYLAE (PHUL)
in Aegypten

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LXXXIV. Ruinen von Phylae in Oberägypten.




Unter den Nationen des Alterthums, welche allen übrigen Völkern in der Bildung voranschritten, sind die Aegypter die dritte. Indische Colonisten brachten die Cultur aus ihrem Ursitze nach Afrika; die Aethiopier verpflanzten sie nach Nubien und Aegypten und von da, durch den nach Attika auswandernden Kekrops aus Sais kam sie in unsern Welttheil. Schon 3000 Jahre vor der christlichen Zeitrechnung hatte Indische Kunst und Wissenschaft im Nilthale seine zweite Heimath gefunden.

Ober-Aegypten war damals ein großes, mächtiges, unglaublich dicht bevölkertes Reich und der Schauplatz der rastlosesten Thätigkeit. Es war das Land der Wunderschöpfungen der menschlichen Kraft und Ausdauer, ein Mittelpunkt der Industrie und des Handels; das Land, in dessen Schooß die Reichthümer der Erde flossen; jetzt ist’s – die ärmste Provinz eines türkischen Paschaliks mit kaum 150,000 meist nomadisirenden Bewohnern, ohne Eigenthum und ohne Cultur; der Schauplatz von Raub, Verheerung, Tyrannei und Elend.

Schon einige Tagereisen von Cairo, stromaufwärts, wird das Land menschenleer, und der Ackerbau hört fast auf. Monumente des Alterthums, Ueberreste von Tempeln, Palästen und Vesten, Säulen, Wasserleitungen und Canäle, Pyramiden und Grabmäler wechseln mit einsamen Weilern und halbverfallenen, oder verlassenen Dörfern. Bei dem Flecken Kenne, 120 Stunden von Cairo, dem alten Denderah gegenüber, verläßt der Reisende das Nilthal und nimmt den Weg quer durch die Wüste, durch welche ihn ein dreitägiger mühseliger Marsch führt. – Erst bei Syene, einem elenden Flecken an der Nubischen Grenze, begrüßt er von neuem den herrlichen Strom. Hier fließt er nicht mehr fast unmerklich dahin, wie weiter abwärts, wo er oft mehr einem langen See, als einem Strome gleicht; aus einem engen Defilee kommend, rollt er rasch durch das üppige Thal, mit dem sichtbaren Zeichen ungewöhnlicher Aufregung. – Ein zweistündiger Weg von Syene führt an den merkwürdigen Ort, wo der Nil eine breite, ihn einst dämmende Felsenmauer vor undenklicher Zeit niedergestürzt hat. Die Trümmern derselben[WS 1] liegen als eben so viele Inseln in seinem Bette umher, zwischen denen sich der Strom mit fürchterlichem Ungestüm braußend und donnernd, seinen Weg bahnt. Die Geographen nennen diese Stelle die zehnte (letzte) Catarakte des Nils und hier endigt dessen Schiffbarkeit.

Mit Verwunderung bemerkt der Wanderer, vom Genuß des prächtigen Naturschauspiels gesättigt, auf mehren dieser romantischen Eilande Spuren von Mauerwerk und am Ufer eine Menge Ruinen, welche beweisen, daß diese [93] öde Gegend, wohin sich jetzt nur selten ein menschliches Wesen verirrt, einst ein Mittelpunkt altägyptischer Größe und Herrlichkeit war. Namentlich ist’s ein nahe bei dem Katarakt gelegenes Eiland, Phylae, (das Phul der Bibel), was durch die Pracht und Menge seiner Denkmäler die Aufmerksamkeit fesselt. Es ist ¼ Stunde lang und 3 bis 400 Schritte breit, und seine regelmäßige, fast eirunde Form erscheint mehr wie ein Werk der Kunst als das des Zufalls. – Ueberall, wo das Ufer niedriger ist, als die Wasserfläche des Stroms, ist es durch Mauerwerk erhöht, und alle Einschnitte und Klüfte sind mit Felsstücken ausgefüllt worden. Breite Treppen führen, nach den vier Weltgegenden hin, zum Strome hinab.

Die ganze Oberfläche des Eilandes ist eine Versammlung der prachtvollsten Ruinen. Mit Schauer der Ehrfurcht betritt man diese Trümmerwelt, gleichsam das Todtengerippe der Urmutter unsrer Cultur, welches langsam, unter dem Moder der Jahrtausende, der Vernichtung zusinkt. Nicht wie in Rom und Athen vermengen sich hier die bunten Baureste aller nachfolgenden Jahrhunderte und die Wohnungen des frischen Lebens mit den Denkmälern einer classischen Vergangenheit: alles ist altägyptisches Werk und altägyptische Vorzeit, und die vollkommene Verödung des Orts und der Gegend, die tiefe, nur durch das Rauschen der Gewässer und durch das traurige Geschrei Beute suchender Raubvögel und des einsamen Schakals unterbrochene Stille vollendet die Harmonie der Scene und trägt dazu bei, die Seele zu tiefer Betrachtung zu stimmen. –

– Welche Wahrheit predigen solche Trümmer, Friedhöfe der Reiche und Völker, in deren Staub der Königspalast wie die Hütte des niedrigsten Sclaven ohne Unterschied aufgeht! Wahrlich, eine erschütternde Wahrheit, vor der die Seele der Tyrannen bebt, und die den Genußkelch des mächtigen Verbrechers vergiftet; eine Wahrheit auch, die den Unterdrückten aufrichtet, den Leidenden tröstet und den Armen gleichgültiger macht gegen die ungleiche Vertheilung des Reichthums, dessen Verachtung sie ihn lehrt; – eine Wahrheit, dem Unglücklichen, welchen das Schicksal, oder Gewalt, Arglist und Bosheit um seinen Anspruch auf den frohen Genuß des irdischen Daseyns betrogen, die letzte Zuflucht; eine Wahrheit, die den Gedanken über das Irdische erhebt und der Seele das Gleichgewicht wieder giebt, das in den Sturmwogen des Lebens so leicht verloren geht! –

Die besterhaltene der Ruinen, zu deren nähern Betrachtung unser Bild führt, ist die eines Tempels des Osiris, wahrscheinlich ein von Sesostris begonnenes, durch spätere Anbauten vergrößertes Werk. – Es ist eine der imposantesten Ruinen in ganz Aegypten. – Durch den über 40 Fuß hohen, prächtigen Portikus, dessen Grundmauern im Nilbette ruhen, stieg man auf 50 Stufen hinan in den Vorhof des Tempels, dessen innern Eingang 2 Obelisken, die noch aufrecht stehen, gleichsam hüten. Der Hof ist ein längliches Viereck, auf beiden Seiten von Gallerieen, die von hohen Säulen getragen werden, eingerahmt. Zwischen den Säulen standen die Wohnungen [94] der Priester, jetzt theils halb, theils ganz verfallen. Der ganze Hof ist ein Chaos von Gesimsen, Säulen, Balken, Pfeilern und Fragmenten von Bildwerken meistens der köstlichsten Arbeit. Eine Allee von Sphynxen, welche Zeit und Menschen längst von ihren Postamenten gestürzt und zertrümmert haben, führte über den Vorhof auf die Hauptpforte der Tempelvorhallen zu, die unter zwei Pylonen, (der altägyptischen Baukunst eigenthümliche, einer abgebrochenen Pyramide ähnliche Gebäude), sich wölben und durch von oben einfallendes Licht erhellt werden. Diese Pylonen, von Granitblöcken ungeheurer Größe errichtet, sind von innen und außen hieroglyphenartig mit Sculpturen seltsamer Menschen- und Thiergestalten geziert. Sie sind vollkommen erhalten. Zwei colossale Löwen, jeder von 26 Fuß Höhe, und zwei Obelisken standen zu den Seiten der großen Pforte; alle sind umgestürzt, zertrümmert und liegen begraben in Schutt. Aus dieser Vorhalle gelangt man in eine andere, ebenfalls von einem Pylon überdeckt und aus dieser in die Cella, ein längliches Viereck, von außen und im Innern mit Säulen verziert. Am andern Ende der Cella, deren Dach eingestürzt und deren Inneres mit Schutt und Trümmern angefüllt ist, ist wieder ein hoher, runder Saal, von oben erleuchtet, die Wände mit Freskomalereien verziert. Auch dieser Theil des Gebäudes ist verschüttet; aber auf dem Schutte ersteigt man, mit Hülfe einer Leiter, leicht die Zinne des Pylon, von welcher das Auge alle Ruinen, den Wogenkampf des Stromes zwischen den Felsen und die unermeßliche Wüste übersieht.

Phylae und seine Gegend ist ein reiches Feld für das Studium der altägyptischen Kunst. Die Trümmer geben einen vergleichenden Ueberblick von der Bauart der Aegypter zu den verschiedensten Epochen, von der Zeit Sesostris an bis zu der der Cleopatra. Der Grundton ihres Charakters ist durch fast drei Jahrtausende immer der nämliche geblieben, unerschütterliche Festigkeit und jene riesenhafte Größe und verschwenderische Pracht, welche Erstaunen und Bewunderung mehr als wahres Wohlgefallen erwecken. Höchst merkwürdig sind für den Forscher einige unvollendet gebliebene Gebäude, da sie Aufschluß über die Art und Weise geben, wie die Aegypter bei ihren Bauten zu Werke gingen. Man sieht daraus, daß sie, das Verfahren ihrer Lehrer, der alten Indier, befolgend, ihre Prachtgebäude erst aus dem Rohen aufrichteten und diese dann, wie es der Bildhauer mit dem Blocke thut, erst von außen und innen in’s Reine arbeiteten, ein höchst mühsames Verfahren, weßhalb auch größere Gebäude oft viele Jahrhunderte zu ihrer Vollendung brauchten. Selbst die Säulen, Gesimse etc. wurden aus dem ungestalten Gestein an den im Rohen fertigen Gebäuden selbst ausgemeißelt, und an einem der Tempel von Phylae kann man diese Arbeit durch alle Abstufungen hindurch, vom unförmlichen Block an bis zur mit den reichsten Capitälern verzierten Säule, verfolgen. – –

Phylae hat noch eine besondere Merkwürdigkeit als die südliche Grenzmarke der Züge des neuern Alexanders – Napoleons. Nach dem Siege bei den Pyramiden folgte Bonaparte den fliehenden Mameluken bis hierher [95] – der Grenzscheide Aegyptens, und diese zerstreuten sich in die nubische Wüste. – Am Eingange des in unserm Stahlstiche verbildlichten Tempels ließ er zwischen die Namen des Cäsar und Antonius, welche 1800 Jahre früher Phylae noch in seiner Herrlichkeit schauten, die Inschrift einmeißeln:

„LE XIII. VENTOSE, AN VII. DE LA REPUBLIQUE. III. MARS,
AN DE S. CHRIST. MDCCLXXXXIX.“



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: derelben