LXXXIV. Ruinen von Phylae in Oberägypten Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band (1835) von Joseph Meyer
LXXXV. Nantes
LXXXVI. Wisbaden: der neue Kursaal
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[Ξ]

NANTES

[95]
LXXXV. Nantes.




In einer schönen und höchst fruchtbaren Gegend an der Seeschiffe tragenden Loire, zehn Stunden von deren Mündung, liegt das uralte Nantes, an Größe, Volksmenge und Reichthum die fünfte Stadt Frankreichs. Sie hat über 13,000 Häuser, und jetzt nahe an 100,000 Einwohner. Schmuzige und enge Gassen verunstalten die Altstadt; um so prachtvoller ist die Bauart der neuern Stadttheile, und die der Loire zugekehrte Hauptstraße, mit herrlichen Kayen an beiden Seiten, zeigt eine fast ununterbrochene Reihe von palastähnlichen Wohnungen, (vergl. den Stahlstich), die der Sitz des Reichthums sind, welcher dem Handel überall nachfolgt.[1]

[96] Nantes ist der Sitz der Oberbehörden des Departements der untern Loire, des Generalstabs der 12. Militairdivision, einer Handelskammer und eines Bischofs. Es hat eine berühmte Schifffahrtsschule mit sehenswerthen Modellsammlungen, ein Gymnasium und ein Collegium für Chirurgie. Der Dom, Rathhaus, Börse, die Kirche St. Nicolas, mit herrlichen Glasmalereien, den schönsten in Frankreich, sind die sehenswerthesten Gebäude. Im alten Schlosse (jetzt eine Citadelle) unterschrieb (1598) Heinrich der Vierte das berühmte Edict, welches den Protestanten die freie Ausübung ihrer Religion in ganz Frankreich gestattete, und den Religionsunruhen auf lange Zeit ein Ende machte. Ludwig der Vierzehnte, erst Wollüstling, dann Frömmler, den seine Zeitgenossen den Großen nannten mit derselben Wahrheit, mit der die Schmeichler des Caligula diesen den Göttlichen hießen, gegängelt von der Maintenon und seinen Beichtvätern, widerrief das Edict (1685) und trieb durch seine Verfolgungen eine halbe Million der wohlhabendsten, fleißigsten und aufgeklärtesten seiner Unterthanen aus Frankreich. – Aber vielen hunderttausend Protestanten fehlten die Mittel zur Auswanderung, und des unerträglichen Gewissenszwangs und der steten Verfolgung müde, ergriffen sie die Waffen und führten unter dem Stichnamen der Kamisarden eine Art Guerillakrieg gegen ihren Unterdrücker, der über 50 Jahre dauerte, Hunderttausenden das Leben kostete, die schönsten Provinzen Frankreichs mit Blut tränkte und das Volk zu Greueln heranzog, welche später in der Revolution, in den Kriegen der Vendee, in so entsetzlicher Größe sich zeigten. – Erst Voltaire und Montesquieu bahnten durch ihre Schriften den Weg zur Religionsfreiheit an, welche die Revolution von 1789 dem gepeinigten Lande eroberte.

Während der Revolution war Nantes ein Hauptheerd des Meinungs-Fanatismus, und der Schauplatz der schrecklichsten Greuel. – Der fürchterliche Carrier feierte hier seine republikanischen Hochzeiten und Ersäufungsfeste. Ueber 4000 Nanteser fielen unter dem Messer der Guillotine; 20,000 in den Kämpfen mit und gegen die Vendeer. Die Einwohnerzahl der Stadt sank um 30,000 in diesem Sturme, vor dem Handel und Wohlstand flohen. Unter Napoleons Herrschaft, der handelsfeindlichen, konnte Nantes sich nicht erheben; aber seit dessem Sturze, der Frankreich das Weltmeer wieder öffnete und alle Märkte der Erde seinem Handel, hat es an Größe, Volkszahl und Verkehr jährlich zugenommen, und sein gegenwärtiger Zustand ist der des blühendsten Gedeihens.




  1. Vermöge seiner günstigen Lage ist Nantes der Mittelpunkt des Verkehrs im ganzen Loiregebiet. Das innere und südliche Frankreich bringt jährlich auf mehr als 3000 Barken seine Produkte hier zu Markt und tauscht dagegen die Erzeugnisse der zahlreichen hiesigen Fabriken, die des Auslandes und der Colonieen ein, zu deren Herbeischaffung Nantes directe Verbindung mit Amerika, Westindien und Afrika unterhält, und über 80 Millionen Franken Capital und 800 Seeschiffe beschäftigt. – Die kleinern Seeschiffe können auf der tiefen Loire bis an die Stadt kommen; die größern werden in Paimboeuf, dem eigentlichen Seehafen des Platzes, dicht an der Loire-Mündung, gelöscht, und Leichterschiffe führen ihre Ladungen bis vor die Magazine der Nanteser. – Von den Fabriken zeichnen sich die in baumwollenen Stoffen, (Cattun, Piquees etc.), die in Leder, die Seilereien, Baumwollespinnereien, Zuckerraffinereien, die von kupfernen und eisernen Geschirren für die Colonieen, durch großartigen Betrieb aus.