Reinhardsbrunn
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Es verscholl in den Hallen längst der Orgel Klang
Und das heil’ge Saitenspiel und das fromme Lied;
Doch des Pokales goldner Born ist nicht versiegt,
Und es thront gefürstete Freude, wo einst
Stille des Klosters.
„Umfange mich, heiterer Thalfrieden, paradiesisches Gefilde, daß wie eine blumengeschmückte Eremitenzelle im Schooße des Thüringer Waldes ruht! Du empfängst mit den Armen der Liebe und der Ruhe den Wanderer, der [26] von den Bergen zu dir hernieder steigt, und bietest ihm Freude in Fülle dar. Erquickung dem Ermatteten, Augenweide dem Schaulustigen, heitere Gesellschaft dem Frohen, und der Melancholie düstere Schattengänge dem Traurigen und Unglücklichen. Reste der Vorzeit zeigen die alten Mauern, welche einst dein klösterliches Haus umgaben, und wie versteinerte Sagen stehen ernst und stumm die halbverwitterten Monumente alter Landgrafen unter der Kirche schützendem Dach. Die uralten Linden um den großen, steinernen Mönchstisch rauschen und plaudern, als erzählten sie sich von den längst vergangenen Zeiten. . . . . Hier will ich am stillen Abende sitzen und der Tage gedenken, wo die Glocken über mir Denen zu Grabe riefen, welche im Fürstenglanze strahlten. Von dem hohen Bergschlosse mußten Alle herab, hier fanden die nimmermüden Streiter ihre Ruhestätte, bis die Sturmschwingen der Zeit ihren Grabesstaub und ihrer Leiber Asche spurlos verwehet hat.“
Mit diesen Worten führt Thüringens eigentlichster Dichter, unser Bechstein, seine Leser in den reichen Kreis der Geschichten von Reinhardsbrunn,[WS 1] welche mit denen der Wartburg die interessantesten des Thüringer Landes ausmachen.
Auf der Gründung Reinhardsbrunns liegt das Morgenroth der Geschichte, der goldene Schein der Legende. – Ludwig, der zweite Thüringer Landgraf, ein Fürst von ritterlichem, abenteuerlichem Geiste, hatte auf seinen Fahrten die Gemahlin des Pfalzgrafen von Sachsen kennen gelernt. Bald war mit dem schönen Weibe ein verbrecherisches Verhältniß angesponnen. Die Liebenden beschlossen, den Pfalzgrafen aus dem Wege zu schaffen. Gelegenheit ersann Ludwig, erstach ihn mit eigner Hand, und nahm die Wittwe zu sein Gemahl.
Der Kaiser, dem pfalzgräflichen Hause verwandt, sprach die Reichsacht aus über den Mörder. Aber Ludwig hatte viele und feste Burgen, sein Land war groß und unwegsam, er hatte treue Diener und viele Schlauheit: – bald war er da, bald dort, und es vergingen Jahre, ehe man ihn fahen konnte. Endlich wurde er von den kaiserlichen Dienstmannen aufgegriffen und nach Burg Giebichenstein an der Saale in sicheren Gewahrsam gebracht, um dort die Rückkehr und das Urtheil des Kaisers zu erharren, welcher auf einem Römerzuge begriffen war. Nach fast dreijähriger Haft gelang Ludwig die Flucht durch einen glücklichen Sprung, wie die Sage geht, von dem hohen Thurmfenster hinab in die unten vorbeifließende Saale, woher er den Beinamen „der Springer“ erhielt.
Aber um Kaiser und Reich zu versöhnen, um sich Sicherheit zu schaffen und das erwachte Gewissen zu beruhigen – bedurfte es schwerer Buße. Die beiden Verbrecher pilgerten nach Rom zum heiligen Vater. Dort gelobten sie zur Vergebung ihrer Sünden feierlich: sich zu trennen, ein Frauen- und ein Mannskloster zu erbauen, und ihre Tage in denselben zu beschließen.
Wieder heimgekommen, war es Landgraf Ludwig’s erste Sorge, sich umzuschauen nach einer bequemen Stätte, die zum Bau des Klosters sich eigne. Nicht weit von Friedrichsrode, 3 Stunden von Gotha, lag mitten im Walde ein freundliches Wiesenthal, sonnig und heimlich, und geschützt durch die Berge vor des Wetters Unbill. [27] Niemand bewohnte es, außer ein armer Töpfer, Namens Reinhard. Nicht weit von dessen Hütte war eine Quelle, und mit Verwunderung hatte Reinhard schon mehrmals in den warmen Sommernächten Lichter neben und auf dem Wasser hüpfen sehen, und vergeblich nach ihrer Ursache geforscht. Kam er hin, waren sie allemal spurlos verschwunden. Da erzählte Reinhard die Wunder-Erscheinung vielen Leuten, und viele kamen und sahen sie, und konnten sie nicht erklären. – Auch Ludwig bekam davon Kunde, ging hin, sah die tanzenden Flämmchen, forschte und forschte vergebens, wie die Andern. Da kam ihn der Gedanke bei, das müsse wohl eine heilige Stätte seyn, und eine gottgefälligere für den Bau seines Klosters möchte er im Lande nicht finden. Sein Beichtvater bestärkte ihn in dieser Meinung. – Bald dröhnte nun die einsame Waldung von tausend Holzäxten wieder. Ein Heer von Bauleuten belebte das stille Thal, und es stiegen die Mauern einer der prächtigsten und reichsten Benediktinerabteien des Thüringer Landes empor. Sie erhielt den Namen Reinhardsbrunn, um den Anlaß ihrer Gründung zu verewigen. Als das Kloster fertig war, begrub sich Ludwig selbst hinein als büßender Mönch, nachdem er zuvor sein Stammschloß, die Schauenburg, mit meilenweiten Waldungen und reichen Gründen, der Abtei geschenkt hatte. Zugleich stiftete er ein Erbbegräbniß seines Hauses unter der Klosterkirche, und eine ewige Lampe für jeden in demselben beigesetzten Sarg.
Und im Laufe der nächsten Jahrhunderte erklangen vielmal die Trauerglocken im Kloster Reinhardsbrunn, wenn sie den Leib eines Herrn des Thüringer Landes brachten von der hohen, 4 Stunden fernen Wartburg, oder von entfernten Schlössern, wie Ludwig den Eisernen, den seine Edelleute auf ihren Schultern zehn Meilen weit von Halle hertragen mußten; oder aus fremden Landen, wie Ludwig den Heiligen, den der Herr gerufen auf dem Zuge nach Palästina! –
In des Mittelalters langer Nacht der Unwissenheit schimmerte des Klosters Stern hell und die Benediktiner von Reinhardsbrunn, – sorgsam gepflegt, geschützt und reich beschenkt von den thüringischen Fürsten, – lebten ihre goldene Zeit. Als aber des Begründers Stamm, das landgräfliche Haus, (im 15. Jahrhundert), mit Friedrich dem Einfältigen ausstarb und lachende Erben sich in das schöne Land theilten; als endlich die Morgenröthe der Reformation anbrach, da erbleichte das Sternlein gar schnell, und noch ehe der Tag kam, löschte es die Hand eines furchtbaren Geschicks. – Luther’s Zauberwort: Freiheit des Glaubens, hatte den Geist der Massen aus seinem Todten-Schlafe aufgerüttelt, überall in Deutschland sprengte er die Bande gewaltsam und die entzügelte, rathlose Kraft äußerte sich verheerend und zerstörend, wie die entfesselten, rohen Elemente der Natur. Der Sturm des deutschen Bauernkrieges überbraußte ganz Thüringen, und Kloster Reinhardsbrunn sah seinen letzten Tag. Am Montag, 8 Tage nach Ostern, des Jahres 1525, standen die Bürger und Bauern in Waltershausen und der Umgegend auf, und ihr erster Zug galt der Klosterherrschaft der feisten Benediktiner. Der letzte Abt floh, mit ihm sein Kellermeister. Abends rückten 800 Mann ein, soffen die ganze Nacht, raubten und plünderten und trieben Spott mit den Mönchen. Den andern Morgen kamen neue Haufen: die Klosterbrüder machten [28] sich aus dem Staube. Nun wurde die Abtei, nachdem alle Vorräthe aufgezehrt waren, von den tollen Haufen demolirt. Selbst das Allerheiligste erfuhr keine Schonung. Man riß die fürstlichen Grabgewölbe auf, stürzte die Särge um, raubte den Gebeinen ihren Schmuck, und warf sich in toller Lust mit den Knochen der alten Herrscher. Die kostbare Klosterbibliothek wurde im Hofe verbrannt. Die vier und zwanzig Altäre der Kirche, herrliche Denkmäler der altdeutschen Malerei und Skulptur, wurden niedergerissen; alle übrigen Kunstwerke vernichtet; die Glocken zerschlagen; die 3 Orgeln auseinander gerissen; Thüren und Fenster verbrannt; die Dächer abgedeckt; ganze Gebäude bis auf die Grundmauern verwüstet. Nach vollendetem Zerstörungswerke zogen die wüthenden Haufen ab und ließen die reiche, prachtvolle Abtei als Ruine zurück.
Zwar sammelten sich die zerstreuten Klosterbrüder wieder und begehrten Erlaubniß zur Wiederherstellung der Abtei. Solches wurde ihnen jedoch von dem protestantisch gesinnten Landesherrn verwehrt. Er ließ jedem der Mönche eine gewisse Summe zahlen, rieth ihnen, in den weltlichen Stand zurückzutreten und weiter zu wandern. Aber die reichen Besitzungen des Klosters zog er ein, machte sie zu einem Amt und Kammergut und verwandelte die noch übrigen Klostergebäude in Wirthschaftswohnungen und in ein fürstliches Jagdschloß.
Diese Bestimmung behielt es bis auf den heutigen Tag. – Unter der Regierung des Herzogs Ernst von Gotha, zu Ende des vorigen Jahrhunderts, wurde die nächste Umgebung in freundliche Anlagen umgeschaffen, und seinem geistreichen, genialen Nachfolger, dem Herzoge August, war Reinhardsbrunn der gewöhnliche Sommeraufenthalt. „Mein stilles, heiliges Thal, (schrieb er von hier aus seinem Freunde, dem Dichter Wagner), der düster-schattige Wald, die frisch-grünen Wiesen, die schillernden Seen, die duftenden, durchzwitscherten Büsche, der stumme Abend, die Gräber der Ahnen, die undurchdringlichen Geheimnisse der verödeten Zellen, – das Alles könnte wohl einen Dichter reizen, – vielleicht begeistern! Hier in dem lieben, alten Zellenhause, am reinen, heiligen Chrystallborn, hänge ich mehr von meinem Willen ab, als in der lärmigen Stadt und an meinem Hofe.“ –
Zehnfach verschönert, und umgeschaffen zu einer der herrlichsten deutschen Fürstenvillen, haucht Reinhardsbrunn auch dem jetzigen Besitzer mit seinen alten, zum Himmel aufstrebenden Edeltannenhainen den ersten balsamischen Frühlingsgruß jedes Jahr entgegen. Wälder und Gründe, Berge und Thäler weithin, bilden einen mit sorgfältig unterhaltenen Wegen durchzogenen Park, mit einer Wildbahn, welche die größte und reichste vielleicht in ganz Deutschland ist. Von jeher war es den humanen Fürsten Gotha’s eigen, ihr Volk vom Mitgenuß ihres Eigenthums nicht auszuschließen, und so ist auch Reinhardsbrunn an jedem Sonn- oder Festtage der schönen Jahreszeit ein Sammelplatz der Städter und Dörfler oft zu Tausenden und der Ort, wo sich thüringer Frohsinn und Heiterkeit in Fülle zeigen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Ludwig Bechstein: Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, 1. Teil, Hildburghausen 1835, S. 159 f.